Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Deutsches Städtebuch


96-1-115
Deutsches Städtebuch : Handbuch städtischer Geschichte / begr. von Erich Keyser. - Neubearb. / hrsg. im Institut für Vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster von Heinz Stoob und Peter Johanek. - Stuttgart [u.a.] : Kohlhammer. - 28 cm
[3083]
Bd. 1. Schlesisches Städtebuch / hrsg. im Institut für Vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster von Heinz Stoob und Peter Johanek in Verbindung mit der Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen Bonn. Bearb. von Waldemar Grosch unter Mitarb. von Heinz Stoob ... - 1995. - XLIV, 490 S. - ISBN 3-17-013789-1 : DM 248.00
96-1-116
Das deutsche Städtelexikon : 1850 Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland / zsgest. und hrsg. von Fritz Siefert (alte Bundesländer) und Manfred Weisbrod (neue Bundesländer). - Lizenzausg., Ausg. 1994/95. - Hamburg : Xenos-Verlagsgesellschaft, 1993. - 788 S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 3-8212-1258-6 : DM 19.80
[3136]

Mit dem Schlesischen Städtebuch beginnt das Institut für Vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster eine Neubearbeitung des traditionsreichen Deutschen Städtebuches, dessen Erstauflage zwischen 1939 und 1974 in 11 Regionenbänden erschienen ist. Sie entstammte im wesentlichen der rastlosen Arbeit Erich Keysers, der mit Hilfe von mehr als 1300 Beiträgern umfassendes zeitgenössisches wie historisches Datenmaterial zu über 2000 deutschen Städten zusammentrug. Bereits 1939 hatte Keyser auch ein Schema mit 20 Abschnitten entworfen, das die einzelnen Städteporträts einheitlich gliederte und damit deren Vergleichbarkeit sicherstellte. Es wurde bis 1974 kontinuierlich modifiziert, aber nie grundsätzlich aufgegeben. Wenige Stichworte aus dem Gliederungsschema lassen bereits den beachtlichen Informationsgehalt des Gesamtwerks erahnen: Angaben zu Name, Lage und Ursprung einer Stadt, zu Wappen, Siedlungsgeschichte und Sozialgefüge stehen hier neben Fakten über Stadtverfassung und -verwaltung, Wirtschaft, Finanz-, Kirchen- und Bildungswesen. Eine Neubearbeitung des Deutschen Städtebuches war schon beim Abschluß der Erstauflage angekündigt worden. Bis Ende der achtziger Jahre waren jedoch alle dahingehenden Ansätze immer wieder gescheitert. Daß nach mehr als zwei Jahrzehnten nun endlich der erste neue Band erscheinen konnte, ist nicht zuletzt dem finanziellen Engagement der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zu danken. Es bleibt zu hoffen, daß das Gesamtprojekt weitere Förderung erfährt.

Der Teilband Schlesien hat in der neuen Fassung nicht mehr 81, sondern mit Waldemar Grosch weithin nur einen Bearbeiter. Berücksichtigt man zudem, daß die 174 beschriebenen Städte gegenüber der Erstauflage sogar noch 27 Neuzugänge enthalten, fordert diese Leistung um so größeren Respekt. Wenigstens etwas erleichtert wurde die Aufgabe durch die umfangreiche Materialsammlung am Institut für Vergleichende Städtegeschichte sowie durch den weitgehenden Verzicht auf eine Fortschreibung der Artikel für heute nicht mehr zum deutschen Staatsgebiet gehörige Orte. Hier beschränkt sich die Neuauflage auf die Korrektur und Vervollständigung der Angaben bis 1945 und einige Nachrichten über neuere Quellen und Literatur, Bevölkerungszahlen, eingetretene Gebäudeverluste, deutsch-polnische Städtepartnerschaften u.ä. Sowohl bei den gründlich fortgesetzten Artikeln als auch bei den eben skizzierten ist jeweils der volle Wortlaut der Erstauflage von 1939 in die Neufassung integriert. Im Druckbild sind diese Zitate kursiv gesetzt. Welches Ausmaß die Ergänzung der Ursprungsversionen trotz der selbst auferlegten Bearbeitungsgrenzen angenommen hat, läßt sich an der Verdoppelung des Gesamttextumfangs ablesen - von Auras bis Zülz 474 Seiten. Das zugrundegelegte Territorium Schlesiens wurde gegenüber der Erstauflage nicht verändert. Es entspricht dem Gebietsstand vom 1. Januar 1939 und schließt demnach die Städte Ostoberschlesiens und Österreich-Schlesiens sowie die Orte der 1941 annektierten polnischen Grenzkreise aus. Die alphabetisch geordneten Städteartikel werden durch eine instruktive Einführung Winfried Irgangs über "Land und Städte in Schlesien" ergänzt. Beigegeben sind ferner eine Übersicht über das Gliederungsschema der Beschreibungen, ein Verzeichnis der erfaßten Orte, eine Städtenamen-Konkordanz (polnisch-deutsch), eine Schlesien-Karte sowie ein allgemeines Quellen- und Literaturverzeichnis.

Von der Erstauflage hat die Neubearbeitung nicht nur den Text, sondern auch das Gliederungsprinzip übernommen. Damit ist ein entscheidender Vorzug des Deutschen Städtebuches - die gute Vergleichbarkeit der einzelnen Städteprofile - auch weiterhin gewahrt. Erfreulicherweise ebenfalls beibehalten ist die detailreiche und sorgsame Berichterstattung, wie man sie heute nicht mehr oft findet. So lernen wir auf rund sieben, im Telegrammstil gehaltenen Seiten z.B. die Entwicklung der Görlitzer Stadterweiterung und die Baugeschichte der Görlitzer Kirchen kennen. Wir lesen von bedeutenden Handwerkeraufständen gegen Ende des 14. Jahrhunderts und ersten reformatorischen Bestrebungen in der Stadt (1525). Wir stoßen auf die wichtigsten Görlitzer Industriebetriebe um 1850 und das Gründungsjahr der elektrischen Straßenbahn (1897). Wir erfahren das exakte Ende des Zweiten Weltkriegs in Görlitz (8.5.1945) sowie das Ausmaß der dortigen Kriegszerstörungen (gering). Spezielle Literaturhinweise schließen viele Textblöcke ab. Gliederungspunkt 19 nennt zudem wie stets übergreifende Quellenwerke und Darstellungen der Stadtgeschichte, Punkt 20 führt Aufbewahrungsorte von stadtgeschichtlichen Quellen auf.

Das Schlesische Städtebuch ist folglich eine schier unerschöpfliche Quelle für zahlreiche Wissenschaftsfächer, ein wertvolles Nachschlagewerk für die kommunale Verwaltung und - ein Lesebuch für alle Schlesienfreunde. Es sollte in keiner größeren Bibliothek fehlen. Abgesehen von gelegentlichen Informationslücken und Redaktionsfehlern, die angesichts des Umfangs des relevanten Materials gar nicht ausbleiben können,[1] richten sich Einwände lediglich gegen die technische Einrichtung des Werkes. Hier wäre zunächst zu raten, die selten entbehrliche Kurzübersicht über das 20-Ziffern-Gliederungsschema in den Folgebänden so mitzuliefern, daß sie stets während der Lektüre der Städteartikel benutzbar ist (eventuell ähnlich der ausfaltbaren Schlesien-Karte). Sehr viel weiter zielen Zweifel hinsichtlich der gewählten Veröffentlichungsform. Während die derzeit grassierende Umwandlung von Druckausgaben in CD-ROMs durchaus nicht immer hilfreich scheint, liegen die Vorteile einer maschinenlesbaren Version im Fall des Schlesischen Städtebuches klar auf der Hand. Komplexere Fragestellungen (z.B. Genese der schlesischen Städtelandschaft, Ausbreitung der Reformation in Schlesien, Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs, Ausmaß der Kriegsschäden in den schlesischen Städten) wären dann erheblich leichter zu beantworten, ja der immense Materialreichtum des Werkes würde in dieser Form wohl erst seinen vollen Wert erreichen.

Mit dem ersten Teilband des Deutschen Städtebuches verbindet das zweite zu besprechende Werk, Das deutsche Städtelexikon, im Grunde nur das Thema. Das Nachschlagewerk will "über rund 1850 Städte und größere Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland" informieren. Außer einer etwa halbseitigen Vorbemerkung enthält es nur die Ortsbeschreibungen, eingestreute kleine Schwarzweißphotos sowie einen schmalen Farbbildteil in der Bandmitte. Register sind nicht vorhanden, ebensowenig irgendwelche Literaturhinweise. Ein einheitliches Beschreibungsschema ist stillschweigend angelegt, wird aber nicht konsequent durchgehalten. Neben den größeren Städten berücksichtigt das Städtelexikon willkürlich auch kleinere Orte, die den beiden Herausgebern "aufgrund ihrer kulturellen oder wirtschaftlichen Bedeutung (Heilbäder, Fremdenverkehr)" erwähnenswert schienen. Ob solches für Gemeinden wie Kreuzau (Nordrhein-Westfalen), Künzell (Hessen), Linkenheim-Hochstetten (Baden-Württemberg), Losheim (Saarland) oder Niesky (Sachsen) zutrifft, möge der Leser entscheiden.

Das Deutsche Städtelexikon gibt sich als "neue, völlig überarbeitete" Fassung einer 1983 erschienen Ausgabe. Schon wenige Stichproben zeigen indes, daß sowohl Texte wie Abbildungen vielfach nicht dem neuesten Stand entsprechen. Falsche Angaben oder unglückliche Formulierungen vermehren die Fehlerzahl. So besitzt etwa Freiburg im Breisgau seit einigen Jahren ein Museum für Neue Kunst, das in der Aufzählung der Museen bezeichnenderweise nicht vorkommt. Bei der Charakterisierung des Freiburger Theaters ist das Tanztheater nicht erwähnt, in jüngster Zeit oft die angesehenste Sparte. Daneben ist das "Wirtschaftsleben" in dieser Stadt ganz gewiß nicht "von einer aufstrebenden Industrie bestimmt", sondern von Universität und Fremdenverkehr. Eher banal scheint im übrigen die langatmige Auflistung der Verkehrsverbindungen und der vorhandenen Behörden oder der Hinweis, daß Freiburg über Gymnasien, Realschulen und Berufsschulen verfügt. Die häufige Banalität des Berichteten wirkt insbesondere bei den kleineren Orten verheerend.[2] Das deutsche Städtelexikon wird somit seinem ambitionierten Namen sicher nicht gerecht. In den meisten Fällen wird es durch ein gewöhnliches Konversationslexikon voll ersetzt werden können. Daß es zudem schlecht hergestellt ist (mangelhafte Aufschlagfähigkeit, Auflösung der Bindung nach kurzem Gebrauch), vervollständigt nur den ungünstigen Eindruck. Besonders ärgerlich ist schließlich auch der Versuch des Verlages, die unverkaufte Restauflage des Buches durch ein Täuschungsmanöver wieder in den Handel zu bringen. Trägt der ursprüngliche Buchumschlag den Aufdruck "Ausgabe 93/94", so wurde das entsprechende Schriftband zwischenzeitlich geschickt durch "Ausgabe 94/95" überklebt.[3]

Achim Bonte


[1]
So stammt z.B. im Artikel Görlitz die einzige Angabe zur Konfessionsverteilung aus dem Jahr 1938. Wie in allen anderen Städteartikeln sind die Einwohnerzahlen nicht über die frühen achtziger Jahre hinaus fortgeschrieben. Die Nachricht über die Städtepartnerschaft mit Bergisch-Gladbach gehört sicher nicht in Ziffer 18 b (Pressewesen: Zeitungen und Zeitschriften). (zurück)
[2]
Vgl. z.B. den sechszeiligen Eintrag über Künzell: "K. liegt 3 km östlich von Fulda zwischen der B 27 und der Autobahn A 7 Würzburg-Kassel (Ausfahrt Fulda-S. bzw. Fulda-N.). Die Gm hat Grund- und Hauptschulen; Gymnastikschule Loheland. K. wird erstmals im 12. Jh. urkundlich erwähnt." (zurück)
[3]
Die 1. Aufl. erschien 1973 im Südwest-Verlag in München, eine 2. Aufl. ca. [1977] im Fackelverlag Stuttgart; sie ist vermutlich unverändert, da beide 576 Seiten haben und 1550 Städte behandeln.
In Anbetracht der eher zweifelhaften Qualität des Lexikons wundert es einen, wenn sich ein Verlag entschließt, dieses Werk auch noch in einer CD-ROM-Ausgabe anzubieten, es sei denn, man nähme wohl nicht zu Unrecht an, daß es bei vielen dieser Produkte für den Massenmarkt weniger auf den Inhalt denn auf die "moderne" Angebotsform ankommt:
Das Lexikon der deutschen Städte [Computerdatei] : mehr als 1800 Städtebeschreibungen mit zahlreichen Abbildungen / Folio Infobase. - Troisdorf : CD-ROM-Verlag, 1995. - 1 CD-ROM + Textbeil. - (CED elektronische Datenbanken). - ISBN 3-930133-25-3 : DM 49.00.
Da diese CD-ROM nicht vorlag, läßt sich natürlich nur (allerdings mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit) vermuten, daß ihr das oben besprochene Lexikon zugrunde liegt; ob wohl wenigstens die Daten aktualisiert worden sind? [sh] (zurück)

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