Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Das Buch vom Buch


96-1-017
Das Buch vom Buch : 5000 Jahre Buchgeschichte / Marion Janzin ; Joachim Güntner. - [Neuausg.]. - Hannover : Schlütersche Verlagsanstalt, 1995. - 495 S. ; 33 cm. - Frühere Ausg. verf. von Helmut Presser. - ISBN 3-87706-026-9 : DM 158.00, DM 128.00 (Subskr.-Pr. bis 31.01.1996)
[3135]

In der CIP-Vorankündigung des Verlags wird Das Buch vom Buch als 'Neuausgabe' bezeichnet. Von dem 1978 in 2. verbesserter Auflage erschienenen Vorgängerband aus der Feder von Helmut Presser sind jedoch außer dem Ehrfurcht gebietenden Titel nur noch drei farbige Abbildungen übriggeblieben. Die jugendlichen Autoren Marion Janzin und Joachim Güntner haben in der Tat ein ganz neues Buch geschrieben, das dank der typographischen Gestaltung durch Brigitte und Hans Peter Willberg auch ein schönes Buch geworden ist.

Von seiner Konzeption her betrachtet, ist der Band freilich eher ein Zwitter: Als idealen Leser stellen sich die Verfasser einen "Buchfreund" und "neugierigen Grenzgänger" vor (S. 11), der sich, ohne Vorkenntnisse mitzubringen, ein Kapitel vornimmt und je nach Interesse von der Schriftentstehung zum "räuberischen Nachdruck" oder von der Buchmalerei zur "Lesewut" hinüberwechselt. Andererseits ist Das Buch vom Buch, wie im Vorwort betont wird, auch ein "Bilderbuch". Die Fülle der Abbildungen und die hohe Qualität der Reproduktion werden den Buchfreund ohne Zweifel dazu anregen, den Band als coffee-table book bereitzuhalten, in dem man blättern kann, ohne sich der Mühe der Lektüre unterziehen zu müssen.

Das weite Feld der Buchgeschichte von den ersten Zeugen der Bilderschrift bis zu den Literaturpreisen unserer Tage haben die Verfasser in überschaubare Epochen gegliedert, in deren Rahmen sie die für die Zeit charakteristischen buchtechnischen und buchkünstlerischen Neuerungen und Leistungen geschickt akzentuieren und gewichten. Die durchweg nationale Grenzen überschreitende Betrachtung des historischen Phänomens Buch wird angesichts der verfügbaren Materialfülle für das 20. Jahrhundert auf die Darstellung der innerdeutschen Entwicklungen beschränkt.

Obwohl Janzin und Güntner im Vorwort versichern, es sei nicht ihre Absicht gewesen, eine Buchkunde "in der Manier eines Nachschlagewerkes" zu verfassen, wird der verständige Leser schon beim ersten Anlesen bemerken, daß ihr Werk auf den Fundamenten der einschlägigen buchkundlichen Monographien Karl Schottenlohers, Fritz Funkes, Richard Mummendeys und anderer entstanden ist. Leider haben sich die Verfasser nicht dazu durchringen können, ihre Sekundärquellen aufzudecken. Sie setzen zwar Zitiertes in Anführungszeichen, weisen aber kein einziges Zitat nach. Wie im populären Sachbuch heute üblich, flechten sie die Aussagen anderer in die eigene Argumentation ein ("Mit dem Schriftforscher Harald Haarmann ließe sich resümieren: 'Die Entwicklung des Alphabets von der phönizischen Buchstabenschrift zur Lateinschrift war ein langwieriger Prozeß...'." S. 34). Wer sich nicht darauf einläßt, Passagen zu überfliegen und im Text kreuz und quer zu springen (wie im Vorwort empfohlen), wird bald auf Textpartien stoßen, die er schon andernorts gelesen hat. Insbesondere aus den Münchner Vorlesungen von Reinhard Wittmann[1] schreiben die Verfasser munter Passage für Passage ab, ohne ein Gänsefüßchen zu krümmen. Nur gelegentlich bemühen sie sich, ihre literarische Konterbande durch syntaktische Retuschen zu camouflieren, wobei ihnen freilich auch Sinnentstellungen unterlaufen.[2] In einer zweiten verbesserten Auflage Des Buchs vom Buch, die wegen der noch zu erwähnenden Schludrigkeiten dringend erwünscht ist, sollte Wittmann auf jeden Fall als Mitautor auf dem Titelblatt stehen.

Ähnliches gilt für den Einbandforscher Manfred von Arnim. Sämtliche ausführliche Bildlegenden zu den Abbildungen von neunzehn Einbänden aus der Sammlung Otto Schäfer Schweinfurt sind wortwörtlich aus dem Katalog Europäische Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten von 1992 abgeschrieben worden, doch ein Hinweis auf den Autor von Arnim findet sich nirgends. Der Lederschnittband des Fahrenden Kremsmünsterer Meisters wird in der Bildlegende zweimal "um 1443" datiert, im Abbildungsverzeichnis dagegen korrekt (und nach von Arnim) "um 1435". Bei von Arnim sind die Schnitte zweier barocker deutscher Pergamenteinbände "blau gespritzt", nach Janzin und Güntner hingegen "blau bespritzt" (S. 201).

Diskrepanzen zwischen Text, Bild und Legende treten indessen des öfteren auf. Vergils cognomen wird gegen die Titelabbildung in Bildlegende (S. 123) und Abbildungsverzeichnis kleingeschrieben ("Publii Virgilij maronis opera"). "Shakespeares 'First-Folio', 1623 erschienen" lesen wir in Bildlegende (S. 208) und Abbildungsverzeichnis; abgebildet ist aber das Titelblatt eines nach 1640 erschienenen Nachdrucks der zweiten Folioausgabe von 1632 (revised STC 22274 e.3). Janzin und Güntner rühmen zu Recht Göschens Quartausgabe der Sämmtlichen Werke Wielands auf "vorzüglichem Velinpapier", reproduzieren aber kommentarlos Titelblatt und Textbeispiel aus der wohlfeilen Oktavausgabe auf gräulichem Druckpapier (S. 271). Die Transkription älterer Titel bereitet ihnen große Mühe. Ramellis Le diverse et artificiose machine verwandeln sich in Le diverse et articiose macchine (S. 237). In der Wortfolge Catalogue Universali, Designatio (S. 472) ist der Meßkatalogtitel Catalogus Universalis, Sive Designatio... (Abb. S. 168) kaum noch wiederzuerkennen. Die Legende zu dem auf S. 248 abgebildeten Titelblatt des ersten Bandes von Georg Christoph Hambergers Gelehrtem Teutschland (Lemgo 1767) führt den Leser in die Irre: "Das Gelehrte Teutschland, herausgegeben von Johann Georg Meusel [...]. Das Schriftstellerlexikon zählte im Jahre 1762 etwa dreitausend Autoren". Meusel setzte das Hambergersche Lexikon erst nach dessen Tod im Jahre 1773 fort.

Mit den Fremdsprachen stehen die Verfasser auf dem Kriegsfuß. Den lateinischen Zweizeiler im Christophorus-Holzschnitt aus der Kartause Buxheim haben sie frei "nach Meisner und Luther" (S. 104) übersetzt, deren Gutenberg-Monographie aber weder im Abbildungs- noch im Literaturverzeichnis auftaucht. Ludwig Hains Repertorium soll die Zeit "ad arte typographica inventa useque ad annum MD" umfassen. "Edingburgh", "Cambrigde", "Nieuwkopp" und "Montoype" sind typisch deutsche Setzfehler, über die man hinweglesen sollte. Eine Schriftgießerei ist allerdings keine "Type-Loundry" (S. 475 und 476), sondern eine Type-Foundry, und eine Fünferlage im Folioformat ist in der Druckersprache eine Quinternione und nicht ein männlicher "Quinternio" (S. 111). Die 'livres de peintres' (Malerbücher) werden durchweg als "livres des peintures" bezeichnet (S. 10, 428 f., 430). Daß Pierre Philippe Choffard sich "besonders in der Illustration zu Lafontaines 'Fermiers généraux'" einen Namen errungen habe (S. 259), ist ein hübsches Märchen. Die Fermiers généraux (Generalpächter) waren die Financiers der hochkarätigen Ausgabe der Contes et Nouvelles von 1762.

An vergleichbaren sachlichen Ungenauigkeiten mangelt es nicht. Wie man eine "zweiseitig bedruckte Seite" (S. 111) erzeugt, bleibt das Geheimnis der Verfasser. Die Monatsunterredungen, die Johann Rist "1641/42 gemeinsam mit Erasmus Francisci" herausgebracht haben soll (S. 228), sind nicht der Gattung der periodischen Zeitschrift zuzurechnen. Als Gesprächsspiele stehen sie in der Tradition der Dialogliteratur. Rist hat die ersten sechs Bände in großen Abständen in den Jahren 1663 bis 1668 verfaßt, Francisci nach dessen Tod die restlichen Stücke in den Jahren 1668 bis 1671. Das Noth- und Hülfs-Büchlein für Bauersleute (nicht "Hilfsbüchlein") Rudolf Zacharias Beckers ist keineswegs "der größte Verkaufserfolg von Georg Joachim Göschen" (S. 242) gewesen. Göschen war nur für die erste Auflage des ersten Teils von 1788, die aus den 30.000 subskribierten Exemplaren bestand, als geschäftsführender Verleger verantwortlich. Danach übernahm Becker das Verlagsobjekt und das verlegerische Risiko. Die Fehldatierung "1787" (S. 242) geht auf Wittmann zurück. Hätten die Verfasser ihren Gewährsmann Carl Berend Lorck genau gelesen, wäre ihnen aufgefallen, daß nicht Augustus Applegath, sondern Robert Hoe jun. und Peter Smith Hoe 1846 die epochemachende 'Lightning Press' gebaut haben. Die Maximilian-Gesellschaft (S. 370) zählte nach ihrer Gründung im Jahre 1911 nicht "etwa 350", sondern 107 Mitglieder. Die in der Satzung festgelegte Obergrenze von 300 Mitgliedern wurde erst im Jahre 1926 erreicht. Das "Signet William Caxton" (Abb. S. 150) ist offensichtlich eine Nachahmung, die in keinem Detail mit den sechs Zuständen der bekannten Druckermarke übereinstimmt. Die farbige Abbildung aus Boners Edelstein von 1461 wird dem Gutenberg-Museum in Mainz zugeschrieben, das jedoch überhaupt nicht über ein Exemplar der Inkunabel verfügt.

Dem Band ist eine Liste einschlägiger Sekundärliteratur beigegeben, die nicht "weiterführend", sondern weitgehend veraltet ist. Das umfangreiche Register scheint mit einem nicht ganz ausgereiften Programm generiert worden zu sein; es ist zudem mit Eingabefehlern übersät. "Heinrich der Löwe" wird von "Heinrich von Bayern und Sachsen, Herzog" getrennt, "La Fontaine" zwischen "Lautzeichen" und "Laurentii" versteckt. William Thorowgood ist bei W zu finden, Virgil Solis bei V. Den Kartographen "Dauckerts" sucht man vergebens in den Fachlexika. "Meusebach, Freiherrn von" führt uns nicht zu einer Adelsfamilie, sondern zu Jacob (nicht "Jakob") Grimms Briefpartner Karl Hartwig Gregor von Meusebach, dessen Vornamen die Verfasser unterdrücken. Luise Mejers und Thomas Harriots können ihr Endungs-s getrost an Francis Quarle, Johann Conrad Hinrich und Ephraim Chamber abgeben, Arthur Rüman (S. 468) und Max Herrman-Neisse haben dagegen einen Anspruch auf ihr angestammtes Doppel-n.

Aufs Ganze gesehen haben die Autoren und nicht zuletzt der im Impressum genannte Lektor dem Leser eine Menge Stolpersteine in den Weg gelegt. Als Bilderbuch wird Das Buch vom Buch von selbst reüssieren; als Buchgeschichte sollte man es freilich erst in der zweiten gründlich überarbeiteten Auflage erwerben.

Horst Meyer


[1]
Geschichte des deutschen Buchhandels : ein Überblick / Reinhard Wittmann. - München : Beck, 1991. 440 S. : Ill. - ISBN 3-406-35425-4 : DM 48.00. (zurück)
[2]
"Ähnlich machte eine bei Metzler in Stuttgart ab 1827 lieferungsweise erscheinende Übersetzungsbibliothek griechischer und römischer Klassiker in 729 Bändchen die Schätze humanistischer Bildung einem breiten Publikum zugänglich" (Wittmann, S. 219). - "Vorerst allerdings hielt sich Metzler an humanistisches Bildungsgut. 1827 begann er, eine Bibliothek klassischer griechischer und römischer Übersetzungen in 729 kleinen Bändchen herauszubringen" (S. 303). (zurück)

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