Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Bibliographie Gustav Theodor Fechner


96-1-005
Bibliographie Gustav Theodor Fechner / Irene Altmann. Hrsg. von der Gustav-Theodor-Fechner-Gesellschaft e.V. Leipzig. - Leipzig : Verlag im Wissenschaftszentrum, 1995. - 112 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-930433-03-6 : DM 44.50. - (Verlag ..., Goldschmidtstr. 26, 04103 Leipzig)
[3052]
96-1-006
Gustav Theodor Fechner und sein Hauslexikon, 1834 bis 1838 : ein Beitrag zur Fechner-Biographie und zur Geschichte der enzyklopädischen Literatur in Deutschland / Hans-Jürgen Arendt. Hrsg. von der Gustav-Theodor-Fechner-Gesellschaft e.V. Leipzig. - Leipzig : Verlag im Wissenschaftszentrum, 1994. - 92 Bl. : Ill. ; 21 cm. - DM 8.00
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Gustav Theodor Fechner (1801 - 1887) gehört zu jenen "Grenzgängern der Wissenschaft"[1] - in seinem Fall zwischen Naturwissenschaften und Philosophie bzw. Psychologie -, die zwar nie vergessen waren, die jedoch in den letzten Jahren, wie an der chronologisch geordneten Liste der Sekundärliteratur in der vorliegenden Personalbibliographie leicht abzulesen, verstärkte Aufmerksamkeit erfuhren. Unter den zahlreichen Aufsätzen, Dissertationen und Kongreßpublikationen finden sich erstaunlich viele englischsprachige Publikationen, die ebenso wie Übersetzungen seiner Werke ins Englische von der Fechner-Rezeption in den anglo-amerikanischen Ländern Zeugnis ablegen. Wenn diese Personalbibliographie hier besprochen wird, so allerdings nicht wegen Fechners Beitrag zur "Psychophysik" (unter diesem Stichwort finden sich im Register gut 100 Eintragungen), sondern wegen seines Beitrags zur Sachlexikographie des 19. Jahrhunderts, der in dem schmalen Bändchen von Hans-Jürgen Arendt umrissen wird.

sh Für ihre Bibliographie Gustav Theodor Fechner konnte Irene Altmann für die Primärliteratur auf das Chronologische Verzeichnis der Werke und Abhandlungen G. Th. Fechners von Rudolph Müller[2] zurückgreifen, das sie "überarbeitet und präzisiert" hat. In manchen Punkten vielleicht etwas zu wenig, wenn man Fechners Mitarbeit am Conversationslexicon der neuesten Zeit und Literatur betrachtet, nach Altmann 1833 erschienen (richtig: 1832 - 1834), oder das Conversations-Lexikon der Gegenwart, nach Altmann (ohne Angabe der Bandanzahl) im Jahr 1838 erschienen (richtig: [März] 1838 - [Juli] 1841, 4 Bd. in 5). Nähere Angaben zu Fechners Mitarbeit sucht man leider vergebens. Obwohl die Bibliographie auf Autopsie beruht, ist sie vielfach reichlich ungenau. Beim Hauslexicon : vollständiges Handbuch praktischer Lebenserkenntnisse für alle Stände, 1834 - 1838 in 8 Bd. erschienen, sucht man die Angabe der römischen Seiten am Beginn des ersten Bandes vergebens, obwohl sich gerade in diesen das von Fechner (auf Seite VI) unterzeichnete Vorwort findet. In dankenswerter Weise hat Frau Altmann die Mikrofiche-Ausgaben von Fechnerschen Schriften im Saur-Verlag (S. 63 - 65) nicht vergessen, ohne freilich mitzuteilen, daß diese innerhalb der Bibliothek der deutschen Literatur[3] erschienen sind und man sie in dieser Sammlung nur dann leicht findet, wenn man die Fiche-Nummern kennt, die hier, ebenso wie die ISBN, fehlen. Schade, daß bei der Erwähnung der Originalausgabe der Leser nicht bereits auf die immerhin leicht zugängliche Mikrofiche-Ausgaben hingewiesen wird. Warum man bei der Primärliteratur nur manchmal, insgesamt aber eher selten, Angaben zu Rezensionen findet, bleibt unerklärlich. Der erste Eindruck, der dadurch dem Leser vermittelt wird, nämlich, daß "zumeist" keine und nur in ganz seltenen Fällen zeitgenössische Besprechnungen der Werke Fechners erschienen sind, ist auf jeden Fall unrichtig, wenn man bedenkt, wie häufig sich die Kritiker allein des Hauslexikons angenommen haben.[4] Mit einiger Berechtigung hat Frau Altmann die 3. Aufl. des Hauslexikons (1858 - 1862, Bd. 1 - 6) in ihre Bibliographie nicht mehr aufgenommen, da sie von Heinrich Hirzel in größeren Teilen kräftig umgekrempelt wurde. Es würde sich gewiß lohnen, in einer eigenen Untersuchung zu ermitteln, inwieweit auch noch in der 3. Aufl. Fechnersche Texte weiterverwendet wurden. Auch darüber, ob Altmann das Neue Hauslexikon hätte erwähnen sollen, könnte man streiten. Dieses zwischen 1840 und 1860 bei C. B. Polet in Leipzig erschienene Werk stützt sich zumindest am Anfang recht unverschämt auf die 1. Ausg. des Hauslexikons. Fechner persönlich hätte sich zweifellos dagegen verwahrt, das Poletsche Teilplagiat in seiner Bibliographie zu finden, da es qualitativ weit hinter dem Vorbild zurückbleibt.

Was die Sekundärliteratur betrifft, so wird wohl niemand ernstlich erwarten, daß es gelungen ist, jede einzelne Auseinandersetzung mit der Ideenwelt Fechners zu erfassen. So sollte man Frau Altmann einzelne Lücken[5] nicht allzusehr anlasten. Wer weiterführende Literatur zu Fechner sucht, wird mit immerhin nicht weniger als 456 Nummern bedient.

Hans-Jürgen Arendt hat sich eines in der einschlägigen Sekundärliteratur bis heute fast unbeachtet gebliebenen und damit besonders wenig erforschten Allgemeinlexikons angenommen, nämlich des Fechnerschen Hauslexikons[6] und liefert damit zugleich einen Beitrag zur Erforschung "unterliterarischer Texte" bzw. der "Infraliteratur".[7]

Neben den beiden Lexikongiganten Brockhaus und Meyer sowie dem vergleichsweise ein Schattendasein führenden Pierer (und deren mehr oder weniger plumpen Nachahmungen) konnte von vorne herein nur ein Werk mit einer besonderen Schwerpunktsetzung Aussicht auf Erfolg haben. Das Hauslexikon, eine alphabetisch geordnete Sammlung von Artikeln zu haus- und landwirtschaftlichen, ökonomischen und medizinischen Themen, sollte sich als Haus- und Familienbuch unentbehrlich machen und seinen Platz nötigenfalls neben einem Vertreter der vorhin genannten Lexikontrias behaupten. Der Verleger, Hermann Härtel, war eine bedeutende Verlegerpersönlichkeit, und unter seiner Patronanz wurde das Hauslexikon keineswegs eine geistlose Kompilation und ein flüchtig zusammengestoppeltes Sammelsurium Marke Billigsdorfer, wie dies bei vielen literarischen Produktionen, die für eine breite Masse gedacht waren, der Fall war. Das praktische Realienwissen wurde von den traditionellen Bildungsinstitutionen etwas vernachlässigt, und diese Lücke suchte Härtel mit einem achtbändigen Werk zu füllen. Als Redakteur engagierte er keinen geringeren als Gustav Theodor Fechner, der später (1860) das Webersche zum Weber-Fechnerschen Gesetz erweitern sollte und als der oder zumindest als einer der Begründer der experimentellen Psychologie angesehen wird.

Arendt zeichnet die Entstehungsgeschichte des Lexikons nach und geht mit großem erzählerischem Geschick auch auf Fechners Persönlichkeit und seine freundschaftliche Beziehung zu dem Verleger Hermann Härtel ein. Fechner war für seine wissenschaftliche und literarische Doppelbegabung bekannt, und davon ließ sich Arendt offensichtlich beflügeln: Er schuf mit dem vorliegenden Werk kein schwer verdauliches Wissenskonzentrat, sondern ein flüssig geschriebenes und spannend zu lesendes Buch, für das er in akribischer Kleinarbeit recherchierte. Damit leistet er auch höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge. Arendts Werk hätte sich wahrlich ein besseres Gewand verdient als das eines thermogebundenen ephemeren Skriptums, das sich nur mit Mühe öffnen und aufgrund der ungleichen Blattgröße oft nur schwer umblättern läßt.

Daß sich einige kleinere Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, sei nur am Rande bemerkt, der günstige Gesamteindruck wird dadurch nicht gestört.[8] In dankenswerter Weise hat der Verfasser ein wenig Licht in das Dunkel der Affaire gebracht, die durch die Herausgabe eines Plagiates durch den Verlag von Christian Benjamin Polet entstand. Der gegenwärtige Stand der Ermittlungen in dieser Angelegenheit ist freilich noch lange nicht befriedigend. Der Rezensent besitzt ein Exemplar des Polet-Lexikons, das in seinen späten Bänden, die nicht 1858, sondern 1860 erschienen sind und ausdrücklich als dritte Auflage bezeichnet werden, keineswegs als Plagiat des bei Breitkopf & Härtel erschienenen Lexikons anzusehen ist. Dies kann als weiterer Beweis dafür gelten, wie wenig die Geschichte der Allgemeinlexikographie des 19. Jahrhunderts noch erforscht ist. Umso wichtiger ist Arendts Beitrag zu diesem interessanten Thema.

Otmar Seemann


[1]
Das Bewußtsein aller Dinge und Lebewesen : Gustav Theodor Fechner und die Einheit von Geist und Materie / Hans-Peter Waldrich. // In: Grenzgänger der Wissenschaft / Hans-Peter Waldrich. - München : Kösel, 1993, S. 13 - 37 : 1 Porträt. (zurück)
[2]
Erschienen als Anhang zu Fechners Elemente der Psychophysik. - Leipzig. - Bd. 1 (1889), S. 335 - 341. (zurück)
[3]
Bibliothek der deutschen Literatur : Mikrofiche-Gesamtausgabe nach Angaben des Taschengoedeke / eine Edition der Kultur-Stiftung der Länder. - München [u.a.] : Saur, 1990 - 1994. - 19.963 Mikrofiches. - ISBN 3-598-50000-9 (Diazofiche) : DM 35800.00 - ISBN 3-598-50001-7 (Silberfiche) : DM 52800.00 [2464]. - Bibliographie und Register / bearb. unter der Leitung von Axel Frey. - 1995. - XV, 581 S. ; 30 cm. - ISBN 3-598-50100-5 (Geb.) : DM 48.00. - ISBN 3-598-53763-8 (br.). - Vgl. IFB 95-1-076. - Mit der Mikrofiche-Ausgabe selbst geht folgender Beitrag ins Gericht: Sauer auf Saur : zur Mikrofiche-Edition der "Bibliothek der deutschen Literatur" / Ulrich Goerdten. // In: Bibliotheks-Informationen / Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. - Nr. 28 (1995), S. 14 - 18. (zurück)
[4]
Z. B. ausführlich im Repertorium der gesammten deutschen Literatur / hrsg. von E. G. Gersdorf. - Leipzig : Brockhaus. - 2 (1834) S. 470 und 16 (1838), S. 274. (zurück)
[5]
Z. B. A dictionary of science, literature & art / ed. by W. T. Brande and George W. Cox. - Vol. 1 (1875), S. 672. - Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik / Isaac Asimov. - Freiburg : Herder, 1973, S. 404. (zurück)
[6]
Leipzig : Breitkopf & Härtel, 1834 - 1837. (zurück)
[7]
Der Beitrag gehört zu den aus der germanistischen Literaturwissenschaft bekannten Versuchen, den herkömmlichen Literaturbegriff in Frage zu stellen, wobei zugleich das "`Literatur' oder `Lesestoffe' konsumierende Publikum neu definiert und bewertet" wird. Vgl. dazu u.a. Die Lesestoffe der kleinen Leute : Studien zur populären Literatur im 19. und 20. Jahrhundert / Rudolf Schenda. - München : Beck, 1976. - (Beck'sche schwarze Reihe ; 146). Ferner: Der Kolportageroman : Bibliographie 1850 bis 1960 / Günter Kosch ; Manfred Nagl. - Stuttgart [u.a.] : Metzler, 1993. - X, 333, [54 S.], 71 S. : Ill. ; 25 cm. - (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte ; 17). - ISBN 3-476-00940-8 : DM 298.00 [2221] sowie Istorie bellissime : italienische Volksdrucke des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Reinhold Köhlers in Weimar / Rudolf Schenda ; Ingrid Tomkowiak. - Wiesbaden : Harrassowitz in Komm., 1993. - 150 S. ; 24 cm. - (Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens : Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte ; 5). - ISBN 3-447-03424-6 : DM 38.00 [2494] (von hier das Zitat, S. 7). Zu den beiden zuletzt genannten Titeln vgl. IFB 94-3/4-443 und IFB 95-2-221. (zurück)
[8]
So umfaßt das Reichenbachsche Lexikon nicht 11 Bd., wie auf S. 31 angegeben, sondern 10 Haupt- und 2 Erg.-Bd., die Ersch/Grubersche Enzyklopädie wurde nicht im Jahr 1882 vollendet (S. 32), sondern 1889 abgebrochen. Auch das Zinckesche Lexikon erschien nicht komplett, wie man bei der Lektüre von S. 34 annehmen möchte, sondern nur von A bis F. (Vgl. dazu: Kumulierender Nachtrag zu Krieg: MNE / Otmar Seemann. - 3. Aufl. - Wien : Krieg, 1995, S. 197). Des weiteren läßt sich Arendts Behauptung, daß Lexika "selten rezensiert" werden (S. 43), spielend widerlegen. (zurück)

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