Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Einführung in die feministische Literaturtheorie


95-4-573
Einführung in die feministische Literaturtheorie / Lena Lindhoff. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1995. - XIV, 192 S. ; 19 cm. - (Sammlung Metzler ; 285). - ISBN 3-476-10285-8 : DM 24.80
[2732]
95-4-575
A reader's guide to contemporary feminist literary criticism / Maggie Humm. - 1. publ. - New York ; London : Harvester Wheatsheaf, 1994. - X, 309 S. ; 22 cm. - ISBN 0-7450-1194-2 : œ 9.95
[3117]
95-4-576
Literature and feminism : an introduction / Pam Morris. - 1. publ. 1993, reprinted. - Oxford [u.a.] : Blackwell, 1995. - X, 217 S. ; 23 cm. - ISBN 0-631-18421-X (pb.) : œ 10.99
[3040]
95-4-577
The dictionary of feminist theory / Maggie Humm. - 2. ed. - Columbus : Ohio State University Press, 1995. - XIX, 354 S. ; 22 cm. - ISBN 0-8142-0666-2 (hb.) : $ 29.50 - ISBN 0-8142-0667-0 (pb.) : $ 20.00
[2999]

Die These von der Andersartigkeit des Weiblichen in Wahrnehmung, Denken und Fühlen hat gegenwärtig Konjunktur. In der Literaturwissenschaft entwickelte sich hieraus die These von einer besonderen weiblichen Ästhetik, die einen eigenen und dennoch interaktiven, stark differenzierten theoretischen Diskurs begründete. Die Geschichte dieser Entwicklung wie ihre aktuellen Ausformungen sind dabei aufs engste verknüpft mit den verschiedenen Strömungen im Feminismus selbst. Charakteristisch sind weiterhin spezifisch nationale Ausprägungen besonders auch bei der Ansiedelung der theoretischen Grundlagen: in den USA ist die feministische Literaturtheorie an den Universitäten etabliert, die Entwicklung eng verknüpft mit dem Dialog zwischen Schriftstellerinnen und einer feministisch orientierten Politik. Die englische 'Tradition' rührt aus linken politischen Ansätzen und weist ein besonderes Interesse an gender studies (gender als soziales Geschlecht, im Unterschied zu sex als biologischem Geschlecht) auf. In Frankreich dagegen steht eher die symbolische Repräsentation des Femininen denn das literarische Schaffen von Frauen im Vordergrund, im deutschsprachigen Raum läßt sich eine im eigentlichen Sinne literaturorientierte Theoriebildung wegen einer breiteren, das gesamte Kulturschaffen betrachtenden Ausrichtung noch nicht klar umreißen.

Der Hinführung zu den verschiedenen Strömungen im Feminismus und deren Bedeutung für die Literaturwissenschaft kommt somit besonders im hiesigen akademischen Bereich und zumal in einem progressiven Literaturunterricht eine besondere Bedeutung zu. Lena Lindhoff hat dies erkannt; sie will mit der Einführung in die feministische Literaturtheorie die erste umfassendere deutschsprachige[1] "Rekonstruktion der Entwicklung der feministischen Literaturtheorie" vorlegen. "Mit dem Versuch, die Genese zentraler poststrukturalistischer Termini nachvollziehbar zu machen und die einzelnen Theorien unterscheidbar zu halten, [möchte sie dabei] der verbreiteten Tendenz entgegenwirken, diese schwierigen Theorien zu einem ununterscheidbaren und damit unangreifbaren Konglomerat zusammenzuziehen." Stellt sich die Frage, wo diese Tendenz zu finden ist. Auch wenn man sich Lindhoffs Einführung nicht unter den von ihr selbst aufgestellten Prämissen anschaut, wird man keinen differenzierten Überblick über die verschiedenen Entwicklungsströmungen, noch weniger eine Erhellung von deren teilweise komplexen Theoremen erhalten. Stattdessen durchleuchtet Lindhoff die Schriften von Lacan, Derrida, Kristeva, Cixous und Irigaray auf das Phänomen der Hysterie, von dem sie glaubt, daß es einen Schlüssel zu zentralen Problemen feministischer Literaturwissenschaft bietet. Als 'urweiblicher Lustgewinn' verstanden, geistert 'Hysterie' ja bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts durch die Psychoanalyse. Als Phänomen ist sie Teil eines phallogozentrischen Bedeutungssystems geworden, deren hermetisch-elitäre Beschwörung im Stil einer ausgeuferten Seminararbeit der Einführung in die Grundfragen feministisch orientierter Literaturtheorie nur abträglich sein kann.

Die verschiedenen Strömungen im Feminismus und ihre Bedeutung für die Literaturwissenschaft bleiben nicht zuletzt aufgrund dieses engen Focus unklar, zentrale Begriffe wie doppelter Ort, schielender Blick, Frauenbilder werden höchstens angerissen. Die Funktion literarischer Verfahren und Gattungen als feministisch relevante Bedeutungsträger, die Ansätze im Bereich der Literaturgeschichte, im besonderen der Kanonrevision aber bleiben im Dunkeln.

Als Grundlage für einen progressiven Literaturunterricht können bislang dagegen die leider noch nicht in deutschen Übersetzungen bzw. Bearbeitungen erschienenen Einführungen von Pam Morris und Maggie Humm dienen. Auch Humms gerade in 2. Aufl. erschienenes Lexikon der Terminologie feministischen Gedankenguts kann bisher nur im Original konsultiert werden. Die Werke der beiden Autorinnen setzen keine Grundkenntnisse im Bereich der feministischen Literaturtheorie voraus, beide bieten einen klar strukturierten Überblick über die tatsächlich erheblich größere als bei Lindhoff dargestellte Bandbreite der Strömungen nicht nur im Feminismus selbst, sondern auch im literaturtheoretischen Niederschlag.

Die größere Aktualität besitzt dabei der Band von Maggie Humm. Jedes Kapitel ihrer Einführung beginnt mit einem Überblick über die jeweils vorgestellte Richtung, erklärt die zentralen Themen und Arbeitstechniken, klärt über die Anliegen der herausragenden Vertreterinnen und Vertreter auf und schließt mit einer nicht unkritischen Zusammenfassung. Jeweils beigegeben sind eine Bibliographie der zentralen Primärtexte sowie Vorschläge zur vertiefenden Lektüre.

Pam Morris ergänzt diese Vorgehensweise, bei eingeschränkterem Spektrum, mit zusätzlichen, gut strukturierten Aufgaben zu den von ihr vorgestellten Bereichen. Sie bietet darüber hinaus illustrierende Exzerpte aus dem literarischen Schaffen, welche die Grundlage für ein close reading im Sinne der jeweils zuvor dargestellten Sichtweise bieten.

Jedoch gelingt beiden, Morris wie Humm, die Einführung in die Funktion literarischer Verfahren und Gattungen als feministische Bedeutungsträger. Sie zeigen ausführlich die Diskussion um Literaturgeschichtsschreibung und Kanonrevision und klären undogmatisch die Bedeutung der Psychoanalyse wie auch sozialkritischer Ansätze für die feministische Interpretation. Die große Bandbreite der von Maggie Humm vorgestellten Strömungen[2] entspricht dabei jedoch am ehesten der Forderung nach dem Überkommen eklektischer Tendenzen. Deshalb dürfte auch Lena Lindhoff diesen Band statt des ihrigen in Lehrbuchsammlungen zu finden wünschen.

Aktionen wie theoretische Arbeiten des Feminismus erstrecken sich heute auf eine Vielzahl von Brennpunkten, die für die Lebensbedingungen der Frauen von zentraler Bedeutung sind. Darüberhinaus durchdringen feministische Theoreme gegenwärtig immer mehr auch den bundesdeutschen akademischen Alltag, wobei jedoch Seminare zur feministischen Theorie anders als im angelsächsischen Bereich oder in Frankreich oft noch ein Desiderat darstellen. Man könnte also geneigt sein, zu glauben, das Dictionary of feminist theory von Maggie Humm, Professorin für Frauenforschung an der University of East London, sei für das hiesige Publikum seiner Zeit zu weit voraus. Gerade dem Novizen jedoch bietet das hier aufgefächerte Spektrum der Terminologie wie auch der Historie feministischen Gedankenguts eine zeitgemäße Einführung in diese alle akademischen Disziplinen stark befruchtenden Denkansätze.

Auf 373 Seiten, davon 27 Seiten Bibliographie zum Schluß, die den Zitierapparat der Einträge sinnvoll entlastet, findet man in über 600 Einträgen das begriffliche Koordinatensystem wieder, wie es zur Tagesordnung gegenwärtiger feministischer Theorie gehört. Obwohl nicht als enzyklopädisches Wörterbuch zur Disziplin konzipiert, bietet Humm einen kritischen Überblick über heute unterscheidbare, zentrale Positionen, unterschiedliche Ziel- und Wegvorstellungen, ohne daß das breite feministische Diskussionsspektrum auf die gängige Etikettierung 'liberal', 'sozialistisch', 'radikal'-feministisch reduziert wird. Die zugrunde gelegte Begrifflichkeit erscheint damit nicht als statisch fixiertes Konstrukt einer anonymen Masse, sondern als (kontinuierlich) flektiertes, differenzierbares Hilfsmittel in einer auf Mitteilung und Mitteilbarkeit hin angelegten Disziplin. Die feministische Theorie, einerseits als (noch) akademische Subkultur, andererseits als Methode, Kultur zu deuten, ist dabei nicht zu trennen von den Protagonistinnen ihrer anhaltenden Genese. Personeneinträgen gilt daher das zweite Augenmerk. So wie Humm durchgängig die Facettierung eines Begriffes beachtet, wird auch die Rezeption der aufgenommenen DenkerInnen in verschiedenen Denkrichtungen gewürdigt.

Humm ist ein kritischer Überblick über die Entwicklung der feministischen Theorie gelungen, der die divergierenden Richtungen im Zusammenhang darstellt, die ideologiekritische Auseinandersetzung, die Frauen-Geistesgeschichte und die unterschiedlichen poststrukturalistischen Lektüren nachvollziehbar und zum Einstieg in deren Begrifflichkeit bereit hält.

Rudolf Nink


[1]
Der in deutscher Übersetzung vorliegende Band von Toril Mois Sexus, Text, Herrschaft (Bremen 1989) wird zwar gemeinhin als erster dekonstruierender Text feministischer Literaturkritik (zu Gilbert und Gubars The madwoman in the attic) gelesen, war jedoch als Einführung in die Prinzipien feministischer Literaturtheorie gedacht. Trotz - oder vielleicht auch gerade wegen - des eindeutigen Kommuniquées für einen politisch engagierten, theoretisch sich fundierenden Ansatz (im Gegensatz zu rein textbezogenen, a-politischen Arbeitsweisen) ist diese Einführung, wenn es denn eine deutschsprachige sein muß, dem Metzlerbändchen vorzuziehen. (zurück)
[2]
nunmehr auch von derselben Verfasserin vor: Practising feminist criticism : an introduction / Maggie Humm. - 1. publ. - London : Prentice Hall, 1995. - XVII, 211 S. - ISBN 0-13-355371-X : œ 10.95. (zurück)

Zurück an den Bildanfang