Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4

Langenscheidts Wörterbuch-Computer Englisch


95-4-546
Langenscheidts Wörterbuch-Computer Englisch : alpha 120 ; rund 120.000 Stichwörter und Wendungen. - 1. Aufl. - Berlin ; München [u.a.] : Langenscheidt, 1994. - 1 Taschencomputer in Behältnis + Benutzerhandbuch ; 13 cm. - Als Datenbestand wurde die vollständige Neubearb. 1990 des Taschenwörterbuchs Englisch verwendet. - ISBN 3-468-90970-5 : DM 398.00
[2855]

In Langenscheidts Wörterbuch-Computer Englisch begegnet uns eine in medialer Hinsicht völlig andere Form des Wörterbuches. Dem batteriebetriebenen (2 Lithium-Batterien, Typ CR2032), im Design einem Laptop nachempfundenen alpha 120 - Abmessungen 150 mm Breite, 88 mm Länge, 19 mm Höhe - liegt ein 120.000 Stichwörter umfassendes Wörterbuch (Englisch-Deutsch, Deutsch-Englisch) auf. Kaum eine derjenigen Funktionen, die inzwischen zum Standard eines digitalisierten Wörterbuchs zählen, läßt sich freilich mit Hilfe des alpha 120 realisieren: keine Freitextsuche, keine Suche mittels Boole'scher Operatoren, kein Datenimport oder -export, keine Möglichkeit des Ausdrucks. Die Bedienung ist zwar einfach, aber denkbar unkomfortabel: Die viel zu eng beianderliegenden, nur mäßig erhöhten Tasten stellen ein wesentliches Handicap dar. Ebenso störend: der äußerst kleine Bildschirm, der 6 Zeilen mit durchschnittlich 23 Zeichen anzeigen kann (160 mal 80-Punkt-Matrix-LCD-Anzeige), also kein weiträumiges Display erlaubt. Wenigstens besteht die Möglichkeit der fehlertoleranten Suche, der Suche mit Jokern (Binnen- und Endtrunkierung), des Blätterns und der Einrichtung eines eigenen "Benutzerwörterbuchs", um zusätzliche Wörter zu erfassen; auch ist der Suchlauf recht schnell. Die Zusätze: Taschenrechner, "Infozentrum" (Uhr- und Weltzeit, Kalender, Umrechnungen für Temperaturangaben, metrische Maße und Hohlmaße sowie Gewichte), Organizer (Notizbuch, Adressenverwaltung, Terminkalender), Spielkonsole ("Hangman", "Buchstabensalat", "Anagramme", "Wortpuzzle") heben wohl auf das Image des mobilen Managers (oder Manager spielenden Schülers?) ab. Die Erklärung der Zusätze nimmt im 64 Seiten umfassenden zweisprachigen "Benutzerhandbuch" - der Ausdruck "Broschüre" wäre angemessener - einen ungebührlich großen Raum ein. Da sich jedoch ein Textverarbeitungsprogramm nicht laden läßt, sind alle - in der Begleitbroschüre hochgepriesenen - Zusatzfunktionen letztlich nur Makulatur. "Ideal für Reise und Business, zu Hause oder Schule": so die Werbung; in Wirklichkeit: ein viel zu spät auf einen bereits hochentwickelten Markt gelangtes Produkt, das bestenfalls den Spieltrieb eher schlichter Naturen befriedigen mag, denen wohl suggeriert werden soll, mit alpha 120 eine (hochpreisige!) Eintrittskarte in die flimmernde Welt der digitalen Information zu erhalten. Das Wörterbuch selbst, dessen Artikel auch die Aussprache der Wörter in internationaler Lautschrift angeben, vermag gleichfalls nur mäßig anspruchsvolle Konsultationswünsche zu erfüllen. Immerhin fehlen z.B. im Wörterbuch Deutsch-Englisch Wörter wie Blauwal, Laptop, praxisnah, Schneewittchen. Für Bibliotheken ist alpha 120 nicht geeignet, noch nicht einmal in Schulbibliotheken zu wörterbuchdidaktischen Zwecken einsetzbar, zumal der Hohn der Kinder beim Anblick rückständiger Produkte noch weit gnadenloser ausfallen dürfte als der Spott erwachsener Nutzer.

3. Beobachtungen zum digitalisierten Wörterbuch : Versuch eines Fazits

Angesichts der zahlreichen getesteten digitalisierten Wörterbücher und des recht langen Zeitraums, in dem der Referent sich immer wieder auch mit den Unterschieden zwischen gedruckten und digitalisierten Wörterbüchern befaßt hat, sei hier ein kurzes Fazit erlaubt, das auch Erfahrungen mit anderen als den hier besprochenen Produkten einbezieht.

3.1 Unübersichtlichtlichkeit des Marktes

Der ohnehin unübersichtliche Wörterbuchmarkt ist durch die rasch wachsende Verbreitung digitalisierter Wörterbücher noch unüberschaubarer geworden. Ob sich die Anschaffung eines als neu gekennzeichneten Produktes wirklich lohnt, inwieweit man hinter Etikettierungen wie "new edition", "neubearbeitete Ausgabe", "Neubearb. Nachdr.", "revised edition" oder - noch verlockender - "completely revised edition" substantielle Veränderungen erwarten darf, diese Fragen, angesichts der Beurteilung von Print-Wörterbüchern schon schwierig genug, sind bei der Evaluation digitalisierter Wörterbücher noch schwerer zu beantworten. Neben der raschen Folge von Neuauflagen und -ausgaben, die diese Bezeichnung nur bei größtem Wohlwollen verdienen, schafft die Tendenz zur digitalisierten Zusammenführung mehrerer Wörterbücher auf einer CD-ROM zusätzliche Schwierigkeiten, wenn man die tatsächliche Aktualität des - oft hochgepriesenen - Produktes bewerten will.

3.2 Ungenügende Benutzer-Information

Die Unübersichtlichkeit wird noch durch den Umstand verstärkt, daß viele Wörterbuchverleger und -hersteller mit nutzerfreundlichen Instruktionstexten geizen. Es kommt vor, daß den Disketten keine Begleitbroschüren, den CD-ROMs keine Booklets beigegeben sind. Instruktionstexte liegen dann nur digitalisiert vor, etwa in Form von LIESMICH- oder README-Dateien. In einigen Fällen sind sie so schludrig redigiert, daß sich der groteske Gedanke aufdrängt, die Produzenten elektronischer Medien seien so sehr vom Primat des gedruckten Wortes überzeugt, daß sie an die Redaktion des digitalisierten Wortes nur wenig Mühe verschwenden sollten. In anderen Fällen sind die Informationen in hohem Maße disloziiert: Einige Informationen finden sich in einer Broschüre oder einem Booklet, andere in Hilfsdateien, zusätzliche gar noch auf dem CD-ROM-Behältnis. Der Nutzer muß sie zusammenführen und entdeckt dabei, daß die verschiedenen, ihm angebotenen Texte durchaus auch von verschiedenen Mentalitäten geprägt sein können: etwa denen der Programmierer, denen der Lexikonredakteure.

3.3 Unzureichende Informationsdidaktik

In den Begleittexten der digitalisierten Wörterbücher wurde bislang auch die informationsdidaktische Chance vertan, in einige grundlegende Probleme des Retrievals einzuführen und den Nutzer somit mit grundlegenden Konzepten der Informationsgewinnung und -wertung vertraut zu machen. Termini wie Boole'sche Operatoren oder Trefferquote, Nachweis-, Relevanz- oder Ballastquote fehlen in den Instruktionstexten fast vollständig.

3.4 Problematik der Paratexte

Schon immer haben die Paratexte der Wörterbücher (Vorwort, Abkürzungsverzeichnis, kurze Einführung in die Grammatik der jeweiligen Sprache etc.) dem Wörterbuchnutzer besondere Probleme bereitet, da sie oft genug eher beliebige Zusätze dargestellt haben. In den digitalisierten Wörterbüchern drohen diese Paratexte - aufgrund der hierbei im Unterschied zum Hauptteil des Wörterbuchs leider nur allzu oft geringeren (redaktionellen) Mühewaltung - eher noch problematischer zu werden. 3.5 Primäres Bewertungskriterium ist die Qualität des Wörterbuches

Gerne rühmen Hersteller digitalisierter Wörterbücher kommode Funktionen ihrer Produkte wie die Zwischenablage oder Extras wie Reisewörterbücher oder Vokabeltrainer, mit denen auch die Lust am Bild oder der Spieltrieb angesprochen werden. Für die bibliothekarische Kaufentscheidung hingegen muß die Qualität des jeweils vorliegenden Standardwörterbuchtextes den Ausschlag geben.

3.6 Unbefriedigender Zustand der Wörterbuchkritik

Unübersichtlichkeit des Marktes, Vielfalt des Angebots, fragwürdige verlegerische Strategien und Profitstreben der Anbieter, Ratlosigkeit vieler Kunden, eine fehlende informationsdidaktische Diskussion: Angesichts dieser negativen Rahmenbedingungen ist eine Evaluation von Wörterbüchern dringend vonnöten; leider wird sie vielerorts verweigert. Vertreter der professionellen Metalexikographie scheuen häufig die geduldige, der eigenen Karriere kaum förderliche Kleinarbeit der detaillierten Wörterbuchbesprechung. Lexikographen, die eigene Wörterbücher erstellen, finden wohl nur in Ausnahmefällen Zeit, die Wörterbücher der Kollegen zu bewerten. Überdies werden digitalisierte Wörterbücher in den Besprechungsteilen einschlägiger Zeitschriften weit weniger rezensiert als die meist noch vertrauteren Print-Wörterbücher.[1] Bibliothekare, einer tradierten Affinität zum Bibliographischen folgend, kümmern sich auch heute noch eher um die Beurteilung bibliographischer Nachschlagewerke und vernachlässigen darüber u.a. weiterhin die Auseinandersetzung mit dem Wörterbuch als einem der wichtigsten Typen von Nachschlagewerken. Die einschlägigen PC-Zeitschriften, die oft ihre primär kommerziellen Interessen kaum zu verstecken trachten, stellen digitalisierte Wörterbücher nur selten und nur unzureichend vor: Die Besprechungen, die häufig jegliche lexikographische und lexikologische Kompetenz vermissen lassen, schenken formalen Rahmenbedingungen wie dem Speicherplatz oder der - oftmals geradezu fetischisierten - Antwortzeit ungebührlich große Aufmerksamkeit, ignorieren weitgehend die inhaltlichen Aspekte der jeweiligen Wörterbücher.

3.7 Bewertungskriterien

Bei der Evaluation von Wörterbüchern sind stets ebenso inhaltliche wie formale Kriterien zu berücksichtigen. Zu den inhaltlichen Kriterien zählen beispielsweise die Adressatenadäquatheit, die Inklusivität des Wörterbuchs, die Aktualität der Lemmata, die Verständlichkeit der Definitionen oder das Ausmaß, in dem zusätzliche Informationen (zur Grammatik, Etymologie, stilistischen Markierung u. a.) bereitgestellt werden. Die Konsequenz der Ordnungsmerkmale, die Existenz von Konsultationshilfen wie z. B. Kolumnentitel oder die Eindeutigkeit, visuelle Stringenz, Verläßlichkeit und Verständlichkeit typographischer Markierungen stellen wichtige formale Kriterien dar. Mit der Digitalisierung von Wörterbüchern wächst noch die Bedeutung des Informationsdesigns (Übersichtlichkeit des Einzelartikels, Bildschirmaufbau), kommen weitere formale Kriterien erstmals ins Spiel: Schwierigkeitsgrad der Installation, Transparenz der Menüs, Motiviertheit der Icons u.a.

3.8 Abhängigkeit von der technischen Ausstattung

Wie jedes gedruckte Buch ist auch das Print-Wörterbuch ein mobiler, ubiquitär nutzbarer Informationsspeicher, der, von gelegentlichen druck- oder bindetechnischen Pannen abgesehen, in all seinen Exemplaren identisch ist. Die Beurteilung von Print-Wörterbüchern vollzieht sich gerätelos, im wesentlichen situationsneutral und unabhängig vom jeweils genutzten Exemplar. Von Instruktionsdateien mit unterschiedlichem Updating einmal abgesehen, sind wohl auch digitalisierte Wörterbücher in ihren einzelnen Exemplaren (Diskette, CD-ROM) tendenziell identisch. Deren Evaluation ist jedoch durchaus geräteabhängig, insbesondere wenn PC- und speicherplatzabhängige Parameter wie z. B. Antwortzeiten eine Rolle spielen.

3.9 Beachtung wörterbuchspezifischer und -typologischer Fragen

Die Bewertung digitalisierter Wörterbücher darf sich nicht allein an den Universalien EDV-gestützter Informationsmittel wie nicht-linearen Zugriffen, miniaturisiertem Speicher u.a. orientieren, sondern muß sich stärker als bislang genrespezifischen Fragen widmen. Welche Nachschlagehandlungen werden in Wörterbüchern vollzogen? Wie unterscheiden sich diese Handlungen, je nachdem ob man Print-Wörterbücher oder digitalisierte Wörterbücher konsultiert? Wenn es gilt, Unterschiede zwischen Print-Wörterbüchern und digitalisierten Wörterbüchern differenziert zu markieren, sind wörterbuchtypologische Spezifizierungen dringend erforderlich. Bildwörterbuch, Zitatenwörterbuch, etymologisches Wörterbuch, Fremdwörterbuch, Stilwörterbuch, Rechtschreibungswörterbuch, einsprachiges Wörterbuch, mehrsprachiges Wörterbuch: für all diese Wörterbuchtypen müssen genrespezifische Differenzen bestimmt werden.

3.10 Offensichtliche Qualitätsunterschiede

Evaluation bedeutet im vorliegenden Fall für den Rezensenten aber auch, daß ausnahmsweise mit seltener Eindeutigkeit Stellung bezogen werden kann. Auf dem deutschen Markt stellt die PC-Bibliothek mit ihren verschiedenen Einzelprodukten die zur Zeit ausgereiftesten digitalisierten Wörterbücher bereit. Das Qualitätsgefälle zu den anderen hier besprochenen Wörterbüchern von Bertelsmann und Klett ist in der Tat ungewöhnlich groß.

3.11 Digitalisierung nur bei Großwörterbüchern sinnvoll

Die oft zu Recht genannten Vorteile der Digitalisierung des Wörterbuchs - vor allem miniaturisierter Speicher und Möglichkeit der Freitextsuche - kommen erst bei Wörterbüchern mit umfangreichem Lemmabestand voll zum Tragen. Bei Wörterbüchern mittleren Umfangs werden die Vorzüge des EDV-basierten Zugangs schnell in Frage gestellt. Bei sehr kleinen Wörterbüchern, die vielleicht noch von geringem Professionalisierungsgrad sind, mag die Digitalisierung im schlimmsten Fall sogar lächerlich und allenfalls durch kommerzielle Interessen oder technologische Versuche der Verleger motiviert sein. Ohnehin gelangt manches primär zu Demonstrationszwecken auf den Markt oder dient dazu, diesen zu testen.

3.12 Diskrepanz zwischen Aktualität des Mediums und potentieller Veraltung des Lemmabestandes

Digitalisierte Wörterbücher profitieren von der Aura des neuen Mediums und suggerieren Aktualität: ein Versprechen, das durch die Lemmata des jeweiligen Wörterbuchs mitnichten eingehalten werden muß. In diesem Zusammenhang mag es im übrigen erstaunen, daß angesichts der zahlreichen online angebotenen bibliographischen Datenbanken kaum von online anzubietenden Wörterbüchern die Rede ist.

3.13 Digitalisierte Wörterbücher unter Windows

Die meisten der zur Zeit in Deutschland gängigen digitalisierten Wörterbücher laufen unter Windows, das, lange Zeit nur als Spielwiese für Sekretärinnen belächelt, allerorts gewaltigen Zuwachs erzielt. Digitalisierte Wörterbücher, die Windows-gängig sind, nutzen die Vertrautheit vieler PC-Besitzer mit dieser weit verbreiteten Software, die einige maßgebliche Vorteile aufweist: starke Affinität zum vertrauten Schreibtisch (Konzept des "virtuellen Schreibtisches"), Graphik-Komponente (für Bildwörterbücher und Bildanteile anderer Wörterbuchgenres unverzichtbar), hoher Ikonisierungsgrad sowie Multitasking-Eigenschaften.

3.14 CD-ROM statt Disketten

Noch werden viele digitalisierte Wörterbücher zugleich auf CD-ROM und auf Diskette angeboten. Doch wird der Anteil der CD-ROM basierten Wörterbücher weiter wachsen und entsprechend der Anteil der diskettenbasierten Wörterbücher sinken. Diese Entwicklung wird wesentlich begünstigt durch den günstigeren Speicherraum und die sinkenden Herstellungskosten der CD-ROM.

3.15 Anpassung des Informationsdesigns an die Erfordernisse digitalisierter Wörterbücher

Zu diskutieren wäre auch die Frage, ob die Hersteller digitalisierter Wörterbücher die Eigengesetzlichkeiten des neuen Mediums bereits vollends erkannt haben und ob nicht auch Struktur, Aufbau und Informationsdesign des Wörterbuchs stärker dem neuen Medium angepaßt werden sollten. Ein unscheinbares, vielleicht peripheres Beispiel: Wer Sinti (Pl.) nachschlagen will, findet dieses Wort nur unter dem weit seltener gehörten oder gelesenen Lemmawort Sinto (Sg.). Da im herkömmlichen Lexikonartikel dem Lemmawort Sin³to der grammatische Hinweis auf den entsprechenden Plural in verkürzter Form ...ti folgt, ist eine Freitextsuche mittels Sinti nicht möglich. Selbstverständlich gelangt man sowohl durch Trunkierung als auch mittels inkrementeller Suche zu der gewünschten Information. Wäre aber eine Ausschreibung grammatisch abhängiger Formen im Dienste einer voll nutzbaren Freitextsuche nicht dem neuem Medium angemessener?

3.16 Variable Schriftgestaltung bei digitalisierten Wörterbüchern

Die Möglichkeit der flexiblen Einstellung von Schriftarten und Schriftgraden bei der Konsultation von Wörterbucheintragungen stellt einen zu selten erwähnten, aber nicht zu unterschätzenden Vorteil digitalisierter Wörterbücher dar. So bietet beispielsweise eine Einstellungsoption von bis zu 36-Punkt in der PC-Bibliothek Sehbehinderten die Option einer weit komfortableren Nutzung, als sie ihnen das übliche, gedruckte Wörterbuch gewährt. Überdies können Textsegmente, auf größere Schriftgrade eingestellt, ausgedruckt weit bequemer zu Lehr- und Präsentationszwecken genutzt werden als nicht modifizierte Kopien aus gedruckten Wörterbüchern.

3.17 Ungelöste bibliothekspolitische Fragen beim Angebot digitalisierter Wörterbücher

Großwörterbücher wie das Oxford English dictionary oder Le Robert électronique sprechen auch aufgrund ihres für viele Privatkunden prohibitiven Preises vornehmlich den bibliothekarischen Erwerber an. Die meisten digitalisierten Wörterbücher sind jedoch eindeutig auf die Desktop-Landschaft des heimischen PCs abgestellt, in der die Funktionen des Konsultierens und des Schreibens heute nahezu nahtlos ineinander übergehen. So bieten beispielsweise Windows-gängige Wörterbücher die Möglichkeit, Wörterbuchsegmente auszuwählen, in sog. Zwischenablagen zu kopieren und sie in selbst verfaßte, mittels des Textverarbeitungssystems Write hergestellte Texte einzufügen. Selbstverständlich lassen sich auch in Bibliotheken unter Wahrung von Copyright-Vorschriften Wörterbuchsegmente auf mitgebrachte Disketten kopieren, gegebenenfalls sogar an Ort und Stelle mit Hilfe des eigenen Laptops in eigene Textdateien eingeben und weiterverarbeiten, doch ist die für die heimische EDV-basierte Desktopwerkstatt typische Verflechtung der beiden Funktionsbereiche "Lesen / Informieren / Konsultieren" sowie "Schreiben / Redigieren / Editieren" in Bibliotheken kaum realisierbar. Auch andere Formen der individuellen Nutzung digitalisierter Wörterbücher, die nicht unwesentlich deren Attraktivität begründen, sind im öffentlichen Raum der Bibliothek nur schwer vorstellbar: die Erstellung eigener speicherbarer Vokabellisten; die Erweiterung des Wörterbuchs durch Notizen: Lesefrüchte, Belegstellen, Korrekturen und Neologismen; die Arbeit mit Programmen, die als Vokabeltrainer bezeichnet werden. Das von denjenigen Bibliotheksbenutzern, denen zu Hause recht bequeme Desktop-Landschaften zur Verfügung stehen, schon jetzt beklagte Komfortabilitätsgefälle zwischen den recht kommoden Arbeitsbedingungen am privaten Schreibtisch und den wenig genehmen Verhältnissen, wie sie Arbeitsplätze in Bibliotheken gemeinhin bieten, droht deshalb mit der Einführung elektronischer Medien, zumindest in Teilbereichen, eher noch größer zu werden. Auch die mittels Multimedia-Wörterbüchern erzielbaren Soundeffekte, die nicht so recht in das vertraute Ambiente von Lesesälen und Informationszentren passen und nur in schallgedämpften Kabinen oder mit Hilfe von Kopfhörern abrufbar sind, bereiten den Bibliothekaren noch Probleme. Die seitens der (Fremd-)Sprachendidaktiker erwünschten Synergieeffekte, die durch eine Verknüpfung der Funktionen Lesen, Hören und Sehen angestrebt werden, lassen sich in Bibliotheken derzeit nur schwer erzielen. All diese Schwierigkeiten unterstreichen das - zumindest aus der Sicht derjenigen, die an den neueren Technologien teilhaben - nicht unerhebliche Gefälle zwischen privatem und öffentlichem Arbeitsplatz. Wie werden die Bibliotheken auf diese Herausforderungen reagieren? Wie sehen die Lesesäle und Informationszentren der Zukunft aus? Wer wird die Kosten für den Umbau und den Gerätepark bezahlen? Bei alledem darf aber nicht vergessen werden, daß selbstverständlich auch heute nicht jeder Bibliotheksbenutzer über einen (komfortablen) häuslichen PC verfügt und vielleicht in der Bibliothek die einzige Chance sieht, sich mit neuerer Informationstechnologie vertraut zu machen. Welche Möglichkeiten sollen für diesen Nutzerkreis geschaffen werden? Um für die einen den Abstand zwischen privatem und öffentlichem Arbeitsplatz nicht noch weiter zu vergrößern, wenn möglich sogar zu verringern, um den anderen erst den Zutritt zu neuerer Informationstechnologie zu ermöglichen, ist mehr gefragt als nur der technizistisch-administrative Sachverstand von Architekten, EDV-Experten und Ergonomen. Wissenschaftler wie Informationsbibliothekare sind aufgerufen, ihre Erfahrungen aus EDV-gestützten Informationsszenarios zu artikulieren. Wie wird sich bei alledem der auskunftsbibliothekarische Arbeitsplatz verändern? Werden Bibliothekare neben der Aufgabe des Informationsmanagements nun auch die Funktionen des Programm- und des Dateimanagements wahrnehmen? Wenn neben der Literaturversorgung und der Informationsvermittlung die Vermittlung von information literacy in einem deutlich stärkeren Maße als bislang als bibliothekarische Aufgabe begriffen wird, stellen sich weitere Fragen. Wie werden künftig informationsdidaktische Aufgaben verteilt? Wer erwirbt die entsprechenden Qualifikationen? Wird die Einführung in Standardfunktionen eines digitalisierten Wörterbuchs Aufgabe der Bibliothekare, die Einweisung in Extras wie sog. Vokabeltrainer u.ä. Aufgabe des Fremdsprachenlehrers sein? Spätestens hier zeigt sich, daß auch bibliothekstypologische Überlegungen eine große Rolle spielen, da der Einsatz digitalisierter Wörterbücher in verschiedenen Bibliothekstypen wie öffentlichen Bibliotheken, wissenschaftlichen Bibliotheken oder Spezialbibliotheken durchaus differenziert erfolgen muß.

3.18 Das digitalisierte Wörterbuch in einer sich wandelnden Informations- und Medienlandschaft

Als neues Medium mit miniaturisierten nicht-linear abfragbaren Informationen eignet dem digitalisierten Wörterbuch eine eigene Aura, ein eigener Habitus, der von den Produzenten auch gewinnbringend genutzt wird. Welche Bewandtnis es jenseits der alltäglichen Nutzung mit diesem neuen Medium wirklich hat, kann man in einer rapide sich wandelnden Informations- und Medienlandschaft wohl zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer bestimmen. Angesichts revolutionärer Entwicklungen in der Informations- und Mediengesellschaft wird in den nächsten Jahren neu auszuhandeln sein, was wir unter Bibliothek, bibliothekarischem Sammelauftrag, bibliothekarischer Dienstleistung, unter Information und Dokumentation, aber auch unter kultureller Überlieferung, Publizität von Information und dergleichen mehr verstehen wollen. Einen vergleichsweise bescheidenen, aber deshalb nicht uninteressanten Diskussionspunkt wird dabei das digitalisierte Wörterbuch darstellen.

3.19 Wie weit sind gedruckte und digitalisierte Wörterbücher wirklich voneinander entfernt?

Zum Schluß sei noch eine persönliche Bemerkung gestattet, die eher die affektive denn die kognitive Seite der Nutzung digitalisierter Wörterbücher betrifft. Digitalisierte Wörterbücher stellen sich mir als ein Vexierbild dar, das je nach Betrachtung zwei völlig verschiedene Bilder bietet: zum einen das Bild eines im Vergleich zum gedruckten Wörterbuch qualitativ neuen Produktes mit viel bequemeren und raffinierteren Suchmöglichkeiten, zum anderen das Bild eines bei allen Unterschieden zum gedruckten Wörterbuch diesem doch sehr ähnlichen Produkt, das von dem "guten" alten Printmedium so weit gar nicht entfernt ist.


[1]
Das trifft bisher weitgehend auch auf das folgende Jahrbuch mit seinem langen Rezensionenteil zu: Lexicographica : international annual for lexicography. - Tübingen : Niemeyer. - 1 (1985) - . - Zuletzt: 9. 1993 (1994). (zurück)

Zurück an den Bildanfang