Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4
[ Bestand in K10plus ]

Die Kinderbuchsammlung Bettina Hürlimann


95-4-514
Die Kinderbuchsammlung Bettina Hürlimann : Gesamtkatalog / bearb. von Ruth Fassbind-Eigenheer. Mit biographischen Notizen, zsgest. von Regine Schindler-Hürlimann. Hrsg. vom Schweizerischen Jugendbuch-Institut Zürich. - Zürich : Schweizerisches Jugendbuch-Institut, 1992. - 408 S. ; 28 cm. - ISBN 3-9520242-0-1 : SFr. 185.00. - (Schweizerisches Jugendbuch-Institut, Zeltweg 11, CH-8032 Zürich)
[2636]

Bettina Hürlimann (1909 - 1983), Tochter des Verlegers Gustav Kiepenheuer und Gattin des Verlegers Martin Hürlimann war eine leidenschaftliche Kinderbuchsammlerin. Das Sammelgebiet hing eng mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammen. Im von Martin Hürlimann gegründeten Atlantis-Verlag betreute sie die Bilderbücher. Später engagierte sie sich für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kinderliteratur und nahm mehrere Funktionen wahr. So kamen wesentliche Voraussetzungen für den Aufbau einer speziellen Sammlung zusammen, nämlich: Sachverstand und Gelegenheit bzw. Beziehungen.

Die Erben respektierten den Wunsch der Sammlerin, die Bücher für die Forschung zugänglich zu machen, und übergaben sie dem Schweizerischen Jugendbuch-Institut in Zürich. Es ist natürlich ein großer Glücksfall für die öffentliche Einrichtung, eine so exzellente Sammlung übernehmen zu können, und zugleich eine große Verpflichtung. Doch schon nach acht Jahren lag der Gesamtkatalog der Sammlung vor. Er besticht durch seine gediegene Ausstattung und akkurate Verzeichnung der über viertausend Titel.

Die Publikation beginnt mit einer Biographie der Sammlerin, von der Tochter Regine Schindler unter Einbeziehung von Zitaten aus Bettina Hürlimanns Erinnerungsbuch. Die Bearbeiterin des Kataloges, Ruth Fassbind-Eigenheer, skizziert die Entstehung der Sammlung und gibt eine Übersicht über den Inhalt durch Hinweise auf Schwerpunkte und besonders kostbare und seltene Exemplare. Damit der "den Vorlieben und Interessen Bettina Hürlimanns entsprechende persönliche Charakter der Sammlung" beibehalten blieb, sind die Bücher im Katalog "gleich geordnet wie ehemals im Hause Hürlimann in Zollikon bei Zürich". So lassen sich einige Schwerpunkte schon an den "Gruppenbezeichnungen" erkennen, wie Sachbuch, Fabeln, Märchen, Robinsonaden, Struwwelpeter u.a. Gleich beim Sachbuch sind einige Kostbarkeiten zu entdecken wie das Basedowische Elementarwerk mit der "Kupfersammlung" von Chodowiecki (1774), drei Bände von Bertuchs Bilderbuch für Kinder oder Orbis pictus - Ausgaben von Comenius (1746), Gailer (1838), und Lauckhard (1868). Den kostbarsten Schatz der Sammlung stellt wohl die Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (1812 - 1815) dar. Auch die 2. vermehrte Auflage in drei Bänden (1819 - 1822) ist vorhanden. Zur 2. Auflage des Struwwelpeter, noch anonym unter dem Titel Lustige Geschichten und drollige Bilder erschienen, gesellen sich weitere Ausgaben und Struwwelpetriaden.

Ein wichtiger Teil, das Archiv der Atlantis-Kinderbücher mit 184 Titeln, entstand direkt aus der verlegerischen Tätigkeit Bettina Hürlimanns. Diese vollständige Sammlung aller von der Gründung des Verlages bis zu ihrem Ausscheiden 1974 erschienenen Kinderbücher zeugt von der langjährigen intensiven Zusammenarbeit mit Autoren und Illustratoren.

Den Hauptteil bildet jedoch der Bestand zeitgenössischer Bilderbücher aus aller Welt sowie ein repräsentativer Querschnitt durch die Geschichte des Kinderbuches überhaupt. Dieser Teil ist in zehn regionalen Bereichen gegliedert wie Altes und Neues aus der Schweiz, ebenso: aus Deutschland, England, Frankreich; sodann Skandinavien und Niederlande, Osteuropa, Südeuropa und Lateinamerika, Vorderer Orient und Asien, Japan, China.

Die schweizerische Kinderliteratur ist natürlich stark vertreten (352 Titel). Eine Schweizer Besonderheit sind die "Neujahrsblätter", die am zweiten Neujahrstag für die Jugend ausgegeben wurden. Von 1740 bis 1846 reichen die Blätter der verschiedenen "Zürcher Gesellschaften".

Bei der internationalen Kinderliteratur der letzten beiden Jahrhunderte ist alles, was Rang und Namen hat, in Beispielen und verschiedenen Ausgaben vorhanden. Auf einen Schwerpunkt muß noch hingewiesen werden. Durch Bettina Hürlimanns Vermittlerrolle für das Bilderbuch zwischen Japan und Europa bestanden gute Beziehungen zu japanischen Verlagen und Illustratoren. Ihre Vorliebe galt daher bald dem japanischen Bilderbuch. Fast vierhundert Bücher sind im Katalog exakt verzeichnet. Die Titel sind transkribiert und mit einer Übersetzung des Titels sowie einer kurzen Inhaltsangabe versehen.

Die Titelbeschreibung überhaupt ist mustergültig. Alle fehlenden Angaben wie Vornamen, Erscheinungsjahre u.ä. wurden möglichst ergänzt. Den Illustrationen wurde besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die alten Illustrationstechniken sind ausführlich beschrieben, unvollständige Illustratorennamen vervollständigt und, wo es gelang, die Signaturen der Illustratoren aufgeschlüsselt.

Bei der Katalogisierung nach der Ordnung der Sammlerin mußte man deren Inkonsequenzen übernehmen. So stehen bei Neues und Altes aus der Schweiz nur in der Schweiz erschienene Bücher Schweizer Autoren und Illustratoren. In der Schweiz erschienene Bücher von Nichtschweizern sind nach der Sprache des Buches eingeordnet. Eine Übersetzung aus dem Englischen, in Zürich erschienen, findet man dann bei Deutschland.

In den anderen regionalen Bereichen sind die Bücher nach dem Erscheinungsort geordnet. So kommt es vor, daß Originalausgabe und Übersetzung des gleichen Werkes in zwei verschiedene Bereiche erscheinen. Das waren Besonderheiten der Sammlerin, die man respektieren mußte, leider wird das nicht erläutert. Bei der Suche nach bestimmten Autoren und Illustratoren ist es deshalb ratsam, immer erst die Register zu benutzen. Diese sind jedoch für Autoren, Illustratoren, Titel und Verlage exakt erarbeitet, ebenso das chronologische Register, das von 1579 bis 1984 reicht.

Der Band ist typographisch gut aufbereitet. Die vielen Abbildungen und Farbtafeln verraten schon beim Blättern viele Kostbarkeiten. Sehr interessant sind auch die Bilder zur Biographie der Sammlerin, die zugleich etwas in die Sammlung einstimmen.

Die exakte Verzeichnung der über 4000 Kinderbücher aus aller Welt hat über die Repräsentanz einer Sammlung und Standortnachweis hinaus auch Bedeutung als bibliographischer Nachweis von deutsch- und fremdsprachigen Kinderbüchern, die man in einer solchen Genauigkeit sonst nicht findet.

Heinz Wegehaupt


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