Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4
[ Bestand in K10plus ]

Kinder- und Jugendliteratur im Exil 1933 - 1950


95-4-507
Kinder- und Jugendliteratur im Exil 1933 - 1950 : eine Ausstellung der Sammlung Exil-Literatur der Deutschen Bücherei Leipzig, 1. Juni 1995 - 9. September 1995. Mit einem Anhang: Jüdische Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1933 - 1938 / [Ausstellung und Katalog erarb. von Andrea Thomalla und Jörg Räuber]. - Leipzig [u.a.] : Die Deutsche Bibliothek, 1995. - 151 S. ; 25 cm. - ISBN 3-922051-68-5 : DM 10.00. - (Deutsche Bücherei, Deutscher Platz 1, 04103 Leipzig)
[2906]

Bei der umfangreichen Forschung zur deutschen Exilliteratur 1933 - 1945 wurde die Kinder- und Jugendliteratur bisher kaum beachtet. Einen guten Überblick bot nun eine Ausstellung der Deutschen Bücherei in Leipzig, die eine Sonderabteilung für Exilliteratur besitzt. Der zweite Teil der Ausstellung zeigte Jüdische Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1933 - 1938, ein nicht beachteter Teil der Literatur der ebenfalls in Folge des Terrors der Nationalsozialisten entstand.

Der Ausstellungskatalog übernahm zur Einführung Windfred Kaminskis Aufsatz Kinderbücher im Exil, der bereits 1990 in der Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur[1] erschienen war. Beigegeben ist eine aufschlußreiche Dokumentation Kinder im Exil - Situation des Exils und ein Beitrag über das Leben (Lesen) im Versteck, der vorrangig Anne Franks Tagebücher auswertet.

Die Bibliographische Zusammenstellung berücksichtigt 58 Autoren und 6 Illustratoren mit über 320 Titeln. Die Zusammenstellungen beginnen mit den biographischen Angaben zur Person sowie deren Weg ins bzw. im Exil. So findet man es bereits in der Bio-Bibliographie von Sternfeld/Tiedemann,[2] dort allerdings noch mit Angaben über eventuelle Rückkehr der Exilierten. Erfreulich ist aber, daß im Ausstellungskatalog fast dreiviertel der Personen Porträts mit Angabe der Bildvorlage beigegeben sind.

Absolute Vollständigkeit wird man bei der Schwierigkeit der Recherchen in diesem Bereich kaum erreichen können. Dennoch verwundert es, daß gerade ein nach dem Krieg so erfolgreicher Kinderbuchautor wie Friedrich Rosenfeld (Ps. Friedrich Feld) nicht verzeichnet ist. Bei Sternfeld/Tiedemann sind zwei seiner Titel als Kinderbücher gekennzeichnet. Doch sind dort nicht alle Kinderbücher auch als solche ausgewiesen. Einige fehlen ganz. Somit ist die erste separate Bibliographische Zusammenstellung doch eine wertvolle Ergänzung. Nicht nur, daß der Aspekt Kinder- und Jugendliteratur herausgehoben wurde und die Werkbibliographien z.T. ergänzt werden, es kommen auch Autorinnen hinzu, die bei Sternfeld/Tiedemann noch fehlten: Elsa Margot Hinzelmann, Mira Lobe, Maria Osten, Ruth Rewald und Margarete Steffin. Das bewegende Schicksal der letzten drei verdeutlicht die tödlichen Gefahren des Exils: Maria Osten wurde 1942 als angebliche Spionin in Moskau erschossen; Ruth Rewald wurde im selben Jahr von Frankreich nach Auschwitz verschleppt und ist dort umgekommen; Margarete Steffin starb auf der Flucht mit Bertolt Brecht von Finnland in die USA in Moskau.

Bei der Kinderliteratur ist es wichtig, daß deren Illustratoren nicht übergangen werden. Sternfeld/Tiedemann verzeichnet sie nur, wenn sie auch geschrieben haben und dann nur mit diesen Werken. Gerade einigen dieser Illustratoren wie Fritz Eichenberg, Fritz Kredel oder Walter Trier[3] gelang es auch im Exil, zahlreiche Bücher für Kinder zu illustrieren. Hier hätte auch Heinrich Vogeler Worpswede aufgenommen werden müssen. Eine von ihm illustrierte Sammlung ist mit Erwähnung seines Namens aufgeführt. Da es keine Register gibt, ist die Entdeckung seiner Illustrationstätigkeit Zufall. Ebenso steht es mit den Beiträgern dieser Sammlung. Diese sind zwar meist mit einer eigenen Titelzusammenstellung im Katalog vertreten, ihr unter einem Pseudonym veröffentlichter Beitrag ist dort aber nicht verzeichnet.

Die Beschäftigung mit jüdischer Kinder- und Jugendliteratur datiert erst aus neuerer Zeit. Im vierbändigen Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur[4] fehlt selbst im Register des 1982 erschienenen Ergänzungsbandes der Begriff Jüdische Kinderliteratur. Eine eigene Buchproduktion für jüdische Kinder gab es zwar schon vor 1933 aber sie war verhältnismäßig gering. Theodor Brüggemann schreibt, daß sie eigentlich erst "unter den Sonderbedingungen jüdischer Existenz im nationalsozialistischen Deutschland entstanden ist und eine spezifische, von den politischen Umständen provozierte Funktion zu erfüllen hatte. Jüdische Existenz in Deutschland nach 1933 aber bedeutete in sich verstärkender Weise: Ausschluß aus dem allgemeinen literarischen und kulturellen Leben in Deutschland, gewaltsame Ausgrenzung und dadurch erzwungene Einengung mit Blick auf jüdische Tradition, jüdische Kultur und auch auf eine jüdische Existenz außerhalb Deutschlands." Die jüdische Kinder- und Jugendliteratur, die von 1933 bis 1938 entstand, ist ganz auf diese Ziele ausgerichtet und unterscheidet sich daher grundsätzlich von der gleichzeitigen deutschen Kinder- und Jugendliteratur.

Der Ausstellungskatalog verzeichnet 121 jüdische Kinder- und Jugendbücher von rund fünfzig Autoren. Alle Titel sind korrekt verzeichnet. Diese Bibliographie ist besser angelegt als die der Exilliteratur. Die Titel sind durchgezählt. Herausgeber, Bearbeiter, Illustratoren und Pseudonyme sind im Autoren- und Sachtitelalphabet eingeordnet, von ihnen wird verwiesen. Diese Verweisungen fehlen leider bei der Bibliographie der Exilliteratur. Dort werden die Pseudonyme nur bei den biographischen Angaben zur Person aufgeführt bzw. aufgelöst. In den Fußnoten zu den einzelnen Titeln der jüdischen Kinderliteratur werden die Fundstellen in der benutzten Sekundärliteratur zitiert. Bei der Exilliteratur erfolgt nichts dergleichen. Bei der jüdischen Kinderliteratur hätte man sich lediglich noch biographische Angaben wie bei der Exilliteratur gewünscht, um etwas über das Schicksal der Autoren zu erfahren.

Den Bearbeitern der Ausstellung erschien der Exkurs in die Thematik der jüdischen Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland "notwendig, da diese bei der Vorbereitung auf die Emigration (wenn auch ausschließlich auf Palästina bezogen) eine außerordentliche Rolle gespielt hat." Es erstaunt deshalb, daß keine Querverbindung zur Bibliographie der Exilliteratur gezogen wurde. Gab es Autoren jüdischer Kinderliteratur, die auch noch im Exil Kinderbücher publizieren konnten? Kurt Löwenstein taucht in beiden Bibliographien auf. War er der einzige? Das fehlende Register der Exilliteratur erschwert den Vergleich.

Die am Ende des Ausstellungskatalogs aufgeführte Sekundärliteratur wirkt recht zufällig. Die profunde Arbeit von Theodor Brüggemann[5] sowie der von Heinrich Pleticha bereits 1985 herausgebene einschlägige Sammelband[6] fehlen und die Bio-Bibliographie von Sternfeld/Tiedemann wird überhaupt nicht erwähnt.

Der Ausstellungskatalog ist mit zahlreichen Photos aus Kinderbuchverfilmungen und Beispielen von Buchillustrationen, Einbänden und Buchumschlägen gut ausgestattet. Es ist wichtig, daß die Ausstellung mit ihren Texten und Bibliographien in einem Katalog festgehalten wurde. Beide Bibliographien vermitteln einen Eindruck vom Bemühen sowohl der jüdischen wie der ins Exil getriebenen Autoren, der nazistischen oder indifferenten Kinderliteratur eine positive Literatur entgegenzusetzen. Für die Erforschung der Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts sind die beiden Bibliographien wichtige Grundlagen.

Heinz Wegehaupt


[1]
Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur / unter Mitarb. von Otto Brunken ... Hrsg. von Reiner Wild. - Stuttgart : Metzler, 1990. - X, 476 S. : Ill. - ISBN 3-476-00714-6 : DM 68.00. (zurück)
[2]
Deutsche Exilliteratur 1933 - 1945 : eine Bio-Bibliographie / Wilhelm Sternfeld ; Eva Tiedemann. - 2., erw. Aufl. - Heidelberg : Schneider, 1970. - 600 S. - (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ; 29). (zurück)
[3]
Erich Kästner und Walter Trier : eine fast vollständige Büchersammlung & Bibliographie der beiden Moralisten und Menschenkenner. - Heidelberg : Antiquariat Hatry, 1994. - 118 S. ; 21 cm. - (Katalog / Antiquariat Hatry ; 5). - DM 23.00. - (Antiquariat Hatry, Plöck 93a, 69117 Heidelberg) [2476]. - Vgl. IFB 95-2-220. (zurück)
[4]
Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur : Personen-, Länder- und Sachartikel zu Geschichte und Gegenwart der Kinder- und Jugendliteratur ; in 3 Bänden (A - Z) und einem Ergäzungs- und Registerband / [erarb. im Institut für Jugendbuchforschung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt/Main]. Hrsg. von Klaus Doderer. - Weinheim ; Basel : Beltz [0931]. - 1 - 3. - 1975 - 1979. - Erg.-Bd. - 1982. - Vgl. zuletzt ABUN in ZfBB 29 (1982),6, S. 523 - 525. (zurück)
[5]
Jüdische Kinder- und Jugendliteratur im nationalsozialistischen Deutschland / Theodor Brüggemann. // In: Aus dem Antiquariat. - 1992,10 (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. - 159 (1992),87), S. A417 - A428. (zurück)
[6]
Das Bild des Juden in der Volks- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945 / Heinrich Pleticha (Hrsg.). - Würzburg : Königshausen und Neumann, 1985. - 240 S. : Ill. - (Schriftenreihe der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach ; 7). - ISBN 3-88470-201-6. (zurück)

Zurück an den Bildanfang