Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 3
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Wörterbuch zur Politik


95-3-449
Wörterbuch zur Politik / Manfred G. Schmidt. - Stuttgart : Kröner, 1995. - VIII, 1106 S. ; 18 cm. - (Kröners Taschenausgabe ; 404). - ISBN 3-520-40401-X : DM 58.00
[2899]
95-3-450
Das kleine Staatslexikon : Politik, Geschichte, Diplomatie, Recht / Rudolf Weber-Fas. - Stuttgart : Klett-Cotta, 1995. - 602 S. ; 22 cm. - ISBN 3-608-91281-9 : DM 68.00
[2905]

Das Wörterbuch zur Politik umfaßt mit seinen über 3300 Lemmata (mit sehr sorgfältig und wissenschaftlich fundiert ausgewählten Literaturhinweisen) allgemeine Fachbegriffe der Politikwissenschaft, Artikel zu Institutionen und Themen der Politik (vor allem der Bundesrepublik) sowie zu den internationalen Beziehungen und politischen Strömungen und Weltanschauungen. Zusammenhänge werden durch eine großzügige und zuverlässige Verweisungspraxis verdeutlicht. Auf Personeneinträge wurde verzichtet. Redaktionsschluß war Ende September 1994, in einigen Fällen wurde auch danach noch aktualisiert (z.B. Ergebnisse der Bundestagswahl vom Okt. 1994). Es handelt sich um ein neu konzipiertes, neu verfaßtes und in nur wenigen Fällen auf dem im selben Verlag früher erschienenen Sachwörterbuch der Politik[1] basierendes Wörterbuch, das sich vom Vorgänger u.a. dadurch unterscheidet, daß es stark der politikwissenschaftlichen Forschung verbunden ist und hier gut fundierte Sachartikel bietet. Dies zeigt sich besonders prägnant bei komplexen politologischen Begriffen, die durchweg zuverlässig, umfassend und dem neuesten Forschungsstand entsprechend erklärt werden (z.B. Interdependenz, Policy). Selbst bei Begriffen wie Governance, die sehr komplizierte theoretische Zusammenhänge und/oder divergierende Fachtermini umfassen, sind die Auskünfte stets klar, zutreffend und werden dem wissenschaftlichen Anspruch voll und ganz gerecht, ja sind sogar sprachlich von auffallender Qualität. Uneingeschränkt positiv ist auch der Eindruck bei Artikeln zu Begriffen des politischen Systems und der praktischen Politik: knapp und präzise, trotzdem anschaulich durch aktuelle und treffende Beispiele, statistische Angaben, Vergleiche u.ä. - Man vermißt gender oder Geschlechterforschung, nicht nur aus "political correctness" (was ebenfalls einen eigenen Eintrag verdient hätte!). - Wegen der konzeptionellen Erweiterung im Vergleich zum Vorgänger von Reinhart Beck wird man jetzt uneingeschränkt zum Wörterbuch zur Politik von Manfred G. Schmidt greifen. Auch für Fachstudenten ein Muß, bevor man z.B. mit den namentlich gezeichneten Handbuchartikeln im ebenfalls sehr aktuellen Politik-Lexikon[2] seine Recherche vertiefen kann.

Das kleine Staatslexikon will "in bündiger Kürze über eine Fülle wichtiger Institutionen, Personen und Ereignisse aus Politik, Geschichte, Diplomatie und Recht" informieren und erläutert ca. 5500 Stichwörter für "Studium und Praxis, für Menschen in Politik und Medien, in Staatsdienst, Wirtschaft und Kultur" (S. 9). Die sehr knappen Artikel betreffen Begriffe sowie Personen, und häufig handelt es sich lediglich um Übersetzungen von Fremdwörtern, wobei die fremdsprachige Herleitung nicht durchgängig geboten wird. Die Querverweisungen sind zuverlässig, die Kolumnentitel leider nicht. Eine Vielzahl von Hinweisen auf weiterführende Literatur markiert eine Besonderheit: man findet sie nur bei deutschen verfassungsrechtlichen Termini und dann wird stets nur auf ein einziges Werk verwiesen - auf das Wörterbuch zum Grundgesetz[3] desselben Verfassers. Zur Aktualität kann nur aus einigen Einträgen rückgeschlossen werden, da sich weder Autor noch Verlag zum Redaktionsschluß äußern: Er liegt zumindest teilweise noch vor Ende 1993, da die Apartheid noch nicht abgeschafft war. Rein juristische Definitionen sind zutreffend, doch bei Begriffen bundesdeutscher Verfassungswirklichkeit und des politischen Alltags stößt man schnell an Grenzen: Das kleine Staatslexikon kennt keinen Verfassungspatriotismus und Verfassungstreue nur als Grundsatz des Berufsbeamtentums. Bei (zeit-)historischen, kulturellen und politischen Begriffen sind die Auswahlkriterien unklar: Begriffe wie Ehrgeiz, Gentilhomme, Hippies, Homo sapiens, Weltwunder, Westwall oder Wille hätte man hier nicht vermißt, andernorts zudem besser erklärt bekommen (völlig unverständlich ist ein Eintrag wie Neger). Die Gewichtung einzelner Einträge ist häufig fragwürdig: in einem Staatslexikon sollte Jeanne d'Arc keinen größeren Eintrag erhalten als Aristoteles! Zudem kann und soll ein Fachlexikon nicht die Funktion eines allgemeinen Fremdwörterbuchs übernehmen, Einträge wie Neo...: (Neu) oder Interesse: Vorteil, Nutzen, Neigung sind überflüssig.

Schwerer wiegen die inhaltlichen Bedenken: Statt das Wesentliche präzise zu erfassen, wertet der Autor häufig bloß: über Carl Schmitt ("Autor glänzend geschriebener, ebenso wirkungsvoller wie umstrittener Thesen und Sentenzen" - das Warum bleibt verborgen), Emigration (ein "vom Standpunkt der Betroffenen oft höchst betrübliches Phänomen"), Kriegsverbrecherprozesse ("... deren Rechtsgrundlage nicht zweifelsfrei ist" - keine Erwähnung des Kellogg-Paktes!), APO ("bezeichnet die Protestbewegungen mit z.T. gewalttätigen Exzessen"). Ärgerlich sind auch einseitig wertende Erläuterungen von Begriffen, die doch nur durch die Nennung mehrerer Facetten, d.h. in ihrer Widersprüchlichkeit faßbar sind, z.B. Multikulturalität (hier wird in fünf von sechs Zeilen ausschließlich die "unerwünschte Multikulturalität" juristisch begründet). Geradezu empörend sind bestimmte euphemistische Definitionen, z.B. bei Ghetto ("Bezeichnung für räumlich abgegrenzte Wohnbezirke rassischer, religiöser und anderer Minderheiten" - der entscheidende Aspekt der Repression fehlt); über die Neue Rechte wird lediglich erläutert, daß sie nicht mit "Neofaschismus" verwechselt werden dürfe und auf Neokonservativismus verwiesen ("seit den 70er Jahren in Deutschland eine Art Gegenbewegung zur marxistischen Gesellschaftstheorie und zur politischen Praxis der Linken").

Resultat: Ein nur sehr eingeschränkt brauchbares, keineswegs empfehlenswertes Nachschlagewerk.

Klaus Ulrich Werner


[1]
Sachwörterbuch der Politik / Reinhart Beck. - 2., erw. Aufl. - Stuttgart : Kröner, 1986. - VII, 1101 S. - (Kröners Taschenausgabe ; 400). - ISBN 3-520-40002-2. - 1. Aufl. (1977). (zurück)
[2]
Politik-Lexikon / hrsg. von Everhard Holtmann unter Mitarb. von Heinz Ulrich Brinkamm und Heinrich Pehle. - 2., überarb. und erw. Aufl. - München [u.a.] : Oldenbourg, 1994. - VIII, 742 S. - ISBN 3-486-22566-9 : DM 78.00 [1906]. - Vgl. IFB 94-3/4-530. (zurück)
[3]
Wörterbuch zum Grundgesetz / Rudolf Weber-Fas. - Stuttgart : Klett-Cotta, 1993. - 372 S. ; - ISBN 3-608-93054-X : DM 48.00. - Taschenbuchausg. in Vorbereitung. (zurück)

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