Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 3
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Die Kirchen und Klöster Moskaus


95-3-415
Die Kirchen und Klöster Moskaus : ein landeskundliches Handbuch / von Sebastian Kempgen. - München : Sagner, 1994. - 698, C S. ; 25 cm. - (Sagners slavistische Sammlung ; 21). - ISBN 3-87690-566-4 : DM 135.00
[2031]

Von einem "Buch ..., das den Rahmen des Üblichen in mehr als einer Hinsicht sprengt", spricht der Verfasser am Ende seines Vorworts (S. 6). Der Rezensent schließt sich dieser Auffassung uneingeschränkt an und erklärt diese Sprengung des üblichen Rahmens auch in einer Weise, an die der Verfasser vielleicht nicht gedacht hat. Es handelt sich nämlich dabei auch um die Sprengung des durch das Spezialistentum gezogenen Rahmens. Der Verfasser hat sein wissenschaftliches Standbein in der slawischen Sprachwissenschaft[1] und legt ein Werk vor, das nach zehnjähriger Arbeit (Vorwort) eine überwältigende Fülle stadt-, staats- und sozialgeschichtlicher Kenntnisse und architekturgeschichtlichen Wissens ausbreitet, untermauert durch eine chronikalische Geschichte Moskaus (S. 27ff.) und gestützt auf eine Bibliographie (Anhang S. VI - C), die zu Recht als "sicher die umfangreichste ihrer Art" (S. VII Anhang) bezeichnet wird. Wenn der Verfasser an "landeskundlich und kulturgeschichtlich Interessierte" und an Slawisten als Adressaten denkt, ist das verständlich (Vorwort). Die Einbeziehung der Moskau-Reisenden in den Adressatenkreis wird man nur verstehen können, wenn man dabei nicht an den Massentourismus denkt, sondern an die durchaus vorhandene, aber kleine Schar der gebildeten und wissenshungrigen Reisenden. In wie hohem Maße das Buch der zeitgeschichtlichen Situation und den dadurch entstandenen Bedürfnissen entgegen kommt, erhellt u.a. schon die Bemerkung aus dem Vorwort "Anspruch ... zum ersten Male seit 1917 einigermaßen vollständig zu dokumentieren, welche Kirchen und Klöster es in Moskau überhaupt noch - in welcher Form auch immer - als Bauwerk gibt."[2] Dies geschieht mit einer Gründlichkeit, die bereits an der Systematik des Werkes abzulesen ist: 1. Kreml (S. 51 - 107), 2. Kitaj-Gorod (S. 109 - 171), 3. Belyj Gorod und Zemljanog Gorod (S. 173 - 336), 4. Zamoskvorec'e (S. 227 - 421), 5. Westen (S. 423 - 467), 6. Süden (S. 469 - 504), 7. Norden (S. 505 - 554), 8. Nordosten (S. 555 - 601), 9. Osten (S. 603 - 698). In diesem systematischen Rahmen beschreibt der Verfasser 249 Objekte in meist mehrfach durch Abbildungen veranschaulichten Einzelartikeln, die nach Nennung des Bauwerks, seiner Adresse und topographischen Lage die erwähnte Fülle entstehungsgeschichtlicher, kunsthistorischer und in weitestem Sinne historischer Fakten ausbreiten, denen sich abschließend Literaturangaben anfügen, die auf das beigegebene Literaturverzeichnis bezogen sind.

Bemerkungen zu Aussprache und Schreibung des Russischen (S. 7), Abkürzungen und Worterklärungen (S. 8) sind für die Benutzung unerläßlich. Die vor der bereits erwähnten Bibliographie stehenden Tafeln der Moskauer Metropoliten, russischen Patriarchen, Moskauer Erzbischöfe bzw. Metropoliten, russischen Patriarchen II, Moskauer Fürsten, Großfürsten von Vladimir und Moskau, Großfürsten von Moskau, Moskauer Zaren (S. I - V) helfen zu höchst wünschenswerter Orientierung.

Die Bibliographie allein qualifiziert diese Arbeit schon in besonderer Weise für den Informationsapparat jeder wissenschaftlichen Bibliothek.[3] Da die angegebene Literatur gelegentlich begrüßenswert über den eng verstandenen Gegenstand hinausgeht, wäre ein Titel empfehlenswert,[4] der andeutet, daß die Stadtthematik in Rußland sich nicht auf Moskau beschränkt. Schließlich gibt es ja eine Stadtproblematik, die von der "freimachenden Stadtluft" bis zum "Sündenpfuhl Großstadt" reicht und die ein unerschöpfliches und konstitutives Thema europäischer Entwicklung ist. Ob man weiter als geschehen bibliographisch die Millenniumsliteratur erwähnen sollte, sei dahingestellt.[5] Daß das Thema Stadt aktuell ist, läßt sich an manchen Neuerscheinungen ablesen.[6] Allerdings wäre eine Arbeit zur Troice-Sergieva Lavra aufzunehmen.[7] Die Fülle des beigefügten Abbildungsmaterials und die bibliographische Durcharbeitung verdient besondere Zustimmung. Der Verfasser verfügt als slawistischer Sprachwissenschaftler nicht nur über die oben genannten zusätzlichen Kenntnisse, sondern ist auch im nötigen Umfang kirchengeschichtlich-liturgisch bewandert. Zu erwähnen ist auch die angemessene Berücksichtigung der Friedhöfe, die wissenschaftliches Interesse beanspruchen.[8] Ob man bei einer 2. Auflage die erhebliche Mühe, ein Sachregister zu erstellen, investieren sollte, ist zu fragen. Das Werk hat nicht nur Bedeutung für interessierte Ausländer und Informationsabteilungen wissenschaftlicher Bibliotheken. Es hilft auf einem Gebiet auch den Russen bei ihrer unumgänglichen Arbeit an der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte seit 1917 und an der Wiedergewinnung einer Identität,[9] wozu der hier so gründlich, umfänglich und mustergültig bearbeitete Gegenstand unverzichtbar gehört.[10] Gelegentlich weist der Verfasser auf Einschränkungen hin, denen er sich unterwerfen mußte, wie z.B. bei Haus- und Privatkirchen. Dafür muß man angesichts der enormen Leistung Verständnis haben. Sind doch die berücksichtigten Objekte keineswegs nur orthodoxer Provenienz, so daß von ihnen überdies eine Anregung für speziell kirchengeschichtliche Arbeiten ausgeht.

Dieses herausragende Werk der Kulturgeschichte wird für lange Zeit mit dem Namen eines slawistischen Sprachwissenschaftlers aus Bamberg, woher man slawistisch auch sonst Gutes hört,[11] verbunden bleiben. Der Dank dafür ist groß, interdisziplinär, international und nicht zuletzt bibliothekarisch. Persönlich dankt der Rezensent für eine Erinnerung an einen unvorbereiteten Besuch mit nachhaltigem Eindruck in Fili (S. 449 - 451).

Horst Röhling


[1]
So bescheinigt ihm eine Rezension in: Zeitschrift für Slawistik. - 39 (1994), S. 155 "Neuigkeitswert in der russischen linguistischen Literatur". (zurück)
[2] Daß Zerstörtes wieder aufgebaut werden soll, läßt FAZ vom 11.04.1994, S. 31 hoffen. (zurück)
[3]
Der Verfasser wolle es der Beckmesserei des Rezensenten nachsehen, wenn er auf die Orthographie des Namens Stökl (S. LXXXVII) hinweist und einen Buchtitel korrigiert (Handbuch der Geschichte Rußlands, S. XLVIII). (zurück)
[4]
Grossnowgorod und das Reich der heiligen Sophia / Konrad Onasch. - Leipzig : Koehler & Amelang, 1969. - 201 S. (zurück)
[5]
Vgl. Mitteilungsblatt / Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen. - N.F. 39 (1989), S. 456 - 460 sowie ebda. 43 (1993), S. 127 - 131. (zurück)
[6]
Jenseits des Großen Oktober : das Laboratorium der Moderne ; Petersburg 1901 - 1921 / Karl Schlögel. - Berlin : Siedler, 1988. - 541 S. - Moskau - offene Stadt : eine europäische Metropole / Karl Schlögel. - Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1992. - 415 S. - (rororo ; 9188). - Das Wunder von Nishnij oder Die Rückkehr der Städte : Berichte und Essays / Karl Schlögel. - Frankfurt am Main : Eichborn-Verlag, 1991. - 400 S. - (Die Andere Bibliothek ; 77). (zurück)
[7]
Troice-Sergieva Lavra : chudozestvennye pamjatniki / Red.: N. N. Voronin ... - Moskva : Izdat. "Iskusstvo", 1968. - 186 S. (zurück)
[8]
Zu denken ist an den historischen Friedhof von St. Petersburg. Vgl. aber auch: Inskrypcje grobów polskich na cmentarzach w Paryzu Montparnasse / Malgorzata Gmurczyk-Wronska. - Warszawa, 1991. - Inskrypcje grobów polskich na cmentarsach w Paryzu-Pere Lachaise / Andrzej Biernat. - Warszawa, 1991. (zurück)
[9]
Was macht die Kniznaja letopis' zu einer der interessantesten Lektürestoffe der Gegenwart? / Horst Röhling. // In: Referate und Beiträge / ABDOS. - 22. Den Haag, 7. bis 10. Juni 1993 / zsgest. von Walter Andreesen. - Berlin, 1994. - (Veröffentlichungen der Osteuropa-Abteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz ; 17) (ABDOS-Tagung ; 22), - S. 53 - 54. (zurück)
[10]
Daß inzwischen auch auf russischer Seite an der Inventarisierung kirchlicher Baudenkmäler gearbeitet wird, belegen eindrucksvoll einige neuere Publikationen (die angegebenen DM-Preise sind die von Kubon & Sagner, München):
Pravoslavnaja Moskva : spravocnik dejstvujuscich monastyrej i chramov. - Moskva : Izdat. Bratstva Svjatitelja Tichona, 1993. - 192, 16 S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 5-86407-001-7 : DM 18.00.
Sorok sorokov : kratkaja illjustrirovannaja istorija vsech moskovskich chramov. - Moskva : Kniga i Biznes. - 25 cm. - ISBN 5-212-00500-0. - T. 1. Kreml' i monastyri. - 1992. - 415 S. : Ill. - ISBN 5-212-00501-9 : DM 35.00. - T. 2. Moskva v granicach sadovogo kol'ca ... - 1994. - 645 S. : Ill. - ISBN 5-7119-0013-7 : DM 45.00.
Chramy Sankt-Peterburga: istorija i sovremennost' ; spravocnoe izdanie / S. S. Sul'c. - Sankt-Peterburg : "Galgol'", 1994. - 320 S. ; 30 cm. - ISBN 5-85381-024-3 : DM 60.00. - Verzeichnet und beschreibt mehr als 840 Kirchen von 12 Konfessionen. [sh] (zurück)
[11]
Quellen und Beiträge zur kroatischen Kulturgeschichte / Fach Slavische Philologie der Universität Bamberg. - Bamberg : Bayerische Verlags-Anstalt. - 1 (1989) - (zurück)

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