Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 2
[ Bestand in K10plus ]

Johann Wolfgang Goethe


95-2-219
Johann Wolfgang Goethe / Benedikt Jeßing. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1995. - X, 259 S. ; 19 cm. - (Sammlung Metzler ; 288). - ISBN 3-476-10288-2 : DM 26.80
[2731]

Dieser Band der Sammlung Metzler will in das literarische, naturwissenschaftliche und autobiographische Werk Goethes an ausgewählten Textbeispielen einführen, zu denen die Forschungslage referiert wird. Dementsprechend gliedert er sich in Kapitel zu: I. Lyrik, II. Drama, III. Prosa (jeweils weiter unterteilt nach Sturm und Drang, Klassizismus und Spätwerk), IV. Naturwissenschaftliche Schriften, V. Autobiographische Schriften, VI. Rezeption. Der Darstellung folgen ein Abkürzungsverzeichnis (VII) und eine Bibliographie (VIII).

"Insgesamt fühlt sich die Einführung der Argumentation Hans Mayers verpflichtet, der ... eine 'genauere, verstehende, nicht beschönigende Darstellung der Mißerfolge, Anachronismen, Ungleichzeitigkeiten' im Leben Goethes einforderte ... - einen Gegenentwurf also zur mythischen Überhöhung der angeblich ganzheitlichen Person Goethes, die von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an fast über ein Jahrhundert lang die Rezeption dominierte" (S. IX f.). Es ist hier nicht der Ort, zu fragen, ob mit solchen Formulierungen eher ein Popanz allererst aufgebaut wird, gegen den sich dann trefflich nach Art des Don Quixote anrennen läßt, oder ob sie auch dem Bedürfnis entspringen, sich das Inkommensurable durch Obtrektation gefügig zu machen.

Im Kapitel Rezeption handelt ein Abschnitt vom Werther, der bei Carl Philipp de Bonafants Neuem Werther von l804 endet. Dafür kommen Ulrich Plenzdorfs Neue Leiden des jungen W. nicht in den Blick. Nichts liest man von Peter Hack's Gespräch im Hause Stein, nichts von der Goethe-Rezeption bei Thomas Brasch (Herr Geiler), Stephan Hermlin (Scardanelli) oder Peter Weiss (Hölderlin). Stattdessen anderthalb Seiten über den Anteil von Goethe-Devotionalien als Beitrag zur Goethe-"Verkultung". Keine Analyse des Goethe-Kults im George-Kreis, stattdessen ein in der Verkürzung ans Absurde grenzender Rundum-Aufwasch, der naiv-populäre Goethe-Verehrung, Faschismus, Emil Staiger, den Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses und die Goethe-Gesellschaft, "wirkmächtigste Statthalterin der konservativen Grundlagenforschung zu Leben und Werk Goethes" (S. 198), als erst "mit der Studentenbewegung ... entlarvte(s) ... Ideologem der bürgerlichen Machtsicherung" (S. 201) behandelt.

Auf alles Biographische will die Einführung verzichten - und kommt dann doch, z.B. im Werther-Abschnitt ganz schnell wieder zum Biographismus, etwa wenn unter den verschiedenen Deutungsmustern Eisslers psychoanalytische Variante vorgestellt wird, der das Werk deutet "als Versuch, sich über den autotherapeutischen Text aus der engen Schwesterbindung zu lösen" (S. 121).

Sprachliche Entgleisungen stören des öfteren. Da heißt es etwa S. 16: "Die Harzreise gehört ganz zu Recht zu den schwierigsten Gedichten Goethes" - als wäre sie daran selber schuld, recht geschieht ihr [der Harzreise], gemeint ist natürlich "wird zu Recht zu den schwierigsten Gedichten gezählt". Warum nur können Literaturwissenschaftler heute nicht mehr sagen oder schreiben, was sie meinen?

Nehmen wir die Bibliographie in den Blick. Da fällt zuerst auf, daß im Text verkürzt Zitiertes in der Bibliographie häufig fehlt, so z.B. die Ausgabe der Gespräche durch Biedermann. Ganz unterschlagen wird die Neuausgabe der Gespräche durch Wolfgang Herwig (1965 - 1987, Bd. 1 - 5), die die im Kapitel Rezeption ohne Vornamen des Herausgebers erwähnte Edition Flodoard von Biedermanns ersetzt. Sodann werden im ersten Abschnitt zwar die verschiedenen Ausgaben vorgestellt, ihre Besonderheiten aber nicht zureichend beschrieben. So ist zwar der dtv-Nachdruck der Weimarer Ausgabe angeführt, daß diese und nur diese Ausgabe aber auch die von Paul Raabe besorgten drei Nachtragsbände zu den Briefen umfaßt, erfährt man nicht. Die Gliederung der Bibliographie folgt dem Aufbau des Bandes, stellt aber die Biographien in einem eigenen Abschnitt voran. Warum die Biographien von Börner, Friedenthal und Hölscher-Lohmeyer in dieser Rubrik, die alte positivistische von Bielschowsky aber am Ende in der Rubrik Rezeption auftaucht, bleibt unerfindlich. (A propos Lohmeyer: es ist ja schwierig, wenn diese bekannte Goethe-Forscherin mal unter Lohmeyer, mal unter dem zitierten Doppelnamen publiziert - im Register sollte das aber, wenigstens über eine Verweisung, zusammengeführt werden.) Sehr oft werden neuere Ausgaben nicht zitiert, so fehlt bei K. R. Eissler Goethe : eine psychoanalytische Studie (S. 206) neben dem Übersetzungsvermerk auch die dtv-Ausgabe. Dafür wird Walther Killys Wahlverwandtschaften-Aufsatz von 1961 S. 243 gleich zweimal zitiert, einmal mit dem Vornamen Walter. A. Schönes Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult wird mit den Studien zur Harzreise (S. 211) und zur Walpurgisnacht (S. 228) nach der Ausgabe von 1982 zitiert, so daß dem Benutzer die erheblichen Texterweiterungen und kritischen Retraktationen unterschlagen werden, die sich u.a. auch mit "K. Weimar (1984)" (so zitiert S. 16, zu finden unter Wellbury S. 211) auseinandersetzen.

Über die laufende Bibliographie im Goethe-Jahrbuch erfahren wir (S. 206), daß sie bis 1971 von Heinz Nicolai zusammengestellt worden sei und seit 1972 von Hans Henning bearbeitet werde - nicht jedoch, daß sie nach der Wiedervereinigung in die Hände von Heidi Zeilinger übergegangen ist. Im Abschnitt zum West-östlichen Divan werden Aufsätze, die in einem verzeichneten Sammelband der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft vereinigt sind, bald nach diesem Wiederabdruck, bald nach der Erstveröffentlichung zitiert. In demselben Abschnitt fehlen die wichtigen Studien von D. Hölscher-Lohmeyer, P. Michelsen und H.-J. Weitz sowie die Arbeiten von H. H. Schaeder und I. H. Solbrig zum orientalistischen Kontext des Divan.

Wer eine fundierte knappe Auswahl-Bibliographie der Goethe-Literatur sucht, findet sie in dem Reclam-Band von H. G. Hermann.[1]

Hans-Albrecht Koch


[1]
Goethe-Bibliographie : Literatur zum dichterischen Werk / zsgest. von Helmut G. Hermann. - Stuttgart : Reclam, 1991. - 327 S. - (Universal-Bibliothek ; 8692) - ISBN 3-15-008692-2 : DM 15.00. (zurück)

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