Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
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The Oxford guide to classical mythology in the arts, 1300


94-3/4-492
The Oxford guide to classical mythology in the arts, 1300 - 1990s / Jane Davidson Reid. With the assistance of Chris Rohmann. - New York ; Oxford : Oxford University Press, 1993. - Vol. 1 - 2 ; 27 cm. - ISBN 0-19-504998-5 : $ 195.00, ś 140.00
[2402]

Ikonographische Themen erfreuen sich immer noch nicht nur großer Beliebtheit bei Promovenden und führen dann nicht selten zu meist opulenten Zusammenstellungen zu Einzelaspekten, sondern sie begleiten auch sonst in verschiedenster Hinsicht wissenschaftliche Untersuchungen und Fragestellungen. Hier konnte ein neueres umfassendes Nachschlagewerk gerade zum Komplex mythologischer Themen und ihrer Rezeption in den Künsten in übergreifender Darstellung lange als Desiderat gelten. Jane Davidson Reid legt jetzt mit dem Oxford guide to classical mythology in the arts eine in ihrer Fülle beeindruckende Zusammenstellung zur Rezeption antiker Themen in den Künsten von der Frührenaissance bis zur Gegenwart vor und damit zugleich auch ein "Lebenswerk". Im Vorwort beschreibt sie ausführlich die Genese dieses 1948 eher beiläufig angestoßenen, dann Familie, Freunde und Kollegen miteinbeziehenden, schließlich in seiner Endphase projektartig organisierten Unterfangens einer derartigen Stoffsammlung aus den Bereichen bildende Kunst, Literatur, Musik und Tanz. Die umfangreiche Liste der hierfür ausgewerteten Literatur reicht von Lexika bis zu monographischen Darstellungen zu Einzelthemen; auch die Abbildungssammlung und weitere Hilfsmittel des Warburg Institute in London wurden herangezogen. Für die Auswertung schriftlicher Quellen liegt der Schwerpunkt deutlich bei der anglo-amerikanischen (Forschungs-)Literatur; soweit bei Werk- und Bestandsverzeichnissen (z.B. von Museen) die Konsultation nicht-englischsprachiger Literatur unvermeidbar war, glänzt das Quellenverzeichnis (so bei den deutschsprachigen Titeln) mit Schreibfehlern.

Die Anlage des Lexikons ist alphabetisch nach Personen und Themen der klassischen Mythologie, die Namensansetzung (z.B. der Götter) folgt grundsätzlich der griechischen Form mit Verweisung von der lateinischen (Eintrag unter Aphrodite, Verweisung von Venus). Ausgeschlossen sind Personen der antiken Geschichte sowie Allegorien. Der jeweilige Eintrag wird von einer kurzen Themenbeschreibung mit Angabe der klassischen Quellen eröffnet. Es folgen dann in rein chronologischer Abfolge die jeweiligen Themenbearbeitungen von der Frührenaissance (in Ausnahmefällen auch des Mittelalters) bis zur Gegenwart, und zwar im Sinne einer absoluten Chronologie der Einzelwerke, nicht der Künstler und damit des Gesamtoeuvres. Ausschlaggebend für die Einordnung der Werke ist dabei das Aufführungs-, Veröffentlichungs- oder Ausstellungsdatum. Die Angaben führen dabei normiert auf: Künstlername, Werktitel, Medium, Datierung, Lokalisierung; werk- bzw. künstlerbezogene Quellen-, Literaturangaben ergänzen den Eintrag. Es gibt keine künstespezifische Ordnung des Materials. Auch wenn eine rein chronologische Schau der Tradierung mythologischer Stoffe durchaus ihre Reize hat, so wird doch in vielen Fällen das Interesse spartenbezogen eingegrenzt sein. Um dieser Suchstrategie entgegenzukommen hätte es schon genügt, die Kunstwerke der verschiedenen Sparten mit entsprechenden Siglen am Rand zu markieren. Dafür ist die Suche durch die reine Chronologie eher mühselig, zumal die Anzahl der in einem Eintrag zusammengestellten Werke hoch ist und eine thematische Feindifferenzierung nicht immer vorgenommen wurde bzw. werden konnte, so daß selbst in diesen Fällen die Fülle kaum reduziert erscheint. Beispielhaft sei der Eintrag Orpheus genannt, der untergliedert ist in General list mit ca. 350, Orpheus and Eurydice mit über 450 und Death of Orpheus mit weiteren 100 Nennungen von Werken.

Neben der primären themenalphabetischen Ordnung des Lexikons wird über ein zusätzliches Künstlerregister das Material nochmals dahingehend differenziert erschlossen, daß zum Künstler (mit Angabe von Lebensdaten und "Sparte") die mythologischen Themenbereiche, zu denen Werke ins Lexikon Eingang fanden, aufgeführt werden. Nicht mehr angegeben werden dann Datierungen für Einzelwerke, die das schnelle Auffinden innerhalb des Eintrags erst ermöglicht hätten, noch wenigstens Seitenzahlen, so daß beim Einstieg über das Künstlerregister immer nur ein ungefähres Orientieren im Artikel anhand der Lebensdaten des Künstlers möglich ist. Auch wenn es grundsätzlich durchaus erfreulich ist, daß derartige lexikalische Unternehmen noch in Buchform präsentiert werden, so wäre im vorliegenden Fall aber eine größere Investition bei der Registererschließung mehr als wünschenswert gewesen.[1] Solche verlegerisch letztlich nicht ausgereiften Projekte lassen den Wunsch nach einer anderen Angebotsform wie etwa der CD-ROM aufkommen: hier wären Beschränkungen dieser Art nicht zu erwarten und zudem weitergehende mehrdimensionale, künste- und gattungsspezifische Sucheinstiege möglich gewesen.

Bleibt zuletzt die Frage nach Qualität und Umfang der Materialzusammenstellung. Nicht immer offensichtlich sind dabei die Auswahlkriterien. So bleibt unklar, ob etwa in Fällen unsicheren oder komplizierten Werkverbleibs (auch wenn durchaus noch Abbildungsmaterial zum betreffenden Werk bekannt und vorhanden ist) auf eine Erfassung bewußt verzichtet wurde,[2], inwieweit sekundäre Ikonographien von Kunstwerken erfaßt wurden, ob und in welcher Form Deutungsspektren Berücksichtigung fanden, wie die zeitliche Begrenzung 'Gegenwart' gezogen ist usw. In allen Punkten wäre eine eindeutigere Darlegung der Kriterien wünschenswert gewesen. Natürlich können über solche eher grundsätzlichen Anmerkungen zur Materialauswahl hinaus auch ganz konkret Stichproben zu ihrer Einschätzung gezogen werden, und man wird dabei auf erstaunliche Fälle von Auslassung stoßen: So wird etwa von Gustave Moreau zu Jason das 1897 begonnene, aber unvollendet gebliebene Bild Die Rückkehr der Argonauten (heute im Mus‚e Gustav Moreau in Paris) aufgeführt; nicht verzeichnet wird dagegen das 1865 im Pariser Salon ausgestellte und sich heute ebenfalls im Mus‚e Gustave Moreau befindliche Gemälde Jason und Medea (auch kein Eintrag unter Medea) usw. Doch letztlich ist es müßig mit solchen Einzelbeispielen, die sich für jeden Themeneintrag finden lassen, aufzutrumpfen. Vielmehr muß klar sein, daß Vollständigkeit auf dieser Ebene nicht mehr möglich ist. Jane Davidson Reid hat mit ihrem Werk in herausragendem Umfang Material zur Rezeption antiker Mythologie in den Künsten von Christine de Pizan bis zu John Cranko und Horst Antes vorgelegt und damit für viele weiterführende Studien die Basis bereitet; Fülle des Materials und Lebenswerk können hier nur zugleich gewürdigt werden.

Angela Karasch Bleibt noch zu prüfen, inwieweit sich dieses neue Werk mit den wichtigeren anderen Standardwerken überschneidet oder sie gar ersetzt. Die größte Verwandtschaft besteht zu Hungers bekanntem Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, das die Verfasserin in der Liste ihrer Quellen zwar zitiert, allerdings in der längst überholten 5. Aufl. von 1959, während die neueste, erweiterte 8. Aufl. von 1988 heranzuziehen gewesen wäre.[3] Schon wegen des viel geringeren Umfangs hat der Hunger natürlich einen schweren Stand gegenüber dem neuen Werk, zu dem man künftig immer zuerst greifen wird, nämlich sowohl wegen seiner größeren Materialfülle als auch wegen der trotz der oben genannten Mängel leichteren Benutzbarkeit, da die Präsentation der Information bei Hunger im Falle von langen und komplizierten Artikeln (z.B. Herakles) überaus unübersichtlich ist. Dagegen vermißt man in dem neuen Werk die bei jedem Artikel des Hunger gegen Ende übersichtlich zusammengestellte Forschungsliteratur.

Anders sieht es mit Piglers Barockthemen[4] aus, den Reid gleichfalls ausgewertet hat und den sie z.T. sogar als Fundstelle zitiert. Eine Stichprobe mit dem von den Nymphen geraubten Hylas, ergab eine ganze Reihe von Nachweisen, die wegen Reids vermutlich engerer Auswahlkriterien nur bei Pigler vorkommen, auf dessen Konsultation man auch deswegen weiterhin nicht verzichten kann, weil er bei den Eintragungen häufig die einschlägige Forschungsliteratur zitiert; letzteres ist übrigens ein ganz besonderer Pluspunkt des Pigler, wobei zu bedenken ist, daß sich die zitierte Literatur sehr häufig nicht auf das 17. und 18. Jahrhundert beschränkt. Eine Neubearbeitung des Pigler wäre wohl gar nicht einmal unter dem Aspekt einer Vermehrung des Materials erforderlich - schon eher wegen der Registrierung neuer Zuschreibungen und neuer Standorte -, sondern nicht zuletzt wegen der Aktualisierung der Literaturangaben.

sh


[1]
Das für die Rezension benutzte Exemplar war in Band 2 zudem fehlerhaft: Quellen- bzw. Literaturverzeichnis und Künstlerregister waren teilweise vertauscht gebunden und lückenhaft. (zurück)
[2]
So evtl. für das Tafelbild von Hieronymus Bosch, Orpheus in der Unterwelt, 1530, aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln, das 1936 verkauft wurde? (Angaben nach Eintrag im Marburger Index). (zurück)
[3]
Lexikon der griechischen und römischen Mythologie : mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst, Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart / von Herbert Hunger. - 8., erw. Aufl. - Wien : Hollinek, 1988. - XI, 557 S. ; 21 cm. - ISBN 3-85119-230-3 : öS 580.00, DM 75.00 [1103]. - Vgl. ABUN in ZfBB 37 (1990),3, S. 258 - 260 und Buch und Bibliothek. - 42 (1990),3, S. 276 - 282. (zurück)
[4]
Barockthemen : eine Auswahl von Verzeichnissen zur Ikonographie des 17. und 18. Jahrhunderts / A. Pigler. - 2., erw. Aufl. - Budapest : Akad‚miai Kiad˘, 1974. - Bd. 1 - 3. - ISBN 963-05-0133-3. - Einschlägig ist hier Bd. 2. Profane Darstellungen. (zurück)

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