Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
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Literaturlenkung im "Dritten Reich"


94-3/4-440
Literaturlenkung im "Dritten Reich" : eine Bibliographie / Norbert Hopster ; Petra Josting ; Joachim Neuhaus. - Hildesheim [u.a.] : Olms. - 24 cm
[2120]
Bd. 1 (1993). - XVIII, 500 S. - ISBN 3-487-09686-2 : DM 138.00
Bd. 2. Eine annotierte Bibliographie von Bibliographien. - 1994. - 316 S. - ISBN 3-487-09878-4 : DM 138.00

Der erste Band bietet im ersten Teil Quellen, im zweiten Teil Forschungsliteratur zur Literaturlenkung durch das NS-Regime. Das große Verdienst des Bandes liegt zweifellos in der aus Bibliotheken und Archiven ans Licht gezogenen Fülle amtlicher Verlautbarungen von staatlichen und parteiamtlichen Einrichtungen, Verbänden, Kammern, Arbeitsgemeinschaften usw. Das Zurechtfinden ist alllerdings schwierig: Da lauten die Überschrift und der Eintrag im Inhaltsverzeichnis Deutsche Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums, in den Titelaufnahmen heißt die Körperschaft dann aber Akademie zur ..., und nur so findet man sie auch im Körperschaftsregister. Ein Beispiel für reichliche Konfusion, die vor allem systematische Gliederung betrifft. Sie wird weitgehend ausgeglichen durch das sehr ausführliche Inhaltsverzeichnis, das mit immerhin neun Seiten informativer ist als die drei Seiten Sachregister.

Der zweite Teil ist Organe überschrieben. Organe heißt hier Periodika, und wenn man die Einführung genau gelesen hat, weiß man, daß es sich hier auch um die Liste der ausgewerteten Peridodika handelt, während sich ganz am Ende - hinter den Registern - eine Liste der nicht ausgewerteten Bibliographien und Organe findet. Hochland und Das innere Reich finden sich in der Liste der Organe, die Corona nicht, obwohl aus ihr verschiedene Beiträge des "betörten Germanisten" (M. Rall) Josef Nadler zitiert sind. Gibt es also noch eine dritte, eine "virtuelle" Liste der zwar nicht verzeichneten, aber doch ausgewerteten Organe? Wieder Konfusion!

Den größten Teil des Abschnitts Literaturgeschichte nehmen Arbeiten zu - nach welchem Prinzip ausgesuchten? - einzelnen Autoren (von E. M. Arndt über Heine zu Wieland) ein. Darunter sind wahllos gemischt Arbeiten, die im Titel zu erkennen geben, wie sich die Wissenschaft an das politische System verraten hat, oder deren Verfasser sich als Wissenschaftler oder Literaten den Nazis angedient hatten (z. B. Heinz Kindermann, Franz Koch, Hermann Pongs oder Walter Thomas), aber auch solche Veröffentlichungen, in denen sich die riskierte Distanz zu den Nazis zeigt, etwa das Claudius-Buch von Bruno Adler (der Name Urban Roedl ist nicht als Pseudonym für Adler erkannt), der Gryphius-Aufsatz von Johannes Pfeiffer im Inneren Reich oder eine im Hochland erschienene Quellenedition von Briefen der Günderrode (noch als Günderode angesetzt).

Obwohl die entsprechenden Organe ausgewertet sind, wird zur Überraschung und Enttäuschung weder unter Literaturkritik noch unter Literaturgeschichte dokumentiert, wie sich die nationalsozialistische Literaturlenkung in diesen Zeitschriften durch "Förderung" der systemkonformen Autoren niedergeschlagen hat: nicht die Lobhudeleien eines Franz Koch auf E. G. Kolbenheyer 1941 in Dichtung und Volkstum oder auf Johannes Linke 1934 in der Neuen Literatur; nicht Franz Tumlers entgleiste Geburtstagsadresse an Hanns Johst 1940 im Inneren Reich; nicht Siegfried Caspers Johst-Buch (1940); nicht die "Literaturkritik" zu Grenzlandroman und -erzählung, wie sie sich 1939 in der (ausgewerteten) Zeitschrift für Deutschkunde spiegelt usw. usw. Hier wäre viel Interessantes, beinahe alles noch zu heben gewesen, wofür gern der Abschnitt Literaturgeschichte hätte ausgedünnt werden können.

So kommen auch all die Versuche nationalsozialistischer Literaturlenkung nicht in den Blick, die bereits vor der Machtergreifung auf publizistischer Ebene (aber teilweise, etwa in Thüringen, auch schon auf der institutionellen) stattfanden und in denen sich die erwähnte Kombination aus Unterdrückung und "Förderung" bereits abzeichneten. Zu diesem Komplex geben Hillesheim/Michael[1] mehr her.

Der zweite Teil mit der Forschungsliteratur bietet viel, wieder in einer wenig übersichtlichen Systematik, aber nicht genug, manchmal auch zuviel. Er ist auch mit dem ersten Teil nicht abgestimmt: So fehlt die grundlegende Monographie von Marlene Rall,[2] in der u. a. auch von den Gründen gehandelt wird, warum J. Nadler als Beiträger geduldet wurde. Zur Bücherverbrennung werden drei Seiten von Björn Engholm angeführt, die 30 Seiten aus R. Wittmanns Geschichte des deutschen Buchhandels zur NS-Zeit fehlen. Bei der unter Nr. 694 zitierte Autorin M. Elstermann handelt es sich um die bekannte Buchhandelshistorikerin Estermann.

Zu den Titelaufnahmen (für die Monographien folgen sie strikt den RAK mit aller daraus für eine Bibliographie resultierender Redundanz) finden sich gelegentlich unverständliche Notizen: Da heißt es zu J. Carl Ernst Sommer (Nr. 5548) "Vollständiger Vorname nicht zu ermitteln"; richtig wäre "nicht ermittelt", denn der Vorname Johann ist bekannt; da wird bei einem FAZ-Artikel aus dem Jahre 1957 (Nr. 7106) mitgeteilt "Seitenzahl nicht zu ermitteln" (Kommentar überflüssig!). Das Verfasserregister hätte nach der EDV-Rohfassung eine redaktionelle Überarbeitung erfahren müssen: dann wären die verschiedenen von Hans Frank gezeichneten Dokumente nicht bald nur unter dem Nachnamen, bald unter dem vollen Namen (durch dazwischengeordnete Einträge unterbrochen) zu finden.

Der zweite Band überzeugt von Konzeption und Durchführung her ungleich mehr als der erste. Er gliedert sich formal in die Rubriken:

A Allgemeine Bibliographien (Handbücher, Nachschlagewerke ..)

AA Allgemeine Bibliographien (nach 1945 erschienen)

B Bibliographien von staatlichen und parteiamtlichen Institutionen

C Bibliographien von Personen und Institutionen des Büchereiwesens

D Ablehnungs-, Säuberungs-, Verbotslisten

DD Ablehnungs-, Säuberungs-, Verbotslisten (nach 1945 erschienen)

E Bestandsverzeichnisse von Bibliotheken

F Auswahlverzeichnisse von Bibliotheken

G Verzeichnisse, Kataloge von Ausstellungen

GG Verzeichnisse, Kataloge von Ausstellungen nach 1945

H Bibliographien von sonstigen Personen und Institutionen

Unter den nur 19 Titeln zu A (darunter mehrere Übersetzungsbibliographien) fehlt die DNB, obgleich in AA (24 Titel, darunter das Handbuch der Exilpresse, H. Fromms Bibliographie deutscher Übersetzungen aus dem Französischen) völlig zu Recht die 1949 publizierten Ergänzungen 1 und 2 zur DNB verzeichnet sind.

Die Abschnitte B - H (ohne DD und GG) machen den wichtigsten Teil des ganzen Unternehmens aus. Hier wird künftiger Forschung ein so umfangreicher Materialfundus erschlossen, daß von seiner wissenschaftlichen Bearbeitung wirklich neue Erkenntnisse zu erwarten stehen. Vom Reichspropagandaministerium über das Deutsche Auslandsinstitut, über OKW, DAF, KdF, BdM, NSLB bis zu den in der entsprechenden Reicharbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Werksbüchereien reichen die Dokumente der an der Literaturlenkung beteiligten Einrichtungen. So werden - um nur ein Beispiel zu nennen - die bereits 1934 in Danzig einsetzenden Versuche der Literaturlenkung durch die Nazis durch einschlägige Quellenhinweise in den Blick gerückt.

DD bringt einige Quellen, die sich auf die Maßnahmen zur Reeducation durch die Westalliierten bzw. die sowjetische Literaturpolitik in der SBZ beziehen; in der Rubrik GG fehlt nun gerade der unter Nr. 6596 im ersten Band nachgewiesene große Katalog der Berliner Akademie der Künste von 1983.

Im Gegensatz zum ersten ist der zweite Band als annotierte Bibliographie angelegt. Die Annotationen bieten zu den einzelnen Bibliographien folgende Informationen: Kurzcharakteristik (ggf. durch Zitat aus Vorwort o. ä.); Besitznachweise nach der Sigelliste des Leihverkehrs; Erscheinungsweise; Typen des verzeichneten Schrifftums; Anzahl der verzeichneten Titel; Charakteristik der Bibliographie ("anzeigend", "empfehlend", "verbietend" usw.); Art der Titelaufnahmen; Anlage usw. Am Schluß stehen jeweils einige Deskriptoren.

Der zweite Band ist durch folgende Register erschlossen: Chronologisches Register (nach Jahren), Personen-, Körperschafts-, Titel-, Reihen- und Sachregister. Es fehlt ein Ortsregister, was um so mehr zu bedauern ist, als eine Vielzahl von Nachweisen sich auf lokale literaturpolitische Aktivitäten (Danzig, Wien) bezieht.

Hans-Albrecht Koch


[1]
Lexikon nationalsozialistischer Dichter. - Würzburg, 1993 (IFB 94-3/4-436). - Vgl. jetzt auch: NS-Literaturpreise für österreichische Autoren : eine Dokumentation / Helga Strallhofer-Mitterbauer. - Wien [u.a.] : Böhlau, 1994. - 152 S. - (Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur ; 27). (zurück)
[2]
Die Zweimonatsschrift "Corona", 1930 -1943 : Versuch einer Monographie / von Marlene Rall. - 1972. - VI, 243 S. - Tübingen, Universität, Philos. Fakultät, Disssertation von 1968. (zurück)

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