Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
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Lexikon für Theologie und Kirche


94-3/4-421
Lexikon für Theologie und Kirche / begr. von Michael Buchberger. - 3., völlig neu bearb. Aufl. / hrsg. von Walter Kasper ... - Freiburg [u.a.] : Herder. - 25 cm. - DM 4180.00 (Subskr.-Pr. für das Gesamtwerk bis 31.12.1995)
[1857]
Bd. 1. A - Barcelona. - 1993. - 15 S., 1406 Sp. - ISBN 3-451-22001-6 : DM 380.00
Abkürzungsverzeichnis. - 1993. - 72 S. - ISBN 3-451-22022-9

Auf zehn Bände geplant, liegt seit Oktober 1993 Bd. 1 der neuen, 3. Aufl. des Lexikons für Theologie und Kirche (LThK3) vor. Will man ein größeres lexikalisches Werk beurteilen, so kann es weniger um Fehlersuche im Detail gehen. Zu befragen ist die Konzeption des Ganzen, sein Verhältnis zu den Vorgänger-Ausgaben und seine Stellung in der gegenwärtigen Fachlexikographie bzw. seine Funktion im wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Bereich. Da das LThK3 den vorläufigen Endpunkt einer fast einhundertfünfzigjährigen Tradition bildet, werden im folgenden zunächst diese Traditionslinien im Vergleich mit den maßgeblichen evangelischen Lexika aufgezeigt, daran anschließend wird ein Panorama der heutigen deutschsprachigen theologischen Fachlexikographie entworfen und zum Schluß ein Ausblick auf einschlägige fremdsprachige Werke gegeben.

Obwohl uns Titelei und CIP-Aufnahme belehren, daß Michael Buchberger (1874 - 1961) der Begründer des LThK ist - der Mitherausgeber der 1. Aufl. und des Vorläufers Kirchliches Handlexikon -, hat das Werk doch eine wesentlich längere Tradition[1]. Es steht in der direkten Nachfolge des Kirchenlexikons, herausgegeben von dem Freiburger Orientalisten und Bibliothekar Josef Wetzer und dem Tübinger Alttestamentler Benedikt Welte (1846 - 1856. - Bd. 1 - 11 + Erg.-Bd.) und ist somit Dokument einer fast hundertfünfzigjährigen lexikalischen Publikationsgeschichte. In seinen verschiedenen Stadien war es jeweils das katholisch-theologische enzyklopädische Lexikon im deutschsprachigen Raum und in mancher Hinsicht auch wohl darüber hinaus. Mit der Pioniertat des Kirchenlexikons (KL) betrat der Verlag Herder Neuland,[2] denn eine enzyklopädische volkssprachliche theologische Lexikographie gab es zu dieser Zeit noch nicht. Auch die 22bändige Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (RE) erschien erst ab 1854 im Gefolge des KL.[3] Das Zustandekommen des KL ist dabei sowohl theologie- und kirchengeschichtlich (als Ausdruck der katholischen Selbstbesinnung nach den "Kölner Ereignissen", Dokumentation und Ausfluß der Erneuerungsarbeit der deutschen katholischen Theologie, vor allem der Tübinger Schule etc.) als auch wissenschaftsorganisatorisch von großem Interesse. Lexikalische Erfahrungen für solche Unternehmen fehlten noch, wesentliche Herausgeberaufgaben übernahm der Verlag (die beiden theologischen Herausgeber sollen nicht einmal in Briefkontakt gestanden haben). Die Verarbeitung solcher Stoffmengen war ein Novum, das Einfügen in ein Gemeinschaftswerk kaum geübt[4]. Die vollständige Neuausgabe von Wetzer und Welte's Kirchenlexikon (1882 - 1901. - Bd. 1 - 12) zeigte schon wesentlich mehr Professionalität, die auch durch andere Unternehmungen gewonnen worden war. Sie betraf organisatorische (Nomenklator), buchtechnische (Spalten) und inhaltliche Aspekte. Bemerkenswert ist, daß die protestantische Theologie noch vor Beenden dieses Werkes bereits mit der 3. Aufl. der nunmehr 24bändigen RE weit gediehen war und die Führungsrolle übernommen hatte.

Mit Übernahme der Verlagsrechte an dem Kirchlichen Handlexikon (KHL), (1907 - 1912. - Bd. 1 - 2) von Michael Buchberger beginnt die engere Vorgeschichte des LThK. Protestantischerseits gibt es jetzt - statt der RE - einen parallelen Weg mit den Auflagen von Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Dabei spiegeln beide die theologische Zeitsituation: So ist es nicht verwunderlich, wenn man das KL als "betont traditionalistisch"[5] bezeichnet. In der nachmodernistischen Zeit des Pontifikats Pius X. wäre allem anderen kein imprimatur erteilt worden. RGG1 (1909 -1913. - Bd. 1 - 5) ist dagegen Ausdruck der in Blüte stehenden religionsgeschichtlichen Schule, die dem Werk ja auch den Titel gegeben hat.

Die 1. Aufl. des LThK (1930 - 1938. - Bd. 1 - 10) ist von einer Theologie geprägt, die im historischen Bereich Profil gewonnen hatte. Die Erforschung der Scholastik (M. Grabmann zeichnete fachlich dafür verantwortlich), der liturgischen Tradition (L. Eisenhofer), der christlichen Archäologie (J. Sauer) mögen dafür stehen. In der Systematik suchte man eine vorsichtige Öffnung gegenüber Lebens- und Wertphilosophie (E. Krebs), die die Konflikte zu vermeiden suchte, die der Modernismusstreit hervorgerufen hatte. Darin lag sicher noch eine enge Vorstellung von Kirchlichkeit; imponierend ist aber anderseits die Geschlossenheit des Unternehmens.

Stellt man RGG2 (1927 - 1932. - Bd. 1 - 5 + Reg.-Bd.) daneben, so ist hier theologiegeschichtlich ein Übergangsprodukt entstanden, das insbesondere die Umwälzungen der dialektischen Theologie noch nicht integrieren konnte. Unter den Herausgebern seien beispielsweise H. Gunkel, A. Bertholet, H. Stephan genannt, man sucht aber im Mitarbeiterverzeichnis vergeblich K. Barth oder F. Gogarten; R. Bultmann ist dagegen vertreten (u.a. Artikel M. Heidegger, der im wesentlichen von diesem selbst stammt!).

Die nächste Serie theologischer Lexika bringt mit RGG3, LThK2, EKL gleich drei parallele Unternehmungen.[6] Das LThK2 (1957 - 1968. - Bd. 1 - 10 + Reg.-Bd. + Erg.-Bd. 1 - 3) ist dabei am besten auf die katholische Kirche des Zweiten Vaticanum zu beziehen, wenn man dieses nicht bloß auf das Ereignis beschränkt, sondern die theologische Vorbereitung besonders in Frankreich und Deutschland hinzunimmt.[7] Denn obwohl es Jahre vorher zu erscheinen begann und die Ergebnisse des Konzils erst in den drei Ergänzungsbänden dokumentiert werden konnten, kann man es sachlich durchaus als Ausdruck der Konzilstheologie sehen. Der (verspätete) Durchbruch der historisch-kritischen Bibel-Exegese im katholischen Raum, die Aufnahme der noch kurz vorher suspekten nouvelle th‚ologie und vor allem auch der theologischen Systematik Karl Rahners - der nicht nur als Herausgeber fungierte, sondern auch mit vielen grundlegenden, vor allem auch wissenschaftstheoretischen Artikeln (neben viel Lückenbüßerarbeit) das Werk prägte - sind Kennzeichen dafür und machen diese Ausgabe zu einem theologiegeschichtlichen Zeitdokument.

Wieder ist ein Blick auf RGG3 (1956 - 1965. - Bd. 1 - 6 + Reg.-Bd.) lehrreich. Hier hat man gewissermaßen ein theologisches Stadium übersprungen, indem bereits die Schülergeneration der Barth, Bultmann etc. dominiert. Der Titel des Werks wirkt jetzt nach Barths Denunziation von "Religion" und ihren Nachwirkungen einigermaßen schief. Der Artikel Hermeneutik von G. Ebeling mag als Programm für diese Auflage stehen; ein Blick ins Register zeigt aber eine ganze Reihe aus heutiger Sicht interessanter Namen, die man nicht unbedingt in diesem Zusammenhang suchen würde (z.B. H. Blumenberg).

Eine Erwähnung verdient nunmehr auch das Evangelische Kirchenlexikon (EKL) (1956 - 1961. - Bd. 1 - 4). Mit Übernahmen aus dem Calwer Kirchenlexikon und dem Nordisk teologisk uppslagsbok war hier ein dreibändiges Werk mit "kirchlichem" Schwerpunkt geschaffen, das doch schon in die Nähe der genannten umfassenderen und größeren Enzyklopädien kam und sich durch seinen praktischen Charakter als Nachschlagewerk auszeichnete.

Das aus den internationalen Beziehungen der Konzilszeit entstandene, auch in englischer, französischer, spanischer und niederländischer Sprache erschienene "Theologische Lexikon für die Praxis" Sacramentum mundi (SM) (Freiburg : Herder, 1967 - 1969. - Bd. 1 - 4) dokumentiert die Internationalität und die größere Offenheit der katholischen Theologie nach dem Konzil, steht aber letztlich vor demselben Hintergrund wie das LThK2 (und wird auch in vielem von den gleichen Autoren getragen). Als Mischform zwischen Überblicks- und Nachschlagewerk stellt es sozusagen einen Seitentrieb in unserer Filiations-Geschichte katholisch-theologischer Lexika dar. Herders theologisches Taschenlexikon (1972 - 1973. - Bd. 1 - 8) ist dagegen nur eine nach unklaren Kriterien zusammengestellte Mischung aus Artikeln beider Werke (LThK2 und SM), die lediglich bibliographisch ergänzt wurde. Für den studentischen Gebrauch mag es dennoch ein sinnvolles Unternehmen gewesen sein. Original-Taschenbuchausgaben waren im folgenden ein besserer Weg.[8]

Etwa dreißig Jahre nach Abschluß des LThK2 hat sich die theologische Landschaft verändert. Wir kommen damit vom historischen Überblick zur gegenwärtigen Lexikographie. Die bislang genannten Werke weisen wesentlich eine konfessionelle Prägung auf, so sehr auch die Entwicklung zur Objektivität in der Darstellung anderer Standpunkte festzustellen ist, etwa durch Mitarbeiter anderer Konfession in LThK2. Einen Meilenstein stellt auch in dieser Hinsicht die Theologische Realenzyklopädie (TRE) dar, die sich zwar in die Tradition der RE stellt, aber die konfessionelle Spitze schon im Titel vermeidet. Lexikalisch gesehen repräsentiert sie einen eigenen Typ: Ein eingeschränkterer Nomenklator ermöglicht es, zu den Hauptthemen Darstellungen von monographischem Umfang zu liefern, die in vielen Fällen geradezu als Forschungsbeiträge, nicht nur als lexikalische Zusammenfassung angesehen werden können - gewissermaßen wieder eine Anknüpfung an Werke des 19. Jahrhunderts. Daß man auch den in Lexika üblichen Spaltensatz vermeidet, zeigt ebenfalls, daß hier ein "Lesewerk", nur bedingt ein "Nachschlagewerk" konzipiert worden ist. Bandregister und ein Zwischenregister zu Bd. 1/17[9] machen die Suche unter Feinaspekten allerdings möglich, was jedoch Einzelartikel zu diesen oft nicht ersetzen kann. Durch eine Taschenbuchausgabe der Bände 1 - 17[10] - für den Rest kann man eine solche nach Abschluß des Werkes erwarten - macht auch dieses Monument den erfreulichen Vermarktungstrend für theologische Großlexika mit. Trotz der inhaltlichen Dominanz kann die TRE aber wegen ihrer Anlage die Funktion des theologischen enzyklopädischen Nachschlagewerks nicht wahrnehmen. Zudem ist ein solcher "Koloß" letztlich auch von Umfang und Preis her auf eine engeren wissenschaftlichen Zirkel beschränkt.

Trotz gleichen Titels wie die früheren Auflagen ist auch die seit 1986 erscheinende 3. Aufl. des - bei Abschluß vermutlich vierbändigen - Evangelischen Kirchenlexikons (EKL3)[11] den Weg zu einer interkonfessionellen Enzyklopädie gegangen. Die "ökumenischen Pespektiven", der "gesellschaftliche Wandel" und die "sozio-kulturellen Einflüsse" sind als "Herausforderungen der Zeit" im Vorwort hervorgehoben, über die es "Rechenschaft" abzulegen gilt. Damit sind Punkte genannt, die sich auch bei der Lektüre des LThK3 aufdrängen. Eine Parallelität gerade in den Unterschieden zu den Vorgängerausgaben ist zwischen den dritten Auflagen von EKL und LThK nicht zu übersehen.

Zur Skizzierung der gegenwärtigen Situation ist aber auch Gegenläufiges zu nennen. Die konfessionellen Identitätskrisen, wie sie sich kirchlicherseits in verschiedenen Gruppierungen, katholischerseits auch in manchen römischen Äußerungen und Maßnahmen zeigen, machen es verständlich, daß auch von hier aus lexikalische Arbeit konstruiert werden könnte bzw. kann. Einziges größeres Beispiel ist bislang in Deutschland das Evangelische Lexikon für Theologie und Gemeinde (ELThG).[12] "Unser Lexikon will eine Stimme des deutschsprachigen Protestantismus sein, und zwar desjenigen Teils des Protestantismus, der vom Pietismus und der Erweckungsbewegung geprägt ist und sich für Impulse aus der weltweiten evangelikalen Bewegung offenhält." Immerhin ist der eingeschränkte Nomenklator nicht zu eng. Ein so typisch katholischer Denker wie Maurice Blondel ist z.B. dargestellt. Aufmachung und Stil des Lexikons zielen auf ein breiteres Publikum. So ist etwa die Beigabe von Abbildungen zu Personenartikeln zu nennen - sicher angebracht, aber viel Platz verbrauchend. Bedenken wird ein Theologe anderer Schule bei den hermeneutischen Voraussetzungen haben, die in vielen Artikeln - besonders im Sachbereich Bibel - durchscheinen, wobei gerade die Kompetenz im Realien-Bereich der evangelikalen Forschung zugegeben werden kann. Doch ist konfessionelle Pointierung bei der Lektüre immer deutlich einzubeziehen. Wenn man vom Informationsgehalt ausgeht, so ist das Lexikon gerade als "positionelle" Literatur interessant. Über Billy Graham wird man vermutlich im 4. Bd. des LThK3 weniger finden und auch im EKL3 fehlt das Stichwort. Aus bibliothekarischer Sicht machen solche thematischen Spezialitäten ein Lexikon natürlich bedeutsam, auch wenn es in manchen Darstellungen etwas quer zum derzeitigen überkonfessionellen wissenschaftlichen Konsens steht.

Der Überblick wäre noch durch einige kleinere Werke zu ergänzen. Herausheben könnte man etwa das in Zusammenarbeit zwischen einem evangelischen und einem katholischen Verlag erschienene einbändige Wörterbuch des Christentums[13]; doch sprengt das bereits den Rahmen unserer Übersicht.

In diesem Umfeld ist nun die Eigenart des neuen LThK3 zu skizzieren. Der schon vom LThK2 begonnene Weg korrekter überkonfessioneller Information ist konsequent weiter begangen. Das LThK3 steht hier in einem Strom mit der TRE und dem EKL3. In vielen Bereichen sind Differenzen der konfessionellen Herkunft heute nicht mehr relevant - trotz ELThG. Gebiete, die durch historisch-kritische Forschung abgedeckt sind, spiegeln oft eher andere hermeneutische Differenzen wider; die konfessionellen Grunddifferenzen lassen sich zudem selbst historisch-kritisch objektivierend explizieren (alles andere wirkt unangebracht aufgeregt; das ließe sich etwa an manchen Stellungnahmen zu den Ergebnissen des Ökumenischen Arbeitskreises zu den Lehrverurteilungen der Reformationszeit belegen, um am Beispiel zu argumentieren). Das Bemühen um Objektivität wirkt sich auch in der Sprache der Artikel aus. Ein genaueres Vergleichen zeigt, daß noch im LThK2 vielfach eine moralisierend-wertende Terminologie verwendet wurde, die hier einem distanzierenden und objektivierenden Darstellungsmodus weichen muß. Standpunktbezogene Aussagen werden deutlicher als solche gekennzeichnet. Daß man damit nicht in der Spur sogenannter "postmoderner" Beliebigkeit steht, soll vorsichtshalber aber eigens betont werden.

Neben diesen geänderten Rahmenbedingungen fällt die organisatorische Konzeption des Ganzen auf. Durch EDV-Unterstützung sind heute zwar kalkulatorische Vorgaben (etwa zu Umfangsplanung) leichter als früher zu machen und durchzuhalten; die ursprünglich auf 30 Bd. geplante TRE, die jetzt bis "M" bereits 23 Bd. verbraucht hat, oder das Historische Wörterbuch der Philosophie, das auf 6 Bände geplant war und dem Abonnenten bis Sc bereits 8 Bd. zur Abrechnung vorlegte, belegen aber, daß solches nicht selbstverständlich ist. Der 1. Bd. des LThK3 läßt jedenfalls erkennen, daß man gewillt ist, strikt die Vorgaben einzuhalten. Das Werk bleibt damit bei seinem Nachschlagecharakter. Es bietet hochkomprimierte Informationen auf engem Raum und im Vergleich zu anderen Enzyklopädien einen umfangreichen Nomenklator an. Natürlich waren dadurch Kürzungen unvermeidbar, selbstverständlich auch einige bedauerliche.

Fragt man nach den inhaltlichen Unterschieden zur Vorgängerauflage, so ist zum einen ein Drittel-Jahrhundert nachzutragen. Das beginnt bei Biographischem und zeigt gleichzeitig (nachvollziehbare) Wertungen: eine Verweisung bei Abb‚ Pierre, 24 Zeilen zu Karl Adam, 26 zu Pedro Arrupe, 156 zu H. U. von Balthasar.[14] Es betrifft zweitens Ereignisse: so ist "1989" bereits rezipiert (z.B. s.v. Atheismus, Sp. 1141, oder man vgl. z.B. die Darstellung der ökumenischen Aktivitäten in Anglikanische Kirche). Drittens gibt es kirchliche, liturgische oder kanonistische Neuerungen, die erläutert sein müssen: Abendmesse (wobei viel Material aus dem alten Artikel stammt). Viertens ist die theologische Bedeutung säkularer Fakten ganz anders erkannt: Auschwitz war 1957 noch kein Stichwort und es fehlt auch im Zwischenregister zur TRE, während es im LThK3 fast drei Spalten einnimmt. Fünftens ist die soziale Situation verantwortlich für Begriffe wie Alleinerziehende oder Aussiedler(in); "Ausländer" gibt es nun zusätzlich zu Ausländerseelsorge und Asyl und Asylant(in) haben einen wesentlich größeren Umfang als vormals Asylrecht. Sechstens wurden Artikel zu Einzelbegriffen manchmal wohl deshalb nötig, weil die differenziertere Diskussion die Subsumption obsolet gemacht hat: Statt der Verweisung Atomwaffen s. Krieg gibt es jetzt ABC-Waffen, einen eigenen Artikel Abschreckung usw.

Auch wenn die Zeit, in der andere Wissenschaften ancillae theologiae waren, längst vorbei ist, so ist aus Sicht der Theologie die Zahl der "Hilfswissenschaften" nicht vermindert worden. Anders ausgedrückt: Der Blick auf andere Wissenschaftsbereiche ist geschärft worden, und das drückt sich besonders im Bereich der Humanwissenschaften aus.

Zunächst zum sozialwissenschaftlichen Bereich, der vielfach mit dem caritativen, anderseits mit dem sozialethischen Komplex verbunden ist. Schon oben tauchten Begriffe auf, die wir aus der sozialen Situation hergeleitet haben. Das läßt sich hier erweitern. Beispiel: der Komplex Arzt (nebenbei: wenn Aussiedler(in) dann doch auch Arzt/Ärztin? Oder soll man es nicht besser gleich mit Konrad Duden halten? Einem strikten Feminismus wird ein LThK ohnehin nicht genügen können).

Im sonstigen geisteswissenschaftlichen Bereich gibt es eine größere Breite. Die (Kirchen-)Musik wird man noch zum klassischen Feld des LThK zählen können. Daß das Lexikon nun mit a capella beginnt, ist zwar nur der neuartigen Alphabetisierung zuzuschreiben (früher unter acapella eingeordnet). Neu aufgenommen ist aber z.B. Jehan Alain. Daß man weiterhin ganze Artikel zu Hymnen und Antiphonen (Ad cenam agni providi; Audi benigne conditor; Ave maris stella ...) findet, ist ein großer Vorzug auch des LThK.

Der Bereich Literatur bietet überraschend viele Personenartikel: W. H. Auden, I. Aichinger, I. Bachmann, - wobei die Frage ist, wer welche Information gerade in diesem Lexikon sucht. Die genannten Artikel scheinen mir ein Gefälle in Richtung einer gewissen Beliebigkeit aufzuweisen, was daran liegt, daß die Artikel - je knapper sie sind desto leichter - nur noch biographische Daten verzeichnen können und nicht auf den Rahmen religiöser bzw. theologischer Information bezogen sind. Genau diese findet man aber auch bequem anderswo. Prinzipiell ist der Ausbruch aus einer Engführung gerade hinsichtlich der Literatur natürlich zu begrüßen.

Die Philosophie als die klassische ancilla war immer schon gut dokumentiert, ist dies nun aber auf "modernere" Weise: Es gibt keine katholische Eigenphilosophie mehr, wie sie die schulmäßige Neuscholastik zuletzt bot. Personenartikel erhalten Autoren nach Rang, nicht nach Richtung und ohne "katholische" Wertungen (neu etwa Th. W. Adorno; H. Arendt; J. L. Austin; A. J. Ayer).

Hinsichtlich der systematischen Theologie wird man konstatieren dürfen, daß wir uns einerseits heute in einer historisierenden Epoche befinden. Das Wagnis geistiger Durchdringung von einem systematischen Ansatz aus, wie es Rahners Beiträge zum LThK2 (und SM) zeigen, findet man im LThK3 kaum. Aber das gilt heute ja auch für monographische Arbeiten in der Theologie. Der Bezugsrahmen ist eher eine historisch aufgeklärte, hermeneutisch differenzierte Theologie. Es kann vermutlich auch nicht anders sein, da die Lexikographie nur ein Spiegel der realen Situation ist. Beispiele dafür, wie sich systematische Deutungsversuche zu hermeneutisch differenzierten Darstellungen verschieben, bietet etwa das Stichwort Abendland. Bei Anthropologie ließe sich ähnliches zeigen, - beidemal stehen Rahnersche Artikel im Vorgängerwerk.

Selbstverständlich lassen sich bei einem solchen Werk auch manche Dinge kritisieren. 1. Einiges mag an der rigorosen Umfangsbegrenzung liegen. Augustinismus ist auf zwei Spalten kaum darstellbar, dennoch sollte - wenn man Scheler nennt - die viel genuiner augustinische philosophische Tradition von Malebranche bis Blondel nicht fehlen. Nebenbei: Der philosophische Augustinismus hätte einen eigenen Punkt verdient und ist nicht so eng katholisch anzusetzen; bis Husserl und Heidegger reicht er schon. Zur Entschuldigung sei aber angeführt, daß die TRE (Bd. 4, S. 721 ff.) trotz ihres Platzvorrats genau die gleiche Informationslücke aufweist und hier keineswegs mehr bietet. 2. Unterschiedlicher Meinung kann man selbstverständlich manchmal bei den knappen Literaturangaben sein. Unklar ist, wie man es mit Übersetzungen hält: Blondels Zur Methode der Religionsphilosophie (1974) hätte m.E. jedenfalls Sp. 842 beigegeben werden müssen (gut ebd.: Bouillard); die Nennung des Sonderdrucks (?!) der originalen Zeitschriftenveröffentlichung dieser Arbeit ist bibliographisch ohnehin unsinnig und wird im bibliothekarischen Signierdienst Pein verursachen. 3. Gibt es ein Mißtrauen gegenüber möglicher Kurzlebigkeit der neuen elektronischen Medien? So hätte man in dem sehr guten Augustinus-Artikel bei den Werken sicher die elektronisch vorliegende Gesamtausgabe im CLCLT nennen müssen. 4. Auch der Nomenklator läßt sich befragen. Bei den Autorenartikeln der Literatur haben wir das oben in Richtung "zu viel" angedeutet. Es gibt leider auch Kürzungen, die sehr diskutabel sind. So kommen aus der Arnauld-Familie nur noch MŠre Ang‚lique und der "große" Antoine vor. Der Hinweis auf die Familie am Anfang des Artikels wirkt daher ortlos. - So könnte man sicher leicht noch weiteres finden. Die Aufreihung zeigt allerdings, daß solche Einschränkungen für die Beurteilung des Ganzen letztlich recht wenig bedeuten, auch wenn man einige Einzelentscheidungen bedauerlich findet.

Buchtechnisch gesehen ist das Lexikon von der Typographie her "moderner", lesbarer gestaltet. Das etwas kleinere Format ist bei längerer Lektüre - ohne Schreibtisch - angenehmer. Die Verarbeitung wirkt solide. Es fehlen allerdings die früher vorhandenen Kunstdrucktafeln, was bedauerlich ist, da manche Gegenstände (z.B. Altar) nach Abbildungen verlangen. Karten sind in einfacher Strichzeichnung vorhanden. Bei den Beigaben ist das selbständig publizierte Abkürzungsverzeichnis zu nennen. Es ist im übrigen ein indirektes Produkt der bereits oben erwähnten bibliothekarischen Kärrnerarbeit von Siegfried M. Schwertner. Es ist gut, daß man bei ähnlichen Unternehmungen - und so auch beim LThK3 - heute auf grundsätzliche Kompatibilität zu Schwertner setzt.

Fragt man nach der kirchlichen Aufgabe des Lexikons bzw. seiner Bedeutung im katholischen Raum, so kann man zum einen froh sein, daß kein katholisches Werk nach dem Vorbild des ELThG als KLThG zustandegekommen ist. Inhaltlich zeigt schon eine kurze vergleichende Durchsicht, daß eine Neubearbeitung nach einer Generation bei solchen Werken allemal wünschenswert, sachlich gesehen sogar unvermeidlich ist. Man wird gespannt sein dürfen, wie sich ggf. RGG4 in dem nun "gefüllteren" Raum theologischer Lexikographie daneben ausmachen wird.

Überblickt man die deutschsprachigen theologischen Lexika im internationalen Rahmen, so kann man ihr bei den Großunternehmen insgesamt wohl einen guten Stand bescheinigen. Die französischen Monumentalwerke, deren Laufzeit meist viele Jahrzehnte umspannt, sind zum Teil in ihren ersten Bänden längst veraltet, bevor sie zu einem Abschluß gelangen. Beispiele sind das Dictionnaire de th‚ologie catholique [1 (1909) - 16 (1967)] - dessen Erscheinen sich in Wirklichkeit von 1903 bis 1972 erstreckte, aber auch das in vielem sehr gute und m.E. eher zu wenig benützte Lexikon Catholicisme [1 (1948) - ; derzeit bis solitude] und das ausgezeichnete, aber ebenfalls seit 1932 erscheinende und jetzt gerade abgeschlossene Dictionnaire de spiritualit‚ [1 (1937) - 16 (1994)] oder das seit 1909 erscheinende Dictionnaire d'histoire et de g‚ographie eccl‚siastiques [1 (1912) - ; derzeit ist Bd. 24 (1993) abgeschlossen und das erste Faszikel von Bd. 25 reicht bis Hyacinthe ...].[15] Der angloamerikanische Raum bietet viele einzelne Werke, als katholisches Gesamtprojekt ist die New catholic encyclopedia [1 (1967) - 15 (1967)] aber auch bereits veraltet. Das hier übliche Prinzip, solche Werke mit einem Schlag auf den Markt zu bringen, läßt hoffen, daß sich dies ebenso überraschend wieder ändern kann. Interessant ist der italienische Sprachbereich, wo viele Teilbereiche sehr gut abgedeckt sind - etwa in den theologischen Fachlexika der Edizioni Paoline, so daß hier fast nur noch der Datenpool ergänzt und zusammengespielt werden müßte! Die EDV dürfte solche Perspektiven eröffnen. Das Hantieren mit einer Reihe spezifischer Fachlexika im Gesamtbereich Theologie ist aber auch an sich nicht uninteressant, gerade hinsichtlich der Aktualisierbarkeit.

Eine Gesamtbeurteilung eines Lexikons nur nach dem ersten Band ist naturgemäß nicht möglich. In einzelnen Rezensionen ist das meist vom Standpunkt einer bestimmten theologischen Fachkompetenz schon geschehen. Zwischenbilanzen unter einzelnen Aspekten haben wir oben schon gezogen. Von Anlage und Größenordnung her kann man aber doch noch einige Aussagen anfügen. Das LThK3 wird zweifellos seinen Vorgänger ersetzen. Es enthält zu viel an neuer Information, als daß Bibliotheken und wissenschaftliche Benutzer daran vorbeigehen könnten. Es ist zu hoffen, daß auch der Durchbruch bei einem im weiteren Sinne theologisch oder kirchlich interessierten Publikum gelingt, wie dies beim Vorgänger in der Aufbruchstimmung der sechziger Jahre möglich war. Das LThK2 bleibt dabei zweifellos ein bedeutendes Dokument einer wichtigen theologiegeschichtlichen Epoche und wird für entsprechende Fragestellungen weiterhin zu nutzen sein.

Für den Bibliothekar ist zudem die Terminologie des neuen LThK3 von Bedeutung. Als Referenzwerk für die Katalogisierung nach RSWK ist LThK3 inzwischen an Stelle des LThK2 zu benutzen.

Am Ende drängt sich die Spekulation auf, ob solche Werke von der technischen Konzeption her in Zukunft noch möglich sind. Gerade für die lexikalische Information bieten elektronische Medien ja vielfältige Möglichkeiten: Recherche, Verknüpfung mit Bild und Ton, Datenübernahme usw. Sobald die Entwicklung hier zu Standards geführt hat, die sich nicht alle paar Jahre ändern, wird man andere Konzeptionen - als Ergänzung oder als Ersatz - entwickeln müssen. Dazu kommt, daß die Preisentwicklung auf diesem Gebiet einen großen potentiellen Käuferkreis erst bei Sekundärvermarktungen einsteigen läßt (wie die oben genannten Taschenbuchausgaben zeigen). Als Bibliothekar kann man sich angesichts eines auch buchtechnisch schönen Werkes einer leichten Nostalgie nicht erwehren.

Albert Raffelt


[1]
Auch Gert Hummel im Artikel Enzyklopädie. // In: Theologische Realenzyklopädie. - Bd. 9, S. 736 - 737 unterschlägt merkwürdigerweise diese Vorgeschichte. (zurück)
[2]
Vgl. zum folgenden: Die Lexika / Hermann Sacher. // In: Der Katholizismus in Deutschland und der Verlag Herder : 1801 - 1951. - Freiburg : Herder, 1951, S. 242 - 273. (zurück)
[3]
Als kleineres evangelisches Werk ist auch ein einbändiges Theologisches Universal-Lexikon. - Elberfeld, 1874 zu nennen. (zurück)
[4]
Wenigstens anmerkungsweise sei die schöne Anekdote erwähnt, daß ein Wiener Mitarbeiter (Häusle), erbost darüber, daß er keine ganze Geschichte Österreichs einfügen durfte, den Artikel Wien stückweise so ablieferte, daß trotz redaktioneller Kürzungen noch mehr als 100 Druckseiten dafür verwendet werden mußten (vgl. Sacher, a.a.O., S. 244 und KL1, Bd. 11, S. 963 - 1078). (zurück)
[5]
Hummel, a.a.O., S. 736. (zurück)
[6]
Das zweibändige Calwer Kirchenlexikon (1937 - 1941) lassen wir hier aus. (zurück)
[7]
Vgl.: Die Erneuerung der katholischen Theologie / Albert Raffelt. // In: Erster und Zweiter Weltkrieg, Demokratien und totalitäre Systeme / J.-M. Mayeur ; K. Meier (Hrsg.). - Freiburg : Herder, 1992. - (Die Geschichte des Christentums ; 12), S. 216 - 237. (zurück)
[8]
So die 1986 erschienenen Taschenbuchausgaben von LThK2 und RGG3. - Vgl. ABUN in ZfBB 34 (1987),6, S. 534 - 541. (zurück)
[9]
Leider gleich aufwendig wie das Gesamtwerk gebunden; zweifelhafte Verlagspraxis ist ebenfalls, daß jedem Abonnenten nach Bd. 22 eine Neuauflage des Abkürzungsverzeichnisses zugesandt wurde. Bei einem Werk, das seinen Umfang um ein vielfaches überschreitet, sollte der Verlag Zusatzbelastungen tunlichst vermeiden. Daß das zuerst als selbständige Veröffentlichung vorgelegte Abkürzungsverzeichnis von Siegfried M. Schwertner eine außerordentliche Leistung an sich und höchst bedeutungsvoll für die Normierung des theologischen Abkürzungswesens ist - auch das LThK3 verfährt danach - soll allerdings nicht unerwähnt bleiben:
Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete : IATG2 ; Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben = International glossary of abbreviations for theology and related subjects = Index international des abbr‚viations pour la th‚ologie et domaines apparent‚s / Siegfried M. Schwertner. - 2., überarb. und erw. Aufl. - Berlin [u.a.] : de Gruyter, 1992. - XLI, 488 S. ; 25 cm. - ISBN 3-11-011117-9 : DM 158.00 [1438]. - Vgl. ABUN in ZfBB 40 (1993),3, S. 279 - 285. (zurück)
[10]
Theologische Realenzyklopädie / hrsg. von Gerhard Müller. - Studienausg. - Berlin [u.a.] : de Gruyter, 1993. - Tl. 1. - Bd. 1 - 17 + Reg. 1/17. - ISBN 3-11-013898-0 brosch. : DM 1200.00. (zurück)
[11]
Evangelisches Kirchenlexikon : internationale theologische Enzyklopädie / hrsg. von Erwin Fahlbusch ... - 3. Aufl., Neufassung. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht. - 27 cm. [0296].
Bd. 1. A - F. - 1986. - XII S., 1414 Sp. - ISBN 3-525-50128-5 : DM 248.00. - Vgl. ABUN in ZfBB 34 (1987),6, S. 534 - 541.
Bd. 2. G - K. - 1989. - XI S., 1534 Sp. - ISBN 3-525-50132-3 : DM 268.00
Bd. 3. L - R. - 1992. - IX S., 1738 Sp. - ISBN 3-525-50137-4 : DM 298.00 (zurück)
[12]
Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde / hrsg. von Helmut Burkhardt und Uwe Swarat. - Wuppertal [u.a.]. : Brockhaus. - Bd. 1 (1992) - . Zuletzt Bd. 2 (1993), der bis N reicht. - Bei theologischen Fachlexika ließen sich eher Beispiele eines konfessionellen revival nennen. (zurück)
[13]
Wörterbuch des Christentums. - Gütersloh : Gütersloher Verlagshaus ; Zürich : Benziger, 1988. - 1439 S. (zurück)
[14]
Korrektur dazu: Glaubhaft ist nur Liebe erschien 1963. (zurück)
[15]
Vergleichbar in der Erscheinungsweise ist in Deutschland etwa das Reallexikon für Antike und Christentum, das bei aller Großartigkeit auch an demselben schleppenden Erscheinungsrhythmus leidet [1 (1950) - ; derzeit bei Bd. 16 (1994), der bis Ianus reicht]. Um der zunehmenden Veraltung der ersten Bände zu begegnen, erscheinen Supplement-Lieferungen: 1/2 (1985) - ; zuletzt 5/6 (1992) bis Barbar II. (zurück)

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