Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
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Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung


94-3/4-388
Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung : für die zehn westdeutschen Länder und West-Berlin / bearb. von Hans-Holger Paul. Im Auftrag des Archivs der Sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. - München [u.a.] : Saur, 1993. - X, 996 S. ; 25 cm. - ISBN 3-598-11104-5 : DM 118.00
[1584]
94-3/4-389
Quellen zur Gewerkschaftsgeschichte : Bestandsverzeichnisse Ostberliner Archive zur Geschichte der Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1933 / Detlev Brunner. - 1. Aufl. - Essen : Klartext-Verlag, 1992. - 316 S. ; 22 cm. - (Veröffentlichungen des Instituts zur Erforschung der Europäischen Arbeiterbewegung : Schriftenreihe B, Quellen und Dokumente ; 2). - ISBN 3-88474-022-9 : DM 89.00
[2351]

Das Spezialinventar umfaßt, ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, die alten Bundesländer incl. Berlin (West) bei Ausklammerung der umfangreichen Bestände des Archivs der Sozialen Demokratie (AdsD), wo das Projekt seit vielen Jahren verfolgt wurde: die Verzeichnung dieser eigenen ca. 470 Nachlässe soll später folgen. Als Ergänzung für den östlichen Teil Berlins ist das im folgenden angezeigte Verzeichnis Quellen zur Gewerkschaftsgeschichte von Brunner zu sehen. Es waren 330 Archive und 298 Bibliotheken angeschrieben worden - von 93 Institutionen sind im vorliegenden Band "Nachlässe von Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung im weitesten Sinne aufgenommen" (VIII). Es sollten keine unzugänglichen Nachlässe in Privatarchiven sowie i.d.R. keine Deposita verzeichnet werden. Dem Redaktionsschluß Ende 1988 geht fast 15jährige Recherche- und Verzeichnisarbeit voraus,[1] die wegen der äußerst lückenhaften Überlieferungssituation und der bislang unzureichenden Recherchemöglichkeiten im Bereich der historischen Arbeiterbewegung (besonders der Weimarer Republik) um so verdienstvoller ist.

Das einheitliche Erfassungsmuster des alphabetisch nach Nachlassern geordneten Inventars umfaßt Name, Geburts- und Sterbedatum (ohne Ort), Beruf, eine relativ ausführliche Biographie und Nachlaßbeschreibung: Standorte, Erwerb, Umfang sowie Beschreibung. Auffallend ist hierbei die ausführliche Auflistung der Gegenstände, die in den Korrespondenzen, deren Partner aufgelistet sind, verhandelt werden: die dabei genannten Institutionen, Firmen, Organisationen sind in einem Institutionenverzeichnis im Registeranhang ebenso auffindbar wie alle genannten Personen im Personenverzeichnis: Für die Fachwissenschaftler wohl ausreichende Erschließungshilfen, wenngleich eine sachliche Suche somit doch beschränkt ist und nicht nach Themen wie z.B. Exil oder Arbeitslosigkeit möglich ist. Doch auch mit dem Institutionenverzeichnis ist ja thematisches Suchen möglich: z.B. finden sich erstaunliche 21 verschiedene Arbeiter- und Soldatenräte.

Unscharf erscheint teilweise die Auswahl, d.h. die Kriterien, die einen Nachlasser zur "Persönlichkeit der Arbeiterbewegung" adeln, sind nicht immer nachvollziehbar: Viele vergessene Gewerkschaftler jedweder Couleur wird man suchen und finden, die Berücksichtigung von Rudi Dutschke kommt dagegen als Überraschung. Geradezu verzichtbar erscheinen einige Schriftsteller, deren Affinität zur Arbeiterbewegung vage und nicht unbedingt organisatorisch-institutioneller Art war, wie z.B. Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Georg Kaiser - die Aufnahme des Spartakisten Carl Einstein leuchtet da eher ein. Zudem sind die Dichter-Nachlässe anderweitig ausreichend verzeichnet.

Die kaum zu überschätzende Bedeutung dieses Verzeichnisses für den Spezialisten wird auch durch die offensichtlichen handwerklichen Schwächen bei der typographischen Gestaltung - von den Druckfehlern ganz zu schweigen - nicht geschmälert: Mit jeder heimischen PC-Grundausstattung bringt man heute ein Sterbekreuz zustande (nicht nur ein Pluszeichen), Trennprogramme sind Standard, und für Anmerkungsexponenten ist auch im Buchdruck des Post-Gutenbergzeitalters eine kleinere Type zu verwenden.

Der Titel von Quellen zur Gewerkschaftsgeschichte ist unpräzise, denn es handelt sich um Bestände von genau zwei Archiven, nämlich des Archivs der Gewerkschaftsbewegung Berlin, AdG - des ehemaligen Zentralarchivs des Freien Deutschen Gerwerkschaftsbundes (FDGB) der DDR - und des Zentralen Parteiarchivs beim Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung Berlin, ZPA/IfGA, des ehemaligen Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED; beide Archive waren zu DDR-Zeiten nicht zugänglich.[2]

Angesichts des von Fachwissenschaftlern beklagten Mangels archivalischer Quellen zur Erforschung einzelner Gwerkschaftsverbände (das vorhandene Material ist ansonsten sehr verstreut, wie man im gerade angezeigten Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung von Paul sieht) stellen die Bestände des AdG eine einzigartig umfangreiche Sammlung dar: schließlich bestanden bis 1933 in Deutschland ca. 150 verschiedene Gewerkschaftsverbände. Das ZPA/IfGA beinhaltet dagegen hauptsächlich Quellen zur kommunistischen Arbeiterbewegung. Als interessanter Sonderbestand ist hier die Sammlung Universität Frankfurt zu erwähnen, Reste des Archivs des Frankfurter Instituts für Sozialforschung von 1933.

Die zeitliche Grenze der Verzeichnung durch Brunner ist durch die Auflösung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten im Mai 1933 markiert. Die Gliederung folgt einem fachlich-hierarchischen Ordnungsprinzip: Das Archivmaterial wird den gewerkschaftlichen Organisationsstrukturen zugeordnet. Das auf ausländische Gewerkschaftsbewegung bezogene Material folgt regional gegliedert. Materialien zur kommunistischen Gwerkschaftspolitik nach Organisationen, dann nach Sonderbeständen (z.B. Flugblattsammlung), Archivalien der Komintern; persönliche Einzel-Nachlässe folgen alphabetisch. Die typographisch hervorgehobene Durchnummerierung aller "Akteneinheiten" von 1 bis 1422 könnte eine einheitliche systematische Struktur suggerieren - folglich ist die gründliche Orientierung mittels des Inhaltsverzeichnisses unabdingbar. Personen- und geographischer Index sowie Index der Organisationen und Verbände erleichtern die Suche.

Das Verzeichnisschema besteht aus genannter Bestandsnummer (d.h. eigentlich: Verzeichnisnummer), Archivsigle und Signatur, Bestandsname (meist: Organisation oder Unterorganisation), Titel der Akteneinheit und der Inhaltsbeschreibung. Die Erschließungstiefe reicht längst nicht an die bei Paul heran, was besonders bei den persönlichen Nachlässen mißlich ist: hier wünschte man sich eine ebenso differenzierte Verzeichnung wie bei Paul, genaue Mengenangaben, umfangreichere Nennung der Korrespondenzpartner usw. - Doch ist dies angesichts der Kürze der Entstehungszeit kaum einzufordern.

Klaus Ulrich Werner


[1]
Vgl. Arbeiten an Spezialinventaren von Quellen zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung im In- und Ausland : Projekte des Archivs der Sozialen Demokratie (AdsD) / Werner Krause und Hans-Holger Paul. // In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. - 17 (1981), S. 169 - 180. (zurück)
[2]
Vgl. Die Akten der DDR-Archive : Giftmülldeponie oder Fundgrube für den Historiker? / Stefan Wolle. // In: Gewerkschaftliche Monatshefte. - 42 (1991),7, S. 428 - 435. (zurück)

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