Wie in PMA sind die Ansetzungsformen weitgehend mechanisch-formal
aufgrund von umfassenden und verbreiteten Nachschlagewerken am
Leitfaden der RAK-WB gebildet worden. Anders als bei PMA und auch als
in RAK-WB 329,1 (Ermittlung des gebräuchlichsten Namens bei Römern)
sind jedoch nicht deutschsprachige Allgemeinenzyklopädien in erster
Linie maßgeblich, sondern altertumswissenschaftliche Nachschlagewerke,
denn: "Im Unterschied zu den Verfassern des Mittelalters sind antike
Autoren im Rahmen der Klassischen Philologie mit großer Akribie,
Präzision und Vollständigkeit in jahrhundertelanger Tradition
wissenschaftlich erschlossen ... Die PAN stützen sich auf
wissenschaftlich gesicherten Bestand" (S. IX). Für jede der beiden
Sprachen sind auf einer ersten Stufe 6 Nachschlagewerke ausgewertet
worden, darunter jeweils 3, die sich auf die christliche Literatur
beschränken. Hier erscheint der Index des Thesaurus linguae Latinae
(ThLL)[3], der als Zitier- und Abkürzungsliste in der Latinistik
eindeutig dominiert und in der Einleitung mit Recht mehrere Male als
im Zweifelsfall ausschlaggebend herausgestellt wird. Auf der
griechischen Seite beherrscht nicht ganz so eindeutig das
Verfasser/Werke-Verzeichnis von Liddell/Scott[4] das Feld in der
Wissenschaft. Dazu treten der amerikanische Thesaurus linguae Graecae[5]
und das Oxford Latin dictionary.[6] Fragezeichen kann man beim
Diccionario griego-espa¤ol,[7] das nicht sehr verbreitet ist und daher
wenig normierende Wirkung haben dürfte, und beim uralten Latin
dictionary von Lewis/Short[8] anbringen. Die zweimal 3 Nachschlagewerke
zur Patristik sind die Clavis patrum Graecorum bzw. Latinorum und die
Autorenregister zum Migne, dazu das Patristic Greek lexicon von Lampe
und die Zitierliste der Vetus Latina.[9] Auffälligste Fehlanzeige bei
diesen erstrangigen Nachschlagewerke ist die Clavis scriptorum
Graecorum et Latinorum von Rodrigue LaRue.[10] "Um die aus diesen
Nachschlagewerken ermittelten Namen im Sinn der gebräuchlichsten Form
anzusetzen und Verweisungsformen von möglichst vielen weiteren Formen,
speziell auch der im Deutschen üblichen Namen, zu erhalten, wurden die
Namen anhand weiterer Nachschlagewerke überprüft" (S. XI). Auf dieser
zweiten Stufe folgen 3 Sachlexika, 3 Literaturgeschichten, L'ann‚e
philologique und als einzige nicht fachspezifische Nachschlagewerke
die Library of Congress classification und die Schlagwortnormdatei
(SWD). Über die Zusammensetzung dieser Gruppe gibt es sicher
verschiedene Meinungen. Bei den Lexika begegnen neben dem Kleinen
Pauly[11] zwei Taschenlexika[12], nicht aber z.B. das Oxford Classical
dictionary[13] und das Lexikon der Alten Welt.[14] Die Geschichte der
römischen Literatur von Michael von Albrecht[15] kam wohl zu spät. Dies
sind aber Nebensächlichkeiten, da alles Wesentliche durch die
erstrangigen Nachschlagewerke abgedeckt ist. Außerdem wird pauschal
angedeutet (S. XI), daß man gelegentlich noch weitere Nachschlagewerke
herangezogen hat; unter diesen Ungenannten müßten sich mehrere
fremdsprachige befinden, aus denen die im Sinne der Internationalität
ausgiebig einbezogenen englischen, französischen und italienischen[16]
Verweisungsformen geschöpft sind.
Diese Nachschlagewerke sind mit drei Zielrichtungen ausgewertet
worden: 1) möglichst lückenlose Erfassung aller in Betracht kommenden
antiken Personen; 2) Bestimmung der Ansetzungsformen; 3) Sammlung von
Verweisungsformen.
Ziel (1) müßte erreicht worden sein. Das Auftauchen neuer Namen durch
Neufunde oder neue Editionen dürfte sich, anders als bei PMA, in
verschwindend engen Grenzen halten. Die Einleitung S. IX gibt zu
verstehen, daß man - auch im Hinblick auf die oben erwähnten
weitergehenden Verwendungsmöglichkeiten - im Zweifelsfall auch den
einen oder anderen Namen aufgenommen hat, der für die alphabetische
Katalogisierung vermutlich nie benötigt werden wird.
Zu (3): Erklärtermaßen hat man "möglichst viele" (S. IX, XI)
Verweisungsfomen aufgenommen; es sollte offenbar ein möglichst dichtes
Netz geknüpft werden, mit dem alle nur erdenklichen Suchansätze von
Benutzern und Katalogisierern "auch ... ohne einschlägige
philologische Vorbildung" (S. IX) eingefangen werden können. Dieser
Gedanke ist sicher richtig, und im OPAC (den man allein im Auge hat)
mag es auf 1000 Verweisungen (Vw) mehr oder weniger nicht ankommen.
Aber manchmal drängt sich vielleicht doch nicht nur dem Philologen der
Eindruck auf, daß etwas zu viel des Guten getan wurde. Durch die nicht
vollständig dargelegte Auswertung zahlreicher verschiedenartiger
deutsch- und fremdsprachiger Nachschlagewerke sind sperrige
Ordnungshilfen (OH) entstanden, die oft dem Bereich der
Lexikondefinitionen, nicht der Beinamen angehören: Speusippos <Neffe
Platons> (auch <Nipote di Platone>, aber nicht <Nephew of Plato>),
Platon <Sohn des Ariston>, Trajan <Plinius-Korrespondent>, Caecilius
<Nachahmer der Neuen Attischen Komödie>, M‚nandre <MaŚtre de la
Com‚die Nouvelle>, Menon <Verfasser einer Medizinischen Doxographie>,
Menelaos <Vorläufer des Klaudios Ptolemaios>. Je bekannter ein Autor
ist, umso zahlreicher sind im allgemeinen die Vw, da er umso häufiger
in den Nachschlagewerken erscheint, was besonders bei Autoren, die
ohne OH angesetzt werden und nicht von Gleichnamigen unterschieden
werden müssen, zu fragwürdigen Aufblähungen führt. Daß zu Sappho (so
die Ansetzungsform) die Vw Saffo (ital.) sinnvoll ist, versteht sich;
aber müssen wirklich acht Vw von Sappho plus OH sein? Diese Anhäufung
von Vw führt natürlich auch zu zahllosen Inkonsequenzen, wie am
Beispiel von drei Leitern der Bibliothek von Alexandria illustriert
sei: Aristarch ist durch <Bibliothekar> und <Bibliotecario> als
solcher gekennzeichnet, Aristophanes von Byzanz durch <Leiter der
Bibliothek von Alexandreia>, Zenodot durch <Direttore della Biblioteca
di Alessandria>; die Philologen-Eigenschaft ist bei Aristarch durch
<Philologe>, <Philologus> und <Filologo> angegeben, bei Zenodot nur
durch <Philologe>, bei Aristophanes gar nicht. Für die Identifizierung
unbekannter Autoren ist der Benutzer von PAN keineswegs allein auf die
OH und Vw angewiesen, denn allen Ansetzungsformen sind als
begrüßenswerte weitere Hilfen die Lebensdaten und oft (vgl. S. XXIII
f.) auch Hinweise auf Werke, Quellen und moderne Ausgaben beigegeben.
Die Übernahme einer Ansetzungsform durch einen PAN-Anwender zieht
offensichtlich die Übernahme sämtlicher Vw nach sich, wie in den
Halbjahresverzeichnissen 1993 der DNB am Beispiel Hieronymus (1
Eintragung plus 21 Namensverweisungen!) zu sehen ist. Früher verwies
man nur von der vorliegenden abweichenden Namensform (RAK-WB 301,2)
- die von PAN gar nicht unbedingt abgedeckt ist, wie S. XXVI
eingeräumt wird.
Nun zu (2), zur Hauptsache. Bei den griechischen Namen wird die
althergebrachte Regel bekräftigt (S. XIII f.), daß sie latinisiert
anzusetzen sind, und daran führt in der Tat aus Gründen der Tradition
und der Internationalität kein Weg vorbei, obwohl im Deutschen heute
die Beibehaltung der griechischen Form (Kallimachos, nicht
Callimachus) üblich ist. Wegen der Einteiligkeit der griechischen
Namen und der vielen Gleichnamigkeiten tritt meistens ein Beiname oder
eine sonstige OH hinzu. Dabei bemühen sich die PAN S. XIV - XVI um
feste Regelungen, woher die OH zu nehmen und wie sie zu bilden sind.
Teils wird auf literarische Gattungsbezeichnungen zurückgegriffen,
wobei eine Standardliste von 56 OH - von Alchemista über Orator bis
Tragicus - in Anlehnung an den Thesaurus linguae Graecae
zugrundegelegt wird; teils werden Herkunftsbezeichnungen wie
Alexandrinus, Laodicensis herangezogen. Hin und wieder begegnen (auch
bei Römern) pragmatische andere Bildungen zwecks klarer
Unterscheidung, z. B. Cassius Longinus, Gaius <Caesaris interfector>,
Sophocles <iunior> (ein Enkel des großen Tragikers), Cornelia <Mater
Gracchorum>, doch haben die oben genannten Bezeichnungen Vorrang:
Seneca, Lucius Annaeus <Philosophus>, nicht <iunior>. Auch in der
Frage, welche Griechen ohne OH anzusetzen sind, wird das erfreuliche
Bemühen der PAN erkennbar, Ermessensspielräume und Unsicherheitszonen
durch klare Regelungen einzuengen.
Bei den römischen Namen taucht S. XVIII wieder die unglückliche
Behauptung aus den RAK auf, daß die üblichen dreiteiligen Namen "in
der Regel" (in RAK-WB, 2. Ausg. 1993, 329,3 Anm. abgeschwächt zu "im
Zweifelsfall") unter dem zweiten Bestandteil anzusetzen sind[17]. Es gibt
so viele bekannte Autoren, die vielmehr mit dem Cognomen benannt zu
werden pflegen (Plautus, Cicero, Caesar, Catull, Seneca, Iuvenal,
Tacitus usw. usw.), daß man nicht sinnvoll von einer Regel sprechen
kann.
Auf S. XX wird Rechenschaft abgelegt über die vom ThLL abweichenden
Ansetzungen. Es geht vor allem um Übernahmen aus PMA: Autoren, die in
den PMA enthalten, aber vor 501 gestorben sind, werden unverändert
übernommen. (Der ThLL, dessen Zeitgrenze bei 600 liegt, ist für PMA
nicht herangezogen worden.) Davon gibt es wiederum eine Ausnahme, die
mit einem sehr mißlichen Punkt in der Geschichte der RAK zu tun hat.
Die RAK-WB von 1983 "anglisierten" auch die römischen Namen, d.h.
verkürzten die mit Komma nachgestellten Namensteile; aus dem antiken
M. Tullius Cicero wurde Cicero, Marcus T., eine Schreibweise, die zu
keiner Zeit irgendwo in Gebrauch war. Dem folgten natürlich auch die
PMA. In den RAK-Mitteilungen Nr. 11 (1992) und danach in RAK-WB, 2.
Ausg., 1993, 329,6, Anm. 1 wurde dies ausdrücklich rückgängig
gemacht,[18] und die aus den PMA in die PAN übernommenen Ansetzungen hat
man nun ggf. entsprechend angepaßt.[19]
Stichproben erwecken aber weiterreichende Zweifel an der ThLL-Treue
der PAN. Hieronymus, Sophronius Eusebius soll der Kirchenvater jetzt
heißen; aber die beiden "Vornamen" sind unsicher überliefert und
fehlen im ThLL ebenso wie in den meisten anderen zugrundegelegten
Nachschlagewerke. Zu empfehlen ist Hieronymus <Stridonensis> im Anschluß
an ThLL oder noch besser (wie die DB 1981 - 1990) nur Hieronymus.
- Macrobius, Ambrosius Theodosius schreiben die PAN vor; aber im ThLL
fehlt das Komma. - Der durch alle Regelwerke geisternde Martianus
<Capella> heißt im ThLL Martianus Minneius Felix Capella. -
Unverständlich ist die Ansetzung Namatianus, Rutilius Claudius; ThLL
ordnet unter Rutilius ein, und so ist auch der wissenschaftliche
Sprachgebrauch.
Die Namen der antiken Kaiser und Könige unterscheiden sich in ihrer
Struktur nicht von den Namen ihrer Zeitgenossen. Trotzdem schreiben
die RAK-WB ihre Ansetzung nach den Sonderregeln für Fürsten ( 337)
mit normierter OH vor. Auf der griechischen Seite ist die Abgrenzung
der altgriechischen Fürsten, die ebenso wie biblische, altrömische und
byzantinische Fürsten lateinisch anzusetzen sind, von den deutsch
anzusetzenden "sonstigen" Fürsten des Altertums problematisch,
insbesondere in der Epoche des Hellenismus, als das Griechentum weite
Teile des Orients unterwarf und durchdrang. Maßgeblich ist nach RAK-WB
337,2 "im allgemeinen" die "Sprache des regierten Landes", doch
heißt es danach: "Namen, Territorien und Fürstentitel ...
altgriechischer ... Fürsten werden lateinisch angesetzt". Hier
scheint also die Person des Fürsten und nicht die Landessprache
ausschlaggebend zu sein. Wieder anders ist das Kriterium in PAN S. XXI
formuliert: "Die Ordnungshilfe wird in lateinischer Sprache angesetzt,
sofern die Person eindeutig dem griechisch-römischen Machtbereich bzw.
der Bibel zuzuordnen ist". Auf S. XXI sind die deutsch und die
lateinisch angesetzten Territorien getrennt (unvollständig)
aufgezählt, und daraus wird nun deutlich, daß man die Grenze eher
zuungunsten der letzteren gezogen hat.[20] Ptolemaeus <Ägypten, König,
II.> steht auch als Beispiel in RAK-WB 338,1. Ob aber das
hellenistische Ägypten mit seiner gemischten Bevölkerung wirklich als
nicht-griechischsprachig anzusprechen ist und die aus Makedonien
stammende Ptolemäer-Dynastie als Nicht-Griechen, kann man bezweifeln.
Makedonien bzw. seine Könige werden in PAN in überscharfer
Interpretation als nichtgriechisch betrachtet, womit man sich sogar in
Widerspruch zum Regelwerk setzt: RAK 339,1 und RAK-WB 338,1 haben
das Beispiel Alexander <Macedonia, Rex, III.> = Alexander der Große;
laut PAN soll aber Alexander <Makedonien, König, III.> richtig sein.
Der Streit um das Griechentum der Makedonen ist ja sogar heute noch
von politischer Brisanz. Nun reichte aber der Herrschaftsbereich
Alexanders d. Gr. von Anfang an weit über die Landschaft Makedonien
hinaus. Übergenaue Recherchen stehen vielleicht auch hinter der
Ungleichbehandlung zweier griechischer Kolonien auf Sizilien:
Dionysius <Syracusae, Tyrannus, I.> steht gegen Phalaris <Akragas,
Tyrann>. Um diese Dilemmata zu vermeiden und den Benutzererwartungen
besser zu entsprechen, hätte man vielleicht im Regelwerk eine
Formulierung einführen sollen, die alle diejenigen Fürsten
einschließt, die eindeutig Personen der griechischen Geschichte sind.
Damit hätte man Alexander und die hellenistischen Könige einbezogen,
die altägyptischen Pharaonen (die natürlich von den hellenistischen
Ptolemäern zu trennen sind) und die persischen Achämeniden z. B.
ausgeschlossen. In diese Richtung weist übrigens auch die oben
zitierte Formulierung der PAN S. XXI.
Die römischen Kaiser werden laut RAK-WB 337,1 Satz 2 nicht mit ihrem
vollständigen Namen angesetzt, sondern "unter dem bekanntesten Namen
bzw. Namensteil". Während man bis Anfang der 70er Jahre Augustus,
Gaius Iulius Caesar Octavianus ansetzte, gilt heute Augustus <Imperium
Romanum, Imperator>. Inkonsequent ist deshalb Marcus Aurelius
Antoninus <Imperium Romanum, Imperator>, denn da dieser Kaiser "Mark
Aurel" (engl. "Marcus Aurelius") genannt wird, sollte Antoninus
wegbleiben.[21]
Der neunzehn Jahre alte Vorschlag des Rezensenten, eine Liste aller
antiken Verfasser und Sachtitel in Ansetzungsform zu erstellen, stieß
fünf Jahre später bei Rudolf Jung auf Skepsis.[22] Nun ist die
Verfasserliste da, und dank des Fleißes und der Sorgfalt der
Bearbeiterinnen ist sie alles in allem gut und praktikabel geworden.
Die Bedenken und Einwände fallen nicht sehr ins Gewicht; bei
Stichproben fanden sich keine Lücken. Ein rascher Supplementband wie
bei PMA ist nicht zu erwarten. Und an der (vermutlich weit
aufwendigeren) Liste der Einheitssachtitel mit der Projektbezeichnung
TITAN wird an der UB Tübingen bereits gearbeitet, wie im Vorwort zu
lesen ist.[23] Auf das Ergebnis dieses wahrhaft titanischen Projekts darf
man gespannt sein.[24]
Bernd Bader
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