Die Verfasser der Kapitel der ersten Auflage sind in der Regel auch die Mitarbeiter der vierten (bzw. dritten) Auflage; für den Abschnitt Literatur des Barock konnte hingegen als Autor Professor Volker Meid, seit einigen Jahren freier wissenschaftlicher Schriftsteller, gewonnen werden. Die Einteilung der deutschen Literaturgeschichte in Epochen erfolgt in der traditionellen Weise. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Gebiet der Neueren Literatur; so wird die mittelalterliche Literatur mit rund 50 Seiten vergleichsweise knapp behandelt. Die einzelnen Beiträge zeichnen sich durch fundierte Sachkenntnis, gute Lesbarkeit und eine Fülle an Informationen aus; dabei wird in der Regel stets der neueste Stand der germanistischen Forschung berücksichtigt und eingearbeitet. Auf einen dezidiert fachspezifischen Literaturjargon wird im allgemeinen verzichtet, ebenso auf allzu große Detailliertheit. Das kann unter Umständen auch bedeuten, daß nicht jeder literaturhistorische, -soziologische oder -terminologische Aspekt in jener Ausführlichkeit behandelt wird, wie es die jeweilige wissenschaftliche Disziplin erwartet. Eine einbändige Literaturgeschichte kann und darf das auch gar nicht leisten.
Kurz hervorzuheben ist vor allem: Im Zentrum der Beiträge steht der literarische Text. Er ist Ausgangspunkt für Interpretation und Kommentar. Darum etwa wird ein Minnelied ebenso zitiert wie eine Passage aus einem spätmittelalterlichen Schwankzyklus oder einem literaturphilosophischen Traktat. Flankiert wird jeder Abschnitt durch eine bewährte pädagogisch-didaktische Einrichtung; Marginalien erleichtern die Suche nach bestimmten Begriffen, und über 400 Abbildungen unterstützen den visuellen Eindruck (bisweilen sind allerdings einige Abbildungen, insbesondere von Handschriften und Titelblättern, so klein, daß mancher Text nur mit Mühe entziffert werden kann).
Die Beiträger sind kritisch, besonders dort, wo Literatur kaum von politischen oder gesellschaftlichen Phänomenen isoliert betrachtet werden kann. Ihre Sprache ist erfreulich frei von Polemiken oder gar Zynismen - auch und gerade beim Abschnitt über die Literatur der DDR. Hier, aber auch im Kapitel über die Literatur der Bundesrepublik, wird stets urteilssicher reflektiert. Folgerichtig heißt der letzte Abschnitt, die augenfälligste Erweiterung gegenüber der dritten Auflage, Zwischenbilanz 1992. Fragen werden hier aufgeworfen, Antworten aber noch nicht gegeben. Das bleibt wohl der künftigen fünften Auflage vorbehalten. Eine sorgfältig ausgewählte, weiterführende Bibliographie rundet die Literaturgeschichte zu einem einheitlichen Ganzen ab. Ein Ziel wird sie somit gewiß erreichen: die Lust am Lesen.
Reinhard Tenberg