Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 2
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Metzler-Lexikon Sprache


94-2-269
Metzler-Lexikon Sprache / hrsg. von Helmut Glück. - Stuttgart [u.a.] : Metzler, 1993. - XX, 711 S. ; 24 cm. - ISBN 3-476-00937-8 : DM 48.00
[1966]

Das vorliegende Handlexikon enthält etwa 5.000 Artikel zum "Gesamtbereich der heutigen Sprachwissenschaft"; dabei werden "neben im engeren Sinne linguistischen Gesichtspunkten konsequent auch anthropologische, kulturelle, soziale, areale, pragmatische, psychologische, textuelle und historische Aspekte der Sprache und ihrer Erforschung in angemessenem Umfang berücksichtigt" (S. V). Das Nachschlagewerk, das sich stark an der deutschen Sprache ausrichtet, heißt rechtens "Lexikon Sprache" und nicht etwa "Lexikon Linguistik", denn als Zielgruppe sind nicht nur linguistische Profis, sondern alle an Sprache Interessierte angesprochen: Studierende philologischer Fächer, Übersetzer, Redakteure, Werbefachleute, Soziologen, Juristen und viele andere mehr.

Die Orientierung an einer weit gefaßten, nicht spezialisierten, inhomogenen Zielgruppe, die wohl auch einer Atomisierung der linguistischen Disziplinen entgegentreten will, hat die Autoren nicht zu einer vereinfachenden oder gar popularisierenden Darstellung der oft recht komplexen Sachverhalte verleitet. Aus der Zielgruppenadressierung erklären sich 1. der Wunsch nach größtmöglicher Inklusivität, der zu einer Berücksichtigung von Fachwörtern unterschiedlichster Provenienz führt (Fibel, Kulturnation, Terminologienormung), bisweilen aber auch übertriebene Züge trägt (Datenschutz, Technikfolgenforschung); 2. die Entscheidung, nicht nur "harte", technizistische Termini (Autosegmentale Phonologie, Scrambling), sondern auch viele "weiche" Termini (z. B. Babel, Witterungsverb, Wolfskinder) aufzunehmen; 3. das Bemühen um "Neutralität" in bezug auf theoretische Konzepte und Forschungsrichtungen der Linguistik; 4. das Streben nach der Vermittlung vielfältiger Aspekte (deutlich erkennbar beispielsweise in dem Artikel Ironie). Dem Paradigma der "Materialität" und "Medialität" der Kommunikation wird - im Unterschied zu den meisten sprachwissenschaftlichen Wörterbüchern - hinreichende Aufmerksamkeit geschenkt (dies zeigt sich in Artikeln zur Buchwissenschaft und Paläographie wie z.B. Incipit, Inkunabel, Ligatur, Palimpsest und Textura). Auch Fachwörter aus dem Bereich der Computerlinguistik und den neueren Technologien (z.B. ASCII-Code, Mensch-Maschine-Interaktion, Modul, Multi-Media-System, Textverarbeitung) werden großzügig aufgenommen. Fachwörter aus Stilistik, Rhetorik und Poetik sind verzeichnet, wenn deren Kenntnis für unverkennbar linguistische Thememstellungen nötig ist (Beispiele Konkrete Dichtung, Lettrismus).

Das größte Kontingent an Lemmata wird freilich von grammatischen Termini eingenommen - solchen aus der traditionellen "Schulgrammatik" (Konditionalsatz, Partizip) ebenso wie solchen aus der neueren linguistischen Theorie (Nullmorphem, Tiefenkasus).

Mit der Entscheidung, etwa 1.000 - teilweise von detaillierten Karten begleitete - Artikel zu Einzelsprachen, Sprachfamilien- und Sprachgruppen (Beispiele: Mittelenglisch, Papua-Sprachen, aber immerhin auch: Kölnisch und Chiquitano) aufzunehmen, scheint das Metzler-Lexikon Sprache einen Trend zu markieren. Sachwörterbücher zur Linguistik wie Abraham[1] und Lewandowski[2] schließen Sprachbezeichnungen noch völlig aus, die 2. Aufl. von Bußmanns Lexikon der Sprachwissenschaft[3] hingegen verzeichnet schon deutlich mehr Bezeichnungen von Sprachen, Sprachgruppen und -familien (etwa 300) als die 1. Aufl.

Die Artikel werden durch ein deutlich gekennzeichnetes, fett gedrucktes Lemma eingeleitet, dem in Klammern eventuelle Synonyma und gelegentlich auch französisch- und englischsprachige Äquivalente folgen. Sie sind in der Regel von angemessener Länge; zu den Ausnahmen zählt der viel zu kurze Artikel Übersetzung. Den meisten Artikeln sind weiterführende, häufig aber doch recht knapp gehaltene Literaturhinweise beigefügt; sie konzentrieren sich in vielen Fällen zu einseitig auf monographische, deutschsprachige, auf die deutsche Sprache bzw. auf Gegenwartssprache bezogene Literatur (Beispiel: Infinitivkonstruktion). Für viele Lemmata, die nicht als Internationalismen gelten dürfen, existieren als verweisende Lemmata die entsprechenden englischen oder französischen Bezeichnungen (Bsp. Langue enfantine, Child language, children's language verweisen auf Kindersprache).

Die Qualität der einzelnen Artikel, von insgesamt 70 mit Autorenkürzel zeichnenden Verfassern geschrieben, ist freilich unterschiedlich. Gelegentlich fehlen entscheidende, auch kontextstiftende Informationen (im Artikel Karolingische Minuskel beispielsweise explizite Hinweise auf Karl den Großen oder auf das ebenmäßige Erscheinungsbild der Schrift). Für einen detaillierten Vergleich einzelner Lexikonartikel bietet sich eine Gegenüberstellung mit dem Lexikon von Bußmann an, das ebenfalls eindeutig dem wissensorganisatorischen Prinzip der micropaedia verpflichtet ist. In vielen Fällen empfiehlt sich Bußmann durch die anschaulichere Darstellung (vgl. z.B. die Artikel Diskursmarker bzw. Diskurspartikel), durch die größere Bedeutung, die Beispielen beigemessen wird (vgl. Phrase), oder durch die ausführlichere Erläuterung (vgl. code-switching bei Bußmann und Metzler).

Ein Platz im Grundbestand an Informationsmitteln jeder wissenschaftlichen Universalbibliothek, aber auch jeder öffentlichen Bibliothek dürfte dem Metzler-Lexikon Sprache jedoch trotz der vorgetragenen Defizite kaum streitig gemacht werden.[4]

Werner Bies


[1]
Terminologie zur neueren Linguistik / verf. und zsgest. von Werner Abraham. - 2., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. - Tübingen: Niemeyer, 1988. - (Germanistische Arbeitshefte : Ergänzungen ; 1). (zurück)
[2]
Linguistisches Wörterbuch / Theodor Lewandowski. - 5. überarb. Aufl. - Heidelberg [u.a.] : Quelle & Meyer, 1990. - (Uni-Taschenbücher ; 1518). - Vgl. ABUN in ZfBB 38 (1991),3, S. 286 - 288. (zurück)
[3]
Lexikon der Sprachwissenschaft / Hadumod Bußmann. - 2., völlig neu bearb. Aufl. - Stuttgart : Kröner, 1990. - (Kröners Taschenausgabe ; 452). - Vgl. ABUN in ZfBB 38 (1991),3, S. 286 - 288. - 1. Aufl.: Stuttgart : Kröner, 1983. (zurück)
[4]
Vgl. die Rezension in ZfBB (ABUN) 41 (1994),2, S. 212 - 213. (zurück)

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