Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 1
[ Bestand in K10plus ]

Englische Sprachwissenschaft


94-1-055
Englische Sprachwissenschaft : eine Bibliographie / von Karl Reichl. Mit einem Anhang von Helmut Gneuss. - Berlin : Erich Schmidt, 1993. - 251 S. ; 21 cm. - (Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik ; 17). - ISBN 3-503-03068-9 : DM 34.00
[1881]

Angesichts der verwirrenden "Vielfalt der linguistischen Modelle und Theorien" will die vorliegende annotierte Auswahlbibliographie eine Orientierungshilfe geben "für den Studenten, der nicht primär Sprachwissenschaft studiert, sondern innerhalb einer philologischen Einzeldisziplin wie der Anglistik auch linguistische Veranstaltungen besucht und bemüht ist, sich über sprachwissenschaftliche Grundkenntnisse hinaus Spezialwissen anzueignen" (S. 15). Die Bibliographie, die laut Autor auf Autopsie basiert, enthält insgesamt 1996 Eintragungen, zumeist Titel monographischer Literatur; nur gewichtige Aufsätze, "auf die in der Forschung wiederholt Bezug genommen wird" (S. 16), wurden zusätzlich aufgenommen. Bis auf wenige Ausnahmen wird Literatur, die nach 1992 erschienen ist, nicht mehr verzeichnet. Die Titelaufnahmen erfolgen ohne Verlags- und Umfangsangabe.

Die Bibliographie gliedert sich in drei Hauptteile: I. Allgemeines (S. 21 - 44), II. Synchronie (S. 45 - 173) und III. Diachronie (S. 174 - 220). Teil IV verzeichnet A. Bibliographische Hilfsmittel, B. Nachschlagewerke (Terminologische Wörterbücher, Handbücher), C. Zeitschriften, D. Literatur zur Geschichte der Sprachwissenschaft. Der 2., Synchronie überschriebene Hauptteil verzeichnet allgemeine Einführungen in die Sprachwissenschaft, Literatur zu den wichtigsten sprachwissenschaftlichen Modellen und Richtungen, Studien zum heutigen Englisch und zu dessen Struktur, Arbeiten zu den Varietäten des Englischen und zur Angewandten Linguistik. Die Binnengliederung des 2. Teils richtet sich weitgehend an der bewährten Stufenleiter der Analyseebenen aus - der Phonetik und Phonologie folgen beispielsweise Morphologie und Wortbildung. Andere Abfolgen sind aber schlichtweg unverständlich: So findet beispielsweise die Semiotik (S. 103 - 107) zwischen Lexikologie und Lexikographie und Semantik ihren Platz. Während für den zweiten Teil keine deutliche Trennung zwischen allgemeiner und anglistischer Linguistik auszumachen ist - eine rigide Grenze ist aus fachimmanenten Gründen unmöglich -, ist der 3. Teil Synchronie, mit der historischen Sprachwissenschaft und der Sprachgeschichte befaßt, weit stärker auf das Englische beschränkt. Im Anhang führt Helmut Gneuss die wichtigsten Wörterbücher der heutigen englischen Sprache (S. 221 - 233) auf. Auf der jeweils untersten Gliederungsebene (von hier ab wird nach dem Alphabet der Autoren geordnet) finden sich Abschnitte wie Saussure und die Genfer Schule (S. 53 mit 5 Titeln), Tempus, Aspekt (S. 73 - 75, 21 Titel), Funktionale Satzperspektive (S. 78, 3 Titel), Die englische Sprache in Kanada (S. 157 - 158, 5 Titel).

Die vorliegende systematische Gliederung folgt einer traditionellen Einteilung des Faches. Pragmatisch orientierte Systemstellen, die in linguistischen Fachbibliographien, insbesondere germanistischen, mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, da sie den Erkenntnisinteressen ihrer Benutzer entsprechen (Sprache der Politik, Werbesprache, Sprache der Massenmedien), fehlen hier (mit einer Ausnahme: Sprache und Geschlecht, S. 147). Entsprechende Studien werden eher konservativen Systemstellen zugeordnet: eine Arbeit zur Rundfunkkommunikation ( Nr. 920) der Konversationsanalyse, eine Publikation über Werbesprache (Nr. 1311) der Stelle Slang, Register, Fachsprache. Die Literaturauswahl zeugt von großer Umsicht, sie befremdet nur in Ausnahmefällen, etwa im Abschnitt Übersetzungstheorie (S. 167 - 168), in dem die Literatur etwas einseitig zusammengestellt wird. Vertreter eines eher 'philologisch' ausgerichteten Übersetzungsbegriffes werden eindeutig zuungunsten der Befürworter einer Theorie des funktionalen, handlungsorientierten und zweckgerichteten Übersetzens (Skopuskonzept) favorisiert. Nur folgerichtig fehlt dann beispielsweise auch die Studie von Reiß und Vermeer.[1] Sehr literarisch orientiert ist auch der Abschnitt Die englische Sprache im 19. und 20. Jahrhundert (S. 190): Von den neun angeführten Studien sind allein sechs einzelnen Schriftstellern gewidmet. Insgesamt finden Thesauri und Wörterbücher keine besonders großzügige Aufnahme.[2]

Die Annotationen sind äußerst sparsam, meist eher indikativ als informativ und oft auf rein formale oder numerische Aspekte beschränkt (Angabe der Schrifttumsgattung: Abriß, Nr. 505, Handbuch, Nr. 697; Hinweis auf die Zahl der Beiträge: "Enthält 11 Beiträge", Nr. 710). Im schlimmsten Fall sind sie tautologisch, wenn lediglich Stichwörter aus dem Titel wiederholt werden (z.B. Nr. 583 und 590). In Anbetracht der äußerst knapp gehaltenen, nur selten evaluativen Annotationen dürfte der Anspruch einer Informationsleistung für Studierende kaum erfüllt werden. Die Kargheit der Annotationen enttäuscht insbesondere im Kapitel über die Wörterbücher; gerade hier erwarten potentielle Käufer und Nutzer, zu denen auch Erwerbungsbibliothekare zählen, statt vornehmer Zurückhaltung echte Entscheidungshilfen. Das grundlegende Erfordernis einer adressatenspezifischen Wissensorganisation in einer Zeit der ungebremsten Publikationsflut scheint auch hier in all seiner Brisanz nicht erkannt zu sein.

Das Register (S. 234 - 251) verzeichnet die Namen der Autoren bzw. Herausgeber sowie die Zeitschriftentitel. Auf ein Sachregister wird verzichtet; der Wunsch, dessen Funktion könne durch das Inhaltsverzeichnis übernommen werden (S. 234), kann aufgrund des kategorialen Unterschiedes zwischen den beiden Instrumenten der Wissensverdichtung nicht in Erfüllung gehen, selbst wenn das Inhaltsverzeichnis, wie vom Autor betont und oben dargestellt, eine gewisse Ausführlichkeit beanspruchen kann. Im Falle speziellerer Studien - Beispiele: Farbwörter (Nr. 835), Höflichkeit (Nr. 922), Zoosemiotik (Nr. 756) - wird ein Sachregister besonders dringlich vermißt.

Trotz der vorgebrachten Einschränkungen mag man Reichls Fachbibliographie einen Platz im Informationsbestand einer Universalbibliothek nicht verwehren.

Werner Bies


[1]
Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie / Katharina Reiß und Hans J. Vermeer. - 2. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1991. - (Linguistische Arbeiten ; 147). (zurück)
[2]
Es fehlen beispielsweise: Multilingual lexicon of linguistics and philology : English, Russian, German, French / Rose Nash. - Coral Gables, Fla: University of Miami Press, 1968 und Sprachen der Welt : ein weltweiter Index der Sprachfamilien, Einzelsprachen und Dialekte, mit Angabe der Synonyma und fremdsprachigen Äquivalente / Albrecht Klose. - München [u.a.] : Saur, 1987. - Zu letzterem vgl. die Rezension in ABUN in ZfBB 35 (1988),5, S. 471 - 475. (zurück)

Zurück an den Bildanfang