Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 1
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Das Bibliothekswesen Frankreichs


94-1-043
Das Bibliothekswesen Frankreichs / von Wolfgang Hillen und Annemarie Nilges. - Wiesbaden : Reichert, 1992. - XIV, 289 S. ; 25 cm. - (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens ; 14). - ISBN 3-88226-557-4 : DM 88.00
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Obwohl beide Autoren deutsche und keine französischen Bibliothekare sind, zeichnen sie als Fachreferenten der Romanistik doch ein fundiertes Bild der Entwicklung des französischen Bibliotheks- und Informationswesens, das sich in erster Linie auf die Auswertung französischsprachiger Quellen stützt. Diese sind - zahlreiche Zeitungsartikel eingeschlossen - inzwischen so reichhaltig, daß die Aufnahmefähigkeit des Lesers vor allem bei der detaillierten Darstellung der planerischen Aktivitäten staatlicher Einrichtungen bisweilen an ihre Grenzen stößt. Dennoch können Lehrende wie Lernende längerfristig mit Gewinn auf das Buch zurückgreifen, das trotz der Einführung von E. Simon[1] auf dem deutschsprachigen Markt momentan eine Lücke schließt. Dies ist umso begrüßenswerter, als Frankreich im Rahmen des europäischen Binnenmarktes wirtschaftlich und beruflich mehr und mehr in den Blickpunkt öffentlichen Interesses rückt. Es macht durchaus Sinn, Entwicklungen und Tendenzen im Informationswesen unseres Nachbarlandes aufmerksam zu beobachten, um so im Vergleich eigene Struktur- und Organisationsdefizite zu verhindern oder transparenter zu machen. Vor allem die Einführung der neuen Technologien in den letzten Jahren zeigt im französischen Bibliothekswesen ein progressives Handeln auf, das auch für manche deutsche Bibliothek wünschenswert wäre. So sind für die Rationalisierung des eigenen Arbeitsablaufs die Fremddatenübernahme zentraler Dienstleistungsangebote unabdingbar, um so die Vorteile kooperativer Leistungen zu erkennen. Beispielhaft hierfür sind der Catalogue Collectif National des Publications en Série (CCN), der als Datenbank beim Host SUNIST aufliegt und über PC, Minitel oder als CD-ROM-Ausgabe genutzt werden kann. Der Pancatalogue[2] als Gesamt-Verbundkatalog für Monographien der französischen Hochschulen, der noch in den Anfängen steckt, entwickelt sich aus den Katalogisaten der Verbundsysteme SIBIL (Universitätsbibliotheken), Réseau Coopératif und OCLC, sowie den Datenbasen der BibliothŠque Nationale und des Catalogue Collectif des Usagers Mobi-Cat (CCUM). Für die Sacherschließung wurde der Verbund RAMEAU geschaffen, dessen Standardschlagwortliste von der BibliothŠque Nationale und der Universität Laval/Québec in Kanada, die die französische Übersetzung der subject headings der LOC erstellt, erarbeitet wird. Mit diesen nationalen Angeboten ist den Bibliotheken ein Instrumentarium geschaffen worden, jeden erworbenen Titel so schnell wie möglich nachzuweisen und die Kosten für formale und sachliche Erschließung so gering wie möglich zu halten.

Die Studie wird mit einem kurzen historischen Überblick über die Entwicklung des französischen Bibliothekswesen eingeführt, auf den bei der Abhandlung der einzelnen Kapitel über die verschiedenen Bibliothekstypen und Sachzusammenhänge kursorisch, manchmal etwas lästig, zurückgegriffen wird. Kenntnisreich wird die Einbindung des Bibliothekswesens in die staatliche Verwaltung vorgestellt, wobei die einzelnen Bibliothekstypen konsequent ihrer Benutzerklientel entsprechend aufeinander bezogen sind, ohne daß die zahlreichen bibliothekarischen Berufsverbände, die eine ähnlich verworrene Politik betreiben wie in Deutschland, darauf entscheidenden Einfluß genommen hätten. Inwieweit die neue BibliothŠque de France, die aufgrund ihrer immensen Kosten und nicht immer funktionalen Architektur scharf in die Kritik genommen wird, die Bibliothekslandschaft Frankreichs wie beabsichtigt konzeptionell beeinflußt, indem unter ihrer Leitung die einzelnen Bibliothekssparten zu einem Verbund zusammengefaßt werden, bleibt abzuwarten.

Die Untersuchung spiegelt den Stand der Entwicklung bis zum Jahr 1990 wieder, so daß verständlicherweise die Bestrebungen der neuen Regierung, das Bibliothekswesen auch in der Region zu stärken, nicht weiter berücksichtigt werden konnten. Demzufolge hat auch die Ausbildung der Bibliothekare eine neue Qualität erhalten, indem neben dem conservateur (Fachreferent) und dem bibliothécaire adjoint (Diplom-Bibliothekar) der bibliothécaire als Direktionsassistent, stellvertretender Abteilungsleiter oder Verantwortlicher für bestimmte abteilungsübergreifende Aufgaben in öffentlichen oder wissenschaftlichen Bibliotheken getreten ist. Seit 1993 hat die für die Ausbildung des conservateur zuständige Ecole Nationale Supérieure des Sciences de l'Information et des BibliothŠques (ENSSIB) den Status einer universitären und damit auch forschenden Einrichtung erhalten, so daß der Berufsstand insgesamt an Achtung gewonnen hat.

Überdies enthält das Buch viele weitere lesenswerte Anregungen und Informationen über private Bibliotheken, zum Verlagswesen und Buchhandel, aber auch zur Dokumentation und Fachinformation. Alle Beiträge sind für den Interessierten über das Sachregister auch gezielt erschließbar, und die reichen Literaturhinweise (S. 258 - 274, leider nur alphabetisch, nicht sachlich geordnet) können als Anregung für eine vertiefte Beschäftigung dienen.

Wolfgang Krueger


[1]
Bibliothekswesen in Frankreich : eine Einführung / Elisabeth Simon. - München [u.a.]: Saur, 1985. - 89 S. - ISBN 3-598-10598-3 : DM 28.00. - Diese Einführung ist heute in vielen Abschnitten überholt und insgesamt zu kursorisch. Zudem sind organisatorische Änderungen eingetreten, so daß auch deswegen eine breiter angelegte Abhandlung, die auch die kulturpolitischen Einflüsse in Frankreich berücksichtigt, notwendig wurde. (zurück)
[2]
Vgl. dazu ganz akutell: Pancatalogue : un catalogue collectif de livres pour l'enseignement supérieur / Anne Marie Motais de Narbonne. // In: Bulletin des bibliothŠques de France. - 39 (1994),1, S. 28 - 38. (zurück)

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