Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 1(1993) 3/4

Zur Typologie der Atlanten und ihrem Einsatz in der


93-3/4-235
Zur Typologie der Atlanten und ihrem Einsatz in der bibliothekarischen Informationspraxis

Fünfzehn Atlanten werden an dieser hierfür wohl etwas ungewöhnlichen Stelle besprochen. Schließlich gehören Atlanten - im ursprünglichen, engeren Sinn - zum geographischen Tätigkeitsbereich und gelten nicht primär als bibliothekarisches Arbeitsmittel. Doch soll einmal der Versuch unternommen werden, Atlanten über die Behandlung als Sammelobjekte in Bibliotheken hinaus nach bibliothekarischem Informationsgehalt zu prüfen, eine Praxis, die im anglo-amerikanischen Bibliothekswesen ganz selbstverständlich ist, wo neue Atlanten in den Rezensionen der bibliothekarischen Fachzeitschriften stets die ihnen zukommende Beachtung finden.

Dafür gilt es, zuerst einen kurzen Einblick in die Typologie zu geben. Dies ist auch mit der Tatsache zu begründen, daß bibliothekarischer Rat des öfteren von Benutzern zur Entscheidungshilfe bei der Auswahl bzw. beim Kauf eines Atlas herangezogen wird. Auf spezielle kartographische Probleme (Projektionen, Darstellungsmethoden, Produktionstechniken) soll jedoch nicht näher eingegangen werden,[1] und lediglich dort, wo es erforderlich ist, werden die notwendigen kartographischen Begriffe hinzugezogen. Soweit es der zur Verfügung stehende Raum erlaubt, werden Unterscheidungs- und Beurteilungskriterien an die Hand gegeben und an den hier vorzustellenden Atlanten exemplifiziert.[2]

Atlanten können unterschieden werden nach

- territorialer Gliederung: Welt-, Regional-, Nationalatlas

- Zweckbestimmung: Schul-, Nachschlage-, Hausatlas

- Erscheinungsform: Schul-, Handatlas

- Inhalt: physischer, thematischer, thematischer Spezialatlas

wobei eine Zuordnung - wie die Beispiele zeigen - durchaus in mehrere Gruppen gleichzeitig vorgenommen werden kann. Die richtige Zuordnung erlaubt es dann auch, aus der Menge der Angebote den richtigen Typus (Nachschlageatlas, Hausatlas, Planungsatlas etc.) herauszufiltern.

Die zunehmende kartographische Behandlung eines bestimmten Themas oder Themenkomplexes hat eine kaum noch zu überblickende Menge von Spezialatlanten zur Folge. Aber auch innerhalb eines Typus gibt es erhebliche konzeptionelle Unterschiede bis hin zu Mischformen, die sich nur schwer exakt zuordnen lassen. Zuletzt ist von Denk der Versuch unternommen worden, ein Diagramm der Typen zu entwickeln, das die Stellung und Zugehörigkeit untereinander darstellt.[3] Abgesehen von einer regionalen Zuordnung werden in dieser zweiteiligen Sammelbesprechung folgende Atlastypen vorgestellt: verschiedene Nachschlage- und Hausatlanten (mit Übergangsformen), auf denen der Schwerpunkt liegt, sowie im zweiten Teil, der in IFB 1 (1993),4 erscheint, je ein Regionalatlas, ein komplexer Nationalatlas, ein nationaler Reiseatlas und ein nationaler Satellitenbildatlas.

Gerade im Bereich der klassischen Weltatlanten hat sich in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen. So werden nicht mehr nur physische und politische Karten, ergänzt durch einzelne thematische Weltkarten, in einem Atlas zusammengestellt, sondern das Angebot durch umfangreiche Themenkarten, statistische und lexikalische Informationen über die Erde und/oder Satellitenbilder erweitert. Neben der kartographischen Qualität und Zuverlässigkeit treten also andere Aspekte für die Entscheidung hinzu, welchen Atlas man bevorzugt. Unabhängig von der kartographischen oder thematischen Ausstattung stellt darüber hinaus die Qualität des Erschließungsteils ein für die Beurteilung wichtiges Kriterium dar, das zudem leicht zu handhaben ist. Zum Erschließungsteil gehören: a) das Inhaltsverzeichnis, b) Indexblätter[4] und c) das Register.[5] Letzterem kommt die größte Bedeutung zu und hier liegt auch der für die bibliothekarische Arbeit wichtigste Punkt. Da zu erwarten ist, daß das Register alle geographischen Namen, die im Kartenteil vorkommen, verzeichnet, hat ein Atlas nicht zuletzt auch die Funktion eines internationalen Nachschlagewerks für geographische Namen. Dieser Aspekt ist deswegen relevant, weil in einer Bibliothek nicht von jeder Region oder jeder Nation ein Ortslexikon zur Verfügung stehen kann. Über die Verzeichnung von Orten hinausgehend berücksichtigen die Register in der Regel alle geographischen Einzelerscheinungen, d.h. zusätzlich auch Landschafts- oder Flurnamen, verwaltungsräumliche Benennungen, Gebirge, einzelne Berge, Flüsse oder Seen. Die Menge der Einträge ist dabei abhängig von der Informationsdichte der Karten und diese wiederum vom Maßstab. Atlanten können - einen entsprechenden Maßstab vorausgesetzt - auch für die Ansetzung von Ortsnamen oder Landschaftsbegriffen bibliothekarische Dienste tun. Aber auch hier gibt es wiederum eine verwirrende Vielfalt, die sich einerseits durch die im Register bevorzugte Reihenfolge der Namen (z.B. Ortsname vor Nicht-Ortsname), vor allem aber durch die gewählte Schreibweise eröffnet. Bevorzugen einige Atlashersteller die deutsche Schreibweise aller Ortsnamen, so folgen andere den Empfehlungen der Unesco.[6] Die damit verbundene Problematik mag beispielhaft verdeutlicht werden: Während die somalische Stadt Belet Huen in dieser Schreibweise in den deutschen Medien präsentiert wird, ist ihre Ansetzung in Atlanten mit internationalem Anspruch in den Schreibweisen Belet Uen, Beled Weyne oder Beledweyne anzutreffen. Ebenso streben einige der nach Autarkie drängenden Provinzen oder Regionen die offizielle Ortsnamensansetzung in ihrer eigenständigen Sprache an, z.B. Girona (katalanisch) statt Gerona (spanisch). In kritischen Fällen sollte in einem Atlas mit Verweisungen gearbeitet werden.

Die Grenzen des bibliothekarischen Nutzens werden in erster Linie vom Maßstab gesetzt. Inoffizielle Landschaftsnamen oder Gebiete auf unterer Verwaltungsebene sind in einem internationalen Weltatlas schwerlich zu finden. Gilt es beispielsweise, ein Buch über den Norte Grande (in Chile) zu klassifizieren, wird die Suche in einem Weltatlas ebenso erfolglos bleiben wie die Suche nach Baix Empordá (katalanische Verwaltungseinheit, in katalanischer Sprache). In derartigen Fällen ist gegebenenfalls auf National- oder Regionalatlanten bzw. Länderkunden auszuweichen.

Die politischen Ereignisse der letzten Jahre haben die Endlichkeit von Staatsgebilden und ihrer Grenzen wieder in unser Blickfeld gerückt. Die Herausgeber von Karten und Atlanten reagierten prompt, so daß eine Fülle aktualisierter Neuauflagen - meist ohne konzeptionelle Änderungen - aber auch gänzlich neue Atlanten auf den Buchmarkt gelangten.


[1]
Ein immer noch sehr empfehlenswerter Aufsatz zur Entstehung eines Atlas ist: Gibt es bei der Bearbeitung und Herausgabe von Atlanten echte Probleme? / Werner Bormann. // In: Kartographische Nachrichten. - 15 (1965), S. 108 - 122. (zurück)
[2]
Als weiterführende Literatur, die nach dem gerade Gesagten nicht umsonst amerikanischen Ursprungs ist und sich in erster Linie an Bibliothekare wendet, sei genannt:
Guidelines for reviewing atlases / Reference and Subscription Books Review Committee, American Library Association. // In: Fundamental reference sources / by Frances Neel Cheney and Wiley J. Williams. - 2. ed. - Chicago : American Library Association, 1980. - S. 315 - 318.
Kister's atlas buying guide / by Kenneth F. Kister. - Phoenix, Arizona : Oryx Press, 1984. - 236 S. - Vgl. die Rezension in ABUN in ZfBB 32 (1985),1, S. 80.
Critical atlas reviews : writing to learn about maps / Donald J. Zeigler. // In: American geographer. - 15 (1988), S. 357 - 362.
General reference books for adults : authoritative evaluations of encyclopedias, atlases and dictionaries / Marion Sader, ed. - New York ; London : Bowker, 1988. - XV, 614 S. - (The Bowker buying guide series). - Auswahl- und Beurteilungskriterien für Atlanten in Kap. 7 (S. 149 - 161). - Vgl. die Rezension in ABUN in ZfBB 36 (1989),5, S. 446 - 447. (zurück)
[3]
Atlaskartographie : Systematik, Entwicklung und gegenwärtiger Stand / Wolfgang Denk. // In: Tübinger geographische Studien. - 103 (1989), S. 181 - 194; s. insbesondere die Abb. S. 187. (zurück)
[4]
Diese werden verschiedentlich auch als Blattweiser, Kartenspiegel oder Findkarten bezeichnet. (zurück)
[5]
Vgl. hierzu: Register von Karten und Atlanten / Günter Rennau. - Gotha : Haack, 1976. (zurück)
[6]
Die Sachverständigengruppe der Vereinten Nationen für geographische Namen (United Nations Group of Experts on Geographical Names, UNGEGN) verfolgt das Ziel der internationalen Standardisierung geographischer Namen via nationaler Standardisierung. Jedes benannte topographische Objekt besitzt dabei einen von einer amtlichen Namenbehörde genehmigten Namen. Darüber hinaus werden Übereinkünfte z.B. für untermeerische oder extraterrestrische Objekte getroffen. Schließlich gehört hierzu ebenfalls das Problem der Transliteration. Vgl. hierzu: Die Standardisierung geographischer Namen im Rahmen der Vereinten Nationen. // In: Kartographische Nachrichten. - 31 (1981), S. 151 - 154. (zurück)

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