Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
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Sächsische Parlamentarier 1869 - 1918


01-2-485
Sächsische Parlamentarier 1869 - 1918 : die Abgeordneten der II. Kammer des Königreichs Sachsen im Spiegel historischer Photographien ; ein biographisches Handbuch / bearb. von Elvira Döscher und Wolfgang Schröder. Mit einem Vorwort von Gerhard A. Ritter. - Düsseldorf : Droste, 2001. - XII, 568 S. : zahlr. Ill., graph. Darst. ; 25 cm. - (Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien ; 5). - ISBN 3-7700-5236-6 : DM 98.00
[6502]

Gäbe es nicht Wilhelm Heinz Schröders großen Band Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867 - 1933[1] mit seinen fast 1100 Seiten für die Kurzviten von 2427 Personen, müßte man den von Elvira Döscher und Wolfgang Schröder jüngst vorgelegten Band über die Mitglieder der II. Kammer des Königreichs Sachsen in den Jahren 1869 bis 1918 als das opus magnum unter den prosopographischen Werken in den Reihen der Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien bezeichnen: denn fast 600 Seiten für "nur" 432 Abgeordnete sprechen schon a priori für die große Tiefe der Nachforschungen, die die Bearbeiter vorgenommen haben, auch wenn allein ein Block von 110 Seiten auf die Photographien von 412 Abgeordneten und die leeren Plätze bei den Abbildungen für nur zwanzig Abgeordnete, von denen Porträts nicht gefunden werden konnten, entfallen. Zu Recht ist der Bonner Kommissionsvorsitzende Gerhard A. Ritter auf dies Ergebnis - 95 % aller Mitglieder der II. Kammer des Berichtszeitraumes in Porträts vorgestellt - in seinem Vorwort stolz. Aber nicht nur diese "Ausbeute" berechtigt zu Stolz. Auch die geradezu unerschöpfliche Menge an ermittelten Daten und Fakten zu den 432 Parlamentarier-Viten ist beeindruckend. Sicher: es kann und darf gestritten werden, ob die auf S. 335 vorgestellte Gliederung der Kurzbiographien die sinnvollste ist. Andere wichtige Autoren der Parlamentarismus-Kommission - der schon erwähnte Wilhelm Heinz Schröder und Bernd Haunfelder[2] - legen ihren Arbeiten andere Gliederungsschemata zugrunde. Und auch der Rezensent hat sich in seinen einschlägigen Werken zu einem anders gefügten Kanon entschlossen, der ihm sachgerechter erscheint.[3]

Aber das ist letztlich nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, was den Parlaments- wie den Landesgeschichtlern, den Allgemein- wie den Sozialhistorikern an Daten und Fakten in die Hand gegeben wird. Und das ist - wie gesagt - beeindruckend und reicht von der erstmaligen Erarbeitung von Kurzlebensläufen "durchschnittlicher" oder unbedeutenderer Parlamentarier bis zu "kleinen" Korrekturen und meist wichtigen Ergänzungen in den Viten von Großen der politischen Geschichte, die auch einmal eine zeitlang Mitglied der sächsischen II. Kammer waren; und sei es auch nur, daß z.B. über die Angaben in der Kurzbiographie August Bebels und anderswo im neuen Band enthaltene Daten nun relativ leicht ermittelbar ist, von wann bis wann - tagesgenau - der spätere Führer der deutschen Sozialdemokratie Mitglied im sächsischen Landtag war.

Das Zentrale des neuen Handbuchs soll den Blick nicht verstellen auf die vielen "Extras", die der Band enthält. Das gilt zuerst für die fundierte Einleitung, mit der Wolfgang Schröder eine konzentrierte sächsische Landtagsgeschichte der Jahre 1869 bis 1918 vorlegt. Das gilt weiter für das umfassende und hilfreiche Literaturverzeichnis und - in besonderer Weise - auch für das Verzeichnis der Photographen. Allein dieses Register verdiente eine Besprechung für die Photographie-Geschichtler, die es ja auch gibt, wenigstens aber einen Hinweis in Zeitschriften, die sich der Photographie-Geschichte widmen. Letztlich bieten Elvira Döscher und Wolfgang Schröder ausgezeichnete Personen-, Firmen- und Ortsregister, die die Vernetzung mit anderen prosopographischen und wirtschafts- und ortsgeschichtlichen Werken ermöglichen. Also Hilfen für weitergehende Forschungen und erarbeitete Voraussetzungen für wertende Beurteilungen en masse. Man kann nur hoffen, daß die "Großhistoriker" zur Kenntnis nehmen, was hier - wie auch schon in den anderen prosopographischen Werken zur Parlementsgeschichte in den letzten Jahrzehnten, v.a. in den Büchern von Haunfelder - geboten wurde und nun neu für Sachsen geboten wird.

Gleichwohl: es bedarf einiger kritischer Anmerkungen, die aber nicht zuerst die Bearbeiter, sondern die "Reihenverantwortlichen" betreffen. Es ist einfach zu bedauern, daß in der Verantwortung einer Kommission historische Parlamentshandbücher in verschiedenen Reihen[4] eines "Programmverantwortlichen" erscheinen und auch immer wieder in unterschiedlichen Bezugsrahmen stehen. Einmal als Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, dann als Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; und letztere enthalten dann - gut - auch Kompilationen von Kurzbiographien, die meist selbst wieder als Handbuch bezeichnet werden. Dann: einmal Werke für die Zeit ab 1867 (diese meist bis 1918), dann ab 1871 (bis 1918 oder auch bis 1933) und nun ab 1869 (hier nun "nur" bis 1918). Schließlich: einmal an dem jeweiligen Verfassungsorgan (Reichstag, Landtage), dann an den Parteien in einem Verfassungsorgan (Zentrum im Reichstag) oder schließlich auch an den Parteien in Verfassungsorganen des Reiches und der Länder "aufgehängte" Werke. Man kann alles finden, aber die Editionspolitik erweist sich als Sieg der Unübersichtlichkeit. Warum werden nicht alle derartigen Werke als "Biographische Handbücher" bezeichnet und in eine Reihe gestellt, der dann - je nach Quellenlage - die großartigen Photosammlungen bei- oder angefügt werden? Der Aufbau der Kurzbiographien wurde angesprochen. Warum gibt es nicht als Vorgabe für die Bearbeiter von einer so kräftigen Kommission wie der unter dem Vorsitz Gerhard A. Ritters ein Schema zum Aufbau der Viten, das wirkliche Vergleichbarkeit erlaubt?

Schließlich zwei Anmerkungen aus der eigenen Erfahrung des Rezensenten als Bearbeiter derartiger Publikationen:

Erstens: Es wurde oben gesagt, die tagesgenaue Dauer der Mitgliedschaft August Bebels in der II. sächsischen Kammer, auf die es in irgendeinem Forschungsfall ankommen kann, sei nur relativ leicht zu ermitteln. Warum nur relativ leicht? Bei seiner Vita auf S. 344 findet sich nur das Datum des vorzeitigen Endes der Mitgliedschaft wegen Mandatsniederlegung; den Beginn der Mitgliedschaft muß man umständlich auf S. 182 im Kapitel Die Landtage 1869-1918: Tagungszeiten und Wahltermine suchen. Selbst wenn es Papier kostet, wäre es richtig, bei jedem Abgeordneten möglichst genau Beginn und Ende der Parlamentsmitgliedschaft zu verzeichnen - eben um umständliche Suche an anderen Orten zu vermeiden.

Zweitens: Es kann nicht dringend genug geraten werden, allen biographischen, sich auf ein Verfassungsorgan beziehenden Parlamentshandbüchern Übersichten über alle Wahlperioden bzw. - falls erforderlich - (in der älteren Terminologie) "Landtage" mit Angaben über die Mitglieder und andere "harte Fakten" (Amtsträger, Sitzungsperioden, Protokolle u.ä.) voranzustellen. Nur das verhindert, daß einzelne Abgeordnete, die vielleicht nur wenige Tage nach Nachwahlen im betreffenden Parlament Einsitz genommen haben "vergessen" werden und erlaubt Vergleiche darüber, wer mit wem wann gemeinsam unter welchem Vorsitz in einem Parlament saß und handelte, und gibt am Ort/im Jahr, für das man sucht, das leichte Auffinden der Quellen (Protokolle, Stenographische Berichte). Dabei handelt es sich nicht um eine "Marotte" des Rezensenten; die Erkenntnis von der Wichtigkeit dieser - zugegebenermaßen platzraubenden - Übersichten wurde aus den ersten bedeutenden derartigen Werken, den in vielen Auflagen (zeitweise alle zehn Jahre) vorgelegten Biographical directory of the United States Congress, 1774 - ...,[5] gewonnen, in denen diese Teile etwa immer ein Viertel des gesamten Buchumfanges ausmachen, aber die Benutzbarkeit für den, der derartige "Knochengerüste" bisher nicht kannte, unglaublich erleichtert.

Diese Bemerkungen mögen eines nicht verstellen: den Blick darauf, daß der Rezensent sich riesig über die Arbeit von Elvira Döscher und Wolfgang Schröder freut, sie wichtig und - so wie sie nun einmal angelegt war - gut gelungen und hilfreich und dazu nicht nur reich bebildert, sondern auch buchkünstlerisch mehr als nur ordentlich gemacht, nämlich gut und schön findet.

Jochen Lengemann


[1]
Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867 - 1933 : Biographien, Chronik, Wahldokumentation / Wilhelm Heinz Schröder. - Düsseldorf : Droste, 1995. - 1097 S. : Ill. ; 25 cm. - (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien ; 7). - ISBN 3-7700-5192-0 : DM 248.00 [4496]. - Rez.: IFB 99-B09-400. (zurück)
[2]
Zum Aufbau seiner Kurzbiographien äußert sich Schröder zuletzt in seinem in Fußn. 1 zitierten Band von 1995, S. 59 - 83, vor allem aber S. 59 - 62. (zurück)
[3]
Der Kanon für die Kurzbiographien in den Werken des Rezensenten findet sich zuletzt (S. 60) in: Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850 : ein Handbuch ; Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen / von Jochen Lengemann. - München ; Jena : Urban & Fischer, 2000. - 447 S. : Ill. ; 25 cm. - (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen : Große Reihe ; 6). - ISBN 3-437-31128-X : DM 128.00 [6188]. - S.o. IFB 01-2-426. (zurück)
[4]
Eine Gesamtbibliographie auf dem Stand von 1998 findet man in: Autoren, Bücher, Rezensenten : annotierte Bibliographie 1953 - 1998 ; die Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien / bearb. von Martin Schumacher. In Verbindung mit Achim Dünnwald und Ralf Gebel. - Düsseldorf : Droste, 1998. - 145 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-7700-5216-1 : DM 8.50 [5537]. - Rez.: IFB 00-1/4-337. (zurück)
[5]
Zuletzt: Biographical directory of the United States Congress, 1774 - 1989. - Bicentennial ed. - Washington : U.S. Government Printing Office, 1989. - XI, 2104 S. - Das Werk erscheint laufend kumulierend seit 1928, zunächst u.d.T. Biographical directory of the American Congress, 1774 - .... (zurück)

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