Die Bibliographie - ein Pendant zu des Verfassers Band World
mythology,[1] der dem Rezensenten nicht zur Verfügung stand - ist in
sieben, chapters genannte Bereiche aufgeteilt: General Studies (S. 13
- 38: general surveys of theories of myth, S. 7, unter problematischem
Ausschluß der als unwissenschaftlich erachteteten allegorischen
Interpretationen, S. 6); The Meaning of Myth (S. 39 - 58, mit einem
Schwerpunkt auf Definitionen des Mythos); Comparative Mythology (S. 59
- 105), Myth and Anthropology (S. 106 - 129, auch mit einem
Schwerpunkt auf ethnographischer Literatur); Myth and Psychology (S.
130 - 160), Myth, Religion, and Cult (S. 161 - 177) und The Structural
Study of Myth (S. 178 - 197), letztere, wie nicht anders zu erwarten,
vor allem Literatur von und zu Claude Lévi-Strauss anführend. Mag der
zugreifende Pragmatismus einer solchen Grobgliederung auf den ersten
Blick hin auch gefallen, angesichts des hohen trans- und
interdisziplinären Anspruchs einer Theorie des Mythos ist eine solche
Einteilung jedoch höchst problematisch und im Einzelfall auch nur
schwer nachvollziehbar. Warum wird beispielsweise der zweite Band von
Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen ausgerechnet dem
Kapitel Myth and Psychology zugeordnet (S. 136)? Und nicht nur die
Schriften von Cassirer, auch die anderer Autoren wie z.B. Mircea
Eliades werden verschiedenen Bereichen zugewiesen und sind somit über
das Buch verstreut: Inhaltlich Benachbartes wird auseinandergerissen,
wenn beispielsweise Eliades The sacred and the profane : the nature of
religions (19599 der Sektion Myth and Psychology (S. 138), die mit
dieser Studie eng verwandte Publikation Images and symbols : studies
in religious symbolism (1961) hingegen der Sektion Myth, Religion, and
Cult (S. 163 - 164) zugeordnet wird. Manche Titel werden zweifach
aufgeführt, so Robert Graves' Suche nach der weißen Göttin, The white
goddess, die - mit unterschiedlich akzentuierten Annotationen - sowohl
der Sparte Myth and Anthropology (S. 116) als auch der Sparte Myth,
Religion, and Cult (S. 167) zugewiesen wird.
Die Bibliographie verzeichnet Monographien, Zeitschriftenaufsätze
sowie Beiträge zu Sammelwerken (letztere ohne Angabe der
Seitenzahlen). Der Band versammelt wichtige Theoretiker des Mythos wie
Roland Barthes, Marcel Detienne, Georges Dumézil, Mircea Eliade, James
George Frazer, Algirdas Julien Greimas, Karl Kerényi, Bronislaw
Malinowski oder Vladimir Ja. Propp und führt gerne auch einführende
(didaktische) Literatur und college textbooks auf (z.B. S. 15, 17).
Unter den deutschsprachigen Autoren finden sich Rudolf Bultmann,
Walter Burkert, Max Lüthi, Walter Friedrich Otto, Lutz Röhrich, Heinz
Rölleke und Walter Scherf. Leider fehlen jedoch wegweisende
deutschsprachige Theoretiker des Mythos wie z. B. der
Kulturwissenschaftler Aby M. Warburg oder der Philosoph Hans
Blumenberg, der durch zahlreiche Übersetzungen inzwischen auch im
englischsprachigen Kulturraum präsent ist.[2] Auch die deutschsprachige
Naturmythologie des 19. Jahrhunderts - so wichtig für die Entwicklung
der comparative mythology - ist nur spärlich vertreten (Wilhelm
Mannhardt und Friedrich Leberecht Wilhelm Schwartz werden nur kurz in
Annotierungen erwähnt, S. 24, 101). Das romantische Programm einer
'Neuen Mythologie' bleibt unberücksichtigt. Im übrigen sind
nicht-englischsprachige Autoren bestenfalls aufgeführt, wenn eine
Übersetzung ins Englische vorliegt (S. 1). Auch gleichsam warnende
Einschränkungen wie "Some untranslated quotation in German" (S. 33)
zeugen von einem deutlichen Anglozentrismus.
Fast immer ist eine annotierte Bibliographie einer reinen
Titelbibliographie vorzuziehen. Und auch im vorliegenden Fall
enthalten die Annotierungen zahlreiche nützliche Hinweise, die bei der
Entscheidung, ob man ein bestimmtes Buch konsultieren will, helfen
können. Daß die Annotierungen oftmals dann, wenn sie einzelne Mythen
und Ethnien (z.B. Bororo, S. 23) zum Gegenstand haben, hilfreicher
sind, als wenn sie theoretische Prämissen, methodische Ansätze,
Zugriffe und Perspektiven kommentieren, ist verständlich, bei einer
Bibliographie, die der Mythentheorie gewidmet ist, aber um so
bedauerlicher. Leider, aber nicht überraschend, versagen die
Annotationen, wenn in nur wenigen Zeilen Hauptwerke der Philosophie
kommentiert werden sollen. Man vergleiche beispielsweise A. Honneths
- die philosophischen Grundzüge herausstellende - Würdigung von Claude
Lévi-Strauss' La pensée sauvage (1962) im Lexikon der philosophischen
Werke[3] mit der Annotation dieses Werkes bei Sienkewicz, die enumerativ
Themen ("totem, caste, elements, species, numbers, individuals, time,
and history") und Ethnien ("the Hidatsa, Navajo, Osage, and Pima of
North America, the Murngin of Australia, the Yoruba of Africa", S.
189) wiedergibt. Ebenso geben die Annotationen Hinweise auf die
wissenschaftliche Provenienz und/oder Status der Autoren (hilfreich:
Angaben wie "theologically trained archaeologist", S. 104, oder
"Egyptologist and professor of religion", S. 106; weniger
aufschlußreich: "professor at the University of Texas", S. 92) und auf
vorhandenes 'Beiwerk': Vorworte, Bibliographien, Anmerkungsapparate,
Register, Glossare, Illustrationen, Tabellen, Tafeln, Karten. In einer
Annotation wird Ernst Cassirer als "important Swedish philosopher" (S.
42), in einer anderen als "major German philosophical linguist" (S.
111) bezeichnet. Nicht ersichtlich ist, warum der Autor - zur
Bezeichnung der gleichen Methode - zwischen structural (S. 32) und
structuralist (S. 34) changiert.
Der Band enthält zwei Register, einen Author and Editor Index (S. 198
- 204) und ein Sachregister (S. 205 - 225), das nicht nur die Titel,
sondern weitgehend auch die Annotationen erschließt. Spätestens bei
der Nutzung des Registers wird deutlich, wie hilfreich eine
Numerierung der einzelnen Eintragungen gewesen wäre. Das 'Bestiarium'
der Mythologie ist im Register schlecht vertreten: Wir treffen hier
nicht Tiere wie spider (S. 59, 96), wolf (S. 162; immerhin aber
werewolves) oder horse (S. 92). Auch Pflanzen wie lotus und rose
(beide S. 66) und Symbole wie circle (S. 49), food (S. 88) oder hair
(S. 88) sowie gegenüber den Mythos abzugrenzende Gattungen wie fairy
tale (S. 40), folktale (S. 49, 71) oder legend (S. 40) fehlen im
Register. Theoretische Konzepte, sofern sie in den Annotationen
hinreichend vermittelt werden, sind im Sachregister nur unzureichend
vertreten (Beispiele: causality, S. 117; changeability, S. 106;
conflict-resolution, S. 139; contradictions, S. 146;
demythologization, S. 47; nonlinear, S. 40; organic, S. 103;
plasticity, S. 115; secularization, S. 67, 164; spatial problems, S.
112; universality, S. 48; immerhin sind aber Begriffe wie aetiology
oder euhemerism vertreten).
Der Band ist nicht befriedigend redigiert[4] und insbesondere
nicht-englischsprachige Namen werden nicht selten falsch
geschrieben.[5]
Angesichts äußerter Vorbehalte - insbesondere hinsichtlich des
Adressatenkreises, der erfaßten Autoren sowie der Qualität der
Annotationen wie der Redaktion - wird eine Anschaffung des Bandes für
wissenschaftliche Bibliotheken hierzulande nicht empfohlen.
Werner Bies
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