Nach einem Kapitel über Emil Berliner und die Erfindung des
Grammophons und damit auch der Beschreibung der Firmengründung folgt
die Firmengeschichte in Zehnjahres-Schritten mit ihren Erfolgen und
auch Mißerfolgen. Jedem dieser Kapitel wird eine kurze Darstellung der
weltgeschichtlichen Zusammenhänge[1] vorangestellt. Der Band ist gut
lesbar geschrieben und sehr aufwendig mit Photographien und
Abbildungen ausgestattet. Der Streifzug durch die Jahrzehnte bietet
dem Leser im Kapitel über die 20er Jahre eine kurze Geschichte der
Entwicklung der Schallplattenindustrie[2] und der Entstehung der
Tanzmusikorchesterszene in Deutschland. 1928 und 1929 wurden in
Deutschland jeweils 30 Millionen Schallplatten verkauft; 1945 war die
Plattenproduktion auf 0,5 Millionen Stück gesunken und 1949 erst
wieder auf 3,2 Millionen Stück angestiegen.
Der Leser begegnet Marlene Dietrich und Johannes Heesters in den
dreißiger Jahren, Rudi Schuricke, Freddy Quinn, Caterina Valente,
Peter Alexander und Peter Kraus[3] in den vierziger und fünfziger
Jahren, Wencke Myhre, Roy Black, Franz-Josef Degenhardt, James Last,
den Bee Gees in den sechziger Jahren,[4] Abba, dem Discofieber und
Gotthilf Fischer in den Siebzigern. Die achtziger Jahre sind geprägt
durch die Einführung der CD, die Neue Deutsche Welle, Udo Lindenberg,
den Musicalboom, in den Neunzigern waren HipHop, Easy Listening, André
Rieu, Rosenstolz und Andrea Bocelli für die Polydor wichtig.
Im Vorwort wird bereits ein Thema angeschnitten, das sich
- unbeabsichtigt - wie ein roter Faden durch das Buch zieht: bei einer
Plattenfirma "treffen Kreative auf Kaufleute, und in beiden Lagern
dreht sich das Leben um die Musik. Die Bilanz: viele Hits, aber auch
Flops. Das ist normal im Plattengeschäft! Kunst und Kommerz, Mutiges
und Muffiges, Großartiges, Kurioses, Peinliches ..." (S. 10). Immer
wieder kokettiert das Buch damit, wie einfach früher die Verträge
waren und wie wenig Geld die Künstler erhielten,[5] aber es findet sich
auch immer wieder der Hinweis, wie viel Gewinne[6] mit Künstlern gemacht
wurden (natürlich ohne konkrete Zahlen zu nennen).[7] Nüchtern wirkt der
kommerzielle Wink selbst bei Weltstars wie Marlene Dietrich,[8] hart ist
die hausinterne Kritik am Siemens-Kritiker Franz-Josef Degenhart, der
aber dennoch gehalten werden kann.[9] Kritik von außen läßt man nur
ungern an sich herankommen: der Spiegel veröffentlichte am 2. Oktober
1963 eine Titelgeschichte Das Kartell der Schlagermacher, in dem der
Plattenindustrie große Korruptionsvorwürfe gemacht wurden.[10]
Verständlich auch, daß die Autorin/Mitarbeiterin die Presse kritisiert
und das Vorurteil, "die Musikbranche sei in einer Grauzone zwischen
Schaustellergewerbe und Gebrauchtwagenhandel angesiedelt",
zurückweisen muß: "So ein Ruf hilft in ohnehin schon wirtschaftlich
angespannten Zeiten nicht gerade, das Ruder wieder herumzureißen", so
als ob dies die Aufgabe der Presse wäre.
Im Anhang des Buches folgen die Polydor-Anschriften im Lauf der Jahre,
die Zeitreise mit Polydor: die Single-Bestseller seit 1950, Die
Fachbegriffe, eine alphabetische Liste der Zeitzeugen und Autoren,
eine Liste von Labels (Partner-Labels der DGG und von Polydor),
Quellen und Biografie,[11] ein Bildnachweis, Coda mit einer Liste von
Freunden und Förderern. Dagegen vermißt man ein Personenregister.
Bernhard Hefele
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