Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2

Sternenhimmel


01-2-373
Sternenhimmel : die Chronik einer deutschen Schallplattenmarke / von Bettina Greve. - Deutsche Erstausg. - Höfen : Hannibal-Verlag, 2001. - 263 S. : Ill. ; 29 cm. - Umschlagtitel: Polydor. - ISBN 3-85445-205-5 : DM 78.00. - (Koch Media GmbH, Hermann-Schmid-Str.10, 80336 München)
[6511]

Es wird immer wieder gerne behauptet, die Industrie hätte kein Gedächtnis, aber sie braucht und sie hat ein Archiv, eine Schallplattenfirma sowieso. Die Firma Polydor ist ungefähr jedem zweiten Deutschen dem Namen nach bekannt und wurde 1913 als Marke für Musikinstrumente, Walzen, Schallplatten und andere Produkte eingetragen. Die Muttergesellschaft, die Deutsche Grammophon, feierte 1998 ihren 100. Geburtstag. Durch dieses Jubiläum wurde auch die Geschichte der Tochter Polydor ins Rampenlicht gerückt. Der vorliegende Band ist das Ergebnis zahlreicher Anfragen nach einem geschichtlichen Abriß dieses Pop-Labels. Die Autorin war Leiterin der Presseabteilung National bei Polydor und ist heute für deren Online-Aktivitäten zuständig.

Nach einem Kapitel über Emil Berliner und die Erfindung des Grammophons und damit auch der Beschreibung der Firmengründung folgt die Firmengeschichte in Zehnjahres-Schritten mit ihren Erfolgen und auch Mißerfolgen. Jedem dieser Kapitel wird eine kurze Darstellung der weltgeschichtlichen Zusammenhänge[1] vorangestellt. Der Band ist gut lesbar geschrieben und sehr aufwendig mit Photographien und Abbildungen ausgestattet. Der Streifzug durch die Jahrzehnte bietet dem Leser im Kapitel über die 20er Jahre eine kurze Geschichte der Entwicklung der Schallplattenindustrie[2] und der Entstehung der Tanzmusikorchesterszene in Deutschland. 1928 und 1929 wurden in Deutschland jeweils 30 Millionen Schallplatten verkauft; 1945 war die Plattenproduktion auf 0,5 Millionen Stück gesunken und 1949 erst wieder auf 3,2 Millionen Stück angestiegen.

Der Leser begegnet Marlene Dietrich und Johannes Heesters in den dreißiger Jahren, Rudi Schuricke, Freddy Quinn, Caterina Valente, Peter Alexander und Peter Kraus[3] in den vierziger und fünfziger Jahren, Wencke Myhre, Roy Black, Franz-Josef Degenhardt, James Last, den Bee Gees in den sechziger Jahren,[4] Abba, dem Discofieber und Gotthilf Fischer in den Siebzigern. Die achtziger Jahre sind geprägt durch die Einführung der CD, die Neue Deutsche Welle, Udo Lindenberg, den Musicalboom, in den Neunzigern waren HipHop, Easy Listening, André Rieu, Rosenstolz und Andrea Bocelli für die Polydor wichtig.

Im Vorwort wird bereits ein Thema angeschnitten, das sich - unbeabsichtigt - wie ein roter Faden durch das Buch zieht: bei einer Plattenfirma "treffen Kreative auf Kaufleute, und in beiden Lagern dreht sich das Leben um die Musik. Die Bilanz: viele Hits, aber auch Flops. Das ist normal im Plattengeschäft! Kunst und Kommerz, Mutiges und Muffiges, Großartiges, Kurioses, Peinliches ..." (S. 10). Immer wieder kokettiert das Buch damit, wie einfach früher die Verträge waren und wie wenig Geld die Künstler erhielten,[5] aber es findet sich auch immer wieder der Hinweis, wie viel Gewinne[6] mit Künstlern gemacht wurden (natürlich ohne konkrete Zahlen zu nennen).[7] Nüchtern wirkt der kommerzielle Wink selbst bei Weltstars wie Marlene Dietrich,[8] hart ist die hausinterne Kritik am Siemens-Kritiker Franz-Josef Degenhart, der aber dennoch gehalten werden kann.[9] Kritik von außen läßt man nur ungern an sich herankommen: der Spiegel veröffentlichte am 2. Oktober 1963 eine Titelgeschichte Das Kartell der Schlagermacher, in dem der Plattenindustrie große Korruptionsvorwürfe gemacht wurden.[10] Verständlich auch, daß die Autorin/Mitarbeiterin die Presse kritisiert und das Vorurteil, "die Musikbranche sei in einer Grauzone zwischen Schaustellergewerbe und Gebrauchtwagenhandel angesiedelt", zurückweisen muß: "So ein Ruf hilft in ohnehin schon wirtschaftlich angespannten Zeiten nicht gerade, das Ruder wieder herumzureißen", so als ob dies die Aufgabe der Presse wäre.

Im Anhang des Buches folgen die Polydor-Anschriften im Lauf der Jahre, die Zeitreise mit Polydor: die Single-Bestseller seit 1950, Die Fachbegriffe, eine alphabetische Liste der Zeitzeugen und Autoren, eine Liste von Labels (Partner-Labels der DGG und von Polydor), Quellen und Biografie,[11] ein Bildnachweis, Coda mit einer Liste von Freunden und Förderern. Dagegen vermißt man ein Personenregister.

Bernhard Hefele


[1]
Kleine Fehler in der Weltchronik der neunziger Jahre seien erwähnt: Kuwait wurde nicht von UN-Truppen befreit, sondern von US-Truppen; der Concorde-Unfall ereignete sich im Juli 2000 und nicht im August. (zurück)
[2]
Radio und Schallplatte leben bis heute in einer Symbiose (S. 23). (zurück)
[3]
Peter Kraus würde man eher den sechziger Jahren zuordnen; da er jedoch seinen ersten Vertrag mit Polydor im Jahr 1956 schloß, wird er hier im entsprechenden Abschnitt vorgestellt. (zurück)
[4]
"Die Musikmanager ... sind allesamt entsetzt ob der musikalischen Entwicklung" (S. 140). (zurück)
[5]
So sind die Verträge von Lony Kellner und René Carol von 1949 abgebildet, wonach beide für ein Duett (Hafen von Adano) 50 bzw. 75 Mark erhalten haben. (zurück)
[6]
"Es war bestimmt nicht seine Absicht, aber Freddy Quinn hat mit seinen Bestsellern für uns und sogar noch für spätere Polydor-Mitarbeiter-Generationen in die Betriebsrententöpfe eingezahlt!" (S. 85). (zurück)
[7]
"... Caterina Valente bringt die Kasse bei Polydor kräftig zum Klingeln" (S. 96). Als sie aber einen Weltvertrag mit Garantiesumme verlangt, wird dies vom damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Ernst von Siemens abgelehnt. "Er findet es nicht angemessen, dass die Vorstandsmitglieder des Konzerns längst nicht so viel Geld verdienen wie die Sängerin" (S. 97). (zurück)
[8]
"Marlene Dietrich ist ein klingender Name für die Schallplatte. Doch mit Renommee allein kann kein Betrieb überleben" (S. 149). (zurück)
[9]
"Schließlich habe eine Schallplattengesellschaft auch einen Kulturauftrag zu erfüllen" (S. 150). (zurück)
[10]
"All diese Vorwürfe haben Polydor ... nicht nachhaltig geschadet. Die Angelegenheit verläuft im Sande" (S. 138). (zurück)
[11]
Gemeint ist hier natürlich "Bibliografie". (zurück)

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