Der vorliegende Reader will eine Jugendszene, die sich dem Außenstehenden als bizarr und in ihrer Vielseitigkeit undurchdringbar darstellt und von Gedanken über den Weltuntergang, Tod und Dunkelheit geprägt zu sein scheint, in Wort und Bild näherbringen. In ca. 30 Einzelbeiträgen schildern Fans und Experten, überwiegend jedoch Musiker, was Gothic für sie selbst bedeutet. Nicht zuletzt deshalb dreht sich das Hauptthema dieses Bandes auch in erster Linie um Musik und um das Musikmachen. Generell auffallend ist, daß bei den Autoren trotz intensiverer Auseinandersetzung mit der Geschichte, insbesondere der vorchristlichen, eine recht unvoreingenommene Haltung zu Geschichtsprozessen vorhanden ist - ein Privileg der Jugend (?), durch das die eine oder andere Teilgruppe der Gothic-Szene jedoch leicht an die Grenzen des gesellschaftlich tolerablen auf dem einen oder anderen politischen Flügel geraten mag. Indirekt wird in dem Reader auch die Funktion der Presse, insbesondere der sog. Untergrundpresse verdeutlicht. Auch der Forscher über Ost-Westkonflikte nach der Wiedervereinigung wird fündig.
Der Band ist sich der bestehenden Urteile und Vorurteile bewußt und will zumindest die Vielfältigkeit der Szene und deren Aggressionslosigkeit, aber auch Unangepaßtheit dokumentieren. Für den einen oder anderen Leser mag dies insbesondere in Relation zu anderen Jugend- und Protestbewegungen der Vergangenheit schwer nachvollziehbar sein, aber der Band kann als gelungen bezeichnet werden. Man wünscht sich über manchen anderen Musikstil, egal wie man zu ihm steht, einen oder mehrere solcher zeitnahe Reader, die zugleich auch Dokumentationen von und über Teilnehmer und Verursacher sind. Ganz generell ist es ja ausgesprochen problematisch, Gegenkulturen zu dokumentieren, wenngleich immer die Frage gestellt werden muß, inwieweit herrschende Kultur und Gegenkultur sich bedingen.
Der Band enthält zahlreiche Photos, auch etliche Farbphotos, überwiegend vom Neunten Wave-Gotik-Treffen zu Pfingsten 2000 in Leipzig. Offen bleibt der Wunsch nach einer Musik-CD als Beilage.
Bernhard Hefele