Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
[ Bestand in K10plus ]

Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft


01-2-287
Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft : eine Einführung / von Rainer Baasner und Maria Zens. - 2., überarb. und erw. Aufl. - Berlin : Erich Schmidt, 2001. - 268 S. ; 21 cm. - ISBN 3-503-04989-4 : DM 39.80
[6464]

Der Band gliedert sich in folgende Kapitel: I. Allgemeine Einführung; II. Auf dem Weg zum Fach: 1800 - 1880; III. Die ersten Methodenentwürfe: 1880 - 1965; IV. Marxismus-Leninismus / Literaturwissenschaft der DDR; V. Wissenschaftliche Wende: 1965 ff.; VI. Strukturalistische Ansätze; VII. Diskursanalyse; VIII. Literaturpsychologie / Psychoanalytische Literaturwissenschaft; IX. Feministische Literaturwissenschaft / Gender-Forschung; X. Rezeptionsforschung; XI. Kritische Theorie; XII. Sozialgeschichte der Literatur; XIII. Literatursoziologie; XIV. New Historicism ; XV. Auswahlbibliographie.

Der Aufbau des Bandes führt zwangsläufig auf das Problem, daß man sich bei dem Versuch, die chaotische Fülle der Erscheinungsformen von Literaturwissenschaft in eine übersichtliche Ordnung zu bringen, fast zwangsläufig auf fragwürdige, zuweilen so skurrile wie pragmatische Lösungen einlassen muß. Wieso wird die politische Orientierung der DDR-Germanistik eines eigenen Kapitels gewürdigt, die völkische Literaturwissenschaft des Dritten Reiches aber als dritter von vier Abschnitten unter "ersten Methodenentwürfen" im dritten Kapitel behandelt; dem Text über Völkische Literaturwissenschaft vorangestellt sind Abschnitte über den Positivismus und die Geistesgeschichte; auf die Völkische Literaturwissenschaft folgt ein Passus zur Werkinterpretation (III.4). Das sieht nur auf den ersten Blick nach chronologischer Ordnung aus, doch dieser Eindruck täuscht: Die bald kürzere, bald längere Lebensdauer bestimmter "Ansätze" - zu Recht wird hervorgehoben, daß man angesichts mangelnder Stringenz oft lieber von "Ansätzen" o.ä. spricht als von Methoden - konfligiert notgedrungen immer wieder mit dem systematischen Anspruch. Da ist es noch eine eher kleine Ungereimtheit, wenn im Kapitel V. die Behandlung von Marxismus-Leninismus und DDR-Literaturwissenschaft gemeinsam erfolgt, obgleich der "marxistische Ansatz" in der Germanistik älter ist als die Literaturwissenschaft der DDR, ganz abgesehen davon, daß er bei Walter Benjamin vielleicht eine seine niveauvollsten Applikationen erreicht hat.

Das Entscheidende steht nicht in der Einleitung - diese müht sich mit den Fragen Was ist Literatur? und Was ist Literaturwissenschaft? einläßlich ab und gründet dabei die Literatur zunächst ganz auf Fiktion, ehe im zweiten Durchgang der literarische Charakter nicht-fiktionaler Texte wie des Essays in ihr Recht gesetzt werden -, es findet sich vielmehr im Abschnitt V. zur "Wissenschaftlichen Wende". Der emphatisch überhöhte Terminus und sein Ort im Buch lassen allzu leicht den Eindruck entstehen, als hätte sich die Germanistik vor der Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts noch in einem vor-wissenschaftlichen Stadium befunden und mehr zur ideologischen Handreichung als zur methodisch reflektierten Analyse getaugt. Sosehr das für einzelne Bereiche zutreffen mag, so falsch ist es für andere, die in dem Band nicht vorkommen. Dazu gehören etwa all die mit großem Ernst und ebensolchem Ertrag seit langem diskutierten Themen der Textkritik und Editorik. Befremdlich mutet an, daß unter "Sozialgeschichte der Literatur" von der ausgedehnten Forschung zu Buch- und Verlagsgeschichte nicht einmal die Rede ist.

"Natürlich kann die Geschichte der Germanistik auch als fortwährendes Verfehlen selbstgesteckter Ziele beschrieben werden. Kaum etwas von dem, was sich ihre Exponenten zu den verschiedenen Zeiten vorgenommen hatten, wurde im gewünschten Umfang realisiert - Germanistik ist Schwankungen und Diskontinuitäten unterworfen, die sie im Vergleich zu anderen Wissenschaften als widersprüchlich und wenig zielstrebig erscheinen lassen. Entscheidend für ihre Geschichte ist jedoch der Erfolg, weil er die hohe Selbsteinschätzung und das erhebliche Ansehen in der Gesellschaft rechtfertigt. Und letztere erst lassen den Schock verständlich werden, der im Fach eintrat, als es sich zum ersten Mal in größerem Umfang mit dem Druck sozialer Modernisierung konfrontiert sah." (S. 90)

Wo Anpassungsbereitschaft und Opportunismus zur raison d'être eines Faches geworden waren, war der Niedergang seiner Fremdeinschätzung nur eine Frage der Zeit. Zu Recht lenkt das Zitat das Augenmerk auf die tatsächlich irrationale und irritierende Inkonsistenz des Faches in weiten Bereichen, und zwar gerade in solchen von besonderer öffentlicher Wirkungsmächtigkeit. Worin anders aber liegt diese Wirkmächtigkeit begründet als in der besonderen Rolle des Deutschunterrichts? Vom spezifischen Umgang mit Literatur im Deutschunterricht, von der Didaktik also, wird in dem Band genausowenig gehandelt wie von der Literaturkritik, die sich der akademischen Spiegelfechterei nicht hingeben kann.

Daß ein Buch dieses Inhalts und Anspruchs ohne jedes Register herauskommt, ist ein Zeichen auch dafür, daß man in angesehenen Wissenschaftsverlagen das handwerkliche Niveau des Büchermachens verlernt hat. Am Ende aller Kapitel stehen durch Spiegelstriche gegliederte resümierende Zusammenfassungen in einem "Kasten" in Form von Kernsätzen, die nicht mehr braucht, wer die Kapitel gelesen hat, und mit denen nicht viel anfangen kann, wer sie nicht gelesen hat. Eine inhaltlich weiterführende und formal korrekte Auswahlbibliographie von rund 600 Titeln beschließt den Band, der trotz mancher Einwände einen nützlichen Überblick über seinen Gegenstand bietet.

Hans-Albrecht Koch


Zurück an den Bildanfang