Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
[ Bestand in K10plus ]

Literatur für Kinder und Jugendliche


01-2-224
Literatur für Kinder und Jugendliche : eine Einführung in grundlegende Aspekte des Handlungs- und Symbolsystems Kinder- und Jugendliteratur. Mit einer Auswahlbibliographie Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft / Hans-Heino Ewers. - München : Fink, 2000. - 320 S. : Ill. ; 22 cm. - (Studienbücher Literatur und Medien) (UTB für Wissenschaft : Uni-Taschenbücher ; 2124). - S. 276 - 320: Annegret Völpel: Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft, eine Auswahlbibliographie. - ISBN 3-7705-3483-2 (Fink) - ISBN 3-8252-2124-5 (UTB) : DM 38.00
[6343]

Basierend auf einer Vorlesungsreihe soll Literatur für Kinder und Jugendliche "Anfänger[n]" und "Fortgeschrittene[n]" (Umschlagtext) eine "Einführung" und "theoretische" Grundlage für "weitergehende Beschäftigungen" bieten. Es geht um die "Erfassung und terminologische Fixierung fundamentaler Strukturen des Gegenstands Kinder- und Jugendliteratur" (S. [9]). Die Beschreibungen der Eigenschaften und Grundzüge des Bereichs KJL sollen übergreifende Bedeutung für dessen Dichtungsarten, Gattungen sowie auch für die Epochen haben. Die entwickelte Terminologie ist für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der KJL des 18. Jahrhunderts "bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert" (aber auch für frühere Zeiträume) gedacht. Ewers bedient sich des aus der Systemtheorie herkommenden Ansatzes der Unterscheidung zwischen Handlungs- und Symbolsystem und gliedert seine Darstellung entsprechend in fünf Kapitel, die das kinder- und jugendliterarische Handlungssystem, und drei Kapitel, die das Symbolsystem Kinder- und Jugendliteratur behandeln. Gegenstand ist die Kinder- und Jugendliteratur und das Kinder- und Jugendtheater (die diesbezüglichen - informativen und auf Aktualität Bezug nehmenden - Beiträge stammen von Gerd Taube), ausgespart werden die übrigen Kinder- und Jugendmedien Bild/Illustration, Comic, audiovisuelle (neue) Medien, auch die Bereiche Rezeption, literarische Sozialisation, Didaktik, Komparatistik, für die jedoch teils auf andere, neuere Darstellungen verwiesen wird. Neben der Aufführung von zitierter und weiterführender Forschungsliteratur beim jeweiligen Kapitelende bietet der Band eine Auswahlbibliographie zur Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft von Annegret Völpel (s.u.). Die Marginalspalte mit ihren Begriffserklärungen (63 Explikationen) und zahlreichen Abbildungen von Titelblättern und Illustrationen aus Büchern (historische und aktuelle KJL, Quellen und Forschungsliteratur) sowie die 16 Schaubilder bereiten die wegen ihrer oft schwierigen, sehr komplexen Begrifflichkeit nicht einfach zu konsumierende Darstellung didaktisch auf.

In Kap. 1 Was ist Kinder- und Jugendliteratur entwickelt Ewers eine Reihe von Definitionen von KJL, die jeweils eine "literaturbezogene Handlung", kein textbezogenes Kritererium zur Grundlage haben.[1] Einige dieser Definitionen wendet Taube anschließend auch auf das Kinder- und Jugendtheater an. Das Kap. 2 stellt die fünf wichtigsten kinder- und jugendliterarischen Handlungssysteme in der Bundesrepublik (Buchmarkt, öffentliches Bibliothekwesen, staatliches Erziehungs- und Schulwesen, pädagogische Fachöffentlichkeit, kinder- und jugendliterarische Öffentlichkeit als Teil der allgemeinen literarischen Öffentlichkeit, allgemeine kinder- und jugendliterarische Fachöffentlichkeit) und deren Entwicklung zu einem Polysystem dar. In den beiden ersten Teilen wird das Kinder- und Jugendbuch (und -medium) als "Segment" des allgemeinen Buchmarkts bzw. des allgemeinen öffentlichen Bibliothekswesens vorgestellt. Hier wird nicht nur ein anschaulich verfaßter Überblick geboten, es finden sich z.B. auch konkrete Informationen zu den kjl-relevanten aktuellen Anzeige- und Besprechungsorganen des Buchhandels und der öffentlichen und konfessionellen Bibliotheken. Ewers plädiert dafür, die im öffentlichen Bibliothekswesen vorhandenen "Frei- und Spielräume auf seiten der kindlichen und jugendlichen Leser" nicht durch eine "rigide bibliothekarische Kontrollpraxis" zunichte zu machen, die Bibliotheken sollten vielmehr ein "Bündnis" mit diesem eingehen, um "Leseerfahrungen [zu] vermitteln", die "das häusliche Umfeld nicht so ohne weiteres gestattet hätte" (S. 53). Eine Überlappung zweier Handlungssysteme (Schule und Bibliothek) manifestiert sich in der Schulbibliothek, die sowohl unterrichtsbegleitende Schullektüre (die z.B. in der Grundschule "mittlerweile zum überwiegenden Teil aus spezifischer Kinderliteratur" besteht) als auch "Angebote ... für die Privatlektüre der Schüler" bereithält.

Kap. 3 behandelt die Kinder- und jugendliterarische Kommunikation, Kap. 4 Traditionsverwendungspraxen (Folklore, schriftliche Folklore, Literatur), Kap. 5 den Autor (einschließlich einer Typologie des Autors im KJL-Bereich), Kap. 6 Kinder- und Jugendliteraturnormen und -konzepte (z.B. als didaktische Literatur, kindgemäße Literatur, Volkspoesie), Kap. 7 Kind- und Jugendgemäßheit; kinder- und jugendliterarische Akkomodation (z.B. in sprachlicher, inhaltlicher, formaler Hinsicht), Kap. 8 Kinderliteratur als Anfängerliteratur (vorrangig wird hier der Literaturerwerb behandelt).

Wie bereits angedeutet ist die Darstellung nicht einfach zu lesen: Nicht nur Erstsemester werden vermutlich Probleme mit der komplexen Begrifflichkeit, auch mit den oft umständlichen Formulierungen, selbst mit den Explikationen der Randspalte haben. Auch diese sind teils schwer verständlich (z.B. Expl. 46: "Unter kinder- und jugendliterarischen Traditions- bzw. Textverwendungspraxen sind die mehr oder weniger fest etablierten Umgangsweisen mit der kinder- und jugendliterarischen Überlieferung, die Formen ihrer Ingebrauchnahme zu verstehen. Mehrere dieses Praxen können einen kohärenten Traditions- bzw. Textverwendungstyp bilden", S. 129, Hervorhebung im Original). - Studierende des FB Bibliotheks- und Informationswesen an einer Fachhochschule waren lt. Auskunft einer Lehrenden mit Ewers' Einführung überfordert.

Ein Begriffsregister (S. 271 - 275) erschließt die 63 Explikationen - und damit nochmals die Schlüsselbegriffe der Darstellung - aus der Marginalspalte in der Reihenfolge ihres Auftretens und zusätzlich in alphabetischer Reihenfolge. Beim ersten Register fällt auf, daß zwei Drittel der Explikationen sich auf die Kapitel beziehen, die das Handlungssystem beschreiben, das Symbolsystem KJL muß sich mit 17 Erklärungen begnügen, Kap. 8 kommt sogar ganz ohne Explikationen aus. Im zweiten Register, das man auch als knappes Sachregister bezeichnen könnte, werden diese Begriffe und einige wenige zusätzliche Termini nochmals aufbereitet und tauchen sowohl unter substantivischen Oberbegriffen mit den dazugehörigen Unterteilungen wie auch unter diesen Unterbegriffen, bei Einzelbegriffen sowohl unter dem Substantiv als auch unter dem Adjektiv auf. Der Nutzen dieses alphabetischen Registers scheint der Rezensentin nicht unbedingt einleuchtend, zur Orientierung und auch als Suchfunktion reichen die beiden Seiten des ersten Verzeichnisses vollkommen aus.

Anne Völpels Auswahlbibliographie Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft beschließt den Band (S. 276 - 320). Thema ist die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur und das Kinder- und Jugendtheater; obwohl Ewers andere Medien wie Comic und Bild/Illustration nicht behandelt, sind sie hier vertreten, aber wie in Ewers' Darstellung werden die sog. neuen Medien sowie Sozialisationsaspekte und Didaktik auch hier ausgespart. Weitestgehend ausgeschlossen sind auch Darstellungen, die sich auf einzelne Autoren sowie auf Einzelwerke beziehen (vertreten sind Monographien zu Struwwelpeter, Kränzchen, Wilhelm Busch, auch ein Beitrag zum Trotzkopf). Aufsatzsammlungen würden bis auf wenige Ausnahmen nicht inhaltlich aufgeschlüsselt, doch die Nennungen v.a. in Kap. 8 bestehen zu einem großen Teil aus (wichtigen) Beiträgen aus Sammelwerken, Handbüchern, Lexika und Zeitschriften. Das Verzeichnis gliedert sich in 1. Allgemeine Nachschlagewerke, Lexika, Handbücher; 2. Fachzeitschriften, Periodika" (inkl. Besprechungsorgane); 3. Bibliographien der Forschungsliteratur; 4. Bibliographien der Quellenschriften, gedruckte Bestandsverzeichnisse und Sammlungskataloge; 5. Quellensammlungen; 6. Einführungen und Grundlagenwerke; 7. Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (neben Gesamtdarstellungen wird Sekundärliteratur zu einzelnen Epochen und zur jüdischen KJL 1779 - 1945 geboten); 8. Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart (seit 1945) (mit Gesamtdarstellungen, Literatur zur Poetik und zu Literaturarten und Gattungen, zu Adaptionen und zur Rezeption). Die Gliederung ist grob an diejenige der Bibliographie des Jahrbuchs Kinder- und Jugendliteraturforschung[2] angelehnt. Es werden die Anfänge der KJL-Forschung (mit wenigen Ausnahmen ab den siebziger Jahren) bis zur neuesten Forschungsliteratur (die Beiträge aus der 2. Aufl. 2000 des nachstehend besprochenen Taschenbuchs der Kinder- und Jugendliteratur, diese leider ohne Seitengabe) in Auswahl dokumentiert. Die ausführliche (und noch weitere Themen umfassende) Bibliographie des Jahrbuchs wird jedoch, besonders für Einzelaspekte (wie bereits erwähnt für Autoren und Werke, aber auch für Gattungen u.a.) keinesfalls ersetzt. Als generelle Fehlstelle sind die einleitenden Artikel und Gattungsüberblicke aus dem Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur[3] anzumerken: Für die Epoche 1800 bis 1870 sind z.B. einige sehr spezifische Titel aufgeführt (zu den Bildergeschichten Rodolphe Töpffers, zum Wiener Zeitschriftenwesen), die übergreifenden Handbuchartikel zur Kinder- und Jugendbuchillustration oder zur Kinder- und Jugendzeitschrift werden nicht erwähnt; ebenso hat beispielsweise die zentrale Darstellung von Nikolajeva[4] keinen Eintrag, während manche eher periphere Abhandlung aufgenommen wurde. Die Form der Titelaufnahme ist - nicht regelkonform - normiert, die Angaben sind aber brauchbar und ausreichend. Mit dieses Auswahlbibliographie erhalten die Adressaten des Bandes, Anfänger und Fortgeschrittene "in Sachen Kinder- und Jugendliteratur" einen ersten Überblick über die Forschungsliteratur unter Ausschluß einiger Bereiche, weiterführende Informationen bieten die Literaturangaben am Ende der Kapitel 1 - 8 (besonders die - praxisorientierten - Hinweise im Artikel zum Kinder- und Jugendliteraturmarkt sowie zum öffentlich-bibliothekarischen Handlungssystem, S. 42 - 54, Literatur S. 90 - 92). Ergänzend sind unbedingt die Bibliographie des Jahrbuchs und die Literaturangaben im Taschenbuch heranzuziehen.

Maria Michels-Kohlhage


[1]
Knapper dargestellt bilden diese Begriffsbestimmungen auch den ersten Beitrag in Langes Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur, vgl. die nachstehende Besprechung in IFB 01-2-225. (zurück)
[2]
IFB 96-4-393. (zurück)
[3]
IFB 98-1/2-026. (zurück)
[4]
Children's literature comes of age : towards a new aesthetic / Maria Nikolajeva. - New York [u.a.] : Garland, 1996. - XII, 239 S. : Ill. - (Children's literature and culture ; 1) (Garland reference library of the humanities ; 1816). - ISBN 0-8153-1556-2. (zurück)

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