Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
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Die Drucke der Offizin Haenlin in Dillingen und Ingolstadt


01-2-216
Die Drucke der Offizin Haenlin in Dillingen und Ingolstadt von 1610 bis 1668 : eine kommentierte Bibliographie / Birgit Boge. - Wiesbaden : Harrassowitz, 2001. - VI, 990 S. ; 25 cm. - (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen ; 40). - ISBN 3-447-04346-6 : DM 468.00
[6420]

Seit Jahren ist viel die Rede vom bibliographischen barocken Eisberg und seiner möglichen Schmelze. Und in der Tat hat sich in den letzten Jahren nicht nur durch das Verzeichnis der im deutschsprachigen Raum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17), sondern auch durch eine Reihe von Druckort- und Druckerbibliographien die Lage der deutschen Nationalbibliographie des 17. Jahrhunderts verbessert, auch wenn immer noch viel zu tun bleibt. An dieser Stelle ist eine voluminöse kommentierte Bibliographie vorzustellen, die dem Drucker Gregor Haenlin und seinem mit ihm oft verwechselten Sohn Georg gewidmet ist. Ihre Offizin bestand von 1610 bis 1617 in Dillingen und danach bis 1668 in Ingolstadt. Ingolstadt mit seiner bedeutenden katholischen Universität hatte sich seit den Zeiten von Petrus Canisius zu einem Bollwerk der Gegenreformation und zu einem der wichtigsten Druckorte für katholisches Schrifttum in Süddeutschland entwickelt.

Gregor Haenlin (1589 - 1650) stammte aus dem protestantischen Tübingen, konvertierte aber 1610, als er Drucker im katholischen Dillingen wurde. Während er dort nur 23 Drucke herausbrachte, erschien der Rest seiner und der Druckproduktion seines Sohnes (ab 1650) von momentan 748 bekannten Titeln in Ingolstadt. Wie in allen Universitätsstädten der frühen Neuzeit entfiel der Löwenanteil der Drucke auf das akademische Schrifttum. Haenlin druckte mindestens 340 Dissertationen. Ansonsten entsprach sein Sortiment dem typischen Literaturangebot einer katholischen Universitätsstadt mit katholisch-religiöser Literatur wie Periochen von Jesuitendramen, Predigten, Erbauungsliteratur, Kalender und - eine Spezialität Haenlins - Musikalien. Seine Drucke zeichneten sich durch hohe Qualität aus.

Diese ausgewählten Gattungen stellt Frau Boge nach einer ausführlichen Abhandlung über die Offizin vor, bevor sie sich dann im chronologisch angelegten Hauptteil der bibliographischen Beschreibung der Drucke widmet. Sie wendet dabei eine Methode an, die man wegen des Umfangs der Titelbeschreibung von oft einer Druckseite wohl nur bei eng begrenzten Vorhaben wählen kann, die aber mit ihren unzähligen Detailinformationen dem Fachwissenschaftler wie dem Buchkundler großen Gewinn bringen. Nach einer Kurztitelaufnahme folgt die diplomatische Titelaufnahme, der Kollationsvermerk, zahllose Informationen über die Druckausstattung, die sehr wertvollen Nachweise von literarischen Beiträgern wie Vorrednern oder Gratulationspoeten sowie von Widmungsempfängern. Die Besitznachweise enthalten neben den Signaturen auch sämtliche Provenienzen und stellen so einen wichtigen Beitrag zur exemplarspezifischen Erschließung alter Drucke dar. Den Abschluß bilden bibliographische Belegstellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit, in vielen Fällen auf die monumentale Biobibliographie des Jesuitenordens.[1] Das Ganze wird durch einen vorzüglichen Registerteil erschlossen, in dem nur das Numerischchronologische Register (S. 939 - 982), eine reine Wiederholung der Kurztitelaufnahmen im Hauptteil, den Rezensenten nicht überzeugen kann.

Eine biographische Fundgrube ist das Personenregister, das Autoren, Widmungsempfänger, Gratulationspoeten, Vorbesitzer usw., kurz alle irgendwie vorkommenden Personen nachweist und zwar nicht nur dem Namen nach, sondern mit den wichtigsten biographischen Eckdaten und dem Vermerk, ob sie als Verfasser, Vorredner, Beiträger, Illustrator, Vorbesitzer usw. vorkommen. Das alphabetische Register verweist nicht nur auf eine Nummer im Hauptteil, sondern liefert auch noch einmal eine Kurztitelaufnahme. Der Universitätshistoriker ist dankbar für das Defendenten- oder Respondentenregister sowie das Register der einem Präses unterstellten Defendenten, zeigt doch gerade ersteres in vielen Fällen die Lücken der Ingolstädter Universitätsmatrikel[2] auf. Bei den Dissertationen wäre allerdings noch genauer zwischen Übungs- und Inauguraldissertationen zu unterscheiden. Frau Boge spricht in einer Reihe von Fällen vom Promotionsdatum, obwohl es sich nach Befragung der Promotionsmatrikel von Resch/Buzas[3] eher um Übungsdisputationen gehandelt haben dürfte. Andererseits finden wir hier nun vielfach die zu den Promotionen gehörenden Drucke der Inauguraldissertationen, die bei Resch/Buzas fehlen.

Mit der vorliegenden Druckermonographie und -bibliographie hat Frau Boge, die bereits früher durch umfangreiche Publikationen zum katholischen Buchdruck der frühen Neuzeit hervorgetreten ist,[4] das Wirken eines bedeutenden Druckers des 17. Jahrhunderts und damit den wichtigen Druckort Ingolstadt mustergültig vorgestellt. Ihr Werk zeigt beispielhaft, daß Bibliographie wesentlich mehr als Titelverzeichnung sein kann, wenn man sie im Sinne des englischen Terminus bibliography als Buchkunde begreift.

Sie schließt damit an die Verzeichnisse von Stalla[5] an, der Gregor Haenlin ja in seinem zweiten Verzeichnis bewußt aussparte. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß jemand sich ähnlich viel Mühe machen wird, um den Druckort Ingolstadt für das 17. Jahrhundert mit den wichtigen Offizinen Eder und Ostermaier komplett zu erschließen.

Auch wenn im VD 17 mit momentan schon 1874 Ingolstädter Titeln - davon 594 von Haenlin - und im Münchener Altbestandskatalog[6] Ingolstädter Drucke bereits recht umfangreich nachgewiesen sind, machen diese Datenbanken Detailuntersuchungen wie die vorliegende nicht überflüssig. Angesichts einer derart überzeugenden Leistung kann man nur hoffen, daß Frau Boge ihren Schwur bricht, nie mehr eine Bibliographie vorlegen zu wollen. Nur schade, daß sich für den Druck dieser gehaltvollen Monographie kein Sponsor gefunden hat. Der enorme Ladenpreis wird die wünschenswerte Verbreitung des Buches empfindlich behindern.

Manfred Komorowsk


[1]
Bibliothèque de la Compagnie de Jésus / Augustin et Aloys de Backer. - Nouvelle éd. par Carlos Sommervogel. - Paris ; Bruxelles, 1890 - 1932. - T. 1 - 12. - Nachdruck: Louvain, 1960 - 1961. (zurück)
[2]
Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt-Landshut-München. - Teil 1. Ingolstadt. - München, 1937 - 1984. - Bd. 1 - 5. (zurück)
[3]
Verzeichnis der Doktoren und Dissertationen der Universität Ingolstadt-Landshut-München 1472 - 1970 / Liselotte Resch ; Ladislaus Buzás. - München. - 1. Theologische, juristische, staatswirtschaftliche Fakultät. - 1975. - 2. Medizinische Fakultät 1472 - 1915. - 1976. (zurück)
[4]
Literatur für das "Catholische Teutschland" : Das Sortiment der Kölner Offizin Wilhelm Friessem im Zeitraum 1638-1668 / Birgit Boge. - Tübingen : Niemeyer, 1993. - X, 626 S. : Ill. - (Frühe Neuzeit ; 16). - Zugl.: Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 1990.
Oratio funebris : die katholische Leichenpredigt der frühen Neuzeit ; zwölf Studien ; mit einem Katalog deutschsprachiger katholischer Leichenpredigten in Einzeldrucken 1576 - 1799 aus den Beständen der Stiftsbibliothek Klosterneuburg und der Universitätsbibliothek Eichstätt / hrsg. von Birgit Boge und Ralf Georg Bogner. - Amsterdam : Rodopi, 1999. - XI, 844 S. : Ill. - (Chloe ; 30). (zurück)
[5]
Bibliographie der Ingolstädter Drucker des 16. Jahrhunderts / Gerhard Stalla. - 2. Aufl. - Baden-Baden : Koerner, 1977. - 594 S. - (Bibliotheca bibliographica Aureliana ; 31, 41, 46, 56, 61, 67, 71). - Der Ingolstädter Buchdruck von 1601 bis 1620 : die Offizinen Adam Sartorius, Andreas Angermaier und Elisabeth Angermaier / Gerhard Stalla. - Baden-Baden : Koerner, 1980. - 260 S. : Ill. - (Bibliotheca bibliographica Aureliana ; 77). (zurück)
[6]
Münchner Altbestandskatalog [Computerdatei] : Bayerische Staatsbibliothek 1501 - 1840 ; Universitätsbibliothek München 1501 - 1850. - München : Saur, 2000. - 1 CD-ROM. (zurück)

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