Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 1
[ Bestand in K10plus ]

Opernführer für Fortgeschrittene


01-1-092
Opernführer für Fortgeschrittene : die Geschichte des Musiktheaters / Ulrich Schreiber. - Kassel [u.a.] : Bärenreiter. - 24 cm. - Lizenzausg. der Büchergilde Gutenberg
[6321]
Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution. - 2. Aufl. - 2000. - 572 S. - ISBN 3-7618-0899-2 : DM 78.00
Das 19. Jahrhundert. - 2. Aufl. - 2000. - 974 S. - ISBN 3-7618-1028-8 : DM 98.00
Das 20. Jahrhundert
1. Von Verdi und Wagner bis zum Faschismus. - 2000. - 772 S. - ISBN 3-7618-1436-4 : DM 88.00

Der Bärenreiter-Verlag hat für seinen in Lizenz der Büchergilde Gutenberg veröffentlichten Opernführer für Fortgeschrittene einen irreführenden Titel gewählt,[1] handelt es sich doch gerade nicht um einen weiteren der zahlreichen Opernführer, die als Werklexika mit mehr oder weniger Ausführlichkeit und Hintergrundinformation primär der schnellen Vorbereitung auf den Opernbesuch dienen. Das ist - sieht man von der begleitenden CD-Edition einmal ab - auch die primäre Funktion des im folgenden (IFB 01-1-095) besprochenen Harenberg-Opernführers. Bei dem Werk des Musikkritikers Ulrich Schreiber - belesen in Literatur und Philosophie und in Kenntnis der musikwissenschaftlichen Spezialliteratur - handelt es sich um eine Kultur- und Ideengeschichte der Oper, deren erste beiden Epochenbände bereits 1988 und 1991 erschienen sind und vom Bärenreiter-Verlag anläßlich des Erscheinens des ersten Teils von Bd. 3 als unveränderte 2. Auflage wieder vorgelegt wurden. Primäres Anliegen des Werks ist die Analyse der Opern - und hier ist der Begriff "Analyse" im Gegensatz zu Harenberg, der ihn auch benutzt, wirklich zutreffend - die ihren "Kunstcharakter ... mit seiner Einbindung in die Musik- und Ideengeschichte" betont und nicht etwa die Biographie der Komponisten oder gar die Inhaltsangabe der Opern, die nur dann geboten wird, wenn die Kenntnis für die Würdigung des Werkes erforderlich ist und beim Leser - selbst dem apostrophierten "Fortgeschrittenen" - nicht vorausgesetzt werden kann. Erkenntlich sind die Texte dieser Werkanalysen am schmäleren Satzspiegel, den - als modischer Typographie-Gag - am Rand der um 90 Grad gedrehte und von unten nach oben zu lesende Titel der Oper begleitet. Dabei sind die - außer dem fett gesetzten Titel - nicht weiter hervorgehobenen faktischen Angaben zur Oper durchaus umfangreicher als in normalen Opernführern, z.B. durch Nennung der Besetzung der Uraufführung, ggf. weiterer Aufführungen, der Rezeption in anderen Ländern, Nennung berühmter Sänger in den jeweiligen Rollen, herausragende Inszenierungen u.a. (so z.B. bei Puccinis Tosca, S. 350 - 351). Zitierte oder erwähnte Schriften werden nur in den Endnoten (S. 711 - 729) genannt, die sich als Quellenangaben verstehen, die aber häufiges Zurückblättern erfordern, so daß man sich ein separates Literaturverzeichnis gewünscht hätte. Die Benennung des neuesten Bandes ist in beiden Ausgaben identisch aber nichtsdestoweniger irreführend, da die genannten Verdi und Wagner nicht hier, sondern bereits im Band für das 19. Jahrhundert behandelt wurden, während der vorliegende mit den Komponisten "im Umkreis von Wagner und Verdi" (Vorwort, S. 15) beginnt und bis zum Ende des Faschismus in Italien und des Nationalsozialismus in Deutschland reicht. Die Beschränkung auf die Oper in diesen beiden Ländern begründet der Autor im Vorwort damit, daß "diese beherrschende Stellung der deutschen und italienischen Oper in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ... die gesellschaftliche Bedeutung, die dem Musiktheater in beiden Ländern während dieses Zeitraums zugestanden wurde (reflektiert)". Ob der zweite Teil von Bd. 3, der das Werk beschließen soll, noch das Opernschaffen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in anderen Ländern berücksichtigt, oder bloß mit der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg fortfahren wird, wie man aus der Verlagswerbung schließen kann, wird sich noch zeigen. Auch wenn die beiden einzigen monographischen Kapitel die Namen von R. Strauss und G. Puccini tragen, so ist die breite Berücksichtigung der kleineren Meister eindrucksvoll, auch wenn, beim Vergleich mit dem Harenberg-Opernführer, letzterer recht gut abschneidet, der sich auch nicht, wie man annehmen könnte, allein auf das jeweils bekannteste Werk von Komponisten wie P. Mascagni oder R. Leoncavallo beschränkt.[2] Auch wenn nicht zum Nachschlagen, sondern zur Lektüre gedacht, ermöglichen die Register der Opern und der Personen die gezielte Suche (unter Markierung der Hauptstellen). - Der in partiellem Neuschreib[3] publizierte Band, dem man einen weiteren sorgfältigen Korrektur-Durchgang[4] gewünscht hätte, ist eine unentbehrliche Ergänzung zu den üblichen Opernführern, nicht nur für "Fortgeschrittene", sondern wohl eher für Anspruchsvolle.

Klaus Schreiber


[1]
Die Originalausgabe heißt Die Kunst der Oper, was zwar auch nicht gerade aussagekräftig ist, dafür ist der Titel wenigstens nicht irreführend. Der in beiden Ausgaben identische Zusatz zum Sachtitel Geschichte des Musiktheaters beschreibt das Werk schon zutreffender.
Die Kunst der Oper : Geschichte des Musiktheaters / Ulrich Schreiber. - Frankfurt am Main : Büchergilde Gutenberg. - 25 cm. - Bd. 1. Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution. - 1988. - 572 S. - ISBN 3-7632-3101-3 : DM 54.00. - Bd. 2. Das 19. Jahrhundert. - 1991. - 974 S. - ISBN 3-7632-3962-6 : DM 65.00. - Bd. 3. Das 20. Jahrhundert : von Verdi und Wagner bis zum Faschismus. - 2000. - 772 S. - ISBN 3-7632-5016-6 : DM 69.90. - Die Preise gelten nur für Mitglieder. (zurück)
[2]
Hier eine Auswahl von Namen, die nur bei Schreiber nicht aber bei Harenberg vorkommen: August Bungert, Italo Montemezzi (L'amore dei tre re), Rudi Stephan, Ottorino Respighi, Franco Alfano, Gian Francesco Malipiero, Alfredo Casella, Joseph Haas, Rudolf Wagner-Régeny. (zurück)
[3]
"Seit ... Carners kritischer Puccini-Monographie ..., die der bis dahin weit gehend brachliegenden wissenschaftlichen Diskussion ... Wege wies ...". (zurück)
[4]
Das Davoser Sanatorium in Thomas Manns Zauberberg heißt nicht "Bergfried" (S. 322), sondern "Berghof"; Le (statt La) Havre, S. 338. (zurück)

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