Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 1
[ Bestand in K10plus ]

Handbuch der Bibliographie


01-1-003
Handbuch der Bibliographie / Georg Schneider ; Friedrich Nestler. Begr. von Georg Schneider. Völlig neu bearb. von Friedrich Nestler. - 6., völlig neu bearb. Aufl. - Stuttgart : Hiersemann, 1999. - XII, 726 S. ; 25 cm. - ISBN 3-7772-9910-3 : DM 154.00
[5564]

Die völlige Neubearbeitung des Schneider kam 1999 für den Rezensenten (und wohl nicht nur für ihn) überraschend, hatte man doch nicht damit rechnen können, daß dieses Standardwerk - das die 4. Auflage 1930 zu ihrer Zeit darstellte - nach knapp sieben Jahrzehnten soz. aus einem Jungbrunnen entsteigen könne. Mit der Verwunderung verband sich zugleich die Frage, ob ein solches "Monument" trotz seiner Rundumerneuerung noch in die heutige Zeit passe, in der der Zugriff auf bibliographische Datenbanken die Benutzung gedruckter Verzeichnisse immer mehr in den Hintergrund drängt. Diese Überlegung war auch Ursache dafür, daß mehrere vom Herausgeber angesprochene Rezensenten abgelehnt haben. Da eine Rezension des neuen Schneider, den man gerechterweise als Schneider/Nestler, wenn nicht gar als Nestler zitieren müßte, aber natürlich in IFB nicht fehlen darf, soll im folgenden versucht werden, diese annotierte Bibliographie der Bibliographien zu würdigen, und damit zugleich die Leistung ihres durch einschlägige Publikationen bestens ausgewiesenen Bearbeiters,[1] der dafür "auf ein Jahr berechnet, ... drei Jahre" benötigt, was an sich eine erstaunliche Leistung darstellt.

Wenn die Neubearbeitung im Textteil lediglich um knapp 100 Seiten zugenommen hat, so war das nur dadurch möglich, daß zugunsten der sehr zahlreichen Neuerscheinungen der letzten fast sieben Jahrzehnte nicht nur ältere Einzeltitel in großer Zahl geopfert wurden, sondern auch ganze Gattungen von Verzeichnissen: Allgemeine Literaturzeitschriften (damals Kap. IX), Allgemeinenzyklopädien (IX) und Biographien (XVI); andere Bereiche wie die Bibliographien der verkleideten Literatur (XV) wurden unter starker Straffung anderen Kapiteln zugeordnet, wie überhaupt die Gliederung in jetzt nur noch sieben nicht mehr gezählte Kapitel (gegenüber sechzehn gezählten Kapiteln) die Struktur des Werkes sinnvoll verändert hat: 1. Geschichte der Bibliographie (ein konziser Überblick auf 46 S. in drei zeitlichen Abschnitten für die Zeit bis zum 16. Jahrhundert, für das 17. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts und für das 20. Jahrhundert); 2. Bibliographien der Bibliographien; 3. Allgemeine internationale Bibliographien unter Einschluß der großen Kataloge, gegliedert nach Publikationsarten); 4. Bibliophile Verzeichnisse; 5. Inkunabelverzeichnisse; 6. Listen guter und schlechter Bücher (d.h. empfehlende bzw. verbietende Listen, mit rund 25 Seiten das kürzeste Kapitel); 7. Allgemeine nationale Bibliographien (mit 400 Seiten das bei weitem umfangreichste) untergliedert nach Kontinenten, innerhalb nach Verzeichnissen für mehrere Länder und solchen für Einzelne Länder im Staatenalphabet. Die Kapitel für besondere Schriftengattungen im Schneider wurden auf Kapitel 3 bzw. 7 bei den Nationalbibliographien verteilt.

Wie im Schneider beginnt Nestler die Kapitel und Abschnitte (z.B. die für die einzelnen Nationalbibliographien) mit z.T. ausführlichen historischen und typologischen Einleitungen unter Zitierung einschlägiger Literatur in Fußnoten. Die Abfolge der Titel in den Abschnitten für die Nationalbibliographien (um das umfangreichste Kapitel herauszugreifen, hier am Abschnitt für Italien vorgeführt) ist logisch und dank Zwischenüberschriften und Marginalien übersichtlich zugleich: Bibliographien der Bibliographien: von den allgemeinen zu den speziellen, Verzeichnisse für mehrere Publikationsarten, beginnend mit den laufenden und chronologisch immer weiter zurückschreitend bis zum 16. Jahrhundert (den Schritt, auch die nationalen Inkunabelverzeichnisse der Nationalbibliographie zuzuschlagen, ist Nestler nicht gegangen), Verzeichnisse für einzelne Publikationsarten (Zeitschriften etc.).

Die Titelaufnahmen sind knapp, aber ausreichend, wenn man auch die Nennung des Verlages vermißt, der doch häufig für ein Programm steht (man denke nur an die zahlreichen, hier natürlich zitierten Bibliographien aus dem Verlag des vorliegenden Bandes); würden sie auf alle Veränderungen bei vielbändigen und laufenden Verzeichnissen eingehen, hätte der Band leicht den doppelten Umfang haben müssen. Störend ist freilich bei den noch laufenden Bibliographien der pauschale Vermerk "ff." nach dem Erscheinungsjahr des ersten Bandes, selbst wenn dann in der Annotation häufig die viel wichtigere Berichtszeit des ersten Bandes genannt ist. Hätte der Verfasser - ungeachtet des beträchtlichen Aufwandes - sich entschlossen, auch das Berichts- und Erscheinungsjahr des letzten Bandes im Augenblick des (nicht genannten) Redaktionsschlusses anzugeben, hätte er bei nicht wenigen Titeln wohl kein "ff." mehr gesetzt, oder zumindest ein Fragezeichen hinzugefügt. Die beschreibenden, z.T. auch wertenden Annotationen sind zumeist gleichfalls knapp, ausführlicher dann, wenn es die Sache erfordert.

Das Register der Titel kennt Eintragungen unter Verfassern und Herausgebern (nicht aber unter Urhebern), Sachtiteln (nur bei Sachtitelwerken) und Zitiertiteln und erschließt auch die Annotationen und die Textteile, das der Schlagwörter enthält außer den eigentlichen Sachschlagwörtern und den Ländernamen der Gliederung auch "die in den Textpassagen enthaltenen ... Namen von Personen, Datenbanken, Körperschaften, Verlagen, Städten, dazu auch einzelne Schriften und Verzeichnisse mit exemplarischer bzw. historischer Bedeutung."[2]

Ein Grund, weshalb die Suche nach einem Rezensenten für diesen Band ohne Erfolg blieb, war u.a. das Argument, man wollte sich nicht mit einem der Vergangenheit zugewandten Werk auseinandersetzen, in dem die bibliographischen Datenbanken zwar nicht völlig fehlten, doch ganz offensichtlich eher schicklichkeitshalber erwähnt würden. Letzteres trifft zweifelsohne zu und man merkt bereits an den Formulierungen, daß dieses Gebiet dem Autor viel weniger vertraut ist, als die Welt der gedruckten Bibliographien. Das kann allerdings kein Grund sein, dieses Werk nicht als das zu würdigen, was es ist: als Bestandsaufnahme der traditionellen, d.h. gedruckten Bibliographie an der Schwelle einer neuen, durch die Zugriffsmöglichkeit auf digitale Datenspeicher im Internet geprägten Epoche.

Freilich sind die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Ausstattung der bibliographischen Informationsapparate ebensowenig überschaubar, wie die Folgen für die Ausbildung[3] des bibliothekarischen Nachwuchses in Studiengängen, in denen das Wort Bibliothek und Bibliographie nach Möglichkeit vermieden wird. Es könnte sich auch erweisen, daß es entgegen der Überzeugung des Autors, "daß eine zusammenfassende, bewertende Darstellung der modernen theoretischen Ansätze [der Bibliographie] zu wünschen wäre", er die Rechnung ohne die Nutzer macht, die davon profitieren sollten. Braucht man beispielsweise noch das detaillierte Wissen um die Anlage des gedruckten Katalogs der British Library, wenn dieser heute im Internet zugänglich ist? Soll man dessen erste gedruckte Ausgabe soz. als Monument der Bibliotheks- und Bibliographiegeschichte auf Dauer archivieren, wo er doch in der Benutzung längst von der Saur'schen Kumulation abgelöst wurde, die jetzt gleichfalls durch das genannte Internet-Angebot obsolet ist? Der Rezensent würde sich, wenn er allein bestimmen könnte, sicherlich dafür entscheiden, beide gedruckten Werke aufzubewahren. Aber soll er auch noch das neueste, gerade angekündigte Fünfjahresverzeichnis der DNB für die Berichtszeit 19../.. trotz seines exorbitanten Preises für seine Bibliothek erwerben? Der Beantwortung dieser Frage ist man spätestens dann enthoben, wenn eine Nationalbibliographie gar nicht mehr in gedruckter Form erscheint, nicht einmal in der Grundstufe, die man als Fachreferent zu Erwerbungszwecken benötigt: "A partir de 2001, la Bibliothèque Nationale de France a décidé de faire paraître la Bibliographie nationale française sous forme électronique sur son site Internet (www.bnf.fr) pour remplacer la version sur papier. L'accès à cette publication sera libre et gratuit." Man wird sehen, ob man die Neuzugänge in systematischer Form so angeboten bekommt, wie man es zur Titelauswahl benötigt: der Rezensent hat da ebenso seine Zweifel, wie beim Blick auf die allbekannte Instabilität der Datenbank der BNF. Bei Fachbibliographien, bei denen sich die Entscheidung zwischen gedruckter und digitaler Form noch häufiger stellt, wird man dagegen kaum mehr für die gedruckte Version plädieren können, auch wenn man für die digitale Version, die aber eben den Vorzug der Recherche über viele Berichtsjahre besitzt, zu hohen Preisen dauernd neu zur Kasse gebeten wird. Das sind einige willkürlich herausgegriffene Beispiele dafür, daß wir heute wohl in der Tat einem Bruch in der Präsentation bibliographischer Information beiwohnen. Dafür, daß die alte Zeit der gedruckten Bibliographien, die keineswegs immer eine "gute" war und die noch länger durchaus Gegenwart hat, nicht völlig aus dem vom Bildschirm begrenzten Blickfeld verschwindet, leistet der Nestler gute Dienste.

Klaus Schreiber


[1]
Bibliographie : Einführung in die Theorie, Methoden und Geschichte der bibliographischen Literaturinformation und in die allgemeinen bibliographischen Verzeichnisse / Friedrich Nestler. - 2., neubearb. Aufl. - Leipzig : Bibliographisches Institut, 1989. - 420 S. ; 24 cm. - (Lehrbücher für den bibliothekarischen Nachwuchs ; 7). - ISBN 3-323-00288-1 : M 24.80 [1017]. - Rez.: ABUN in ZfBB 37 (1990),4, S. 334 - 335. (zurück)
[2]
So bekommt etwa Hambergers Gelehrtes Teutschland sowohl in diesem Register Eintragungen unter dem Sachtitel und unter dem Verfasser als auch im ersten Register unter dem Verfassernamen, jeweils mit Hinweis auf dieselbe Seite in der historischen Einleitung. (zurück)
[3]
Vgl. dazu die Vorträge, die auf einer in Jerusalem am 17.08.2000 von der Section on Bibliography der IFLA ausgerichteten Veranstaltung zum Thema Teaching bibliography today in primary and continuing professional education of librarians gehalten wurden, nachzulesen in: International cataloguing and bibliographic control. - 30 (2001),1, S. 13 - 19. (zurück)

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