Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Geschichte des britischen Films


00-1/4-259
Geschichte des britischen Films / Jörg Helbig. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1999. - X, 334 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 3-476-01510-6 : DM 58.00
[5541]

In der kleinen Reihe nationaler Filmgeschichten des Metzler-Verlags findet sich neben Titeln über deutsche, chinesische und russische Filmgeschichte, die jeweils in ganz eigener Weise ihr Thema angehen,[1] auch ein Titel über den britischen Film. Sein Autor, Jörg Helbig, Professor für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität zu Köln, verfolgt mit diesem Band eine doppelte Zielsetzung: "Zum einen soll er die britische Filmgeschichte für das interessierte Kinopublikum erschließen, zum anderen soll er dazu beitragen, den britischen Film stärker in den Blickpunkt akademischer Lehre und Forschung zu rücken" (S. IX - X).

Wir dürfen annehmen, daß für den Verfasser das zweite Ziel im Vordergrund steht, für den anglistischen Studienbetrieb ein Lehrbuch vorzulegen, das eine ausführliche Ausbreitung seines Themas mit punktuellen thematischen Vertiefungen verbindet, um sowohl Faktenwissen als auch Problembewußtsein zu vermitteln. Die Gliederung des Bandes ist dementsprechend angelegt: In insgesamt 21 Kapiteln finden sich neben Übersichten zu thematischen Längsschnitten (Filmindustrie und die wichtigsten Studios), zu einzelnen Zeitabschnitten (Frühzeit, Zwischenkriegszeit, 80er Jahre, Gegenwart) und Filmgenres (Komödien, Horrorfilme, Agentenfilme, Popmusikfilme, Free Cinema, New Wave) vor allem Einzelstudien zu Regisseuren (Hitchcock, Asquith, Korda, Powell, Pressburger, Reed, Lean, Greenaway und Jarman, um nur die besonders hervorgehobenen zu nennen) und zu "typisch britischen" Themen (Shakespeare-Verfilmungen). Unter systematischem Gesichtspunkt vermißt man die Vorstellung typisch britischer Schauspielerinnen und Schauspieler und Bemerkungen zur britischen Schauspieltradition.

Die Kapitel stehen jeweils unverbunden und recht isoliert nebeneinander, sie lesen sich wie kleine Abhandlungen zu ihrem jeweiligen Thema und fallen durch einen trockenen, faktenreichen, aber zugleich doch seltsam inhaltsleeren Stil auf. Helbig versammelt jeweils eine große Menge von Informationen, die er jedoch meist nur anreißt; sie wirken wenig verarbeitet und fallen eher durch ihre Quantität als durch ihre Qualität auf. Die vielen kurzen, quasi lexikographischen Bemerkungen zu Nebenthemen und "weiteren" Filmen eines Regisseurs oder eines Genres wirken häufig floskelhaft und scheinen ihre Berechtigung vor allem durch die Addition immer neuer Fakten zu finden. Ein Grund für die vielen Kurzkritiken liegt wohl im Thema des Bandes, das dazu verpflichtet, jeweils "britische" Phasen im Leben internationaler Künstler hervorzuheben und andere "außer-britische" Phasen summarisch vor allem durch das Nennen von Filmtiteln zu überbrücken. Leider färbt dieses Verfahren auch auf die Diskussion der zwar britischen, aber "weniger wichtigen" Filme eines Regisseurs oder eines Genres ab. So wird ein reiches Faktenwissen angeboten, aber selten Problembewußtsein vermittelt; die Aneinanderreihung von Details fügt sich nur selten zu abgerundeten Darstellungen. Filmgeschichte wird zur Chronologie,[2] fügt sich nicht in Zusammenhänge, deren Herausarbeitung oder auch Konstruktion doch erst einen solchen Band über ein rein historiographisches Interesse hinaus rechtfertigen würde. Am auffälligsten wird diese Technik im letzten Kapitel, das gewissermaßen im offenen Satz abbricht, ohne sich auch nur den kleinsten Versuch einer Zusammenfassung oder eines Resümees zu gestatten.

Die Erwartungen an ein akademisches Lehrbuch werden noch durch zwei formale Mängel enttäuscht: Helbig bietet weder im laufenden Text oder an den Kapitelabschlüssen Hinweise auf weiterführende und vertiefende Literatur (er nennt lediglich Belegstellen im Text) noch bietet er eine inhaltlich gegliederte Bibliographie. Die Bibliographie im Anhang enthält lediglich etwa 250 Titel in alphabetischer Folge mit knappsten bibliographischen Angaben; diese Titelliste mag wohl für die Verifizierung der im Text enthaltenen Beleghinweise notwendig und nützlich sein, für eine Recherche nach weiterführender oder ergänzender Literatur ist sie wenig geeignet. Hilfreich für die Erschließung des Bandes selbst sind allerdings die beiden Register, ein Personen- und ein Filmtitelregister, vermißt wird aber eine Filmographie, die die vielen im Text und im Register erwähnten Filme mit ausführlicheren Daten vorstellen würde, als im Text resp. in den in den Fließtext eingeschobenen Titellisten geschieht (nur Jahr und Produktionsfirma, gelegentlich Filmlänge, sowie im Text die deutschen Verleihtitel).

Der abschließende und relativierende Einwand, es gäbe ja genügend andere, ergänzende Titel zum britischen Film aus dem Heimatland selbst, die die vermißten Informationen und Zusammenhänge in z.T. vorbildlicher Weise bieten, sei nur als rhetorische Floskel eingeführt: Warum dann dieses Buch für Anglistikstudenten, deren Sprachkenntnisse für die Originalliteratur doch ausreichen dürften?

Wilbert Ubbens


[1]
Geschichte des deutschen Films / hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Hans Helmut Prinzler. - 1993. - 596 S. : Ill. - ISBN 3-476-00883-5 : DM 58.00. - Rez.: IFB 94-2-291. - Geschichte des chinesischen Films / Stefan Kramer. - 1997. - XIX, 313 S. : Ill. - ISBN 3-476-01509-2 : DM 78.00. - Geschichte des sowjetischen und russischen Films / hrsg. von Christine Engel ... - 1999. XV, 382 S. : Ill. - ISBN 3-476-01546-7 : DM 78.00. (zurück)
[2]
Inzwischen wird für Herbst 2000 ein entsprechender Titel annonciert: Chronik des britischen Films / Jörg Helbig. - Trier: WVT, Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2000. - 388 S. - (Filmgeschichte international ; 7.). (zurück)

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