Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Religionen heute


00-1/4-137
Religionen heute / Mary Pat Fisher. [Übers. aus dem Engl.: Gabriele-Sabine Gugetzer ...]. - Köln : Könemann, 1999. - 464 S. : Ill., graph. Darst., Kt. ; 24 cm. - Einheitssacht.: Living religions <dt.>. - ISBN 3-8290-1892-4 : DM 29.90
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Der Verlag Könemann hat in den letzten Jahren ein umfangreiches Angebot preisgünstiger, aber qualitätvoller Editionen in verschiedenen Bereichen aufgebaut. Daß hier ein relativ umfangreiches Handbuch über die Religionen erscheint, spricht abermals für die Verkaufsträchtigkeit eine solchen Angebots. Der Verlag hat das noch ziemlich neue Werk Living religions (1997)[1] ausgesucht und in deutscher Bearbeitung veröffentlicht, das durch einen relativ umfangreichen Fachberaterstab seine Solidität beweist. Es handelt sich um ein Werk, bei dem man das Prädikat des "Postmodernen" vergeben möchte: Es informiert in großer Breite über Tendenzen gegenwärtiger religiöser Wirklichkeiten und Ausdrucksformen und sucht dabei keinen normativen Rahmen vorauszusetzen, sondern weitgehend die Selbstaussagen darzustellen und zu formulieren. Dementsprechend sind sehr viele Originaltexte enthalten und zwar nicht gängige klassische Texte, sondern vielfach bekenntnisartige Aussagen und Interviews, die die Lebenswirklichkeit und die Beweggründe gegenwärtiger Vertreter der verschiedenen Gruppierungen verdeutlichen. Der Bogen ist weit gespannt: von einer sibirischen Schamanin bis zu einer Vertreterin der Vereinigungskirche, die unter anderem über das Faktum ihrer fremd- und fernbestimmten Verehelichung in dieser Religionsgemeinschaft berichtet. Derart befremdliche Dinge sind als Aussage ohne einen bewertenden Rahmen in diesem Werk dargeboten. Eine zweite Besonderheit ist, daß die westliche - und damit auch historisch-kritische - Perspektive nicht eingenommen wird. Typisch, wenn beim Hinduismus eine tabellarische Übersicht zwei Spalten enthält : "westliche Sichtweise - indische Tradition". Das gleiche gilt auch bei Berichten über mancherlei wunderlicher Dinge, die westlicher Rationalität höchst fremd sind. Eine dritte Eigenheit des Werkes ist die Betonung der Rolle der Frau (das Bild einer Rabbinerin dürfte anderswo auch nicht so leicht zu finden sein). Die umfangreiche Bebilderung fällt im Rahmen der noch zu nennenden Werke weniger auf, kann aber als sehr informativ bezeichnet werden. Der Gesamtaufbau des Werkes führt von einer Beschreibung des Phänomens Religion (Warum existieren Religionen? Wie kann man die letzte Realität erleben? usw. bis zu den "negativen Seiten der organisierten Religion") zu Kapiteln über die Naturreligionen, den Hinduismus, Jainismus, Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus, Shinto, Zoroastrismus, das Judentum und Christentum, den Islam und den Sikhismus und zu den neuen religiösen Strömungen und einem Versuch Religion am Ende des Jahrhunderts. Es ist interessant, Aufbau und Inhalt mit dem Werk Heilers und seiner Mitarbeiter zu vergleichen. Auch hier haben die beiden Rahmenkapitel - allerdings von ganz anderen Voraussetzungen her - eine ähnliche Funktion, wobei Fisher Institutionen und Ereignisse bis in die unmittelbare Gegenwart hinein referiert. Am Schluß formuliert Fisher eine Einheitsvision: "Zum Ende dieses Jahrhunderts ist die Weltbühne bereit für eine wahrlich moralische und spirituelle Revolution ..." und zitiert dafür Teilhard de Chardin. Sucht man den kriteriologischen Rahmen der Arbeit, so ist er nicht ganz einfach zu bestimmen. Ein allgemein humanes Ethos, das - gewisse - Auswüchse der Religionen kritisieren kann, steht gewiß dahinter, wobei in Einzelfragen eine ausgesprochene Vorsicht des Urteils bewahrt oder Enthaltsamkeit praktiziert wird. Das ist für den kritischen Leser, der nicht bevormundet werden möchte, sicher angenehm. Es führt aber zu einer harmonischeren Sicht des Gesamtkomplexes, als ihn viele durchaus zweifelhafte Züge des Bildes eigentlich ermöglichen. Die Grundlage dieses "postmodern-pluralen" Zugangs scheinen mir in der - nicht umsonst eine sehr breite Rolle in dem Werk spielenden - indischen Geistigkeit und religiösen Situation zu liegen, die auch den Hintergrund für die Arbeit Fishers bietet. Wie man aber auch Spannungen oder Urteile religionswissenschaftlicher oder auch letztlich theologischer Art, die in diesem Werk vorgenommen werden, beurteilen mag, die Fülle der Information ist jedenfalls beeindruckend. Das Konzept, aus dem Selbstverständnis der Religionen her die Darstellung zu konzipieren, hat große Vorzüge. Als Nachschlagewerk zum Phänomenbereich Religion hat dieses Buch seinen guten Platz, auch wenn es in seiner Aufmachung und dem Mangel an bibliographischer Weiterführung eher dem populären Genus zuzuordnen ist.

Albert Raffelt


[1]
1. Aufl. von Mary Pat Fisher und Robert W. Luyster: Englewood Cliffs, NJ : Prentice Hall, 1991. - 367 S. : zahlr. Ill., graph. Darst. - ISBN 0-13-538604-7. - Paperback as a rev. ed. mit Fisher als alleiniger Verf.: London : Tauris, 1997. - 464 S. : Ill., Kt. - ISBN 1-86064-148-2. (zurück)

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