Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen


00-1/4-116
Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen : von Adorno bis v. Wright / hrsg. von Julian Nida-Rümelin. - 2., aktualisierte und erw. Aufl. - Stuttgart : Kröner, 1999. - XXVIII, 820 S. ; 18 cm. - (Kröners Taschenausgabe ; 423). - ISBN 3-520-42302-2 : DM 49.80
[5828]
00-1/4-117
Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts : biographisches Lexikon / hrsg. von Bernd Lutz. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1999. - 471 S. : Ill. - (dtv ; 32517). - ISBN 3-423-32517-8 : DM 24.90
[5571]

In den philosophischen Lexika, die sich speziell mit den Vertretern des Faches Philosophie auseinandersetzen, geht es in den wenigsten Fällen um eine bloße Aufzählung von biographischen und bibliographischen Angaben; es werden vielmehr die Philosophen mit ihren Positionen, Fragestellungen oder Problemen dargestellt. Aus diesem Grund müßten in den Bereich der Personenlexika im weiteren Sinne also auch andere Titel einbezogen werden, die normalerweise innerhalb der Kategorie Philosophiegeschichte[1] angesiedelt sind. Denn der praktische Verwendungszweck einer Philosophiegeschichte gegenüber einem Lexikon im engeren Sinne liegt nur auf der Ebene der Ausführlichkeit - vor allem auch des Hintergrundes. Erst die Monographie[2] über einen einzelnen Philosophen liegt jenseits dieser Grenze. Innerhalb der philosophischen Personenlexika im engeren Sinne nun ist zum einen der Kulturraum einzugrenzen. Denn heute kann Philosophie angesichts der sich immer stärker in europäischen Sprachen artikulierenden Denktraditionen anderer Kulturen[3] nicht mehr nur als eine proprietas Europae angesehen werden, auch wenn natürlich die Frage weiterhin diskussionswürdig bleibt, ob der vielerorts begegnende denkerische Umgang mit der Wirklichkeit, der sich von der Unzufriedenheit mit den scheinbaren facta bruta getragen weiß, nicht schon im Ansatz differiert und somit ein philosophischer Ansatz sich von anderen denkerischen Ansätzen unterscheidet. Ein dementsprechendes Personenlexikon, das alle Kulturräume ausgewogen berücksichtigt, ist aber immer noch ein Desiderat. Nicht innerhalb dieser soeben genannten Einteilung, sondern quer dazu gibt es nun auch Lexika im engeren Sinne, die entweder versuchen, eine größtmögliche Zeitspanne abzudecken, z.B. in Europa von den Vorsokratikern bis in die jüngste Zeit,[4] oder die sich auf einen begrenzten Zeitabschnitt beschränken.

Die Philosophie der Gegenwart von Nida-Rümelin (der Göttinger Professor für Philosophie - derzeit beurlaubt - ist seit 1998 Kulturreferent der Stadt München) nun gehört zu letzterem. Es ist ein Werk, das geographisch gesehen die "Philosophie des deutschen Sprachraums überproportional berücksichtigt - insgesamt liegt der Schwerpunkt auf der europäischen und amerikanischen Philosophie" (S. XI) -, und das zeitlich gesehen das Schwergewicht auf die heute lebenden, lehrenden und schreibenden Philosophen richtet (S. XI).[5] Das Werk, das 1999 in zweiter, aktualisierter und erweiterter Auflage erscheint, ist dem 1991 verstorbenen, ehemaligen Vorstand des Seminars für Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie der Ludwig-Maximilians-Universität München, Wolfgang Stegmüller, nicht nur gewidmet, sondern kann als Nachfolgewerk von dessen gleichfalls im Kröner-Verlag erschienenen Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie[6] angesehen werden. Es hat gegenüber der Erstauflage von 1991 eine aktualisierte und teilweise neu abgefaßte Einleitung; außerdem wurden einige Philosophen neu aufgenommen, das Werk der anderen ergänzt und die Bibliographien aktualisiert. Ziel dieses Lexikon ist es nicht, "einen Kanon gesicherten Nachschlagewissens zu vermitteln", es soll vielmehr "die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie anregen, erleichtern und begleiten" (S. XI). Die Artikel sind folgendermaßen aufgebaut: Nach einer einleitenden Vita mit den wichtigsten Lebensereignissen wird das philosophische Oeuvre dargestellt, das die Grundprobleme und Lösungsansätze aufzeigt. Daran schließt sich - und das ist sicherlich eine große Bereicherung gegenüber vielen herkömmlichen Personenlexika - eine Rezeptionsgeschichte an, die die Wirkungen und Auseinandersetzungen darlegen. Abgeschlossen wird (jeweils historisch geordnet) mit einer Auswahl der Originalliteratur und einer recht ausführlichen Sekundärbibliographie. Über die Auswahl der aufgenommenen Autoren informieren sowohl das Vorwort als auch die Einführung: Während der gesamte Bereich der primär textinterpretatorischen und philosophiegeschichtlichen Forschung unberücksichtigt bleibt, versucht die Auswahl der Beiträge, die Vielfalt der Gegenwartsphilosophie angemessen zu repräsentieren (S. XII). Etwas unklar ist jedoch das behauptete Kriterium, daß nicht die akademische, sondern die originär philosophische Bedeutung (S. XII) des Oeuvres ausschlaggebend sein soll. Denn nicht nur die bloß akademische Bedeutung wäre hier genauer zu umreißen, sondern die Entscheidung, was originär philosophisch sei, scheint doch gerade von der akademischen Forschung bestimmt zu werden. In der knapp zwanzigseitigen, in 4 Kapitel unterteilten Einführung versucht der Herausgeber zusammen mit Tania Eden, zwischen den insgesamt 156 behandelten Philosophen Verbindungslinien aufzuzeigen, die letztlich auf Grund des Rahmens über andeutende Zusammenhänge nicht hinauskommen können, wobei Husserl ein etwas größerer Abschnitt (S. XVII - XIX) gewidmet wird, dem wie Frege zwar eine "überragende Bedeutung" (S. XI) zugestanden wird, die aber beide nicht in einem eigenen Artikel aufgenommen sind, da sie "nicht mehr in den ... gesetzten zeitlichen Rahmen" (S. XI) passen.

Gegenüber diesem sicherlich sehr hilfreichen Personenlexikon für die fachphilosophische Forschung unterscheidet sich das von Bernd Lutz herausgegebene biographische Lexikon Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts vor allem durch seine grundsätzlich andere Ausrichtung: "Der Stil der Artikel und das Gesamtkonzept sind nicht auf den Fachphilosophen ausgerichtet; der Band wendet sich ... an alle diejenigen, die sich aus den unterschiedlichsten Interessen heraus über den philosophie- und problemgeschichtlichen Horizont, die Voraussetzungen und die Wirkungen einer philosophisch bemerkenswerten Existenz informieren wollen" (S. 5). Innerhalb dieses Rahmens[7] muß man die Beurteilung des Herausgebers über das gleichfalls von ihm betreute Metzler-Philosophen-Lexikon sehen, das "sich längst als Standardwerk durchgesetzt hat" (S. 5) und aus dem das vorliegende Bändchen eine Auswahl von 125 Philosophen bietet.[8] Ob diese Meinung sich nun aus der Tatsache einer zweiten Auflage des zugrunde liegenden Werkes und der erneuten Auswahlveröffentlichung in Form des vorliegenden Lexikons ableitet oder aus der tatsächlichen Erfüllung des hohen Anspruches, dem sich das Werk verpflichtet weiß, soll einmal dahingestellt bleiben: Die "angemessenste Form des Umgangs mit diesem Buch käme der Vorstellung gleich, die sich mit seiner Veröffentlichung verbindet: einer Einübung in die Philosophie" (aus dem Vorwort der 1. Aufl.). Wenn man dem zustimmt, daß die Einübung eines nicht fachspezifischen Publikums in die Philosophie darin bestehe, über eine philosophisch bemerkenswerte Existenz zu informieren, dann ist das in der Regel recht gut gelungen: Die illustrierten Artikel[9] beginnen mit einer markanten Pointe, einem ersten Zugang, an den eine Darstellung der Person[10] anschließt, die die biographischen Daten und die wichtigste Sekundärliteratur unter Einbeziehung vor allem des lebensweltlichen, aber auch des geistesgeschichtlichen Hintergrundes sehr verständlich darbietet. Außer bei den Beiträgen über Ariès und Baudrillard wird am Ende jeweils noch einige Sekundärliteratur genannt. Die Idee des Herausgebers jedoch, daß das Lexikon auch zum Querlesen animieren sollte, wozu die Artikel zahlreiche Hinweise böten (aus dem Vorwort der 1. Aufl.), ist wohl eher utopisch, da die Hinweise zwischen den Artikeln höchstens in der Nennung des Namens einer anderen Person besteht. Doch ein wirklich unterstützendes System in dieser Hinsicht fehlt: z.B. der Aufbau einer Sachnomenklatur mit expliziter Angabe der Querverweisungen im Text. So stehen zwar die Beiträge zu Hartmann und zu Heidegger direkt hintereinander, aber im Hartmann-Artikel fällt der Name Heidegger nicht und im Heidegger-Artikel ermuntert der Satz "Der Dekan ... drängte zur Veröffentlichung, um H. als Nachfolger von Nicolai Hartmann dem Ministerium vorschlagen zu können" (S. 188) nicht unbedingt dazu, im Hartmann-Beitrag nachzulesen, so daß das nicht fachspezifische Publikum keinerlei Hilfestellung für ein Querlesen z.B. über die zwei großen, aber eben sehr unterschiedlichen Ansätze der Ontologie (Hartmanns Kategorialanalyse und Heideggers Fundamentalontologie) zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfährt. Auf jeden Fall sehr hilfreich ist die Auswahl der teilweise annotierten Bibliographie der Einführungsliteratur, Philosophiegeschichten, Enzyklopädien, Handbücher, Lexika, die zusammen mit einem Verzeichnis der Mitarbeiter und der Angabe der Bildquellen das Lexikon beschließen.

Wolfgang Erb


[1]
Von den Publikationen der letzten Jahre, die die gesamte Geschichte der europäischen Philosophie zu umreißen versuchen, ist hier vor allem der neue Ueberweg zu nennen; vgl. die vorstehend (IFB 00-1/4-095 - 096) besprochenen Bände mit Aufführung der übrigen bisher erschienenen und früher besprochenen Bände.
Von den jüngsten Veröffentlichungen, die sich geographisch und historisch mit einem Ausschnitt der europäischen Philosophiegeschichte beschäftigen, ist vor allem auf folgende Werke hinzuweisen:
Geschichte der philosophischen Traditionen Osteuropas / hrsg. von Helmut Dahm. - Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996. - XIX, 695 S. - ISBN 3-534-00596-1. - Welten im Kopf : Profile der Gegenwartsphilosophie / Ingeborg Breuer ... - Hamburg : Rotbuch Verlag. - Bd. 1. Deutschland. - 1996. - 247 S. - ISBN 3-88022-367-X. - Bd. 2. Frankreich/Italien. - 1996. - 239 S. - ISBN 3-88022-368-8. - Bd. 3. England/USA. - 1996. - 220 S. - ISBN 3-88022-369-6. (zurück)
[2]
Im Rahmen der sog. Einführungsliteratur zu einzelnen Philosophen sollen hier exemplarisch folgende drei Reihen genannt werden: die seit 1958 erscheinenden Rowohlts Monographien (neuester Band: Konfuzius / Volker Zotz. - Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, 2000. - 160 S. - ISBN 3-499-50555-X); die seit 1989 erscheinende Reihe ... zur Einführung des Junius-Verlags (neuester Band: Plotin zur Einführung / Susanne Möbuss. - Hamburg : Junius-Verlag, 2000. - 144 S. - ISBN 3-88506-315-8) und die von Otfried Höffe herausgegebene Beck'sche Reihe Denker (neuester Band: Rudolf Carnap / Thomas Mormann. - München : Beck, 2000. - 184 S. - ISBN 3-406-41954-2). (zurück)
[3]
Im deutschen Sprachraum ist für Ostasien - einmal ganz abgesehen von anderen Kulturräumen - gerade einmal China mit folgendem, nicht europäischen Maßstäben verpflichtetem, durchaus ideologischem Werk vertreten: Chinesisch-Deutsches Lexikon der Klassiker und Schulen der chinesischen Philosophie / übers. aus dem Ci Hai von Lutz Geldsetzer und Han-Ding Hong. - Aalen : Scientia, 1991. - 249 S. - ISBN 3-511-09199-3. (zurück)
[4]
Um gegenwärtige, auch in der Philosophie sich äußernde Forderungen aufzunehmen, sei hier auf folgendes Werk verwiesen: Philosophinnen / Marit Rullmann. - [Frankfurt am Main] : Suhrkamp-Taschenbuch-Verlag. - 18 cm. - (Suhrkamp-Taschenbuch ; ...). - ISBN 3-518-06516-5 (Gesamtwerk in Kassette) : DM 36.00 [5266]. - Bd. 1. Von der Antike bis zur Aufklärung / [Mitarb.: Gudrun Gründken ...] - 1. Aufl., Lizenzausg., überarb. und durch neue bibliogr. Angaben erg. - 1998. - 308 S. : Ill. - (... ; 2877). - ISBN 3-518-39377-4 : DM 19.80. - Bd. 2. Von der Romantik bis zur Moderne / [Mitarb.: Monique Dorang ...] - 1. Aufl., Lizenzausg., überarb. und durch neue bibliogr. Angaben sowie ein Porträt der amerikanischen Philosophin Donna Haraway erg. - 1998. - 365 S. : Ill. - (... ; 2878). - ISBN 3-518-39378-2 : DM 19.80. - Rez.: IFB 99-B09-087. (zurück)
[5]
Für eine möglichst umfassende Kurzdarstellung bio-bibliographischer Daten der heute lebenden, lehrenden und schreibenden Philosophen im deutschen Sprachraum ist jedoch weiterhin Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender (vgl. zuletzt IFB 99-B09-321 - 323) heranzuziehen, dessen 18. Ausg. nach dem Verlagswechsel von de Gruyter zu Saur für Dezember 2000 angekündigt ist. (zurück)
[6]
Das in 1. Aufl. 1952 (und bis zur 4. Aufl. 1969) in einem Band erschienene Werk umfaßt in seiner neuesten, weiterhin lieferbaren Auflage vier thematische Bände: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie : eine historisch-kritische Einführung / Wolfgang Stegmüller. - Stuttgart : Kröner. - (Kröners Taschenausgabe ; ...). - Bd. 1. - 7. Aufl. - 1989. - (... ; 308). - Bd. 2. - 8. Aufl. - 1987. - (... ; 309). - Bd. 3. - 8. Aufl. - 1987. - (... ; 409). - Bd. 4. - 1. Aufl. - 1989. - (... ; 415). (zurück)
[7]
Auf ähnlicher Linie liegt auch folgendes Werk Dtv-Atlas zur Philosophie : Tafeln und Texte / Peter Kunzmann ... - Orig.-Ausg., 8. Aufl. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1999. - 260 S. : zahlr. Ill. und graph. Darst. - ISBN 3-423-03229-4. (zurück)
[8]
Metzler-Philosophen-Lexikon : von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen / unter red. Mitarb. von ... hrsg. von Bernd Lutz. - 2., aktualisierte und erw. Aufl., ungekürzte Sonderausg. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1995. - 954 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-476-01428-2 : DM 39.80 [3331]. - Rez.: IFB 96-2/3-188. - 1. Aufl. 1989. - Rez.: ABUN in ZfBB 36 (1989),2, S. 139 - 141. (zurück)
[9]
Der Umfang der Artikel schwankt zwischen 2 und über 13 Seiten; er ist nicht sehr ausgewogen und kann eigentlich nicht mit der Bedeutung des einzelnen Philosophen begründet werden; vgl. dazu die recht bissige Rezension von Günter Wohlfart (Wuppertal) in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie. - 19 (1991), S. 91 - 93. (zurück)
[10]
Auch wenn die Grenzziehung von "Philosophie" und damit von "Philosophen" eine schwierige Aufgabe ist, so sprengt dieses Lexikon - was nicht unbedingt als Nachteil anzusehen ist - den Rahmen sehr deutlich, dadurch, daß u.a. Theologen (z.B. Barth, Bultmann, Rahner), Psychoanalytiker (z.B. Adler, Freud, Jung), Soziologen (z.B. Bourdieu, Elias, Parsons) und Staatstheoretiker (z.B. Kelsen, Schmitt), Ethnologen (z.B. M. Mead), ein Spezialist für chinesische Wissenschaftsgeschichte (Needham) und Naturwissenschaftler (z.B. Bohr, Einstein, Schrödinger) behandelt werden. (zurück)

Zurück an den Bildanfang