Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte. Bd. 2: Die Territorien im Alten Reich. Im Auftr. der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg hrsg. von Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarzmaier in Verb. m. Dieter Mertens und Volker Press. Red.: Michael Klein. Stuttgart: Klett-Cotta 1995. XXVI u. 907 S. (Veröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg.) Ln. im Schuber

Ausgehend vom Endpunkt der territorialen Entwicklung des Alten Reiches, dem Zustand im Jahre 1802, nimmt das vorliegende monumentale Werk die Geschichte der damals bestehenden reichsunmittelbaren Herrschaften des deutschen Südwestens in den Blick. Von der winzigen Reichsstadt Zell am Harmersbach, der eine halbe Seite gewidmet ist (S. 750), bis zum größten Territorium, dem Herzogtum Württemberg, dem Dieter Mertens auf gut 160 Seiten eine glänzende Darstellung angedeihen läßt, reicht die Spannweite der Einzelartikel. Daneben gibt es Sammelartikel, etwa für "Kleinere Hochadelsherrschaften", die Reichsprälatenklöster, den Deutschen Ritterorden und den Johanniterorden. Volker Press, der 1993 verstorbene exzellente Kenner der frühneuzeitlichen Adelswelt, zeichnet für den abschließenden Beitrag über die Reichsritterschaft (S. 771-813) verantwortlich. Wie nicht anders zu erwarten, ist diese meisterliche Synthese für die Geschichte der gesamten deutschen Reichsritterschaft von Belang.

Es macht einen der großen Vorzüge des neuen Handbuchs aus, daß die Grenzen des heutigen Bundeslandes, oftmals hinderliche Barrieren für die erwünschte Osmose landesgeschichtlicher Forschungen, nie über Gebühr in den Vordergrund treten. Dies gilt insbesondere für die kurpfälzische Territorialgeschichte von Meinrad Schaab (S. 247-333), die sich ja auf die zweibändige "Geschichte der Kurpfalz" desselben Verfassers stützen kann. Einen allgemeinen Abriß der Geschichte des Erzstifts Mainz liefert Friedhelm Jürgensmeier (S. 439-459). Wie die meisten Beiträge des Bandes leistet er dem Leser nicht nur mit Hilfe eines gegliederten Verzeichnisses der wichtigsten Literatur (S. 439f.) sondern auch durch einen ausführlichen Anmerkungsapparat bibliographische Hilfestellung. Und wer sich für die Geschichte von Hessen und Nassau interessiert, findet im umfangreichen Orts- und Personenregister unter diesen Lemmata eine Fülle von Verweisen. Unter anderem entdeckt man im Artikel "Geroldseck (mit Lahr-Mahlberg)" von Christoph Bühler (S. 412-416) Informationen zu der bis 1803 bestehenden nassauischen Herrschaft Lahr (S. 414f.).

Es versteht sich von selbst, daß ein so ambitioniertes Unternehmen, das über viele Jahre hinweg vorbereitet werden mußte und an dem 34 Autoren mitgearbeitet haben, notwendigerweise manche Schwächen aufweist. Da ist etwa die schmerzliche Lücke im Bereich der weltlichen Territorien: Teil C über Vorderösterreich mußte wegen eines säumigen Autors in einen späteren Band verschoben werden. Grundsätzliche Kritik ließe sich an der konventionellen Konzeption und thematischen Disparitäten üben. Zu sehr dominiert in zwei von den drei Beiträgen über die großen Territorien (Württemberg, Baden, Kurpfalz) die politische Geschichte. Viel zu wenig präsent sind sozialgeschichtliche Themen. Beispielsweise erfährt man in dem Band kaum etwas über die Hexenverfolgung, wiewohl dieser Gegenstand in den letzten Jahren gewiß als ein Brennpunkt sozialhistorischer Studien zur frühen Neuzeit gelten kann. Unterbelichtet erscheint auch das kulturelle Leben, wobei auch hier die Autoren, die sich mit kleineren Territorien und Reichsstädten befaßt haben, etwas besser abschneiden. Mitunter fiel es den Bearbeitern schwer, die rechte Balance bei der Berücksichtung der großen Epochen zu halten: so liegt der Schwerpunkt des Artikels über das Erzstift Mainz etwas zu sehr auf dem Früh- und Hochmittelalter, und auch über die Geschichte des Deutschen Ordens in der frühen Neuzeit würde man gern noch etwas mehr lesen.

Dies ändert jedoch nichts an der positiven Gesamtbeurteilung. In aller Regel bietet das Handbuch, auf absehbare Zeit d a s Standardwerk zur Geschichte des deutschen Südwestens, verläßliche und solide Informationen auf hohem Niveau. Peinliche Ausrutscher wie die Bezeichnung des Johannes Trithemius als "Hirsauer Abt" (S. 556 und im Register S. 894) sind, wenn ich recht sehe, so gut wie nicht zu konstatieren. Bleibt zu hoffen, daß der angekündigte erste Band nicht allzu lange auf sich warten läßt.

Klaus Graf

Druckfassung erschienen in: Nassauische Annalen 107 (1996), S. 357-358