Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Österreichisches Wörterbuch


99-1/4-488
Österreichisches Wörterbuch : mit den neuen amtlichen Regeln / [hrsg. im Auftr. des Bundesministeriums für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten. Bearb.: Otto Back ... Red.: Herbert Fussy ...]. - 38. Aufl., Neubearb. - Wien : ÖBV, Pädagogischer Verlag, 1997. - 800 S. : 22 cm. - ISBN 3-215-12653-2 : ÖS 198.00
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Das Österreichische Wörterbuch erschien rund ein Jahr später als die repräsentativsten deutschen Wörterbücher mit neuer Rechtschreibung. Man darf daher erwarten, daß es ausgereift ist und die Kinderkrankheiten der anderen von vornherein vermeidet. Seine Bearbeiter waren großenteils an den Vorarbeiten zur Reform beteiligt. Einer von ihnen ist Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission. Das verbürgt eine gewisse Authentizität der Interpretation. Das Werk enthält einleitend eine didaktisierte Darstellung der Neuregelung; am Ende ist das amtliche Regelwerk abgedruckt.

Was den eigenen Schreibgebrauch der Autoren betrifft, so bedienen sie sich zwar einer ganz traditionellen Zeichensetzung, wodurch manche jener Härten vermieden wird, die wir in den neuen Schul- und Kinderbüchern antreffen. Andere Neuschreibungen werden pünktlich ausgeführt, zum Beispiel liest man, der Einfluß Adelungs sei "besonders tief greifend" gewesen - eine grammatische Monstrosität, die jedoch die allein "richtige" Schreibweise werden soll.

Bei der Auflistung der Großschreibungsfälle fehlt die Großschreibung der Adjektive in Nominationsstereotypen (Roter Milan usw.), die erst später als "feste Verbindungen" ein wenig anerkannt werden. Die restriktive Deutung von Paragraph 64(2) wird ihrer praktischen Häufigkeit nicht gerecht. Dieser Einwand trifft auch andere Wörterbücher. Die Nachrichtenagenturen haben übrigens beschlossen, den folgenreichen Paragraphen 63 der Neuregelung schlicht zu ignorieren und weiterhin das Schwarze Brett, die Erste Hilfe usw. zu schreiben. Damit entfällt, wenn man einmal von der ss-Schreibung absieht, fast die Hälfte der Reform.

Die Nebeneinanderstellung Not tun/leiden ist irreführend, da es sich im zweiten Fall um die Not handelt, im ersten aber um ein anderes Wort für "nötig sein"; genau darum ist die neue Großschreibung so abwegig. Die Neuregelung schreibt dennoch zwingend vor: Schifffahrt ist Not!

Daß es bei der Substantivierung von Partizipialgefügen zu zwei Schreibungen kommt, ist, wie bereits gezeigt, nicht aus den Regeln abzuleiten und grammatischer Unsinn. Die Substantivierung von Not leidend ergibt nur die Not Leidenden, während die Notleidenden selbstverständlich ein Kompositum notleidend voraussetzen. Das ÖWB stellt den schwer Verletzten und den Schwerverletzten einfach nebeneinander und kennzeichnet das erstere als Neuschreibung. Doppelter Irrtum: der schwer Verletzte war auch bisher durchaus konstruierbar, und der Schwerverletzte ist nach der Neuregelung gerade nicht mehr möglich.

Das ÖWB bestreitet allen Ernstes, daß es die Wörter tiefschürfend usw. gibt, und führt sie nur noch als Syntagmen unter dem jeweils ersten Bestandteil an. Wie ist dann tiefschürfender zu erklären?

Wie weit die Wortvernichtung durch Aufspaltung von Zusammensetzungen gehen kann, zeigt folgender Ausschnitt: Getrennt geschrieben werden laut ÖWB wohl bedacht, begründet, bekannt, beraten, durchdacht, *gelitten, gemeint, *genährt, *gesinnt, *gestaltet, *klingend, *lautend, *riechend, *schmeckend, situiert, überlegt, unterrichtet, versorgt. (Die mit Asteriskus markierten Wörter werden laut Duden zusammengeschrieben.) Weder besonders wohl riechend noch wohl riechender sind grammatisch mögliche Formen, folglich ist die obligatorische Aufspaltung ein Irrweg. Das Wörterbuch beweist es wider Willen.

Weitere Wörterbücher

An die Wörterbücher, die aus mehr oder weniger traditionsreichen Wörterbuchverlagen stammen, schlossen sich sehr bald andere an, hinter denen schnell zusammengestellte Arbeitsgruppen ohne lexikographische Erfahrung standen. Niemand wird beim Kaffeefilialisten oder in der Zeitungsverkaufsstelle ein ernstzunehmendes Wörterbuch vermuten - es sei denn als Lizenzausgabe. Schon bisher gab es zwar viele orthographische Wörterbücher; die Erfahrung und genaue Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß in der Schreibpraxis der Sekretärinnen sowie beim Korrekturlesen fast nur der Duden eine Rolle spielte. Daran wird sich nicht viel ändern, allenfalls das Bertelsmann-Wörterbuch könnte in weiter angepaßter Fassung eine gewisse Ergänzung darstellen.


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