Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Geschichte der Biologie


99-1/4-475
Geschichte der Biologie : Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien / hrsg. von Ilse Jahn. - 3., neubearb. und erw. Aufl. - Jena ; Stuttgart [u.a.] : G. Fischer, 1998. - 1088 S. : Ill. ; 27 cm. - S. 664 - 752: Bibliographie. - S. 755 - 1030: Kurzbiographien. - ISBN 3-437-35010-2 : DM 286.00
[5385]

Diese 3. Aufl. hat mit ihren Vorgängerinnen außer dem Titel so gut wie nichts mehr gemein. Zwar ist die Gliederung in fünf Teile (I - V) formal gleich geblieben, doch alle Kapitel wurden dank der Mitarbeit von einundzwanzig neu gewonnenen Fachwissenschaftlern nicht nur grundlegend überarbeitet, sondern auch erheblich erweitert.

Erfreulicherweise ist der ideologische Ballast und die Terminologie aus der DDR-Zeit,[1] sowie die weltanschauliche Fixierung auf die biologischen Wissenschaften der UdSSR[2] der ersten beiden Auflagen endlich verschwunden.

Die Teile I - III, welche die Biologiegeschichte der Vorzeit bis zum 19. Jahrhundert chronologisch beschreiben - wobei die Biologie der Renaissance wieder reichlich kurz gerät - sind im Seitenumfang etwa gleich geblieben, die Teile IV (Biologie des 20. Jahrhunderts) und V (Kurzbiographien) hingegen haben ihren Umfang fast verdoppelt. In Teil IV geht, bedingt durch die Entwicklung der einzelnen biologischen Disziplinen, die chronologische in eine mehr ideengeschichtliche Gliederung über. Dieser Teil berücksichtigt jetzt auch angemessen die Sinnes- und Neurophysiologie. Die Geschichte der Molekular- und Mikrobiologie, etwa 40 Seiten, ist wohl noch zu jung und in ihrer Entwicklung zu stürmisch, als daß sie jetzt schon ausreichend gewürdigt werden kann. Der Artikel über die Anfänge der Gentechnologie ist mit knapp 3 Seiten überhaupt nicht aussagekräftig.

Leider erfährt man so gut wie nichts über die sogenannte "nationalsozialistische Biologie" mit ihren Problemfeldern Euthanasie und Rassenhygiene, was man wirklich als gewaltiges Desiderat in einer Geschichte der Biologie bezeichnen muß.

Die Kurzbiographien[3] wurde von etwa 1.000 auf 1.650 Einträge erweitert, die Zahl der Portraits wuchs auf 238. Die Lesbarkeit der Kurzartikel wird durch die vielen Abkürzungen[4] beeinträchtigt, aber vermutlich ist das Platzproblem bei diesem Umfang nicht anders zu lösen. Daß aus Platzersparnis auch die exakten Lebensdaten geopfert wurden ist schade, denn genannt sind lediglich das Geburts- und Sterbejahr. Sicher ist die Auswahl der Wissenschaftler nicht einfach zu treffen, aber wenn man schon die bekannten deutschen Zoologen Wolfgang Tischler und Adolf Remane verzeichnet, darf man Wulf Emmo Ankel und Joachim Illies eigentlich nicht vergessen. Auch Winnifred Cutler oder Sidney Altman und Manfred Eigen werden vermißt.[5] Die Angabe der Jahreszahl bei einigen Portraits ist hilfreich und wäre durchgehend bei allen zu wünschen.

Gewisse Inkonsequenzen, die auch seitens der Herausgeber eingeräumt werden, ergeben sich bei den Literaturangaben, die man an drei verschiedenen Stellen findet: 1. in einem sehr umfangreichen Verzeichnis der historiographischen Literatur[6] zu den einzelnen Kapiteln, was sinnvoll ist, 2. in den Kurzbiographien, die Originalquellen verzeichnen, wobei durchaus kritisch erscheint, welche Werke des betreffenden Wissenschaftlers hier aufgenommen wurden[7] und 3. in einem Literaturverzeichnis (mit Nachtrag), das die biographische Literatur aufführt. Die Angaben selbst erscheinen vollständig.

Das Sachregister ist umfangreich und erschließt gut die großen Bereiche. Zum Nachschlagen einzelner Sachverhalte ist es jedoch nicht geeignet. Will man beispielsweise die Entdeckung der Maul- und Klauenseuche nachlesen, findet man diesen Begriff nicht als Registereintrag; fündig wird man unter dem Stichwort Viren oder über die Forscher Friedrich Loeffler und Paul Frosch. Beim Personenregister ist zu bemängeln, daß die Abkürzung der Vornamen willkürlich und wenig sinnvoll geschieht, eine einheitliche Form wäre hier zu wünschen.[8]

Diese Geschichte der Biologie ist ein gewichtiges Werk (und das nicht nur im physischen Sinne), dessen Lesbarkeit und Verständlichkeit unter der Fülle der Einzelinformationen allerdings etwas leidet. Sicher gibt es im deutschsprachigen Bereich zur Zeit keine vergleichbare Darstellung, sieht man einmal von dem auf 5 Bände konzipierten Werk von Änne Bäumer[9] ab, das aber noch nicht vollständig erschienen ist.

Joachim Ringleb


[1]
Z.B. 2. Aufl. Kapitelüberschrift 4. Die Biologie in der Zeit der Renaissance und des Manufakturkapitalismus. - 3. Aufl. Kapitelüberschrift 4. Botanik und Zoologie in der Zeit der Renaissance und des Humanismus. - Permanente Erwähnung von Marx, Engels und Lenin. (zurück)
[2]
S. z.B. die Ausführungen zu Lyssenko. (zurück)
[3]
Zum biographischen Teil vgl. IFB 99-B09-159. (zurück)
[4]
Das vorangestellte Abkürzungsverzeichnis ist fast 4 Seiten lang. (zurück)
[5]
Ankel: bedeutende Arbeiten über marine Ökologie; Illies: Limnologe; Cutler: Mitentdeckerin der Pheromone; Altman und Eigen: Nobelpreisträger auf biochemischen Gebieten. (zurück)
[6]
Die Schreibweise springt zwischen historiographisch und historiografisch. (zurück)
[7]
Bei Jean L. R. Agassiz wird nicht das vierbändige Werk Contributions to the natural history of the United States of North America, 1857 - 1863 erwähnt. (zurück)
[8]
Z.B. Gessner, Fritz; Gersch, Manfr.; Gercke, A. - Im Literaturverzeichnis überwiegend mit vollen Vornamen. (zurück)
[9]
Vgl. IFB 98-1/2-165. (zurück)

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