Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Italienbild und Stimme Italiens in den deutschsprachigen


99-1/4-450
Italienbild und Stimme Italiens in den deutschsprachigen Kulturzeitschriften 1945 - 1990 : kommentierte Bibliographie / Richard Schwaderer. - Tübingen : Narr, 1998. - XXXIX, 917 S. ; 25 cm. - ISBN 3-8233-5187-7 : DM 196.00
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Schwaderer möchte mit seiner Bibliographie für die Berichtszeit "die ganze Spannweite der Interessen der germanophonen an der italienischen Welt" dokumentieren und verzeichnet aus 145 Zeitschriften von Ästhetik und Kommunikation und Agathon bis Zibaldone und Zwiebelfisch alle Beiträge, "die sich in referierender Form - als Berichte, Essays, Rezensionen u.a.m. - mit Phänomenen der italienischen Kultur und Gesellschaft im weitesten Sinne befassen; des weiteren [...] Reiseberichte und Reiseessays [...] in fiktiver Form", also "das im deutschen Sprachraum offenbar unerschöpfliche Reservoir lyrischer Italiendichtung, aber auch Erzählungen, dramatische Formen und Mischformen wie erzählende Essays, historische Fiktionen etc. Schließlich wurden alle Beiträge registriert, die von italienischen Autoren stammen, gleichgültig ob sie - als lyrische, epische oder dramatische Texte - dem fiktionalen Bereich angehören oder ob sie sich kritisch-essayistisch oder wissenschaftlich mit Aspekten der italienischen oder anderer Kulturen beschäftigen. Dadurch gelangten auch Beiträge italienischer Autoren in die Bibliographie, die weder dem deutschsprachigen noch dem italienischen Kulturraum gewidmet sind" (S. XIII).

Die Freude an soviel Italophilie, welche "die Präsenz der italienischen Intellektualität in den deutschsprachigen Kulturzeitschriften möglichst vollständig" im Spiegel von rund 10.600 Beiträgen belegen soll, wird freilich gedämpft, wenn "aus dem Zwang zur räumlichen Beschränkung" die Texte von Ernesto Grassi und Romano Guardini nur dann aufgenommen werden, wenn sie italienischen Themen gelten, diese in deutscher Sprache schreibenden italienischen Autoren also wie Nicht-Italiener behandelt werden, als hätten nicht gerade sie - um den Titel des Werks in seiner Bildlichkeit beim Wort zu nehmen - als "Cantus firmus" der Stimme Italiens im deutschen Sprachraum - eine unabsehbare Wirkung auf die Nachkriegsgenerationen ausgeübt, im Gegensatz etwa zu dem italienischen Japanologen Adolfo Tamburello, dessen in der Zeitschrift Antaios in deutscher Übersetzung veröffentlichte Studie zum Taoismus (Nr. 5729) nur verzeichnet wird, weil er Italiener ist.

Die nachgewiesenen Titel sind annalistisch geordnet und fortlaufend durchnumeriert. Innerhalb eines jeden Berichtsjahres werden die Zeitschriften alphabetisch aufgeführt und ihr Inhalt in der Reihenfolge der Paginierung der Jahrgänge aufgeführt. Es handelt sich der Anlage nach also nicht um eine thematische Bibliographie, sondern bloß um eine Addition von - auf unscharf definierte Italica eingegrenzten - Inhaltserschließungen der ausgewerteten Zeitschriften. Sollte es aber nicht eigentlich das Ziel der allgemeineren Zeitschrifteninhaltserschließung sein, die in den Periodika versammelten Texte im Hinblick auf alle möglichen Themen bereitzustellen? Oder haben die allgemeinen Vorhaben nur den Zweck, immer weitere und immer speziellere Inhaltserschließungen zu gebären?

Die Titelaufnahmen sind - entsprechend der Anlage - nicht in der In-Form gehalten, weil die übergeordnete bibliographische Einheit durch den vorangestellten Zeitschriftentitel eingeführt ist. Die meisten Annotationen sind bei unpräzisen Titeln willkommen, aber was fängt man z.B. mit einer Kommentierung "Gesellschaftl. Bericht über eine tragische Episode in der ital. Filmindustrie" an, die den anonymen Beitrag Sterben auf italienisch erläutern soll (Nr. 4985)? Nun weiß man zwar etwas mehr, aber immer noch nichts Genaues.

Auch diese Bibliographie will - welch Bibliograph beansprucht das nicht? - künftiger Forschung das Material bereitstellen. An welche Themen man dabei aber auch denken mag, immer erscheint fraglich, ob sich der Aufwand - es handelt sich ja immerhin um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt - gelohnt hat. Zur Begründung: Wer sich etwa mit der Aufnahme italienischer Literatur im deutschen Sprachraum befassen möchte, kann sich nicht auf die Auswahl solcher Texte beschränken, die als Übersetzungen in den Kulturzeitschriften veröffentlicht wurden, darf sich auch nicht mit den Rezensionen in diesen Periodika begnügen, sondern muß nach den selbständig erschienenen Übertragungen ebenso recherchieren wie nach der Kritik der italienischen Literatur in den Zeitungen und nach anspruchsvoller Fachliteratur. Wer sich über die neuere Rezeption der italienischen Oper unterrichten möchte, wird doch zuallererst einmal zu der hier - im Gegensatz zu Theater heute - nicht ausgewerteten Zeitschrift Opernwelt greifen.

Welchen Zufälligkeiten durch diese Bibliographie eine Bedeutung aufgedrängt wird, die sie nicht haben, zeigt die vereinzelte Rezension (Nr. 747) zu Ugo Enrico Paolis Buch über Das Leben im alten Rom, die der Wiener Philologe Rudolf Hanslick in seiner Jugend 1948 in Wort und Wahrheit publizierte. Ein abgesprengtes Stückchen Altertumswissenschaft, das sich in das genannte Organ verirrt hat. Man weiß ja, wie so etwas zustandekommt, wenn ein aufstrebender Nachwuchsgelehrter in dieser oder jener Zeitschrift veröffentlicht, ehe er selber eine herausgibt. Im Sachregister, das die Stelle Geschichte ganz schematisch nach Jahrhunderten und in eine Position -1000 unterteilt, begegnet der Titel zum antiken Rom übrigens gar nicht.

Überhaupt - die Register! In denjenigen zu Autoren und behandelten Personen eine Ungereimtheit nach der anderen: Der bekannte Reiseschriftsteller und Autor archäologischer Sachbücher Hans (eigentlich: Johannes Bruno) von Hülsen wird gleich ein für allemal unauffindbar unter von Huelsen versteckt, während Monika von Zitzewitz sich der richtigen Ansetzung unter Zitzewitz erfreut. Vornamen, die im Titeleintrag fehlen, werden auch dann nicht ergänzt, wenn sie sich leicht recherchieren lassen: Man braucht ja seine politischen Anschauungen nicht zu teilen, um dem Juristen von der Heydte außer seinem Freiherrntitel auch den Vornamen Friedrich August zu konzedieren. Erfreulich dagegen, daß die Mittlerarbeit der Übersetzer nicht nur in den Aufnahmen, sondern auch durch ein Register gewürdigt wird.

Das Sachregister ist schlagwortartig angelegt. Auf der obersten Ebene stehen die Begriffe Architektur, Auslandsbeziehungen, Film, Geschichte, Gesellschaft, Italiendichtung, Italienreise, Katholische Kirche, Kunst, Literatur (gegliedert in die Bereiche Primärliteratur, Literaturkritik und Literaturtheorie), Medien, Musik, Orte und Landschaften, Philosophie, Politik, Sport, Theater, Wirtschaft, Wissenschaft. Zur weiteren Unterteilung werden Unterschlagwörter verwendet. Aber die meisten Nummernblöcke sind so groß, daß es erhebliche Mühe bereitet, sich aus ihnen die vorenthaltenen thematischen Bibliographien zusammenzuklauben. Zahlreiche ärgerliche Mißgeschicke sind unterlaufen: Ein Beispiel für viele: Unter Nr. 9074 wird eine Notiz über das Rossini Opera Festival zu Pesaro verzeichnet; die im Sachregister unter dem Schlagwort Musik zwar bei dem Unterschlagwort Festspiele aufscheint, nicht jedoch dem Unterschlagwort Oper zugeordnet ist.

Wozu nur soll das voluminöse Werk dienen? Man bekommt am ehesten noch einen Eindruck davon, was den Herausgebern und Redakteuren der deutschen Kulturzeitschriften an Italien beachtenswert vorgekommen ist, z.B. - um auch ein wenig Statistik nach Art der Einleitung zu treiben - dreimal Armut, fünfmal Eliten und als Durchschnittswert beider viermal Banditentum, aber gemach: elfmal Camorra und 58mal Mafia, Bürokratie und Senioren dagegen jeweils nur einmal, dafür (die Merian-Hefte lassen grüßen) fünfmal Trulli und nur dreimal Brunnen. Nicht herauszufinden ist, warum die Trulli im Sachregister beim Schlagwort Architektur noch vor dem allg. eingeordnet sind, im Alphabet der Unterschlagwörter hätten sie sich unmittelbar vor Urbanistik auch nicht schlecht ausgenommen.

Bedient wird also, wer die Intellektualität der erwähnten Herausgeber, Redakteure usw. erforschen möchte. Aber schon der Vergleich der individuellen Profile der einzelnen Zeitschriften wird durch die annalistische Grundordnung des Materials wieder erschwert. Wie unangemessen das Werk mit seinem Gegenstand umgeht, erweist sich an der verblüffenden "Sprachlosigkeit" der Einleitung. Auf etwa 15 Seiten Text - 700 umfaßt die Bibliographie, 200 nehmen die Register ein - wird eine Art Resümee versucht, das im wesentlichen nur Statistik bietet. Etwa in der Art: "Im Bereich der Literatur ist es nach Dante Alighieri, der nicht von ungefähr die Reihe aller italienischen Autoren mit 125 Beiträgen zu seiner Person und seinem Werk anführt, die moderne Erzählprosa mit ihren Hauptvertretern Pavese und Moravia [die Anzahl der Beiträge 93 und 92 diesmal in einer Fußnote; warum?], sowie - jedoch in weitem Abstand - die moderne italienische Lyrik, insbesondere die [Rezensentin hätte den Genetiv "der" gesetzt] Dichter Giuseppe Ungaretti (32), Salvatore Quasimodo (27) und Eugenio Montale (25 Beiträge). Demgegenüber konnten große Romantiker wie Alessandro Manzoni (20) und Giacomo Leopardi (11) oder gar [zwischen "Romantiker" und "oder gar" ist entweder ein Komma zuviel oder eines zuwenig] Klassiker wie Francesco Petrarca (25) und Giovanni Boccaccio (15 Beiträge) nur noch geringe Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Im Bereich des italienischen Theaters steht der Regisseur Giorgio Strehler mit 186 Beiträgen als übergroße Figur fast einsam im Zentrum des Interesses." Was mag bloß das "nicht von ungefähr" bei Dante heißen? Daß er gebildeten deutschen Lesern genauso lebendig ist wie italienischen? Oder daß sich die Deutschen von ihm in unzulässiger Weise den Blick auf Autoren wie Petrarca und Boccaccio verstellen lassen?

So oberflächlich geht es weiter zu Film, Bildender Kunst, Musik u.v.a.m. - und immer im Stil trivialer Feuilletons. Etwa: "Ähnliches gilt in zugespitzter Form für die italienische Musik: Giuseppe Verdi ragt mit 151 Beiträgen, unter denen sich natürlich zahlreiche Aufführungskritiken seiner Werke befinden, einsam über Giacomo Puccini (57) und Gioacchino Rossini (47) hinaus." Da fehlen zum Anschein besonderer Wissenschaftlichkeit nur noch ein paar Berechungen, etwa 2,8 Puccini = 1 Verdi. Grundstürzend neue Einsichten vermittelt auch die Statistik der Orte, auf die sich Reiseberichte beziehen. Hier die "Einlaufliste": Rom, Venedig, Mailand, Florenz, Neapel. Schlicht falsch ist aber, wenn dazu bemerkt wird, daß sich in der großen Zahl von Berichten aus Rom und Venedig "letztlich die von Goethe begründete Tradition der Beliebtheitsskala italienischer Orte" erhalten habe. Als orientierten sich die Verantwortlichen heutiger Zeitschriften an Goethes Vorlieben (wie es deutsche Bildungsreisende bis ins 20. Jahrhundert getan haben) statt an Ereignissen wie Filmfestspielen oder Kunstausstellungen.

Man sehe der italienischen Rezensentin nach, daß sie im ausformulierten Text - und sei es auch nur in der Einleitung zu einer deutschen Bibliographie - nach ein wenig Ästhetik sucht, sich aber schüttelt, wenn sie dabei in ein so scheußliches Sprachgewitter von optischer Terminologie gerät wie den Kulturelle Fokussierung überschriebenen Absatz: "Diese Haltung [sc. die "kulturelle Fokussierung", worunter der Autor die Banalität verbirgt, daß einige Themen öfter, andere seltener behandelt werden], [...] weist freilich die Eigenheit auf, daß einmal ins Visier genommene Aspekte nicht leicht wieder aus dem Blickfeld rücken. [...] Eine Reihe von Brennpunkten des Interesses, die Bereiche, aber auch Einzelphänomene betreffen, scheinen [...] einer Hervorhebung [...] würdig" (S. XXI).

Der Bibliographie, deren Notwendigkeit so recht nicht einleuchten will, soll der Vorrede zufolge als zweiter Teil ein Materialienband mit ausgewählten kommentierten Texten folgen, nicht jedoch der Versuch einer Darstellung: vorbei die Zeiten, da es deutschsprachige Gelehrte mehr reizte, solche Werke über Italien zu schreiben, als nur das von anderen Geschriebene auf den Gleisen eines bibliographischen Verschiebebahnhofs ein bißchen hin- und herzurangieren.

Gabriella Rovagnati


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