Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Encyclopedia of the archaeology of ancient Egypt


99-1/4-411
Encyclopedia of the archaeology of ancient Egypt / comp. and ed. by Kathryn A. Bard. - 1. publ. - London ; New York : Routledge, 1999. - XXX, 938 S. : Ill., Kt. ; 25 cm. - ISBN 0-415-18589-0 : œ 150.00
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Das wahrhaft enzyklopädische Zeitalter, das in der Ägyptologie ausgebrochen zu sein scheint, wenn man die vorliegende Komplexrezension betrachtet, wird durch ein weiteres, in seiner Art einzigartiges Nachschlagewerk fortgesetzt, die Encyclopedia of the archaeology of ancient Egypt.

Eine eigens, nur der Archäologie gewidmetes Lexikon vorzulegen, ist vollauf berechtigt. Die Archäologie Ägyptens hat sich von einer einst dilletantischen Ausgräberei auf der Suche nach verwertbaren Antiquitäten und Texten längst zu einer eigenständigen und fruchtbaren Disziplin entwickelt, die sich in ihren Methoden und Fragestellungen ihren Feldnachbarn anderer archäologischer Disziplinen angenähert hat. Zudem gibt es eine ganz Reihe neuer Funde und Befunde, die bislang an keiner Stelle gesammelt nachgeschlagen werden können. Nicht zuletzt durch die intensive archäologische Tätigkeit der letzten dreißig Jahre hat sich das Bild vom Alten Ägypten gewandelt, und aus der einst so insulär scheinenden Welt des pharaonischen Ägypten ist eine Zivilisation geworden, die in einen Kontext der Welt des Alten Testaments, des Hellenismus, Schwarzafrikas und der ägäischen Kulturen eingebettet ist. Wenn man obendrein bedenkt, daß Archäologie nicht nur materielle Objektkunde bedeutet, sondern heutzutage auch Fragen nach sozialer Schichtung, Handel und Kulturkontakten, Ernährung oder Geographie mit einschließt, so ist das breite Spektrum des vorliegenden Werkes damit schon umrissen.

Niemand kann diese gewaltige Stoffmenge als Einzelner überblicken, und deshalb hat unter der Leitung der Herausgeberin ein Team von 189 Spezialisten aus 15 Nationen dieses Lexikon kompiliert, dessen Stoff dem Leser auf 890 Seiten präsentiert wird. Auf den einführenden 77 Seiten wird ein Überblick über die ägyptische Geschichte von der Altsteinzeit bis zur römischen Zeit gegeben, gegliedert in die jeweiligen Epochen, geschrieben von den jeweiligen Experten. Darauf folgen auf über 800 Seiten die Artikel, die am Ende weiterführende Literatur nennen. Nicht weniger als 129 Abbildungen, zumeist Photos von Ausgrabungen, Architektur, Lagepläne oder Artefakten-Typentafeln unterstützen den Text.

An der Auswahl der Artikel ist nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil: Das Lexikon ist extrem umfassend und behandelt extensiv nahezu alle Fundplätze. Einige der Fundorte sind sehr ausführlich behandelt, so z.B. Abydos (8 Artikel), Giza (6), Karnak (4) oder Theben (15), was der Bedeutung dieser Fundorte gut entspricht. Auch kleine und entlegene Orte, z.B. solche aus der Ostwüste, sind aufgenommen. Erfreulich ist, daß neuere Grabungsergebnisse sofort berücksichtigt wurden: Es finden sich die Archäologie der Oasen, der Wüsten oder das im Tal der Könige neu entdeckte Grab (unter Thebes, valley of the kings, tomb KV5). Die Artikel zeichnen sich durch hohe Aktualität, Zuverlässigkeit der Angaben und Breite der Infomation aus.

Es finden sich auch erfreulich viele Begriffe, die über die Ausgrabungs-Achäologie im engeren Sinne weit hinausgehen, z.B. über die Entzifferung der Hieroglyphen, Geschichte der Ägyptologie, Einträge zu einzelnen Persönlichkeiten der Forschungsgeschichte (v.a. 19. und frühes 20. Jahrhundert) oder zur ägyptischen Sprache. Diese Informationen runden das Bild sehr gut ab und tragen der Tatsache Rechnung, daß bei altägyptischem Kulturmaterial Philologie, Archäologie und Geschichte nicht immer zu trennen sind.

Besonders erfreulich und informativ sind jene zahlreichen Artikel, die man in einem deutschen Nachschlagewerk kaum gefunden hätte - Einträge, die dem Denken der amerikanischen cultural anthropology entsprechen und deren Informationen man nur sehr schwer anderswo finden würde. Dies zeigt sich an Einträgen wie z.B. anthropology and Egyptology, climatic history, demography oder Egyptians, physical anthropology of. Umfassend sind auch Artikel wie fauna, domesticated und fauna, wild oder mummies, scientific study of. Ebenso finden sich Begriffe wie Nile, flood history oder Nile valley, geological evolution oder palaeopathology. Auch übergreifende Begriffe wie representational evidence finden sich, ferner Artikel social organization, subsistence and diet oder towns, planned oder trade, foreign bis hin zu urbanism, kurzum: Neben den klassischen archäologischen Begriffen und der Abhandlung von Fundorten und Denkmälergattungen wird der physischen Anthropologie, der Kulturanthropologie sowie der Natur und Umwelt breiter Raum gewidmet und in Artikeln behandelt, die auch für die Fachwissenschaft von großem Interesse sein dürften.

Das Werk schließt mit einem kurzen Glossar von lediglich zweienhalb Seiten und einem umfangreichen Register von 43 Seiten.

Negatives läßt sich zu diesem ausgezeichneten Standardwerk wenig sagen: Manche Begriffe erscheinen nicht dort, wo man sie erwarten würde. Die Information über über Steinwerkzeuge stehen z.B. nicht bei "stone tools", sondern bei dynastic stone tools und Privatgräber - eine der Hauptquellen der ägyptischen Archäologie - finden sich nicht unter "private tombs", sondern bei der jeweiligen Epoche, z.B. early dynastic private tombs. Hier wünscht sich der Leser, v.a. der in der Fachterminologie nicht so sehr vertraute, mehr Verweisungen. Manche Begriffe sind pleonastisch (z.B. administrative bureaucracy) oder in sich nicht konsistent (so findet sich fauna aber nicht "flora"; hier muß man unter plants nachschlagen). Das Register ist in extrem kleiner Schrift zusammengedrängt worden, was die Benutzung doch sehr erschwert. Auch der Preis von œ 150.00 ist sehr hoch.

Dennoch: Das Werk besticht durch seine wissenschaftlich sehr hohe Quaität bei guter Lesbarkeit, seine hohe Aktualität und der breiten Interpretation des Konzeptes "Archäologie". Trotz des Preises ist das Werk für den Lesesaal einer geisteswissenschaftlichen Universitätsbibliothek unbedingt zu empfehlen.

Eckhard Eichler


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