Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Sachsen


99-1/4-231
Sachsen . - Neubearb. / besorgt durch die Dehio-Vereinigung. - [München] : Deutscher Kunstverlag. - 19 cm. - (Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler)
[4549]
2. Regierungsbezirke Leipzig und Chemnitz / bearb. von Barbara Bechter, Wiebke Fastenrath, Heinrich Magirius u.a. - 1998. - XI, 1172 S. : graph. Darst., Kt. - ISBN 3-422-03048-4 : DM 98.00

Mit dem Band für die Regierungsbezirke Leipzig und Chemnitz konnte 1998 der neue Dehio auch für Sachsen nach dem erst 1996 erschienenen Bd. 1 für den Regierungsbezirk Dresden[1] in beachtlich kurzem Zeitraum abgeschlossen werden. Wenngleich in Sachsen - anders als in Thüringen - durchaus Kontinuitäten in der Veröffentlichung und Aktualisierung der Denkmalverzeichnisse bestanden, so bleibt diese zeitliche Leistung schon aufgrund des umfangreichen sächsischen Denkmälerbestands erwähnenswert. Beachtlich ist zudem, daß Sachsen in den letzten Jahren auch die Großinventarisierung reaktiviert und in Teilbereichen sogar schon erste publizierte Ergebnisse vorgelegt hat. Dies gilt beispielsweise für den Komplex der Sakralbauten der Stadt Leipzig. Die entsprechenden Bände des neuen sächsischen Großinventars erschienen 1995, konnten somit auch für die Erstellung des vorliegenden Dehio-Bandes herangezogen werden.[2] Daher reizt es im Fall des neuen Dehios für Sachsen besonders, im Rahmen dieser Rezension noch einmal die verschiedenen Formen der Denkmalverzeichnung und ihre Zielsetzung im Vergleich zu betrachten.

Es liegt auf der Hand, daß das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler sich nicht an der Exhaustivität der Denkmalerfassung eines Großinventars messen kann, dies auch gar nicht seiner Zielsetzung entspricht.[3] Der alte Grundgedanke des Dehio, kunsthistorischer Führer gerade auch auf dem konkreten Besichtigungsrundgang zu sein, ist auch für die aktuellen Ausgaben keineswegs aufgegeben, eine Zielrichtung somit, die den Großinventaren allein schon aufgrund ihres Umfangs selbstverständlich abgehen muß. Der Funktion des Dehio als Handbuch "vor Ort" kommt eine Anordnung der Denkmalbeschreibungen nach Stadtvierteln, Straßen und Ortsteilen, wie sie die neueren Dehios insbesondere für größere Orte als Untergliederung anbieten, entgegen. Damit konkurrieren aber zugleich zwei Strukturierungsmuster in der Gesamtkonzeption, nämlich eine primär bautypologische (Sakralbauten, Profanbauten und ihre Subtypen usw.) Ordnung der Einzelbeschreibungen mit eben dieser lokalisierenden-"touristischen" (Stadtviertel, Straßenzüge usw.), die meist sekundär eingesetzt wird. Diese "Konkurrenz" unterschiedlicher Gliederungsprinzipien ist zwar keine Besonderheit der Dehio-Bände, sondern findet sich u.a. auch im Großinventar wieder. Aber sie ist aufgrund der differierenden Zielsetzungen beider Publikationstypen doch von unterschiedlicher Konsequenz. Für Großinventare, die den Anspruch, zugleich als Besichtigungsführer zu dienen, sowieso nicht stellen, müssen Lokalisierungsabfolgen als primäres Ordnungsschemata für die einzelnen Denkmälerbeschreibungen nicht von vorrangigem Interesse sein. Wo sie dennoch als - meist sekundäres - Ordnungsschema auftreten, bieten moderne Großinventare Orientierung, Zuordnung und Zusammenführung der Denkmäler und ihrer Beschreibungen durch umfangreiches Kartenmaterial und detaillierte Register. Der Nutzen eines Großinventars und seine Praktikabilität in der Informationsauffindung ist so in jedem Fall jenseits einer konkreten "Ortserfahrung" zu sehen und auch gewährleistet. Publikationen dagegen, die, wie der Dehio, nicht nur als Nachschlagewerke, sondern zugleich als praktische Besichtigungsführer dienen wollen, müssen dem Rundgang-Prinzip deutlicher genügen. Durch die äußerste Knappheit aller Einträge und Konzentration auf herausragende Objekte blieben die alten Dehios trotz primärer Gliederung der Beschreibungen nach Bautypen auch für den konkreten Stadtrundgang überschaubar und praktikabel. Für die neueren Ausgaben des Dehio kann dies längst nicht mehr für alle Ortseinträge gelten. Wo Ortseinträge inzwischen allzu umfangreich geworden sind, greifen diese alten Strukturen nicht mehr und führen zu Unübersichtlichkeit; im konkreten Besichtigungsfall sind hier Grenzen der Praktikabilität erreicht.

Dies läßt sich am Leipzig-Eintrag der vorliegenden Dehio-Ausgabe exemplifizieren. Bei einer Besichtigung von Denkmälern der Leipziger Innenstadt bedeutet dies, die Beschreibung der Thomaskirche im Hauptkapitel Sakralbauten auf den Seiten 496 - 502 suchen zu müssen, die des umliegenden Thomaskirchhofs dagegen im Kapitel Wohn- und Geschäftshäuser im Alphabet der Straßen und Plätze auf den Seiten 533 - 534 (somit nicht in unmittelbarem Anschluß an die Beschreibung der Thomaskirche, aber auch nicht - wie noch zu vermuten gewesen wäre - in der Rubrik Platzanlagen, S. 510 - 511). Die Beschreibung des Bachdenkmals auf dem Thomaskirchplatz ist wiederum in der Rubrik Brunnen und Denkmäler auf S. 538 zu finden. Informationen zum Gebäude der Thomasschule werden andererseits direkt bei der Beschreibung des Thomaskirchhofs geboten und nicht gesondert in der Rubrik Öffentliche Gebäude, wo im anderen Fall die Beschreibung der Alten Nicolaischule am Nikolaikirchof zu suchen gewesen wäre. Nicht immer sind also die Ordnungsmuster konsequent durchgehalten. Brauchbares Kartenmaterial, um die Objekte wirklich lokalisieren und mit den jeweiligen Texteinträgen in Verbindung bringen zu können, fehlt. Dehio-typische, also "impressionistische" Lagepläne, wie auf S. 486 zum Stadtzentrum geboten, sind für die konkrete Objektlokalisierung ohne großen Nutzen; hier bietet der einfachste Touristenführer mehr Hilfe beim Rundgang. Auch direkte Querverweisungen zwischen den einzelnen Objektbeschreibungen sind - da ohne Seitenangabe - nur bedingt hilfreich. Wer hier auf den Dehio als einzigen Begleiter für einen Besichtigungsrundgang vertraut, wird Suchen und Blättern bald zu den Handbuch-Vorzügen der besonderen Art zählen.

Auch die Behandlung abgegangener Denkmäler ist ein interessanter Aspekt für die Positionierung der Dehios in der aktuellen Konzeption gegenüber Großinventaren. Es zeigt sich nämlich, daß die Dehio-Bände inzwischen über eine Beschreibung existenter (und zu besichtigender) Kunstdenkmäler stellenweise durchaus hinauszielen. Dies läßt sich erneut am Leipzig-Eintrag illustrieren. Wie sonst vor allem in Großinventaren üblich, werden nun auch hier abgegangene Denkmäler nicht mehr nur mit einem Hinweis im Rahmen der Überblickstexte bedacht, sondern mit ausführlichen Einzeleinträgen. So wird bei der Einzeldenkmalbeschreibung für Leipzig in beachtlichem Umfang die 1968 gesprengte Universitätskirche St. Pauli berücksichtigt; selbst Beschreibungen ihrer Ausstattungsstücke und Hinweise auf den heutigen Verbleib werden an dieser Stelle geboten. Sicher ist gerade diese herausragende Berücksichtigung der Universitätskirche im Rahmen des Leipzig-Eintrags zum einen Reverenz an ihren exponierten Stellenwert als vormals dritte bedeutende Leipziger Innenstadtkirche der Spätgotik und zugleich Ausdruck einer aktuell immer noch spürbaren Narbe, die die Sprengung dieses Denkmals hinterließ. Über den konkreten Fall hinaus ist sie jedoch auch Indiz dafür, daß die jüngere Dehio-Konzeption längst in Richtung einer grundsätzlichen Berücksichtigung aller für eine Stadt bedeutenden Denkmäler zielt, in diesem Sinn daher auch vom Aspekt aktueller Existenz des Denkmals und damit gegebener Besichtigungsmöglichkeit gelegentlich abstrahiert.

Diese am Band Sachsen II illustrierten, aber für alle Dehio-Ausgaben der 90er Jahre mehr oder weniger zutreffenden Hinweise dürften ausreichen, um zu verdeutlichen, daß mit gewachsenem Verzeichnungsanspruch und Verzeichnungsumfang in den aktuellen Dehio-Ausgaben der Nutzen der Bände als praktisches Begleithandbuch vor Ort spürbar an seine Grenzen stößt bzw. nicht mehr vorrangige Zielsetzung ist - entgegen aller Vorwortbeteuerungen. Damit ist aber leider nicht automatisch ein augenfälliger Nutzenzugewinn für die Funktion der Dehios als reines Nachschlagewerk entstanden. Auch für diese Nutzung bleiben die umfangreicheren Ortseinträge der aktuellen Dehio-Ausgaben allzu unübersichtlich. Um wirklich als Nachschlagewerk uneingeschränkt fungieren zu können, bedürften die Dehio-Bände dringend zumindest eines Objektregisters, wie es selbst die einfacheren Reclam-Kunstführer zu ihren besten Zeiten bereits auszeichnete. Mit zunehmender Expansion der Objektverzeichnung haben sich so Vorzüge des ursprünglichen Dehio-Konzepts in ihr Gegenteil verkehrt; es bedarf nun einer besseren bzw. den (quantitativen) Veränderungen angepaßten Strukturierung und Erschließung der Einzeleinträge. Da Bibliotheken und wissenschaftliche Nutzer weniger die Reiseführerqualitäten des Dehio denn seine Qualitäten als handhabbares Nachweisinstrument interessieren, wird dieser Aspekt für die Bewertung zukünftiger Dehio-Bände zentral sein.

Diese auf den ersten Blick sehr kritisch anmutenden Ausführungen zu Einzelaspekten der aktuellen Dehio-Konzeption sollen keineswegs die insgesamt herausragenden Leistungen des Gesamtunternehmens überdecken oder gar ausschließlich auf die zur Rezension vorliegenden Bände bezogen werden. Vielmehr war insbesondere der Sachsen-Band nur Ausgangspunkt, wichtige Einzelaspekte der Gesamtedition erneut und eher grundsätzlich zu beleuchten. Daß im konkreten Fall allein schon die Vorlage einer Denkmälerübersicht für Sachsen und Thüringen in dieser Ausführlichkeit und in relativ kurzer Zeit erreicht wurde, bleibt unbestrittenes und nicht hoch genug einzuschätzendes Verdienst aller Beteiligten. Schon damit allein werden lange bestehende Mängel beim Nachweis der Denkmäler beseitigt, wie das Beispiel Thüringen besonders deutlich illustriert. Gerade aber weil Bibliotheken vorrangig diesen Nachschlagecharakter der Dehio-Bände sehen, müssen auch editorisch-konzeptionelle Schwachstellen auf Dauer deutlicher wahrgenommen werden. Sie ließen sich mit wenigen "Eingriffen" durchaus beheben: Um den Charakter der aktuellen Dehio-Edition als Nachweisinstrument von Kunstdenkmälern zu optimieren, wäre es erforderlich, vor allem Register, Übersichten, Verweisungen und Kartenbeigaben deutlich zu vermehren und zu präzisieren. Wir sind uns bewußt, daß diese zusätzlichen Anforderungen arbeits- und damit kostenintensiv und leider auf den ersten Blick wenig spektakulär und damit verkaufsfördernd sind. Sie würden aber erst die bereits erbrachten außerordentlichen Leistungen dieser Publikationen optimal nutzbar machen.

Angela Karasch


[1]
1. Regierungsbezirk Dresden / bearb. von Barbara Bechter, Wiebke Fastenrath u.a. - 1996. - XI, 934 S. : graph. Darst., Kt. - ISBN 3-422-03043-3 : DM 68.00. - Rez.: IFB 97-3/4-354. (zurück)
[2]
Stadt Leipzig. - München ; Berlin : Deutscher Kunstverlag. - 27 cm. - (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen) [3275]. - Die Sakralbauten : mit einem Überblick über die städtebauliche Entwicklung von den Anfängen bis 1989 / bearb. von Heinrich Magirius ... Mit Beitr. von Johannes Gerdes ... - 1 (1995). - XV, 803 S. : Ill. - ISBN 3-422-00568-4 : DM 198.00 (mit 2). - 2 (1995). - VIII S., S. 810 - 1363 : Ill. - ISBN 3-422-00568-4 : DM 198.00 (mit 1). - Rez.: IFB 97-3/4-352. (zurück)
[3]
Zur Konzeption des Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler von und seit Georg Dehio vgl. IFB 95-3-403. (zurück)

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