Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft


99-1/4-169
Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft : Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte / gemeinsam mit Harald Fricke ... hrsg. von Klaus Weimar. - Berlin [u.a.] : de Gruyter. - 25 cm
[4034]
Bd. 1. A - G. - 1997. - XXI, 754 S. - ISBN 3-11-010896-8 : DM 248.00, DM 198.00 (Subskr.-Pr. bis 30.06.97)

Lexika der literaturwissenschaftlichen Terminologie sind in den letzten Jahren in großer Zahl erschienen und wenden sich in erster Linie an Studenten der Philologien, denen damit Informationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (verbunden ggf. mit der Qual, sich entscheiden zu müssen), von denen der Rezensent in seiner lange zurückliegenden Studienzeit nicht einmal geträumt hätte. Die meisten dieser Lexika wurden in IFB besprochen und in der auf diese Rezension folgenden Besprechung des brandneuen Sachwörterbuchs zur deutschen Literatur von Volker Meid wird in Fußnoten auf neuere konkurrierende Werke verwiesen.

Der Zusatz zum Sachtitel "Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte" trifft nur dann zu, wenn man ein völlig neu konzipiertes Werk in die Tradition eines früheren Werkes aus demselben Verlag stellt. War die 1. Aufl. 1925 - 1931 in 4 Bd. des nach den Herausgebern als Merker/Stammler zitierten Lexikons Zeugnis der damaligen germanistischen Literaturgeschichte, wie man das Fach nach dem Gegenstand benannte, so geriet die 1958 von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr begonnene, bis Bd. 3 (1977) bearbeitete und von Klaus Kanzog und Achim Masser mit Bd. 4 (1984) fortgeführte und zu Ende gebrachte 2. Aufl. in den großen Umbruch des Faches seit dem Ende der 60er Jahre, so daß sich in manchen Artikeln des letzten Bandes eine ganz andere Germanistik präsentiert als in den vorhergehenden. Diese Brüche auch in der Terminologie waren der Grund dafür, daß der abschließende Registerband[1] erst Ende 1988 erscheinen konnte. Die in dessen Rezension als Desiderat bezeichnete "3. Aufl., die allerdings viel rascher abgeschlossen werden müßte", wurde von einem ganz neuen Team in Angriff genommen, und im März 1997 mit dem hier verspätet vorgestellten Bd. 1 in die Tat umgesetzt. Was den Abschluß des auf drei Bänden angelegten Werkes betrifft, so scheint sich dieser doch länger als vorgesehen hinauszuzögern, nannten die Herausgeber in dem weiter unten zitierten Interview von 1997 noch das Jahr 1999 und der Verlag in einer Voranzeige das Jahr 2000 als Erscheinungstermin des letzten Bandes, so lag bis November 1999 allein Bd. 1 vor.

Die Neukonzeption wurde von mehreren programmatischen Zeitschriften-Publikationen der Herausgeber begleitet,[2] deren Resümee man im Vorwort zu Bd. 1 unter der Überschrift Über das neue Reallexikon (S. VII - VIII) nachlesen kann: Der Begriff deutsche Literaturwissenschaft tritt an die Stelle deutsche Literaturgeschichte, da "es untunlich (ist), eine Wissenschaft mit demselben Wort zu bezeichnen, wie ihren Gegenstandsbereich." Ziel des RLW (so die von den Herausgebern gewählte Abkürzung) ist eine "lexikalische Darstellung des Sprachgebrauchs der Wissenschaft, d.h. des Faches 'Deutsche Literaturwissenschaft'," die Antwort auf die Frage "'Was versteht man unter ...?'" geben soll, also "seit wann und in welchem Sinne" ein bestimmter Begriff "unter Literaturwissenschaftlern in Gebrauch ist." Als Begriffswörterbuch strebt das RLW "eine möglichst vollständige und systematische Bestandsaufnahme des literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauchs (an), hat aber sein eigentliches Ziel darin, ihn zu präzisieren," ohne Partei "für eine bestimmte Richtung des Faches" zu ergreifen.

Der Nutzung des RLW als "Thesaurus wissenschaftsgeschichtlich reflektierter Gebrauchsvorschläge" dient die streng eingehaltene Gliederung jedes Artikels in folgende typographisch markierte Rubriken: Auf das Lemma und eine Elementardefinition[3] folgt 1. die Explikation (Sigle: Expl) als Versuch eines "historisch gestützten Gebrauchsvorschlags", der letztlich auf den nachfolgenden Rubriken aufbaut; 2. Wortgeschichte (WortG); 3. Begriffsgeschichte (BegrG); 4. Sachgeschichte (SachG); 5. Forschungsgeschichte (ForschG); 6. den Abschluß bildet eine auf zitierte und wichtige Titel beschränkte Literaturliste (Lit), doch wird z.T. auch bereits im Anschluß an die Rubriken einschlägige Literatur zitiert.

Dieses Schema sei an Hand des der Mehrzahl der Leser von IFB vertrauten Begriffs Bibliographie exemplifiziert, der, ebenso wie der Artikel Bibliothek, von der über die engere Literaturwissenschaft hinausreichenden Konzeption des RLW zeugt; beide Artikel stammen im übrigen von Verfassern, die als Bibliographen und Bibliothekare ausgewiesen sind.

Bibliographie: "Verzeichnis und Erschließungsinstrument von Schrifttum, im weiteren Sinne auch dessen Erstellung und Benutzung." - Expl: [3/4 Sp.] "Verzeichnung von Schrifttum, das 'selbständig' (als Buch) oder 'unselbständig' (z.B. als Zeitschriftenaufsatz) erschienen ist, nach bestimmten Ordnungskriterien." Es folgt eine Typologie der Bibliographie nach sechs Einteilungskriterien, wie sie Bibliotheksschülern vertraut ist. - WortG: [1/4 Sp.] ganz knapp vom "seltenen griech. Wort" bis zum modernen Gebrauch seit G. Naudé; auf den weiten Begriff im anglo-amerikanischen Gebrauch mit den Ausprägungen "'critical bibliography, analytical bibliography'" wird zwar hingewiesen, doch ist zu bezweifeln, ob das Nicht-Fachleute in Anbetracht der Knappheit verstehen werden: vielleicht später beim Lesen des Artikels Textkritik, auf den verwiesen wird; einschlägige englischsprachige Titel zu diesem speziellen Punkt fehlen in der Literaturliste. - BegrG: [3/4 Sp.] behandelt werden primär konkurrierende Begriffe bis hin zur 'Literärgeschichte'. - SachG: [3 Sp.] die mit ihren zwangsweise willkürlich anmutenden Exempla von Allgemeinbibliographien, Rezensionszeitschriften, Schriftstellerlexika, Allgemeinbiographien, (laufenden) germanistischen Fachbibliographien und Exempla für die "starke Tendenz zur Spezialisierung und Berücksichtigung eines erweiterten Literaturbegriffs"[4] höchst unbefriedigend bleibt, was nicht am Artikelschreiber liegt, sondern daran, daß man eine über 2000jährige "Sachgeschichte" (selbst wenn man sie auf die Zeit seit dem 17. Jh. beschneidet) nicht auf so knapp bemessenem Raum sinnvoll darstellen kann. - ForschG: [1/4 Sp.] sie läßt sich in dem einleitenden Diktum resümieren: "Der Erforschung der Bibliographie ist abträglich, daß Theoretiker der Bibliographie sich im allgemeinen ebenso wenig um die Verwirklichung ihrer Ideen kümmern, wie die Praktiker sich auf die Theorie einlassen." - Lit: [1/2 Sp.] 15 Monographien und Aufsätze (bis auf einen englischsprachigen sämtlich deutschsprachig) im Alphabet der Verfasser.

Die vom vorgegebenen Schema geforderte Trennung von Begriffs- und Sachgeschichte wirkt in vielen Artikeln gezwungen, insbesondere bei literaturtheoretischen Begriffen. Trotzdem ist der Versuch, alle Artikel einem einheitlichen Gliederungsschema zu unterwerfen, beachtenswert, auch weil es die Verfasser zwingt, ihre Ausführungen entsprechend logisch zu strukturieren. Daß viele Mitarbeiter das als Prokrustesbett betrachten und daß das gewählte Verfahren einen hohen redaktionellen Aufwand zur Folge hat,[5] liegt auf der Hand und mag wohl mit ein Grund für die schleppende Veröffentlichung der beiden weiteren Bände sein.

Klaus Schreiber


[1]
Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte / begr. von Paul Merker u. Wolfgang Stammler. - 2. Aufl. - Berlin [u.a.] : de Gruyter. - 25 cm [0507]. - Bd. 5. Sachregister / bearb. von Klaus Kanzog u. Johann S. Koch. - 1988. - XXIX, 510 S. - ISBN 3-11-008816-9 : DM 164.00. - Rez.: ABUN in ZfBB 36 (1989),2, S. 145 - 146. (zurück)
[2]
Begriffsgeschichte im Explikationsprogramm : konzeptuelle Anmerkungen zum neubearbeiteten "Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft" / Harald Fricke ; Klaus Weimar . // In: Archiv für Begriffsgeschichte. - 39 (1996), S. 7 - 18. - Das neue Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft : (ein Interview) / Klaus Weimar ; Harald Fricke. // In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. - 22 (1997),1, S. 177 - 186. (zurück)
[3]
Z.B. Alphabetisierung: Vermittlung von Lese- und Schreibfähigkeit. (zurück)
[4]
Hier (S. 223) wird der Dünnhaupt noch in der überholten 1. Aufl. zitiert. (zurück)
[5]
Eine Liste der Mitarbeiter mit ihren Artikeln fehlt in Bd. 1. Das Verzeichnis der rd. 300 Artikel in Bd. 1 (S. XVIII - XXI) gibt nur an, "welcher Herausgeber jeweils die Korrespondenz geführt und die Schlußredaktion verantwortlich überwacht hat." (zurück)

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