Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Frauen-Literatur-Geschichte


99-1/4-153
Frauen-Literatur-Geschichte : schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart / hrsg. von Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. - [2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl.]. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1999 [ersch. 1998]. - XII, 760 S. ; 24 cm. - ISBN 3-476-01543-2 : DM 68.00
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Die erweiterte Neuausgabe des zuerst 1985 erschienenen Sammelwerks rechtfertigt im Vorwort den Terminus Frauenliteratur ganz pragmatisch "als Orientierungsvokabel [gemeint ist sicher: als Inbegriff] für alle von Frauen geschriebenen Texte" und grenzt ihn aber ausdrücklich von dem Genrebegriff der Literaturhistoriker des 19. Jahrhunderts ab, "die ihren Literaturgeschichten - in Gönnerattitüde - zumeist ein Sonderkapitel zu den 'dichtenden Damen' anhängten" (S. XI). Dem kann man sofort zustimmen, fragt sich aber, wie sich diese Bemerkung zu der gleichfalls in der Vorrede (S. IX) stehenden Behauptung verhalten mag, wo davon die Rede ist, daß "die inzwischen [an Universitäten] üblichen Sondervorlesungsverzeichnisse [Hervorhebung vom Rez.] zu Frauenthemen" als Ausweis der Integration in den Wissenschaftsbetrieb verstanden werden dürften. "Sonder" verträgt sich nicht mit Integration, entspricht vielmehr ganz und gar der attackierten Funktion der "Sonderkapitel". Solange es an der Souveränität mangelt, in der wissenschaftlichen Analyse von Frauen geschriebener Literatur - egal ob sie von weiblichen oder männlichen Forschern durchgeführt wird - etwas "Besonderes" zu sehen, das sich wogegen auch immer abgrenzen will, droht die Erforschung von Frauenliteratur immer in die Falle zu stürzen, die ihr eine ideologische Frauenforschung stellt. Den sehr unterschiedlichen Grad an Unbefangenheit lassen auch die Überschriften schon erkennen: Während Hilde Haider-Pregler mit witzigem Sprachspiel ihrem Beitrag den Titel gibt: Unsichtbare verschaffen sich Gehör - Frauen schreiben fürs Radio, wählt Renate Möhrmann für ihren Aufsatz über die Filmemacherinnen eine eher martialische Formulierung, die jeden mythenkundigen Leser an den Amazonenkampf erinnert: Frauen erobern sich einen neuen Artikulationsort: den Film.

Dabei enthält der Band zahlreiche Beiträge, die durch Originalität der Themen und Solidität der Durchführung ganz ohne aufdringliche Reklame für sich selbst einnehmen, etwa die Studien von Ursula Liebertz-Grün über Autorinnen im Umkreis der [mittelalterlichen] Höfe und von Barbara Marx über Fremdsprache und Eigenerzählung - Literatur von Frauen in der italienischen und französischen Renaissance, die beide auch durch den komparatistischen Ansatz besonders erhellend sind. Daß methodische Stringenz nicht den Beiträgen aus der Mediävistik bzw. Frühneuzeitforschung vorbehalten ist, zeigt der Überblick Verhältnisse und Verhinderungen: Deutschsprachige Dramatikerinnen um die Jahrhundertwende aus der Feder der Theaterwissenschaftlerin Michaela Giesing: Von wieviel Neuentdecktem wird da auf wenigen Seiten nachgerade spannend erzählt: von dem Interesse, das der Karlsruher Theaterintendant Eduard Devrient an dem "außerordentlichen Talent" eines vermeintlichen Herrn von Eschenbach nahm, das aber sofort erlosch, als er die Identität der Autorin erfuhr, die ihm ihr Drama Maria Stuart in Schottland zugeschickt hatte; von der Scheu Max Reinhardts, der doch den Erfolg von Annie Neumann-Hofers Stück Kollegen auf seiner Brettl-Bühne Schall und Rauch ermöglicht hatte, dramatische Werke von Frauen aufzuführen; von Marie Madeleines (d.i. Marie Madeleines von Puttkamers) Anti-Wedekind-Komödie Das bißchen Liebe usw.

Zum Vorteil gereicht dem Band, daß er sich nicht auf eine Nationalliteratur beschränkt; wenig übersichtlich ist allerdings die Zusammenordnung der Beiträge zu folgenden Großgruppen, die mit ihren Leitkategorien - bald die Chronologie, bald eine Gattung bzw. ein Genre, bald ein Thema - über die Tatsache nicht hinwegtäuschen können, daß hier disjecta membra vereinigt sind: I. Klöster, Höfe und Salons; II. Weibliche Bildungs- und Erziehungskonzepte; III. Neue Genres als Medium für weibliches Schreiben (Brief, Reisebericht, Memoiren, Autobiographie); IV. Phantastische Literatur; V. Theater als eroberter Raum; VI. Lyrische Stimmen; VII. Frauenrechte - Menschenrechte; VIII. Erotische Literatur; IX. Neue literarische Strömungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; X. Feministische Aufbrüche; XI. Neue Medien.

Genau dieser Ordnung der Kapitel - mit weiterer Unterteilung nach den einzelnen Aufsätzen - folgt auch die 70 Seiten lange Bibliographie im Anhang, die etwa 1500 Titel nachweist. Für allgemeine und themenübergreifende Titel ist daher in der Bibliographie kein systematischer Ort vorhanden, man muß sie sich vielmehr an zahlreichen Stellen zusammensuchen.

Der Band ist trotz seines Titels keine literaturgeschichtliche Darstellung, auch kein Handbuch, sondern eine Aufsatzsammlung. In der Regel gilt: Die Beiträge sind immer dann ergiebig, wenn sie auf narzißtische Theorie verzichten. Und das ist erfreulich oft der Fall. Künftige Auflagen könnten freilich noch manches verbessern: etwa der weiblichen Aphoristik gebührenden Platz einräumen, auch den einen oder anderen Namen von immer noch zu Unrecht vergessenen Dichterinnen einführen, wie etwa Antonia Pozzi oder Henriette Hardenberg, schließlich der Bibliographie ein systematisches Gerüst einziehen.

Hans-Albrecht Koch


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