Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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"Deutsche Geisteswissenschaft" im Zweiten Weltkrieg


99-1/4-130
"Deutsche Geisteswissenschaft" im Zweiten Weltkrieg : die "Aktion Ritterbusch" (1940 - 1945) / Frank-Rutger Hausmann. - Dresden ; München : Dresden University Press, 1998. - 414 S. ; 23 cm. - (Schriften zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte ; 1). - S. 363 - 389 Die 'aktiven' Beiträger des Gemeinschaftswerks: biographische Kurzporträts. - ISBN 3-933168-10-4 : DM 78.00
[5128]

Der sog. Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften ist bisher nur für einige seiner Sparten genauer untersucht worden (Germanistik, Jura, Geschichte), im übrigen ein weitgehend nebulöses Gebilde geblieben, das aber bei Argumentationen zur Politisierung der Wissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle spielt. Diese Forschungslücke hilft die Studie des Freiburger Romanisten Hausmann jetzt schließen, der hier nicht nur für sein Fach eine entsprechend detaillierte Aufarbeitung vorlegt (S. 281 - 360), sondern das Gesamtunternehmen sowohl in seinen administrativen Dimensionen und seiner Genese (Teil I, S. 17 - 98), wie in der Entwicklung in den einzelnen Sparten nachzeichnet: [in der von ihm gewählten alphabetischen Anordnung] Altertumswissenchaften, Anglistik, Geographie, Germanistik, Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Orientalistik, Philosophie, Staatsrecht, Völkerrecht, Zivilrecht sowie den nicht ganz zum Zuge gekommenen Sparten Musikwissenschaften, Psychologie, Völkerkunde, Publizistik (Teil II, S. 101 - 278). Verdienstvoll sind die ausführlichen Nachweise: die Kurzbiographien aller im Kriegseinsatz Aktiven (S. 363 - 389), ausführliche bibliographische Nachweise, insbes. auch der zeitgenössischen Besprechungen, im Anmerkungsapparat und in eigenen Abschnitten zur Rezeption (S. 84 - 98 und S. 275 - 278). Statt eines in diesem Fall vermutlich unhandlich umfangreichen Literaturverzeichnisses findet sich ein Personenregister. Dadurch kann das Buch als Grundlage für die weitere Forschung dienen. Ausführlich kommen nicht nur die veröffentlichten, sondern vor allem auch unveröffentlichte Quellen aus eingesehenen Nachlässen zu Wort. Es spricht für Hausmanns Arbeit, daß das mit ihr vorgelegte Material eine Sekundäranalyse erlaubt: Sie behält ihren Wert, auch wenn man die Sichtweise des Autors nicht (vollständig) teilt.

Kriegseinsatz ist heute ein verfängliches Wort: Die Konnotation von Einsatz ist nicht nur durch die Einsatztruppen bestimmt, auch durch die anderen Formen von politisiertem "Wissenschaftseinsatz", die seinerzeit betrieben wurden. Hausmann zeigt aber, daß der Kriegseinsatz sich gerade gegen die letzteren abzuschirmen wußte. Was dieses Wort vor allem meinte, wird aus einem von Hausmann zitierten Brief der Ehefrau eines dabei Aktiven deutlich: "...ist es günstig, daß mein Mann nicht zum aktiven Wehrdienst einberufen wurde, sondern daß er den Kriegseinsatz in wissenschaftlicher Form abzuleisten hat" (S. 349, Anm. 214). Es handelte sich um eine offizielle Maßnahme des Reichserziehungsministeriums, bei dem der Initiator und Leiter des Unternehmens, der Kieler Rektor (und Jurist) Paul Ritterbusch, dazu auch im Rang eines Ministerialdirigenten tätig war. Die Aktivitäten wurden mehr oder weniger auf dem Dienstweg in die Wege geleitet und als Verpflichtung präsentiert (die Protagonisten waren oft auch Rektoren - sieben amtierende waren dabei, neben einer ganzen Reihe ehemaliger, S. 136 -, immer gehörten sie zur fachlichen Prominenz). Möglich wurde so vor allem die Fortsetzung von Normalwissenschaft: Kongreßartige Treffen, die ansonsten unterbunden waren, Publikationen trotz eingeschränkter Druckkapazitäten, Forschungsmittel vor allem auch für jüngere, noch nicht arrivierte Wissenschaftler. So verweigerten sich nur wenige dem Unternehmen. Wo Verweigerung stattfand, geschah das wohl mehr aus elitärer Distanz gegenüber der geforderten popularisierenden Darstellung als aus politischem Dissens, wie Hausmann zeigt (vgl. S. 167, 174, 180, 322), ausführlich dokumentiert bei den von ihm detaillierter untersuchten Romanisten (Curtius, Schalk u.a.). Daß sich auch politisierte Beiträge fanden, vor allem rassisitische, kann kaum verwundern - erstaunlich ist, daß sie die Ausnahme bleiben konnten, daß überwiegend die Abgrenzung zur SS, zum Amt Rosenberg, zu W. Franks Reichsinstitut und dgl. recht deutlich gelang, daß es sogar möglich war, oppositionelle Stimmen (und disziplinierte Fachkollegen!) zu Wort kommen zu lassen. Die Verhältnisse in den einzelnen Sparten waren allerdings sehr unterschiedlich, wie aus Hausmanns Zusammenstellung deutlich wird: Politisiert waren vor allem die staatsrechtlichen Beiträge, die direkt die Rolle einer Legitimationswissenschaft für das Regime übernahmen, dann auch die der Philosophie, die als Etikett für eine systemkongruente Überwissenschaft diente.

Hausmann wird nicht müde, immer wieder zu betonen, daß das Unternehmen aber auch in den nicht politisierten Beiträgen nicht unschuldig war, da auch diese durch den Faschismus und die Shoah (hier insbes. auch die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler) "kontextualisiert" ist (so S. 201 u.ö.); dadurch liest sich seine Argumentation manchmal wie ein Versuch, die alten Spruchkammerurteile zu revidieren. Vor 20 oder 30 Jahren, als viele der Aktivisten noch ihrem Dienst nachgingen und dabei eine Wissenschaft praktizierten, die von der Verdrängung der Vergangenheit geprägt war, wäre ein solch anklagender Gestus Bestandteil der damals dringend benötigte Aufklärung gewesen - aber heute? Schließlich war nichts, was die gesellschaftlichen Verhältnisse im Faschismus reproduzierte, unschuldig - auch nicht der Anbau von Kartoffeln, mit denen Wehrmachtsoldaten und KZ-Aufseher ernährt wurden. Fragen nach der Schuld führen auf ein vermintes Terrain, etwa zu zynischen Gegenfrage wie die, wem denn der Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften geschadet habe, der immerhin dem Militärapparat Mittel (sogar Devisen) - und zumindest zeitweise doch auch durch UK-Stellung schießende Soldaten entzog.[1] Herausgelöst aus der direkten Auseinandersetzung mit den beteiligten Personen interessieren weniger Schuldzuweisungen, als vielmehr die Mechanismen der Kollusion, die die Reproduktion des faschistischen Systems bis zur Shoah möglich machten. Dank Hausmanns Recherchen werden die entsprechenden Mechanismen im universitären Bereich auch sehr viel greifbarer.

Zweifellos hatte die Aktion einen propagandistischen Nutzen, gerade auch im Kontext der Kampagnen gegen die faschistische Politik der Vertreibung jüdischer Wissenschaftler. Dessen waren sich viele Akteure, wie Hausmann zeigt, auch bewußt (S. 26 u.ö.). Mit ihrem Bemühen, die Funktionstüchtigkeit der Wisenschaft im Reich unter Beweis zu stellen, waren sie so doppelt in diese Politik eingebunden - und davor schützte auch eine oppositionelle Gesinnung nicht, wie Hausmann am Beispiel des Aktivisten und Widerständlers W. Krauss deutlich macht (der im übrigen nicht nur in diesem Kontext dubiose Texte hinterließ).[2] Vielleicht irritierender noch als die Frage nach der Kollusion mit dem faschistischen System ist die nach der so praktizierten Wissenschaft. Hausmann argumentiert unter der Prämisse von der "enthaupteten Wissenschaft" (vgl. S. 46, 54 u.ö.), die aber durch die Forschung der letzten dreißig Jahre - und eben auch durch seine eigene - hier als nicht haltbar erwiesen ist. Ein engagierter Nazi mußte kein schlechter, erst recht kein unmoderner Wissenschaftler sein, wie gerade an dem von Hausmann offensichtlich als Inkarnation des Bösen angesehenen Rektor der Univiversität München und "Curator" des Ahnenerbes der SS, W. Wüst, deutlich ist. Eine direkte Verbindung mit ihm läßt Hausmann keine sachliche Wissenschaft erwarten (vgl. etwa S. 216); Wüsts wissenschaftliches Format wird aber nicht zuletzt daran deutlich, daß im Nachkriegsdeutschland die Vertreter einer moderner vergleichenden Sprachwissenschaft (etwa an der Auseinanderstzung mit der sog. Laryngaltheorie abzulesen) Wüsts persönliche Schüler waren. Entgegen dem in vielen Darstellungen immer noch Kolportierten war ein Strukturalismus auf dem Niveau der Saussure-Vulgata heutiger Proseminare auch in Nazi-Zeiten schon Schnee von gestern - in der Germanistik bei Weisgerber in Marburg nicht anders als in der Romanistik bei von Wartburg in Leipzig.

Das verweist auf den in systematischer Sicht vielleicht spannendsten Punkt bei diesem Unternehmen und bei Hausmanns Darstellung. Mit dem Kriegseinsatz wurde eine neue Form von Wissenschaftsorganisation betrieben, die ganz unmittelbar heute aktuelle Strukturen wie die Sonderforschungsbereiche der DFG vorwegnimmt (hier gibt es auch institutionelle und personelle Kontinuitäten, auf die Hausmann selbst verweist, S.17 - 18 u.ö.).[3] In diesem Kontext wurden neue organisatorische Strukturen geschaffen (auch im Sinne der Verselbständigung von Fächern, wie Hausmann ausführlich am Beispiel der Romanistik diskutiert, mit interessanten Parallelen, aber auch Differenzen zur Psychologie); vor allem aber operierte die Wissenschaft dabei unter Vorgaben, die quer zur Reproduktion der etablierten Disziplinen lagen. Die so erzwungene interdisziplinäre Zusammenarbeit erklärt z.T. auch die ungleiche Berücksichtigung der verschiedenen Sparten (die Publizistik bzw. "Zeitungswissenschaft" ist z.B. nur bei anderen Vorhaben beteiligt). Interessanter noch als der organisatorische Aspekt ist der fachlich-methodische. Kongruent zu der geplanten Neuordnung Europas waren die Vorgaben des Kriegseinsatzes areal definiert und erzwangen damit einen Bruch mit der traditionellen organischen Sichtweise der kulturellen (sprachlichen) Transmission: Vielmehr waren so endogene Entwicklungsfaktoren (darunter insbes. eben auch die rassisch gefaßten) in Hinblick auf den Kontakt mit exogenen zu untersuchen, autochthone Kulturen im Kontakt mit allochthonen. Das galt für die in den Arbeiten überwiegend eingenommene historisch-rekonstruktive nicht anders als für die gegenwarts- bzw. zukunftsbezogene Perspektive: Die Indogermanen im Kontakt mit der vorindogerman. Bevölkerung Alteuropas, die Germanen im Kontakt mit den Romanen bzw. dem Mittelmeer-Kulturraum, die oktroyierte deutsche Kultur in den besetzten Gebieten ...[4] Daß vieles von dem so Publizierten nur voluntaristisch ist (unter dem Stichwort der "Feindaufklärung" zu verbuchen ist), kann bei einer Laufzeit der einzelnen Vorhaben von oft nur ein oder zwei Jahren, also der Laufzeit eines heutigen kleinen Drittmittelprojektes, ebenso wenig verwundern wie die Tatsache, daß meist nur auf vorherige Forschungen zurückgegriffen wurde.

Aber auch aus Hausmanns kursorischen Hinweisen wird deutlich, daß hier eben doch innovativen Fragestellungen nachgegangen wurde.[5] Zur wissenschaftlichen Tragik der Vertreibung vieler der kreativsten Köpfe gehört es, daß diese gerade in diesem Horizont dachten (um nur einige der mir vertrauteren Sprachwissenschaftler zu nennen: der Finno-Ugrist Ernst Lewy, der Romanist Leo Spitzer, der Altorientalist Benno Landsberger u.a.), daß diese aber im Exil in der Regel keinen institutionellen Kontext fanden, um solchen Fragestellungen nachzugehen: Die Philologien waren damals vor allem in den USA, verglichen mit Deutschland, extrem konservativ und abgeschottet gegenüber solchen Ansätzen - die mit den Vorgaben des Kriegseinsatzes vergleichbaren "Area Studies" sind erst eine junge Kreation der 60er Jahre.[6]

Nach Einzelstudien von Historikern zu den politisierten Unternehmungen bei der SS, dem Amt Rosenberg und dgl. und nach der großen Chronique scandaleuse von H. Heiber zur Universität unterm Hakenkreuz[7] hat Hausmann mit seinem Buch jetzt die Grundlagen gelegt, mit denen in der "geisteswissenschaftlichen" Fachgeschichte weiterzuarbeiten ist. Nicht zuletzt in Hinblick auf die so geleistete Erschließung des sonst z.T. nur schwer erfaßbaren Schrifttums sollte das Buch in keiner Forschungsbibliothek fehlen.[8]

Der Verlag ist zu einem handwerklich gut gemachten Buch zu beglückwünschen. Ärgerlich ist nur der Verlagsname, dessen Anglisierung (bei einem deutschen Universitätsverlag!) nicht nur albern ist: Sie sieht bei einem Verlag aus den neuen Bundesländern nach einer 50%igen Modernitätsanstrengung aus. Bei einem Buch, in dem es um die überangepaßte Erfüllung politischer Vorgaben geht, wirkt das geradezu peinlich.

Utz Maas


[1]
Hausmann hat sich ausgiebig auch um "mündliche Quellen" bemüht und mit vielen Betroffenen Interviews (meist telephonisch) geführt, die er überwiegend aber als Fehlanzeige dokumentiert: Die Befragten erinnerten nichts oder gaben Dinge an, die er richtig stellt ... Mir ist die Funktion dieser Art Befragungen nicht klar. Gespräche mit Zeitzeugen sind ein unschätzbares Forschungsinstrument: In einem längeren Gespräch können sich andere Deutungsfolien für Zusammenhänge als in Gedrucktem erschließen, ergeben sich oft neue Hinweise auf Dritte und dgl. - aber aus eigenen Erfahrungen weiß ich, daß sie so gut wie nie etwas zur Aufhellung problematischer Zonen in der Biographie eines Befragten beitragen (erst recht nicht bei belastenden Vorwürfen, die von Schutzbehauptungen und Schutzerinnerungen zugedeckt sind). Hier wurde offensichtlich eine große Mühe vergebens investiert. (zurück)
[2]
Zu der vom Spiegel entfachten Diskussion um die Stasi-Verbindungen von W. Krauss vgl. Schmerzgrenzen : die Akte Werner Krauss / Hans Ulrich Gumbrecht. // In: Frankfurter Allgemeine. - 1999-06-16, S. N 7. [sh] (zurück)
[3]
Hausmann vergibt mit einem Seitenhieb auf die "Modernisierungsdikussion" zum Faschismus (S. 31) die Chance, diesen argumentativen Strang systematischer zu verfolgen. (zurück)
[4]
Ein besonderer Aspekt war dabei auch die Möglichkeit von "Verfallserscheinungen", heftig debattiert in Hinblick auf die Angelsachsen (in der "Englandkunde") als Alternative zu einem Kontakteinfluß (mit dem Keltischen z.B.); wohl nicht im Kriegseinsatz, wohl aber bei der SS bildete in diesem Sinne die Zigeunerforschung einen Schwerpunkt, bei der dem "Verfall" einer arischen Sprache und Kultur nachgegangen wurde. (zurück)
[5]
Für sein eigenes Fach, die Romanistik, verweist Hausmann darauf, daß in diesem Kontext die Anfänge der "Landeskunde" liegen, vgl. S. 290. (zurück)
[6]
Allein die Altorientalisten konnten an der Universtät Chicago kongeniale Arbeitsbedingungen aufbauen - als Ausnahme gegenüber der zumeist dramatisch-deprimierend verlaufenden Regel. (zurück)
[7]
Universität unterm Hakenkreuz / Helmut Heiber. - München : Saur. - Teil 1. Der Professor im Dritten Reich : Bilder aus der akademischen Provinz. - 1991. - 652 S. - ISBN 3-598-22629-2 : DM 198.00. - Teil 2. Die Kapitulation der Hohen Schulen : das Jahr 1933 und seine Themen. - Bd. 1 (1992). - 668 S. - ISBN 3-598-22630-6 : DM 198.00. - Bd. 2 (1994). - 858 S. - ISBN 3-598-22631-4 : DM 298.00. - Das Gesamtwerk zum Jubiläumspreis bis 31.12.99: DM 148.00. (zurück)
[8]
Es versteht sich, daß das Feld mit Hausmanns Recherchen noch nicht abgedeckt ist. Ein Nachtrag sei an dieser Stelle geliefert. Die allgemeine Sprachwissenschaft ist in den im Buch referierten Teilunternehmungen nur in Beiträgen zur Altertumswissenschaft und den "philologisch" denominierten Sparten vertreten. Es gab aber auch hier Bestrebungen, den Kriegseinsatz für ihre institutionelle Verselbständigung zu nutzen, etwa von Seiten des von Hausmann in anderen Zusammenhängen wiederholt prominent angesprochenen Leo Weisgerber. Aus seiner entsprechenden Korrespondenz mit Fachkollegen sei hier aus einem Brief vom 17.1.1942 an Eduard Hermann zitiert, zugleich als deutliche Paraphrase auf das oben Gesagte. Nach einigen Erörtungen über Publikationsprobleme bei einem gemeinsam interessierenden Vorhaben heißt es da: "Gerade diese Frage geldlicher Mittel für sprachwissenschaftliche Arbeiten bringt mich wieder auf einen Plan, den ich schon vor zwei Jahren vorbereitet, dann aber während meiner Militärzeit liegen gelassen habe. Es handelt sich darum, ob man nicht auch für die Sprachwissenschaft die Möglichkeiten auswerten soll, die in dem 'Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften' gegeben sind. Sicherlich könnte da manche nützliche Arbeit getan werden, und vor allem entwickelt sich dieser 'Kriegseinsatz' mehr und mehr zu einer Planung auf weite Sicht, auch für Friedenszeiten. Nach allem, was ich höre, wird eine Wissenschaft, die nicht in diesem Rahmen sich als lebenskräftig erweist, auch in kommenden Zeiten wenig auf Förderung rechnen können, während umgekehrt die doch verfügbaren Mittel erlauben, manche Aufgaben anzufassen, die für die Wissenschaft selbst von grösster Bedeutung sind. Da ich im Laufe der Zeit von verschiedenen 'Kriegseinssätzen' aus um Mitarbeit angegangen wurde (Germanisten, Historiker u.a.), habe ich mich schon früh gefragt, ob man innerhalb der Sprachwissenschaft soviel Mitarbeiter zusammenbekäme, um ein paar wichtige Problemkreise aufzunehmen; ich dachte in erster Linie an folgendes: 1) Zusammentragen alles dessen, was an Unterlagen für Statistik und Geographie der Sprachen für die Gegenwart und für frühere Zeiten erreichbar ist. Sie wissen selbst am besten, wie sehr uns ein deutsches Werk, das Meillet-Tesnière entgegengestellt werden könnte, gefehlt hat; und wenn man vielleicht auch nicht an Veröffentlichungen im Augenblick denken kann, so wäre es doch gut, wenn die Sprachwissenschaft hier für dienstlichen Gebrauch das Material verfügbar hätte. 2) Eine Zusammenfassung der Befunde über die Indogermanisierung Europas und die übrige Welt mit ausreichenden Unterlagen über Zeit, Art und Umfang der indogermanischen Einflüsse in den verschiedenen Gebieten. 3) Eine vergleichende Untersuchung der wichtigsten Sprachen nach ihrem Wert und ihrem Wirkungsbereich. Vor allem wäre hier über die Eigenart, die Reichweite und die Kräfte der Weltsprachen zu handeln. 4) Untersuchungen über die Beziehungen der Sprachen untereinander (etwa Wirkungen des Deutschen auf die übrigen Sprachen Europas; Entsprechendes für das Frz., Engl., Lat. usw). Ich selbst würde auch glauben, dass man Vorarbeiten für einen weiteren Fragenkreis schaffen sollte, nämlich die Wirkungen der Sprachen im Aufbau der Kulturen und Völker. - Ich glaube, dass diese Aufgabenbereiche sich im Rahmen des 'Kriegseinsatzes' sehen lassen könnten; man müsste natürlich Germanisten, Anglisten, Romanisten usw. heranziehen, aber das Schwergewicht läge bei der Sprachwissenschaft. - Ich habe seit meiner Entlastung [sic!] im Wehrdient diese Pläne wieder aufgenommen und habe mich auch vergewissert, das eine Eingliederung der Sprachwissenschaft in den 'Kriegseinsatz' noch möglich ist. Bevor ich weiteres unternehme, möchte ich mich allerdings unterrichten [korr. aus: vergewissern], was die massgebenden Fachgenossen zu diesen Plänen meinen, und ob etwa in der Zwischenzeit schon Bemühungen ähnlicher Art gemacht wurden; die Sache erscheint mit vor allem deshalb dringlich, weil hier auf lange Sicht Arbeitsmöglichkeiten und -mittel sich ergeben" (Brief im Nachlaß E. Hermann in der Preußischen Staatsbibliothek Berlin). Diese Weisgerbersche Initiative bleibt noch weiter zu recherchieren - nicht zuletzt in Hinblick auf die von Hausmann passim angesprochene Kontinuitätsfrage: Nach dem Krieg betrieb Weisgerber erfolgreich bei der DFG die Einrichtung eines Forschungsschwerpunktes "Sprache und Gemeinschaft". (zurück)

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