Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Handbuch Lesen


99-1/4-093
Handbuch Lesen / im Auftrag der Stiftung Lesen und der Deutschen Literaturkonferenz hrsg. von Bodo Franzmann ... Unter Mitarb. von Georg Jäger ... - München : Saur, 1999. - XII, 690 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 3-598-11327-7 : DM 248.00, DM 228.00 (Subskr.-Pr. bis 31.07.1999)
[5586]

Die ersten Pläne zu diesem Handbuch gehen noch auf eine Initiative von Wolfgang Strauss aus den siebziger Jahren zurück. Die einzelnen - von Spezialisten des jeweiligen Fachgebiets geschriebenen - Kapitel des Sammelwerks behandeln folgende Themen: Geschichte des Lesens von der Antike bis 1945, Sozialwissenschaftliche Erforschung des Leser- und Leseverhaltens heute, Psychologie des Lesens, Neurobiologie des Lesens, Druckmedien, Elektronische Medien, Autor und Publikum, Literarische Zensur, Buchhandel, Bibliotheken, Politische Rahmenbedingungen der Lesekultur, Leseförderung, Institutionen der Literaturvermittlung und Leseförderung, Lesen- und Schreibenlernen in der Erwachsenenbildung, Lesesozialisation in der Schule und die Ikonographie des Lesens.

Der sorgfältig redigierte und sehr gelungene Band spiegelt, zu welch ergiebigen Resultaten eine an Intensität, aber auch an Extension stark vermehrte Forschung zum Lesen in den letzten beiden Jahrzehnten geführt hat, in der die oft postulierte Forderung nach Interdisziplinarität tatsächlich einmal an einem dazu vorzüglich geeigneten Gegenstand verwirklicht ist.

Die Beiträge lassen sich einteilen in solche, die einzelne Wissensgebiete kompendienhaft zusammenfassen (z.B. die Übersichten zum Buchhandel von Christian Uhlig, zu den Druckmedien von Dietrich Kerlen und zu den Elektronischen Medien von Klaus G. Saur), solche, bei denen sich der Analyse ein werbendes Moment für die Sache hinzugesellt (so in den Kapiteln zur Leseförderung), solche mit Informationen für die praktische Tagesarbeit (etwa die Auflistungen und kurzen Beschreibungen der Institutionen der Literaturvermittlung und Leseförderung), schließlich solche, in denen sich Darstellung gesicherter Erkenntnisse, Forschungsbericht und Hinweise auf Defizite unserer Kenntnisse verbinden.

Für die zuletzt genannten seien als Beispiele die Abschnitte zur Geschichte des Lesens (von Erich Schön), zur Neurobiologie des Lesens (von Marc Wittmann und Ernst Pöppel) erwähnt, vor allem aber die brillante Darstellung der Ikonographie des Lesens. Auf nicht mehr als 30 Seiten behandeln die Kunsthistorikerin Jutta Assel und der Literaturwissenschaftler Georg Jäger u.a. das Buch als Attribut von Gelehrsamkeit und Wissen auf Bildern von Männern, als solches von Frömmigkeit und Sitte auf Frauenbildern der christlichen Kunst, das gesellige Lesen in der Familie, aber auch das Buch als Kuppler und erotische Leseszenen u.v.a.m. (Leider sind die Schwarz-Weiß-Wiedergaben der Gemälde technisch wenig befriedigend.)

Jedes Kapitel enthält ausführliche bibliographische Anhänge auf aktuellem Stand, zuweilen mit mehreren hundert Titeln. Bei den elektronischen Medien ist die Bibliographie ohne ersichtlichen Grund zu einem eigenen Kapitel verselbständigt, in dem Ernst Fischer aus der unübersehbaren Flut der Publikationen rund 150 Titel ausgewählt und drei Themenbereichen zugeordnet hat: 1. Technische und praktische Aspekte der elektronischen Publikationsmedien, 2. Einsatzbereiche der neuen Informationstechnologien und 3. Gesellschaftliche Veränderungen im Zeitalter der neuen Informationstechnologien. Die Titel stammen fast alle aus den 90er Jahren; lediglich zur Mikrofilmtechnik werden ausnahmsweise ein paar nicht überholte ältere Titel angeführt.

Das Buch ist als Nachschlagewerk so nützlich, wie seine zusammenhängende Lektüre Vergnügen bereitet. Das wäre freilich noch größer, wenn nicht gelegentlich modischer Schnickschnack störte, wie etwa die - nennen wir sie probehalber einmal so - 'innengeklammerten' "Leser(inne)n". Gegen Ende des Milleniums sollte sich doch herumgesprochen haben, daß sich der abstrakte Leser in mindestens zweierlei Geschlecht konkretisiert.

Hans-Albrecht Koch


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