Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Neues Latein-Lexikon


99-1/4-052
Neues Latein-Lexikon : lexicon recentis latinitatis ; über 15.000 Stichwörter der heutigen Alltagssprache in lateinischer Übersetzung / [Hrsg.: Libraria Editoria Vaticana. Übersetzung aus dem Italienischen: Stefan Feihl ...]. - Bonn : Lempertz, 1998. - 443 S. ; 25 cm. - Einheitssacht.: Lexicon recentis latinitatis <dt.>. - ISBN 3-933070-01-5 : DM 49.80[1]
[5159]

Der etwas diffuse Titel der deutschen Ausgabe des 1992 in Rom erschienenen Lexicon recentis latinitatis
[2] bedarf des erläuternden Untertitels, um einen ersten Eindruck vom Inhalt des Werks zu vermitteln. Es handelt sich um ein deutsch-lateinisches Wörterbuch, dessen Bestand zwar zu einem beträchtlichen Teil "Stichwörter der heutigen Alltagssprache" umfaßt, daneben aber eine große Zahl von Fachbegriffen aus den Bereichen Medizin, Naturwissenschaften, Technik und Sport. In geringerem Umfang sind freilich auch altbekannte Lemmata (z.B. Gipfel, Sparsamkeit) aufgenommen, die sich in jedem herkömmlichen Lateinwörterbuch finden.

Das in lateinischer Sprache verfaßte Prooemium des Bearbeiters der Originalausgabe, Carolus Egger, macht darauf aufmerksam, daß Umschreibungen und Neubildungen nach Möglichkeit aus dem im Thesaurus linguae latinae erschlossenen lateinischen Wortschatz bis zum frühen 7. Jahrhundert abgeleitet werden, also nicht nur aus den klassischen paganen Autoren, sondern auch aus den Texten der Kirchenväter. Wenn auf dieser Grundlage keine Möglichkeit zur Bildung einer adäquaten Formulierung bestand, wurde auf mittelalterliches Latein, Kirchenlatein und das Griechische zurückgegriffen.

Das von den Übersetzern verfaßt Vorwort zur deutschen Ausgabe erläutert die Vorgehensweise bei der Übertragung der italienischen Vorlage. Man habe "den [!] lateinischen 'Corpus' möglichst wenig" angetastet und "es im Wesentlichen bei einer Übersetzung der italienischen Stichwörter ins Deutsche ... belassen"; allerdings seien Stichwörter, die aufgrund eines "zu direkten Italienbezug(s)... einer besonderen Erklärung für den deutschen Benutzer bedurft hätten" getilgt worden (was trotz gegenteiliger Beteuerung im Vorwort leider auch für das verloren gegangene Stichwort Spaghetti gilt). Es versteht sich, daß die Übersetzung eine Fülle von Zergliederungen, Umstellungen und aus Gründen der unterschiedlichen Syntax auch Streichungen erforderlich machte. Im Gegensatz zur italienischen Ausgabe wird bei Ableitungen aus dem Griechischen leider auf Angaben zur Etymologie wie überhaupt auf die Verwendung griechischer Schriftzeichen verzichtet.

Während im ersten Satz der lateinischen Vorrede auf ein Vorbild verwiesen wird, nämlich das Lexicon vocabulorum quae difficilius Latine redduntur[3] von Antonio Bacci aus dem Jahr 1963, preisen die deutschen Bearbeiter das Werk als "ein absolutes Novum" an. Ein Blick auf die letzte Seite des Bandes lehrt, daß dies nicht richtig ist. Dort werden nicht nur Wörterbücher zur antiken und mittelalterlichen Latinität genannt, sondern auch mehrere neulateinische Wörterbücher verzeichnet. Das dort gleichfalls genannte Lexicon auxiliare von Christian Helfer (LA) ist übrigens nicht (wie bereits in der italienischen Originalausgabe versehentlich gedruckt) 1885, sondern in 2. Aufl. 1985 erschienen und liegt seit 1991 in 3., sehr verb. Aufl. vor.[4] Es dürfte einen Umfang haben, der demjenigen des Neuen Latein-Lexikons (NLL) quantitativ in etwa entspricht, hat jedoch gegenüber diesem den großen Vorzug, soweit wie möglich einen Quellenbeleg für die (neu)lateinischen Begriffe und Wendungen anzugeben. Ein punktueller Vergleich zwischen diesen beiden deutsch-lateinischen Wörterbüchern, deren Wortbestand sich an sehr vielen Stellen ergänzt, bietet sich an.

Die Bildung zusammengesetzter Begriffe ist im Lateinischen weitaus unüblicher als etwa im Griechischen oder Deutschen. Generell übt das NLL Zurückhaltung, wenn es darum geht, Neologismen zuzulassen. Stattdessen werden in vielen Fällen rein lateinische Umschreibungen bevorzugt, so etwa für "Autobahn" latior via vehicularis (LA: strata autocinetica), für "Tennis" manubriati reticuli ludus (LA: teniludus oder tenisia, beides im 15. Jahrhundert belegt) bzw. für "Tischtennis" ludus pilae mensalis (LA: tenisia mensalis, erster Beleg von 1981). Es gibt, wie man sieht, durchaus unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten, um ein und dieselbe Sache zu benennen. Da der aktive Gebrauch des Lateinischen gegenwärtig auf wenige Refugien beschränkt ist (z.B. die Acta Apostolicae Sedis oder die Praefationes moderner textkritischer Ausgaben), kann die am usus abzulesende Lebensfähigkeit der vorgeschlagenen Formulierungen nur beurteilen, wer über einen ausgesprochen langen Atem verfügt und die nicht eben zahlreichen lateinischen Publikationen in den Zeitschriften Latinitas (Città del Vaticano. - 1953 - ) und Vox latina (München bzw. Saarbrücken. - 1965 - ) zur Kenntnis nimmt. Ob man den "Cowboy", der in älteren deutsch-lateinischen Wörterbüchern noch nicht zu finden ist, nun armentarius bzw. pecuarius (NLL) oder lieber bubulcus (LA) nennt, bleibt natürlich jedem freigestellt (alle drei Begriffe waren übrigens schon in der Antike gebräuchlich und sind damit streng genommen nicht neulateinisch). Bei der Neubildung lateinischer Bezeichnungen sind jedenfalls Kreativität und Sprachgefühl ebenso gefragt, wie ein souveräner Umgang mit dem überlieferten Wortschatz. Verbindliche Vorschläge gibt es nicht, denn über das Lateinische wacht keine Académie.

Bei mehrdeutigen deutschen Begriffen (z.B. "Marsch", "Star") sollte der Benutzer des NLL gute Grundkenntnisse besitzen oder ein lateinisch-deutsches Wörterbuch zur Hand haben, um die genaue Bedeutung der angebotenen Entsprechungen (meist mit Synonymen) zu ermitteln. Zu Recht wird im Vorwort darauf hingewiesen, daß die aufgeführten Synonyme vielfach nur einen Teilaspekt des lateinischen Haupteintrags wiedergeben und nicht einfach austauschbar sind. Gerade die Lektüre solcher etwas umfangreicherer Einträge dürfte bei manchem Benutzer die Erinnerung an vergessen geglaubtes Schulwissen wachrufen!

Was die Berücksichtigung der modernen "Jugend-, Szene- und Vulgärsprache" angeht, kann in beiden Lexika natürlich nur eine kleine und eher willkürliche Auswahl geboten werden. Auch auf diesem Feld ist es ratsam, in beiden Wörterbüchern nachzuschlagen. So findet sich im NLL unter "spinnen" nur die heute selten benötigte Entsprechung neo, nere, nicht aber die übertragene Bedeutung im Sinne von delirat oder ineptit (LA). Dafür findet man beim Stichwort "Szene" (nur in NLL) sowohl die auf das Theater bezogene scaena bzw. eine fabulae scaenicae pars, als auch vier Formulierungen für die übertragene Bedeutung irae effusio, bilis eruptio, indecorum iurgium und plebeium convicium.

Die Herkunft des NLL aus dem Umkreis des Heiligen Stuhls zeigt sich daran, daß verhältnismäßig viele Begriffe aus dem kirchlichen Leben berücksichtigt wurden, die nicht alle zur heutigen Alltagssprache zählen (etwa die Einträge "johanneisch", "suburbikarisch", "Antikatholik", "Kasel", "Pluviale", "Servit" und "Weihwasserbecken", alle nicht in LA).

Es trifft zu, was auf dem Klappentext des NLL versprochen wird: Die Lektüre "fördert das Verständnis für die spezielle Art des Lateinischen, vermittelt nicht selten überraschende Einsichten und lädt bei aller Ernsthaftigkeit des Anspruchs häufig zum Schmunzeln ein". In der Tat erweist sich Latein keineswegs als ausdrucksarme, sondern als kraftvolle und flexible Sprache; als solche besitzt es jedoch einen größeren "praktischen Nutzwert" als "aktuelle lateinische Begriffe in der gesprochenen wie in der Schriftsprache effektvoll einzusetzen" (so der werbende Klappentext). Wer mit lateinischem "Flitter" (splendor inanis) angeben will, sollte besser gleich zum Zitaten-Lexikon greifen. Wer jedoch Freude daran hat, die Möglichkeiten der angeblich toten Sprache auszuloten oder gelegentlich ein wenig auf Lateinisch zu parlieren, findet im NLL viele Anregungen.

Christian Heitzmann


[1]
Mitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, können den Band unter Best.-Nr. B 14713-8 für DM 39.80 erwerben. (zurück)
[2]
Lexicon recentis latinitatis / editum cura Operis fundati cui nomen "Latinitas". - Urbe Vaticana : Libreria Editoria Vaticana, 1992. - ISBN 88-209-1731-9 : Lit. 100.000. - 1. A - L. - 1992. - 454 S. - 2. - M - Z. - 1992. - 278 S. (zurück)
[3]
Lexicon vocabulorum quae difficilus Latine redduntur / Antonius Bacci. - Roma : Ed. Studium, 1963. (zurück)
[4]
Lexicon auxiliare : ein deutsch-lateinisches Wörterbuch / Christian Helfer. - 3., sehr verb. Aufl. - Saarbrücken : Societas Latina, 1991. - II, 644 S. - ISBN 3-923587-08-2 : DM 76.00. [5599]. - 1. Aufl. 1982. (zurück)

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