Ein erstes Durchblättern vermittelt den Eindruck von Ungleichmäßigkeit, besonders bei den eigentlichen Projektbeschreibungen im Hauptteil des Bandes. Insgesamt überwiegen knappe Darstellungen. Die Aufsatzlänge beträgt durchschnittlich achteinhalb Druckseiten; einige Projektberichte liegen wesentlich darunter. So hätte man gern mehr als eine Andeutung von Gert Hagelweide gehört über sein hochbedeutsames, in Bearbeitung befindliches Projekt einer Bibliographie der ost- und westpreußischen Presse bis 1945 - auf einer halben Druckseite: geplant ist offenbar eine Bibliographie mit Standortnachweis, aber die Angaben über das zur Veröffentlichung im Jahre 2000 vorgesehene Manuskript sind zu dürftig, als daß der Leser sich einen zuverlässigen Eindruck bilden könnte.
Seit Peter Stein seine brillante Zeitungsbibliographie
Nordostniedersachsens vorgelegt hat, kann man aus Lüneburg Analysen
und Projekte erwarten, die die Entwicklung vorantreiben und sich
dennoch finanzieren lassen.[5] Seine allgemeine Darstellung 15.000 - x:
Was ist 'historisch-wertvolle' Tagespresse in Deutschland, welchen
Umfang hat sie und wie ist ihr Verfilmungsgrad zu bewerten? (S. 28
- 38) bietet das - an strategisch günstigen Stellen wieder
hinterfragte
- Zahlengerüst für die weitere bibliothekarische Zeitungsverfilmung
und belehrt den Bibliothekar gleichzeitig über den vermutlichen Umfang
des Materials. Daß Stein sich dabei sofort in die Diskussion mit
anderen Autoritäten wie der DFG verwickelt, ist kein Schade.[6]
Das Gegenbeispiel bietet die Darstellung Zeitungen und die
Zeitschriftendatenbank von Hartmut Walravens, dem Leiter dieser
Institution. Die ZDB bot über Jahrzehnte die einzige vernünftige
Möglichkeit des überregionalen Nachweises von Periodika. Wer sich
ihrer bediente, und das waren praktisch alle am Leihverkehr und an der
Zeitschriftenkatalogisierung beteiligten Personen und Institutionen,
nahm die Nachteile in Kauf, die durch den ursprünglichen Verzicht auf
Autopsie und ein ausschließlich an der Zeitschrift im Gegensatz zur
Zeitung orientiertes, rigide gehandhabtes Titelaufnahmeformat
entstanden. Das läßt auch heute noch wenig Spielraum für abweichende
Tatbestände, und seine Anpassung an die sich über die Jahrzehnte
ändernden Gegebenheiten der Praxis ist im Laufe der Zeit immer
mühsamer geworden. Probleme entstehen der ZDB nicht zuletzt dadurch,
daß sie bereits so früh entwickelt wurde und die Wandlung der
überregionalen, zentralen EDV-Kataloge zu regionalen Netzen nur
unvollkommen und schleppend nachvollziehen konnte. Das
Selbstverständnis der ZDB aus den siebziger Jahren in der Frage der
Zeitungskatalogisierung meint man in Walravens' Aufsatz gespiegelt zu
sehen. Sie stand niemals im Mittelpunkt der ZDB, und nicht zufällig
lobt Walravens bereits im zweiten Absatz seines Aufsatzes den Katalog
von Hans Traub - von 1933.[7] Auch was an quasi offiziöser Historie
berichtet wird, können Kenner nicht immer bestätigen: So wurde das
hier "Gesamtbibliographie der deutschen Zeitschriften" genannte GDZS[8]
nicht abgebrochen, weil es, wie Walravens meint, "die Kräfte der
Abteilung überstieg" (S. 71, Anm. 6), sondern weil die DFG-Zuwendungen
nur noch für die ZDB insgesamt und nicht mehr für Einzelprojekte wie
etwa das manuell erstellte und 1978 mit dem 30. Nachtrag
abgeschlossene Parallelunternehmen für ausländische Zeitschriften
(GAZS) gewährt wurden. Die von Walravens geäußerten Zweifel an der
Durchführbarkeit des abgebrochenen GDZS-Projektes beruhen bestenfalls
auf Mutmaßungen. Eine ernsthafte Machbarkeitsstudie hat es nie
gegeben. - Leider liegen die Ausführungen zur Behandlung der Zeitungen
in der ZDB auf derselben Linie. Walravens berichtet, das
DFG-Sondersammelgebiet "Ausländische Zeitungen" der SB Berlin habe zum
Aufbau des Standortverzeichnisses ausländischer Zeitungen und
Illustrierten (SAZI) geführt, und er versteht darunter eine Art
zentralen Zettelkatalog, aus dem Martin Winckler dann den gedruckten
Katalog[9] erarbeitet hätte; hier hat seinen Informanten die Erinnerung
getrogen. Der zentrale Zettelkatalog ging aus einem Redaktionskatalog
hervor, der für das gedruckte Verzeichnis erhoben wurde.[10] Das spätere
Sondersammelgebiet war damals noch bestenfalls ein schöner Traum der
Beteiligten. Ein genetischer Zusammenhang zwischen dem SAZI und dem
SSG "Ausländische Zeitungen" sollte nicht nachträglich konstruiert
werden. Walravens selbst erklärt an anderer Stelle, die ZDB habe
keinerlei Ambitionen, eine pressehistorische Datenbank zu werden (S.
55, Anm. 19). Der SAZI-Redaktionskatalog wurde, wie der Verf. korrekt
berichtet, mit DFG-Hilfe in die ZDB überführt. Aber was dem ZDB-Chef
als positiv gilt, stellt tatsächlich einen Schritt dar, auf den man
sich besser nicht eingelassen hätte. Die an Ort und Stelle anhand von
Autopsie erfaßten Zeitungsdaten des Südwest-Verbundes beispielsweise
geben bibliographisch einwandfrei tatsächlich vorhandene Bestände an.
Die SAZI-Daten beruhen hingegen ursprünglich auf Bibliotheksmeldungen,
deren Regel- und Sachgerechtigkeit nicht größer sein kann als die der
zugrunde liegenden, höchst unterschiedlichen, aus verschiedenen Zeiten
stammenden und nach verschiedenen Regelwerken produzierten
Titelaufnahmen der Ursprungsbibliotheken. Wer Zeitungskataloge kennt,
kann das Problem würdigen - Wilbert Ubbens[11] spricht von der "gängigen
Praxis der Nichtkatalogisierung resp. der nur vorläufigen oder
ungenügenden Katalogisierung von Zeitungen in Bibliotheken" und
berührt die Frage der titelaufnehmerischen Kompetenz.[12] Praktiker haben
demgemäß immer wieder davor gewarnt, Zeitungen anhand von
Vorkatalogisaten in Verbunddatenbanken zu überführen. Sie sind auch
hier anders zu behandeln als fortlaufende Sammelwerke schlechthin.[13]
Jürgen Bunzel spricht in unsere Sammelband von Nachweislücken der ZDB,
die aus der Schwierigkeit mit dem geforderten Titelaufnahmeformat
erwachsen seien (S. 43).[14]
Interessierte erfahren bei dieser Gelegenheit, daß von dem
unfangreichen Zeitungs-Altbestand der Berliner Staatsbibliothek bisher
lediglich die unter der Sondersignatur Ztg geführten Zeitungen in der
ZDB nachgewiesen sind. Da bereits 1990 Signaturenlisten für die
Zeitungen des übrigen Altbestandes vorlagen, ist diese Entscheidung
schwer verständlich, denn gerade unter den noch nicht aufgearbeiteten
Signaturen dürfen zahlreiche Unikate vermutet werden. Dem Leiter der
ZDB kann das allerdings wohl nicht angelastet werden. Daß er
allerdings verlangt, im Druck vorliegende Kataloge abgeschlossener
Zeitungsbestände wie die von Gittig[15] in die ZDB einzubringen mit der
Begründung, sie könnten dann bequemer aktualisiert werden, scheint
doch eher merkwürdig. - Seit Beginn der Arbeiten an der
SAZI-Konversion hatten die Zeitungsbibliothekare, damals vertreten
durch die DBI-Zeitungskommission, um die Öffnung des ZDB-Regelwerks
für ihr Material gekämpft, nachzulesen etwa im Reader Zeitungen in
Bibliotheken von 1986. Die ZDB hat sich solchen Bemühungen gegenüber
stets taub gestellt. Walravens ignoriert dieses Versagen seiner
Behörde über anderthalb Jahrzehnte und möchte den Eindruck erwecken,
daß die Schwierigkeiten erst neuerdings erkannt und denn auch umgehend
mit positivem Ergebnis diskutiert worden seien. Beides ist falsch; die
höchst einseitige Diskussion dauert bereits knapp zwei Jahrzehnte, und
das endlich erzwungene Ergebnis bleibt unbefriedigend. Wer sich die
Mühe macht, die abschreckenden, nach Titelaufnahme-Kategorien
gefelderten Zeitungsbeispiele im Anhang des Aufsatzes durchzuarbeiten,
wird finden, daß es sich gegenüber der Titelaufnahme für allgemeine
Periodika bestenfalls um Schönheitskorrekturen handelt, die keineswegs
alle neu beschlossen, sondern zum Teil eben schon zwanzig Jahre alt
sind. Die Zeitungsspezialisten aus Dortmund und Stuttgart, mit denen
die ZDB diskutiert hat, scheinen vor der Macht des Faktischen
kapituliert zu haben. Wilbert Ubbens zeigt die Defizite auf. Er führt
die unendliche Geschichte der Zeitungsbehandlung in der ZDB fort,
steuert aber erstmalig ein vernünftiges Ergebnis an, indem er sich auf
eine "grundsätzliche Kritik an der bibliothekarischen
Katalogisierungspraxis für Zeitungen mit Hilfe von ZETA" (S. 62)
einläßt und eine angemessene Titelaufnahme für Zeitungen - nach PICA
vorstellt. Der Hauptpunkt der Kritik gilt der Forderung des
ZDB-Regelwerks, einen unter Umständen sehr langlebigen publizistischen
Organismus anhand chronologisch variierender Titelfassungen in eine
Vielzahl von Aufnahmen auseinanderzureißen (S. 52). Das führe im Falle
der Zeitungen, so Ubbens, zu falschen Lösungen; nicht nur in der
Titelaufnahme, sondern auch beim Auffinden der nachgewiesenen
Bestände, da die Praxis der Aufbewahrung von Zeitungen in Bibliotheken
und Archiven ohnehin nie dem Titelformalismus gefolgt sei (S. 62).
Ubbens informiert dabei gleichzeitig über ein Projekt, bei dem
regional gegliederte Teams die Zeitungsbestände einzelner Regionen zum
Nachweis in PICA-Datenbanken aufspüren und erfassen, und faßt die
Aussichten eines solchen Vorgehens zusammen: "vom Ergebnis sicher
erfolgreicher als die - bisherige - bloße Aufgabenverteilung an alle
Verbundbibliotheken und die ... verdienstvolle, aber nicht
grundsätzliche Problematisierung der Titelaufnahme von Zeitungen mit
Hilfe von ZETA" (S. 70). Man sollte dabei jedoch nicht übersehen, daß
derzeit weder die ZDB noch der PICA-Verbundkatalog des GBV auf die
spezifischen Bedürfnisse der Zeitungsforschung und -benutzung
abgestellt sind; "sie berücksichtigen nicht die Tatsache, daß die
Zeitungen als dritte Hauptgruppe des gedruckten Schrifttums anders
benutzt werden als Monographien und Zeitschriften".[16] Der Aufsatz
Walravens' könnte dazu beitragen, das Mißtrauen mancher
Zeitungsbibliothekare in die ZDB zu verstärken. Seine historischen
Abschnitte sind unzuverlässig, der gegenwärtige Zustand wird einseitig
zugunsten eines revisionsbedürftigen Status quo interpretiert, die
Zukunftsperspektiven scheinen fraglich. Es wäre wünschenswert gewesen,
wenn die Bemühungen der ZDB um die Zeitungskatalogisierung von einem
Außenstehenden dargestellt worden wären.
Der Rezensent schließt sich der Meinung von Oberschelp und seinen
Mitarbeitern an, daß der Zeitungsnachweis über die ZDB auch nach der
Regelwerk-Diskussion nur ein Notbehelf sein kann, bis eine
eigenständige Zeitungs-Datenbank zur Verfügung steht (S. 53). Es
besteht nach dieser Auffassung kein Zweifel daran, daß die
bibliographisch saubere Dokumentation der vorhandenen Zeitungsbestände
im deutschsprachigen Raum zudem nur auf regionaler Basis möglich ist.
Gert Hagelweide hatte die dazu erschienenen Verzeichnisse bis 1970 im
ersten Band seiner Zeitungsbibliographie zusammengefaßt.[17] Für später
erschienene Bibliographien oder Bestandsverzeichnisse war man bisher
auf die o.a. Jahresbibliographien von Ubbens angewiesen. Die Lücke
schließt nun Manfred Pankratz mit seiner umfangreichen Aufstellung
Bibliographien, Standortkataloge und Bestandsverzeichnisse
deutschsprachiger Tageszeitungen (S. 181 - 209). Er hat seiner
Zusammenstellung den (gelegentlich ergänzten) Literaturbestand des
Instituts für Zeitungsforschung zugrunde gelegt, einschließlich der
Angabe von Signaturen. Reine Zeitungsnachweise überwiegen, doch findet
man auch allgemeine Verzeichnisse wie den Guide to microforms in print
oder die CD-ROM-Ausgabe der ZDB; formal breit gefächerte
Zugangsverzeichnisse wie die Liste der im Archiv des Instituts für
Publizistik [der FU Berlin] laufend bezogenen Zeitungen und
Zeitschriften; Listen von eingeschränkter Zugänglichkeit wie einen
Computerausdruck der Zeitungsbestände der Staatsbibliothek Preußischer
Kulturbesitz (Berlin-West), die in den Bestand der Deutschen
Staatsbibliothek (Berlin-Ost) eingearbeitet worden sind (1992) oder
den Ausdruck der Zeitungen der Württembergischen Landesbibliothek aus
der ZDB in vier Bänden (1998). Auf Werke wie den Stamm oder die
IVW-Auflagenliste wird hingegen ausdrücklich als unspezifisch
verzichtet (S. 181). Bibliographien des deutschsprachigen Auslands
sind nur berücksichtigt worden, wenn sie auch innerhalb des deutschen
Staatsgebietes erschienene Zeitungen nachweisen. Der Rezensent regt
an, diese Beschränkung bei einer - dann wohl selbständig erscheinenden
- Neubearbeitung der Bibliographie fallen zu lassen. Bei der so
unübersichtlichen politisch-geographischen Geschichte Mitteleuropas
scheinen Ausgrenzungen dieser Art wenig Sinn zu machen. Ziel sollte
die Erfassung aller Nachweise deutschsprachiger Zeitungen sein,
unabhängig vom Erscheinungsort. Falls die Quellenlage es zuläßt, wäre
selbst die Beschränkung auf Europa zu überdenken. - Bibliographische
Arbeiten dieser Art sind mühsam, zeitaufwendig und in der Regel
undankbar. Wir sollten Manfred Pankratz für die seine sehr danken. Der
Autor bekundet die Absicht, die Bibliographie gegebenenfalls als
selbständige Publikation fortzuführen. Das ist wünschenswert und wäre
für alle an der Materie Interessierten höchst nützlich.
Noch stärker als ein Sachregister mag der Leser, selbst der
Sachkenner, ein Glossar vermissen. Der Band ist ein gutes Beispiel für
die Diversifikation unserer Fachsprachen. Rohthesaurus (S. 94 und
passim) beispielsweise ist bei aller Anschaulichkeit keineswegs ohne
Erklärung verständlich; Split führt auf den ersten Blick die
dalmatinische Hafenstadt vor Augen (passim); die Rubrikanzeige (S. 23)
fehlt sogar im Zeitungswörterbuch (s.o.) derselben Herausgeber:[18]
vermutlich ein Übersetzungsversuch von classified advertisement (was
wohl besser Kleinanzeige hieße). Manchmal allerdings wird die
englische Vokabel unübersetzt in Anführungszeichen eingeschlossen, was
auf sprachliches Problembewußtsein deuten könnte ("User" S. 24). Wenn
schätzen und abschätzen, jedoch und allerdings verwechselt werden (S.
8 und 25), oder wenn die der englischen Syntax eigentümliche Redundanz
in einen deutschen Satz übernommen wird, der dadurch so ziemlich
unverständlich wird (S. 24), so lassen sich derlei Defizite
selbstverständlich nicht durch ein Glossar ausgleichen.
Der Band vermittelt insgesamt den Eindruck, daß die Atmosphäre bei
Erörterung des Themas - wie die Herausgeber ja auch andeuten - offener
geworden ist. Die Schwelle zwischen Bibliotheken, Archiven und anderen
Institutionen scheint niedriger geworden zu sein. Neue Personen und
Projekte treten auf, besonders auf regionaler Ebene. Die
grundsätzlichen Probleme sind dabei keineswegs gelöst: Peter Stein
fehlt "eine zentral zusammenführende deutsche Pressebibliographie" (S.
38); Walter Barton wünscht sich eine "zentrale Zeitungsdatenbank" (S.
93); ob die ZDB oder der Göttinger Verbund auf der Grundlage von PICA
dabei die tragende Rolle spielen werden, ob gar eine
Doppelverzeichnung sinnvoll erscheint, das wäre noch zu klären
(Oberschelp u.a., S. 56); immer wieder wird ein nationales
Erfassungsprogramm für Zeitungen gefordert (S. 6) - vielleicht 30.000
Titel bis 1990 nur für das Gebiet der Bundesrepublik (S. 54).[19] Über
den Stellenwert der bisherigen Verfilmungen herrscht noch Dissenz (S.
37 und 40).
Schließlich gibt unser Sammelband - entgegen seinem Titel - kaum
Auskunft über die Nutzung des Materials. Die Zugänglichkeit der
gesammelten Bestände, die Leihverkehrsmöglichkeiten und
-unmöglichkeiten werden gelegentlich im Zusammenhang mit der
Mikroverfilmung angeschnitten. Das ist nicht zufällig, denn die
Zeitungsbenutzung bleibt von lokalen und institutionellen Faktoren
abhängig, deren Generalisierung leicht utopische Züge annehmen kann.
Fazit: Eine überwiegend geglückte Darstellung der Situation und der
zukünftigen Entwicklung auf diesem, es sei wiederholt, eminent
schwierigen Terrain. Der Bibliographie von Pankratz ist die
Weiterführung als selbständige Publikation zu wünschen.
Willi Höfig
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