Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
[ Bestand in K10plus ]

Internet für Historiker


98-3/4-300
Internet für Historiker / Christian v. Ditfurth. - 2., aktualisierte Aufl. - Frankfurt/Main [u.a.] : Campus-Verlag, 1998. - 225 S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 3-593-36008-X : DM 29.80
[4016]

Noch vor wenigen Jahren waren Begriffe wie Internet, Multimedia oder Online im allgemeinen Sprachschatz des Durchschnitts-Historikers nicht enthalten. Die Nutzung internationaler Informationsnetze und Datenbankangebote blieb über lange Zeit vor allem den quantitativ arbeitenden Wirtschafts- und Sozialhistorikern vorbehalten, die in der Regel über besondere Software - bzw. Retrievalsystemkenntnisse verfügten.

Erst in jüngster Zeit setzt sich das Internet mit der Entwicklung der komfortablen hypertextorientierten Browsertechnik und dem damit wesentlich vereinfachten Zugang zum ständig expandierenden Informationsangebot des Netzes immer mehr als wichtiges neues Medium durch und erreicht mittlerweile auch die weniger oder oftmals gar nicht EDV-vorgebildeten Historiker als Endnutzer.

Heute besitzen die Angehörigen der meisten deutschen Hochschulen über die universitären Rechnernetze und deren technische Möglichkeiten einen Zugang zum Internet und sehen sich vor die Frage gestellt, inwieweit das Internet ihnen sinnvolle Ressourcen und Hilfsmittel für ihre tägliche Arbeit bereitstellen kann. Im Rahmen dieser Diskussion sind in der letzten Zeit verschiedene Veröffentlichungen entstanden, von denen zwei besonders erwähnenswert sind.

Das hier besprochene Buch Internet für Historiker von Christian von Ditfurth ist Teil einer im Campus Verlag erscheinenden themenspezifischen Internet-Buchreihe, in deren Rahmen von Ditfurth als Herausgeber und Co-Autor in kurzen Abständen in den letzten Monaten neben dem vorliegenden Band ebenfalls ähnlich aufgebaute Handbücher für Architekten, Psychologen, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, Lehrer und Journalisten publiziert hat. Der Autor möchte eine Einführung in die Nutzung des Internet speziell für Historiker bieten und spricht dabei vor allen Dingen ausdrücklich besonders diejenigen unter ihnen an, die mit der dafür notwendigen EDV-Technik noch ganz unvertraut sind. Der Band gliedert sich in einen insgesamt acht Kapitel umfassenden ersten allgemeinen Teil, in dem der Autor eine verständliche Einführung in die technischen Grundlagen und in die Benutzung des Internet bietet sowie in einen fachspezifischen zweiten Teil in sechs Kapiteln, in denen die vielfältigen Informationsressourcen, die sich dem Historiker im Internet bieten, vorgestellt werden. Am Ende des Buches finden sich weiterführende Literaturhinweise, ein Glossar wichtiger Fachbegriffe sowie ein Register.

In seinem Einführungsteil gelingt es dem Autor unter Verzicht auf allzu viele EDV-spezifische Fachtermini, jene Leser, die über keine Computerkenntnisse verfügen, mit didaktisch gut aufbereiteten Erklärungen in die neue Technik einzuführen. In einer durch die langjährige journalistische Praxis des Autors deutlich geprägten gut verstehbaren Sprache lernt der Leser bei von Ditfurth, wie man eine Internetverbindung herstellt, wie man Informationen im Netz suchen kann, wie Literaturrecherchen online durchzuführen sind und wie man Dateien aus dem Internet auf seinen Computer laden kann. Leider sucht der Leser in diesem immerhin von einem Historiker für Historiker geschriebenen Werk vergeblich nach einem kurzen Überblick über die Entstehung und mittlerweile schon einige Jahrzehnte umfassende Geschichte des Internet mit seiner ursprünglich rein militärisch genutzten Infrastruktur. Sieht man sich allerdings die vom selben Autor stammenden Bände Internet für Wirtschaftswissenschaftler[1] und auch die anderen Titel dieser Reihe an, stellt man fest, daß diese bis zum achten Kapitel (d.h. bis zur Seite 126 bzw. Seite 128 der aktualisierten 2. Auflage) völlig textidentisch mit dem Band für den Historiker sind. Die fehlende historische Aufarbeitung der Ursprünge des Internet verwundert dann weniger.

Der zweite Teil wendet sich mit einem fachbezogenen Überblick an Historiker oder besser Geschichtsinteressierte als potentielle Nutzer des Internet. Die Gliederung erfolgt nach Epochen und ist durch ein zusätzliches Kapitel zu den historischen Hilfswissenschaften ergänzt. Die Auswahl der vorgestellten Internet-Angebote erscheint insgesamt repräsentativ, orientiert sich allerdings an einem sehr niedrigen Anwenderhorizont, der sich auf dem Niveau des historischen Laien oder des universitären Grundstudiums bewegt. Fortgeschrittene Nutzer finden bei von Ditfurth nichts, was sie nicht schon auf jeder zweiten Historiker-Seite der einschlägigen bundesdeutschen Universitäten finden würden. Bedauerlich ist, daß der Autor keine Verweisungen auf die inzwischen sehr umfangreichen und qualitativ zum Teil sehr hochwertigen Ressourcen für den Geschichtsunterricht aufführt, wie sie z.B. über den Deutschen Bildungsserver (http://dbs.schule.de) erreichbar sind. Eine wichtige potentielle Zielgruppe seines eigentlich sehr populär angelegten Bandes wird somit nur sehr unzureichend bedient.

Das Internet in seiner vollen Bandbreite, die sich ja nicht nur auf die WWW-Browser basierende Oberfläche beschränkt, bietet einige recht unterschiedliche Anwendungsfelder für den Historiker. Die Möglichkeit, mittels elektronischer Post (E-Mail) mit anderen Historikern schnell und v.a. preisgünstig weltweit zu kommunizieren werden bei von Ditfurth am Beispiel der E-Mail-Software EUDORA dargestellt. Eine weitere wichtige Möglichkeit der Nutzung für die eigene (wissenschaftliche) Arbeit des Historikers besteht darin, sich über die Forschungsaktivitäten oder auch das Lehrangebot von Universitätsinstituten und Stiftungen etc. anhand der entsprechenden Internetseiten der Einrichtungen zu informieren. Außerdem gibt es einige bereits sehr umfangreich ausgebaute Text-, Bild- und Datenarchive sowie Sammlungen elektronischer Publikationen, deren leichter Zugang und einfache Weiterverarbeitungsmöglichkeit ganz neue Dimensionen eröffnen. Fast selbstverständlich ist heute bereits geworden, daß die meisten wissenschaftlichen Bibliotheken die Gelegenheit bieten, per Telnet- oder WWW-Opac online in ihren Katalogen zu recherchieren. Dies ist insbesondere für die Benutzung der weitentfernten ausländischen Bibliotheken von unschätzbarem Wert, beispielsweise für die Nutzer und online-Gäste des Katalogs der Library of Congress oder der anderen Nationalbibliotheken.

Eine weitergehende Darlegung und Diskussion zu diesen und anderen Möglichkeiten aber auch zu den Grenzen des Einsatzes des Internet für Historiker finden wir bei von Ditfurth jedoch nicht. In vielen Punkten ist die Sicht des Autors als etwas zu euphorisch zu bewerten. Daß es manchmal sehr viel sinnvoller sein kann, ein klassisches "papiergestütztes" Nachschlagewerk statt einer in Graz oder anderswo auf einem Universitäts-Server aufliegenden "Light-Version" des betreffenden Werkes zuzugreifen, wird nicht hinreichend problematisiert.

Ebenfalls wird die Frage des Veröffentlichens im Internet und die damit verbundene Problematik des Fehlens anerkannter Qualitätsmaßstäbe im Netz nicht angesprochen. Während man als Leser einer historischen Fachzeitschrift davon ausgehen kann, daß die dort veröffentlichten Aufsätze auf der Basis überprüfbarer Qualitätskriterien einer fachlichen Beurteilung unterzogen wurden, kann im Internet theoretisch jedermann ohne Rücksicht auf anerkannte historiographische Mindestanforderungen weltweit zugänglich publizieren.

In diesem Zusammenhang ist es denn auch als sehr bedauerlich zu werten, daß bei von Ditfurth der Hinweis auf eine für Historiker besonders interessante gegenläufige Einrichtung im Internet ganz fehlt. Seit einiger Zeit gibt einen internationalen Verbund von Diskussionsforen im Internet unter dem Namen H-Net (Humanities-Net), der sich vor allem mit Themen der Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigt. Anders als bei anderen offenen Listen handelt es sich bei H-Net um ein durch sogenannte Moderatoren betreutes Diskussionsforum, deren Qualität durch die redaktionelle Sichtung und Auswahl der eingesandten Beiträge durch ein wissenschaftlich qualifiziertes Redaktionsteam gewährleistet wird. Als jüngstes Mitglied im H-Net-Zusammenhang ist die für den deutschsprachigen Raum besonders interessante Liste H-Soz-u-Kult (http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/) zu erwähnen, die sich erstmals auf dem 41. Historikertag in München einer breiteren Fachöffentlichkeit vorgestellt hat.[2]

Für den wissenschaftlich publizierenden Historiker, der die im Internet vorgefundenen Quellen korrekt zitieren will, bietet von Ditfurths Buch leider keine Hinweise oder sinnvollen Erläuterungen.

Da der den Neuen Medien aufgeschlossene Historiker nicht nur passiv als Suchender am Netz teilnehmen möchte, sondern vielleicht auch beabsichtigt, im Netz zu veröffentlichen, wäre es wünschenswert gewesen, die Einführung um ein Kapitel "Publizieren im Internet" zu ergänzen. Dazu würde auch eine kurze Beschreibung der wichtigsten Befehle der HTML-Sprache gehören.

Alles in allem ist das Buch als Einführung für jene, die weder mit der EDV allgemein noch speziell mit dem Internet in Berührung gekommen sind, als Einstieg hilfreich. Allerdings gibt es für den immerhin die Hälfte des Bandes ausmachenden allgemeinen Einführungsteil bessere und billigere Literatur auf dem Markt. Von einer "aktualisierten" 2. Aufl. kann mit Blick auf die wenigen vom Autor vorgenommenen Korrekturen und Ergänzungen eigentlich ernsthaft nicht die Rede sein. Auf die in der 1. Aufl. immerhin noch ganze fünf Titel umfassende Literaturliste hat von Ditfurth in der 2. Aufl. ganz verzichtet. Stattdessen finden wir folgenden Hinweis: "Wenn Sie weiterführende Internet-Literatur, fachspezifisch oder allgemein suchen, dann sollten Sie diese Seite ansteuern: http://medweb.uni-muenster.de/zbm/liti.html. Sie finden dort recht aktuelle Besprechungen von unzähligen Büchern" (S. 209).[3]

Einige ganz wichtige Veröffentlichungen zum Thema "Geschichte und Internet", die in der Zeit von 1995 bis 1997 erschienen sind, findet man allerdings weder auf der erwähnten Münsterschen Internet-Seite noch bei von Ditfurth selbst.[4]

Zusammengefaßt läßt sich Ditfurths Band wohl eher als "Internet für Geschichtsinteressierte" klassifizieren und für diesen Markt konzipiert zu sein. Der Titel Internet für Historiker ist in fachwissenschaftlicher Hinsicht eindeutig zu hoch gegriffen.

Bernd Stickfort


[1]
Rez. IFB 98-1/2-136. (zurück)
[2]
Die Redaktion von H-Soz-u-Kult besteht aus einer generationenübergreifenden Gruppe von Historikern, die vornehmlich in Berlin beheimatet sind. Es sind: Karsten Borgmann M.A., Peter Helmberger M.A. und Dr. Rüdiger Hohls (alle Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Konrad Jarausch (University of North Carolina), Ralf Wolz M.A., Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Zur Zeit verfügt H-Soz-u-Kult über einen elfköpfigen Beirat, der methoden-, generationen- und nationenübergreifend die Interessen nach außen vertritt, als Multiplikator wirkt und über das inhaltliche Profil mitbestimmt. Es sind: Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität zu Berlin), Dr. Christoph Conrad (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Ute Daniel (Technische Universität Braunschweig), Prof. Dr. Josef Ehmer (Universität Salzburg), Dr. Andreas Ernst (Universität Zürich), Prof. Dr. Arthur E. Imhof (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Jürgen Kocka (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Alf Lüdtke (Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen), Dr. Matthias Middell (Universität Leipzig), Prof. Dr. Adelheid von Saldern (Universität Hannover), PD Dr. Wilhelm H. Schröder (Zentrum für Historische Sozialforschung Köln). (zurück)
[3]
Dort heißt es übrigens sehr zutreffend über von Ditfurths Buch: "Den Preis von 29,80 DM sollte nur der Historiker zahlen, dem systematische Verzeichnisse im Netz (z.B. YAHOO, DINO, ...) fremd sind." (zurück)
[4]
Internet für Historiker/innen. // In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften.
Teil 1. Virtuelle Bibliothekskataloge / Franz X. Eder. // 6 (1995),1, S. 145 - 149.
http://www.univie.ac.at/Wirtschaftsgeschichte/Int_OZG1.html
Teil 2. Bibliographische Recherchesysteme / Franz X. Eder. // 6 (1995),2, S. 325 - 330.
http://www.univie.ac.at/Wirtschaftsgeschichte/Int_OZG2.html
Teil 3. WWW-Kataloge und Gateways für Geschichte-Ressourcen / Anton Tantner. // 6 (1995),3, S. 453 - 456.
http://www.univie.ac.at/Wirtschaftsgeschichte/Int_OZG3.html
Teil 4. Home Pages historischer Institutionen / Franz X. Eder. // 6 (1995),4, S. 569 - 608.
http://www.univie.ac.at/Wirtschaftsgeschichte/Int_OZG4.html
Ferner:
WWW and the internet : new opportunities for historical discourse? / Alex Gibson. // In: History and computing. - 7 (1995),2, S. 13 - 21.
http://www.ex.ac.uk/~ajgibson/papers/www_and_history.html (zurück)

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