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Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
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Handbuch der italienischen Renaissancemaler


98-3/4-265
Handbuch der italienischen Renaissancemaler / Karl Ludwig Gallwitz. - München [u.a.] : Prestel, 1998. - 192 S. : Ill., graph. Darst. ; 24 cm. - ISBN 3-7913-1919-1 : DM 49.80
[4832]

Um die Protagonisten geht es und weniger um die Epoche der Renaissancemalerei. Dieses Buch stellt nicht die Früh- oder Hochrenaissance mit ihren Stilmerkmalen in den Vordergrund, wie es bereits im vorigen Jahrhundert Jakob Burckhardt und sein Schüler Heinrich Wölfflin taten, indem sie das Persönliche der Meister hinter der großen Linie der Formentwicklung zurücktreten ließen. Hier werden vielmehr Maler als Paten für die Phasen der Epoche ihrer Bedeutung gemäß in die Zentren oder Peripherien lokaler Malerschulen gestellt. Der Autor versucht nichts weniger, als Protagonisten wie Leonardo da Vinci, Raffael, Giorgione oder Tizian ihren Vorgängern und Nachfolgern gegenüberzustellen. Er hebt die Merkmale hervor, in denen die Neuerer sich von ihren Vorgängern unterscheiden, aber mit den Nachfolgern übereinstimmen. Meister wie Andrea del Sarto, Rosso Fiorentino, Pontormo, Sebastiano del Piombo, Dosso Dossi oder Correggio werden in dieses Beziehungsgeflecht eingebettet und auch zahlreiche Maler aus der zweiten Reihe werden einbezogen, ohne daß das Werk jedoch Vollständigkeit erlangte.[1]

Dieses Handbuch setzt sich im wesentlichen aus drei Teilen zusammen: aus einer 30 doppelspaltige Seiten füllenden Einführung, einem 106 Farbabbildungen umfassenden Bildteil, der im ganzen zu dunkel geraten ist, und einem annähernd 100 Seiten umfassenden Künstlerlexikon. Eine viel zu knapp gehaltene Auswahlbibliographie, die wichtige Grundlagenliteratur vermissen läßt,[2] Zeittafeln und graphische Darstellungen schließen diese Publikation ab.

Sie will ein Vademecum sein und Italienreisende, Museumsbesucher, Kunsthistoriker und Studenten gleichermaßen durch das Dickicht der Künstlerbeziehungen führen: ein hoher Anspruch, der nicht erfüllt wird. Dazu sind die Charakterisierungen der wechselseitigen Wirkungen der Maler einfach zu oberflächlich dargestellt. Dies resultiert aus dem Versuch, eine Vielzahl der über 1200 im lexikalischen Teil genannten Künstler im dreißigseitigen Textteil im großen Wurf unterbringen zu wollen: "Fra Bartolommeo (...) verschmolz nach einem Aufenthalt in Venedig die von Credi und Leonardo beeinflußte Malweise mit dem, was er von Bellini gelernt hatte, und schuf danach die stimmungsvollen Altarbilder, in denen er bellinesken Bildaufbau, venezianische Farbigkeit und das Sfumato Leonardos glücklich zu verbinden wußte" (S. 16). Hilfreicher und interessanter wäre es für den Leser, an dieser Stelle zu erfahren, worin im Detail die "Einflüße" Credis liegen oder was genau einen bellinesken Bildaufbau auszeichnet.

Leider wird auch die Frage der Antikenrezeption ausgeklammert, die für die Malerei der Renaissance in ihrer Entwicklung in zunehmendem Maße an Bedeutung gewann. Vorbild war die Antike weniger im Hinblick auf die Wiederentdeckung der Natur, schon seit längerem galt das Bild am lobenswertesten, das am meisten dem nachzuahmenden Gegenstand ähnelte. Beispielgebend für die Bildgestaltung war aber die antike Architektur, vor allem ob der konstruktiven Gestaltung der Form, die man in ihr offenbart glaubte.

Keine geographische Zusammenfassung von Malerschulen, an der sich nicht herumkritteln ließe. Aber es ist doch überraschend, daß hier die Florentiner und Sieneser Schule zu einer einzigen toskanischen Schule zusammengefaßt werden. Florenz brachte mit Masaccio die buona maniera moderna, wie Vasari sie nannte, ans Licht. Siena hingegen gelang es bis weit in das 15. Jahrhundert nicht, über die eigenen trecentesken Schatten zu springen. Giovanni di Paolo (1399 - 1482) beispielsweise war ein Hauptvertreter der konservativen Tendenzen der Sieneser Malerei des 15. Jahrhunderts, der zeitlebens auf gotischer Bildform und Goldgrund beharrte und sich eher an Ambrogio Lorenzetti (1280/90 - 1348) als an den Florentiner Neuerern orientierte, was von Gallwitz in der entsprechenden Graphik nicht berücksichtigt wurde.[3]

Die Einträge im Lexikonteil sind insgesamt kurz gehalten, aber durchaus informativ. Sie setzen sich aus dem Namen, dem Geburts- und Sterbedatum, der Schule und einer biographischen Beschreibung zusammen. Offenbar liegt der Namensansetzung das Prinzip der Gebräuchlichkeit der Namensform in der Wissenschaft zugrunde, ohne ganz durchgehalten worden zu sein. Federico Barocci zum Beispiel, der mit der Madonna del Popolo (1575 - 1579) das erste barocke Altarbild komponierte, findet sich unter Boroccio, Squarcione aber steht unter Squarzione. Von weniger gebräuchlichen Varianten wird verwiesen.

Die Quintessenz dieses Handbuchs wird auf acht nach Regionen geordneten Tafeln dargestellt. Sie versuchen, das Beziehungsgeflecht der Renaissancemaler und ihrer Schulen untereinander in unzähligen Pfeilen und Strichen von unterschiedlicher Stärke darzustellen. (Der Leser kann sich das wie eine zerfurchte Eisfläche vorstellen.) Als Zuordnungskriterien gelten Merkmale wie die traditionelle Zugehörigkeit zu einer Schule, der Ort der prägenden malerischen Ausbildung (nicht der Geburtsort), der Standort der eigenen Werkstatt als Wirkungsstätte und die stilistische Abhängigkeit von einzelnen Malern. Häufig war allerdings der Ausbildungsort mit der eigentlichen Wirkungsstätte eines Künstlers nicht identisch, so daß sich Interpretationsspielräume hinsichtlich der Zuordnung eines Künstlers zu einer Region ergaben. Andrea Mantegna, Padua zugeordnet, stammt zwar aus der Squarcione-Schule, doch ist für ihn das Zentrum seines Wirkens Mantua namensbildend geworden. Dort war er nacheinander für Federico, Ludovico und Francesco Gonzaga über einen Zeitraum von annähernd 50 Jahren tätig.

Über die Ausstrahlung des Schaffens eines Meisters läßt sich unter Wissenschaftlern nur schwerlich Übereinstimmung erzielen. Manches hier erscheint trotzdem als wenig glücklich zugeordnet. Sicherlich haben auch die Kreise, die das Schaffen Antonio Pollaiuolos zog, mehr Künstler erreicht als die angeführten Matteo di Giovanni, Botticelli, Signorelli, Leonardo, Piero Pollaiuolo und Verrochio, war er doch der erste pittore anatomista, der römische Könige und Feldherrn in heroischer Nacktheit zeigte.

Rom bleibt unberücksichtigt. Zwar ist dem Autor dahingehend zuzustimmen, daß in Rom im Zeitalter der Renaissance keine lokale Malschule ansässig war, neben Florenz und Venedig war Rom jedoch das Zentrum der Hochrenaissancemalerei im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Man denke nur an Raffael, Michelangelo oder Sebastiano del Piombo, die unter Julius II. (1503 - 1513) in die Ewige Stadt kamen. Die Stanzen und Loggien oder die Cappella Sistina strahlten in der Folgezeit weithin aus und wirkten "Schule bildend", was den künstlerischen Aufstieg Roms nach sich zog.

Es handelt sich bei der vorliegenden Publikation um den interessanten Versuch, die zugegebenermaßen komplexen Beziehungen zwischen Renaissancemalern auch graphisch darzustellen. Über dieses Versuchsstadium kommt diese Arbeit allerdings nicht hinaus. Die Beziehungen sind viel zu facettenreich, um in ein derart enges Korsett gepreßt zu werden.

Johannes W. Pommeranz


[1]
Von 10 anhand der Diskus-CD der italienischen Zeichnungen des 14. bis 18. Jahrhunderts (Kupferstichkabinett Berlin) durchgeführten Stichproben von Renaissancemalern fehlten zwei Einträge, namentlich Giovanni Battista Bertucci (1465/70 - 1516) und der lombardische Meister der Pala Sforzesca (tätig zwischen 1480 - 1520). (zurück)
[2]
So fehlen selbst Eintragungen von Standardwerken wie Painting of the high Renaissance in Rome and Florence / S. J. Freedberg. - Cambridge, Mass., 1961 oder The development of the Italian schools of painting / R. van Marle. - Den Haag. - Bd. 10 (1928) - 19 (1938). (zurück)
[3]
Man betrachte in diesem Zusammenhang nur das 1447 - 1449 für die Zunft der Wurstwarenhändler geschaffene Altarbild Giovanni di Paolos mit dem Tempelgang Mariae. (zurück)

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