Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
[ Bestand in K10plus ]

Encyclopédie du patrimoine


98-3/4-259
Encyclopédie du patrimoine : monuments historiques, patrimoine bâti et naturel ; protection, restauration, réglementation ; doctrines, techniques, pratiques / René Dinkel. - Paris : Les Encyclopédies du Patrimoine, 1997. - XX, 1512 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 2-911200-00-4 : FF 750.00. - (Librairie Histoire et Patrimoine, 2, rue de Valois, F-75001 Paris, FAX ++ 1 42 60 66 73)
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Seit den ausgehenden 70er Jahren ist in Frankreich die Beschäftigung mit dem patrimoine, dem kulturellen Erbe des Landes, zunehmend auch in das Blickfeld eines größeren Publikums geraten. Verstand man in den Anfängen hierunter vorrangig ein Bemühen um die Verzeichnung und den Erhalt der Bau- und Kunstdenkmäler, so hat sich der Blick inzwischen längst auf historische Zeugen verschiedenster Kategorien,[1] ja ganz allgemein auf Orte kulturellen Erinnerns geweitet. War also der patrimoine ursprünglich vor allem eine Domäne der (hauptamtlichen) Denkmalpfleger, Kunsthistoriker und Spezialisten, so ist er nun mehr und mehr auch zu einem Erfahrungs- und Erlebnisbereich für allgemein kulturell Interessierte und für Laien, aber auch für "Betroffene" geworden. An all jene wendet sich vorrangig die mit mehr als 1500 Seiten monumentale Encyclopédie du patrimoine.

Im einleitenden Teil wird dieses erweiterte Verständnis von patrimoine in der Definition von Ph. Douste-Blazy aus dem Jahr 1995 programmatisch vorgestellt, als die Bewahrung des kulturellen Erbes im weitesten Sinne als gesamt-gesellschaftlich und gemeinschaftlich zu tragende und auszuführende Aufgabe, als Form verlebendigender nationaler Identitätsstiftung proklamiert: "L'identité des nations comme principe historique se matérialise, se figure, s'incarne dans des lieux de mémoire. Ce sont là des traces et des marques d'une histoire commune. Il nous faut la faire vivre, il nous faut en tirer d'utiles leçons, il nous faut la proposer en partage. Favoriser la conservation du bien commun, rapprocher les hommes de cette part précieuse de leur mémoire, découvrir ensemble une responsabilité partagée, c'est d'abord faire une oeuvre exemplaire" (S. 2). Ziel dieses Nachschlagewerkes ist es somit auch, aber nicht nur, einen Überblick über die Vielfalt des kulturellen Erbes Frankreichs und insbesondere über die Projekte und Leistungen der staatlichen Denkmalpflege zu geben, zugleich und vor allem aber bei einem größeren Publikum Verständnis und Bereitschaft zu wecken, am Erhalt, an der Pflege und der Wiederherstellung dieser Zeugen nationaler Geschichte mitzuwirken und die staatlichen denkmalpflegerischen Aktivitäten zu würdigen, zu unterstützen und zu propagieren. Die für die Öffentlichkeit oft nicht mehr überschaubare Vielfalt an Gesetzen, an Vorschriften und Veröffentlichungen, die unterschiedlichen Ansätze und vielfältigen Formen der Denkmalpflege will dies Nachschlagewerk bündeln und transparenter machen, Ergebnisse und Kenntnisse der staatlichen Denkmalpflege in verständlicher Form weiterreichen und so die Kooperation verschiedener Partner wie Staat, private Gruppen und Vereinigungen, Unternehmer, Investoren, Nutzer und Liebhaber erleichtern. Im Ergebnis soll dabei nicht nur der Erhalt der Monumente gesehen werden, sondern auch die kulturelle, touristische und wirtschaftliche Förderung eines Ortes, schließlich die Schaffung neuer lokaler und regionaler Identitäten.

Im Anschluß an diese einleitenden Bemerkungen gliedert das Nachschlagewerk die zentralen Informationen in drei Hauptteile: 1. Doctrines et pratiques; 2. Dictionnaire; 3. Carnet d'adresses. ergänzt werden sie um einem Anhang und um Register.

Teil 1 (S. 11 - 378) zu Grundsätzen und Praxis der 'Denkmalpflege' erläutert in 13 Einzelkapiteln - dabei ausgehend von repräsentativen Fällen und eingängigen Beispielen - Fragen der Verwaltung, der Finanzen, des Rechts, der Technik, der Restaurierung und Konservierung (d.h. der Denkmalpflege im engeren Sinne ), der Nutzung von Denkmälern und Kulturgütern usw. und behandelt sie vor allem mit Blick auf die Anwender und Interessenten: Besitzer, Nutzer, Architekten, Restauratoren (Denkmalpfleger), Verwalter, Rechtsträger usw. So werden etwa Grundprinzipien der (staatlichen) Denkmalpflege am Beispiel von Restaurierungsprogrammen im Elsaß vorgestellt und erläutert. Das Kapitel Lumières sur les pierres beispielsweise geht den verschiedensten Aspekten der Steinkonservierung nach, von der Steinfreilegung und -bearbeitung über die Darstellung wichtiger Mauertechniken bis zur Freilegung und Sichtbarmachung größeren historischen Mauerwerks, seiner Stabilisierung, Erhaltung, Reinigung, Wiederherstellung und den Formen heutiger Präsentation und Nutzung. Es wird des weiteren auf Fragen des Schutzes von Naturdenkmälern ebenso wie auf Fragen von Risikolagen und Umwelteinflüssen bei Kultur- und Baudenkmälern eingegangen, auf Möglichkeiten der Informations- und Geldbeschaffung usf. Gemeinsam ist allen Kapiteln die einführende und exemplarisch gehaltene Darstellung; die großzügige Illustrierung der Beiträge dient dabei aber nicht nur dem besseren Textverständnis, sondern ist vielfach eher rein optische Auflockerung des Textangebots.

Der 2. Teil (S. 379 - 1242), das Dictionnaire, stellt den eigentlichen Kern des Nachschlagewerks dar. Hier werden in alphabetischer Abfolge Sachbegriffe aus den im ersten Teil vorgestellten Themenkreisen erläutert und mit Verweisungen zu den jeweiligen Kapiteln versehen. Die formale Gliederung der Information in Text- und Bildseiten bleibt - wenn sinnvoll - auch hier erhalten. In diesem Teil der Publikation kann dabei die Bildinformation durchaus an Präzision und damit an Wert gewinnen. So werden etwa zum Eintrag 'Beton' u.a. Korrosionsschäden im Photo und als schematische Zeichnung verdeutlicht, im Eintrag 'Gerüstbau' die verschiedenen Konstruktionsformen an Beispielen bildlich vorgestellt. Andererseits wird aber auch nicht auf gefällige Bildzutaten wie 'junge Frau an der Betonmischmaschine', 'Frau vor Elektronenmikroskop' (mit üppiger Haarpracht im Vordergrund und Bildmittelpunkt), 'Frauen vor Bildschirmen aller Art' usw. verzichtet und so der bildliche Informationswert gelegentlich auf das Niveau von Werbebroschüren herabgestuft. Thematisch haben vor allem Informationen zu den verschiedensten Aktivitäten und Programmen der französischen Denkmalpflege wesentlichen Anteil am Dictionnaire; der pädagogische und/oder selbstdarstellerische Tenor dieser Beiträge ist jedoch nicht immer leicht zu überlesen; mancher Eintrag gerät für unseren Geschmack etwas zu sehr zur Leistungsschau.

Der 3. Teil (S. 1245 - 1416) bietet schließlich einen Überblick über die Organisationsstrukturen der französischen staatlichen Denkmalpflege, über Ämter, Kontakt- und Anlaufstellen und bringt darüber hinaus eine umfangreiche Liste mit Adressen von Restauratoren, Denkmalpflegern, Architekturbüros, berufsständischen Organisationen, Spezialeinrichtungen und -unternehmen, Studien- und Fortbildungszentren usw.

Als Anhang (S. 1419 - 1442) zur Gesamtpublikation werden nochmals umfassendere Informationen zum Themenkreis 'Stein' (Traditionen der Steinbearbeitung, Steinarten und ihre Spezifika, Steinlieferanten usw.) geboten. Eine Bibliographie sowie ein ausführlicher Namens- und Ortsindex beschließen das Werk.

Bleibt zum Schluß die Frage, wem dieses Nachschlagewerk auch außerhalb Frankreichs und jenseits einer französischen Leserschaft nutzt. Das Spezifikum dieses Werks nämlich, die verständliche Aufbereitung des Themenkomplexes für ein größeres Lesepublikum, verliert an Wert, sobald die sprachlichen Grenzen erreicht sind. Hinzukommt die vorrangige Orientierung der Darstellung an den Verhältnissen der französischen Denkmalpflege: Was innerhalb Frankreichs wertvolle Ratgeberdienste leistet, ist außerhalb des Landes nicht mehr von gleichem praktischen Nutzen. Dennoch gibt es durchaus Bereiche, in denen dieses Nachschlagewerk auch außerhalb Frankreichs seinen Platz hat: Überall dort wo thematische und landesspezifische Aspekte zusammenkommen und im Vordergrund des Interesses stehen (so etwa im Bereich der Frankreich-Studien an Universitäten und Frankreich-Zentren, auf dem Gebiet einer Frankreich-orientierten Denkmalpflege, bei Institutionen in grenznaher Lage usw.), dort wird die Encyclopédie du patrimoine - vor allem mit ihrem Adressenteil - hilfreich sein.

Angela Karasch


[1]
Vgl. Le patrimoine : histoire, pratiques et perspectives / sous la direction de Jean-Paul Oddos. Avec la collaboration de Pierre Aquilon ... - Paris : Éditions du Cercle de la Librairie, 1997. - 442 S. ; 24 cm. - (Collection bibliothèques). - ISBN 2-7654-0680-4 : FF 250.00 [5040]. - Nur aus der Verlagsangabe kann man darauf schließen, daß dieses Buch vom gedruckten Erbe handelt. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen. (zurück)

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