Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
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Metzler-Lexikon antiker Bildmotive


98-3/4-258
Metzler-Lexikon antiker Bildmotive / von Percy Preston. Übers. und überarb. von Stela Bogutovac und Kai Brodersen. Mit Abbildungen und Abgüssen aus der Mannheimer Antikensaalgalerie von Stefanie Eichler. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1997. - XIV, 249 S. : Ill. ; 24 cm. - Einheitssacht.: A dictionary of pictorial subjects from classical literature <dt.>. - ISBN 3-476-01541-6 : DM 58.00[1]
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Irgendwann einmal könnte es auch einem versierten Museumsbesucher, Kunstinteressierten und Antikenfreund widerfahren, daß er vor einem bildlichen oder plastischen Motiv mit der Darstellung einer antiken Thematik steht, diese aber auf Anhieb nicht identifizieren, oder aber nur unvollständig deuten kann. "Das ist doch die Geschichte mit dem ... -, wie hieß der denn noch, kommt das nicht bei Vergil vor, oder war's Ovid?" In dieser Situation helfen konventionelle Nachschlagewerke nur selten weiter, weil sie die gewünschte Information in der Regel genau unter dem Stichwort bereitstellen, das einem entfallen ist, zumeist Eigennamen von Orten oder Personen.

Sofern es sich dabei nun um Begebenheiten der klassisch-antiken Welt handelt, bietet das vorliegende Lexikon antiker Bildmotive Hilfestellung an. Die Idee ist im Prinzip so einfach wie genial: Motive dürfen eben nicht nach beteiligten Personen, sondern müssen nach präzisen, die wiedergegebene Situation genau bezeichnenden Schlagwörtern geordnet werden. Nach diesem Prinzip verfaßte der 1989 verstorbene Griechisch- und Lateinlehrer Percy Preston sein Dictionary of pictorial subjects from classical literature,[2] und dieses Buch ist jetzt um weitere Quellenangaben, Querverweise und einen Anhang von Stela Bogutovac und dem Übersetzungs- und Herausgebungsroutinier Kai Brodersen ins Deutsche übertragen worden.

Unter mehr als 400 Begriffen mit teilweise mehreren Unterbegriffen wurde das Material von Preston in ganz neuer Weise geordnet. Die dem Verzeichnis vorangestellte, alphabetische Liste der möglichen Einstiegsbegriffe reicht von Abstimmung (richtig wäre allerdings Abschied, womit das Lexikon in Wirklichkeit beginnt), bis Zwillinge. Dazu kommen im Hauptteil zahlreiche Verweisungen auf verwandte oder untergeordnete Schlagwörter, die auf jeweils geeignete Suchbegriffe führen. Entscheidend für die Ansetzung im Lexikon waren jeweils Begriffe für solche Begleitumstände und Situationsmerkmale von Episoden, die am ehesten als charakteristisch, eben als "typisch" für die dargestellte Szene gelten können: Je individueller und spezieller ein "Zubehör" dabei benannt werden kann, desto leichter fällt dann die Identifizierung. Zusätzliche Unterschlagwörter schaffen dann eine weitere Differenzierung nach Situationszusammenhängen. Zu Baby etwa sind diese: Geburt; an der Brust; von einem Tier gestillt oder gefüttert; von Mutter oder Amme gehalten; gepflegt oder in Pflege gegeben; in die Obhut eines anderen gegeben; von einem Mann genommen oder gehalten; Rettung durch Flucht; fallengelassen; niedergelegt oder versteckt; Aussetzung; ins Feuer gehalten, um unsterblich zu machen; ins Feuer geworfen oder aus dem Feuer geholt; ins Wasser geworfen oder gehalten; zu Tode geschleudert; Tötung. Überfliegt man einen Eintrag von der ersten bis zur letzten Zeile, erhält man folglich eine thematisch sortierte Materialsammlung, auch dies mag sicherlich bisweilen hilfreich sein. Griechische Namensformen haben den Vorrang vor lateinischen. Daß bei der in der Antike geläufigen Bearbeitung von literarischen Motiven in beiden Sprachen mit den dann jeweils gültigen Namen (Ares - Mars, Hera - Iuno, usw.) eine Entscheidung notwendig war, leuchtet auch ein. Eine Namensliste mit griechischen Namen und ihren lateinischen Entsprechungen am Ende (S. 234) hilft, wenn dieses Verfahren einmal Irritationen verursachen sollte. Beigefügt sind übrigens auch ein Verzeichnis der ausgewerteten Literatur, eine Auflistung der Werkausgaben und weiterführende Literaturhinweise. Angereichert ist das Buch schließlich mit Abbildungen von Abgüssen aus der Antikensaalgalerie des Mannheimer Schlosses.

In zwei Punkten ist es vielleicht nicht überflüssig, die Angaben des Metzler-Verlages zu diesem Buch zu präzisieren: Zunächst einmal enthält das Buch nicht nur Bildmotive aus der klassischen Mythologie, sondern durchaus auch Vorkommnisse der Geschichte. Unter Fluß wird also z.B. Caesars berühmter Übergang des Rubicon erwähnt. Und schließlich sollte noch einmal betont werden, daß die Basis für die enthaltenen Episoden ihr Vorkommen in der Literatur ist! Diese wesentliche Inhaltsdefinition ist im deutschen Titel im Unterschied zum amerikanischen Original verlorengegangen. Motive, für die es keine Vorlagen in der erhaltenen antiken Literatur gibt, tauchen deshalb nicht auf, mögen sie in der bildenden Kunst auch noch so geläufig sein.

Man wird wohl nicht auf ca. 230 Seiten eine Art Gesamtregister zur gesamten antiken Ikonographie erwarten, und dieses Buch will auch gar nicht mehr sein als ein erster Einstieg in eine dann selbständig zu leistende Vertiefung. Daß die Grenzen des Lexikons sehr schnell erreicht sein können, wird sofort deutlich, wenn man sich die Unzahl von nicht-literarisch belegten oder wenig bekannten Motivvariationen in Erinnerung ruft, wie sie z.B. im LIMC[3] gesammelt und sortiert wurden. Gerade bei Motiven aus häufig wiederkehrenden Mythen, wie bei Darstellungen aus der Theseus-Sage oder bei Herakles-Erzählungen gibt es Variationen und Besonderheiten.[4] Im Lexikon antiker Bildmotive wird man aber immer nur die wegen ihrer Bindung an literarische Hauptwerke gängigsten Motive finden, wobei die mögliche und häufige Überlagerung von Mythentraditionen (gerade bei Ovid, einer der Hauptquelle für das Lexikon) oder die Kontamination aus verschiedenen Vorlagen, also jede historische Dimension bei der Ausbildung von Sagen, nicht zuletzt die Berücksichtigung lokaler Traditionen, zu kurz kommen müssen. Ob der ausschließlich aus der Lektüre gewonnene Motivextrakt für die Entschlüsselung von Themen in Malerei und Plastik immer hinreicht, ist ohnehin ein grundsätzliches Problem und wohl doch eher fraglich.[5] Und schließlich ist es in vielen Fällen mindestens zweifelhaft, wie sich so manche aus Texten gefilterte Differenzierung von Motiven in der darstellenden Kunst bzw. ihrer Betrachtung nachvollziehen lassen soll. Da wird dann doch deutlich, daß hier ein Philologe am Werk war. Das alles spricht nicht entscheidend gegen dieses Buch, es begrenzt aber seinen Wert und sollte bei der Benutzung bedacht werden.

Joachim Migl


[1]
Eine Lizenzausgabe ist bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, für deren Mitglieder erschienen: Best.-Nr. 13906-2 : DM 48.00. (zurück)
[2]
A dictionary of pictorial subjects from classical literature : a guide to their identification in works of art / Percy Preston. - New York : Scribner, 1983. (zurück)
[3]
Lexicon iconographicum mythologiae classicae. - Zürich : Artemis. - 1 (1981) - 8 (1997). (zurück)
[4]
Nachzulesen z.B. im Artikel Theseus / Hans Herter. // In: RE, Suppl. 13 (1973), S. 1045 - 1238. (zurück)
[5]
Anzumerken ist hier, daß manche Textausgaben ähnliche, z.T. erheblich feinere Register enthalten, etwa die Edition der Metamorphosen Ovids bei Artemis. (zurück)

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