Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
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Manuale enciclopedico della bibliofilia


98-1/2-064
Manuale enciclopedico della bibliofilia / [ideazione e direzione: Vittorio Di Giuro]. - Milano : Bonnard, 1997. - 626 S. : Ill. ; 30 cm. - ISBN 88-86842-01-5 : Lit. 380.000. - (Edizioni Sylvestre Bonnard, Largo Treves 5, I-20121 Milano)
[4186]

Das neue italienische Handbuch der Bibliophilie aus einem neuen italienischen Verlag[1] kommt imposant daher in seinem leuchtend roten Leineneinband, der über 600 Seiten mit annähernd 1000 Artikeln umschließt. Ehrfürchtig blätterte der Rezensent die ersten Seiten um, las ein wenig von hinten nach vorn und erfreute sich an den zahllosen Illustrationen: kaum eine Seite, die das Auge nicht anspricht. Die italienische Kritik hatte nicht mit Lob gespart: "quest'opera straordinaria, unica nel panorama dell'editoria italiana ... tanto che il volume, mi sembra, potrebbe esser tradotto cosŤ com'è nelle principali lingue europee ... il volume potrebbe benissimo intitolarsi Manuale enciclopedico del libro".[2] Aber ist es ein Werk, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und somit auch für die Anschaffung durch wissenschaftliche Bibliotheken in Frage kommt?

Die Beiträge der über 100 vorwiegend aus Italien stammenden Autoren, die durch knappe Artikel der Redaktion ergänzt werden, reihen sich in alphabetischer Ordnung aneinander. Sinnvollerweise wurden Komposita zugunsten bedeutungstragender Wörter umgestellt, statt libri di alchimia siehe alchimia, libri di. Der Aufbau der Beiträge ist durchgehend einheitlich gegliedert: dem durch Fettdruck hervorgehobenen Stichwort folgt der Artikel, den gewöhnlich eine Auswahlbibliographie abschließt. Leider gibt die angezeigte Literatur häufig nicht den aktuellen Forschungsstand wieder.[3] Stichwörter zu technischen und fachspezifischen Begriffen werden in Englisch, Französisch und Deutsch übersetzt. Dabei kommt es gelegentlich zu kleinen Ungenauigkeiten.[4]

Positiv hervorzuheben, sind die note di mercato: Beiträge zu kostbaren und gesuchten Werken werden durch Informationen über Verkaufserlöse vor allem der letzten 20 Jahre ergänzt. Es handelt sich hierbei um keine vollständige Preisdokumentation, was dem Vorwort zufolge auch nicht angestrebt wurde. Vielmehr erhält der Sammler Hinweise und Tendenzen, die ihm eine Orientierungshilfe bieten.

Das Lexikon schließt mit einer knappen Literaturliste an eher allgemeinen Darstellungen und einem Verzeichnis der wichtigsten Druckorte: ein schwacher Ersatz für die im Lexikon nicht mit eigenen Artikeln behandelten Zentren der Schwarzen Kunst.[5] Weiterhin verzichtete man, und das ist schon ein erheblicher Mangel, auf die Aufnahme biographischer Artikel. Nach Druckern, Bibliophilen oder Stechern sucht der Leser vergebens. Als Beilage dient ein nützliches, kleines Glossar in vier Sprachen.

Art und Umfang der Artikel sind sehr verschieden. Leider werden die Kriterien der Stichwortauswahl im Vorwort nicht näher erläutert. Dabei ist das Lexikon nicht gerade selbsterklärend, was folgende Beispiele verdeutlichen mögen. Unzweifelhaft spielen die Sakralbücher des Mittelalters für die Bibliophilie eine gewichtige Rolle. Folglich findet man verschiedene Bezeichnungen liturgischer Bücher wie Antiphonar, Martyrologium und Pontifikale erläutert: nach dem Begriff Zeremoniale (ceremoniale) sucht man hingegen vergebens.

Wenig ausgewogen erscheint in diesem Lexikon auch die Auswahl der Handschriften, denen eigene Artikel gewidmet sind. Während die Bibbia Borso d'Estes und das Book of Kells (Libro di Kells) Spalten füllen, bleiben so berühmte Werke wie der Ashburnham-Pentateuch oder die Bamberger Apokalypse, die bedeutenste deutsche Bilder-Apokalypse vor Dürer, unerwähnt.

Mehrspaltige Beiträge sind auch Atlanten (atlante) und Reisebüchern (viaggio, libri di) gewidmet, die unter Bücherfreunden stets besondere Wertschätzung genießen. Die dort nachgezeichnete Geschichte der Guidenliteratur läßt allerdings Wichtiges unerwähnt: namentlich das erste Druckwerk dieser Art, die Peregrinationes in terram sanctam, 1486 in Mainz bei Erhard Reuwig erschienen, die über eine Reise des Mainzer Domdechanten Bernhard von Breydenbach in das Heilige Land berichtet.

Lesenswert dagegen sind die interessanten Ausführungen zu den sogenannten Malerbüchern des Expressionismus und des Futurismus. Es überrascht allerdings, daß in den note di mercato nicht Georg Heyms Gedichtband Umbra vitae mit Holzschnitten Kirchners von 1924 auftaucht. Handelt es sich doch um eines der gesuchtesten Bücher des Expressionismus, das zurecht zu den besten Ergebnissen der Buchkunst des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Inhaltlich fällt die Notiz, mehr ist es wirklich nicht, zur Arts & Crafts-Bewegung stark ab, der kaum mehr als eine halbe Spalte zugestanden wird. Sie erwähnt nicht einmal den Begründer, William Morris (1834 - 1896). Die Erklärungen zum Lieferungswerk (dispensa) breiten sich dagegen über vier Spalten aus. Überraschenderweise werden auch dem Klingspor-Museum in Offenbach, das eine umfangreiche Sammlung zur internationalen Buch- und Schriftkunst des 20. Jahrhunderts beherbergt, keine eigenen Zeilen gewidmet. Dagegen stellen gesonderte Beiträge zu Private Presses, Privatpressen und Private, stamperie - aus der jeweiligen Ländersicht geschrieben - immer wieder die Buchkunstbewegung dar.

Visualisierung und Farbigkeit dominieren dieses Lexikon. Kaum eine Seite, die nicht illustriert ist. Der Wissenschaftler, so angenehm sich die geschickt eingefügten Bilder für das Auge darstellen, hätte sich dagegen mehr Text, eine ausgewogenere Stichwortauswahl und eine aktuellere Bibliographie gewünscht. Das Manuale enciclopedico della bibliofilia ist kein Lexikon des gesamten Buchwesens, was es vom eigenen Anspruch her aber auch nicht sein wollte. Trotz der angesprochenen Mängel wird dieses Fachlexikon seine Käufer finden. Dieses Handbuch spricht Buchliebhaber an; für wissenschaftliche Bibliotheken eignet es sich dagegen weniger.

Johannes W. Pommeranz


[1]
Vgl. L' oggetto libro : arte della stampa, mercato e collezionismo. - Milano : Bonnard. - 29 cm. - (Edizioni Sylvestre Bonnard, Largo Treves 5, I-20121 Milano) [3859]. - 1996. - 315 S. : Ill. - ISBN 88-86842-00-7 : Lit. 200.000. - Rez.: IFB 97-1/2-107. (zurück)
[2]
Il contagio del bibliofilo / Francesco Rognoni. // In: L'indice dei libri del mese. - 14 (1997),5, S. 58. (zurück)
[3]
Für die Niellokunst bspw. wird einzig ein Titel von 1827 angezeigt: Cicognara, L.: Dell'origine, composizione e scomposizione dei Nielli, Venezia. (zurück)
[4]
So wurde miniatura mit "ausgemaltes Bild" übersetzt. (zurück)
[5]
Hilfreicher wäre es gewesen, wenn man das Druckortverzeichnis als Register aufgebaut hätte. Benutzer bekämen so zumindest mittelbar Informationen über die ortsgebundenen Druckereien. (zurück)

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