Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
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Musik in Bibliotheken


98-1/2-053
Musik in Bibliotheken : Materialien, Sammlungstypen, musikbibliothekarische Praxis / von Kurt Dorfmüller und Markus Müller-Benedict. - Wiesbaden : Reichert, 1997. - XXII, 302 S. : Notenbeisp. ; 25 cm. - (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens ; 15). - ISBN 3-88226-887-5 : DM 68.00
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Musik in Bibliotheken - ein lohnendes Unterfangen, stellt es doch den ersten deutschsprachigen Versuch dar, einen Überblick über die spezifischen musikbibliothekarischen Aufgaben zu geben. Das Werk ist jedoch nicht als Lehrbuch gedacht und verweist für ausführlichere Informationen auf die Literaturhinweise (vgl. S. XII und 144). Es wendet sich an Musikbibliothekare in der Ausbildung, an Bibliothekare, die mit der Betreuung von Musikbeständen beauftragt sind - ohne immer eine musikbibliothekarische Zusatzausbildung zu haben - sowie an Benutzer von Musikbibliotheken. Darüber hinaus werden auch im Beruf stehende Musikbibliothekare das Buch mit Interesse aufnehmen.

Der Band behandelt hauptsächlich die Musikdrucke und die audiovisuellen Medien - weniger die keine speziellen musikbibliothekarischen Kenntnisse voraussetzende Sekundärliteratur - und gliedert sich in fünf Kapitel, davon drei große: 1. Das Sammelgut (S. 1 - 95): die Abschnitte Materialarten, Historische Entwicklung, Wirtschaftliche Aspekte geben einen Überblick über Geschichte und Beschaffenheit von Musikhandschriften und -drucken, Tonträgern und audiovisuellen Medien; dazu kommen 20 schwarzweiße Abbildungen (Noten- und Titelblattbeispiele); 2. Musiksammlungen (S. 96 - 139) stellt die verschiedenen Typen von historischen und gegenwärtigen Sammlungen mit Musikmaterialien vor; 3. Die musikbibliothekarische Praxis (S. 140 - 240) beginnt mit einem kurzen Überblick über Sammelgut und Organisation und erläutert die Erwerbung, Erschließung, Benutzung von Musikmaterialien und die Auskunft in Musikbibliotheken; der Abschnitt Bestandspräsentation, Benutzung beschränkt sich auf Notendrucke und Tonträger und läßt Handschriften, die insgesamt - unabhängig davon, ob es sich um allgemeine oder Musikhandschriften handelt - besondere Behandlung erfordern, außer acht (vgl. S. 196). 4. Ausbildung und Beruf (S. 241 - 251); 5. Fachverbände, Zusammenarbeit (S. 252 - 256). Die Urheberschaft der einzelnen Kapitel und Unterkapitel - Dorfmüller, u.a. ehemaliger Vorsitzender der Arbeitsgruppe Deutschland des RISM und des RIdIM oder Müller-Benedict, Leiter der Musikbibliothek der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen - ist im Vorwort belegt.

Leider hat das Werk seine Mängel. Hier nur einige Beispiele.

Generell erfolgen Verweisungen auf Kapitel, nicht auf die Seiten. Die unnötige Beschwernis, die Stelle zu finden, trägt der Benutzer: "Sammlung deutscher Drucke 1450 - 1912 (s. 3.2.)" - das Kapitel 3.2. umfaßt immerhin 20 Seiten, die exakte Fundstelle ist S. 120.

Als der Band anläßlich der Rezension der CD-ROM des DMA[1] im Hinblick auf die nationale Sammlung und Verzeichnung von Musica practica und audiovisuellen Medien konsultiert wurde, ließ er viele Fragen offen und manche Daten wollten nicht so recht zusammenpassen.[2]

Immer wieder begegnet man Oberflächlichkeiten, so z.B. zum Musician's guide[3] mit ca. 25.000 Musikverlegern: "In der Zahl dürften außerdem Vertretungen ausländischer Verlage enthalten sein ..." (S. 57); man würde erwarten, daß dergleichen verifiziert wird.

Die auf S. 141 als Sammelgut aufgeführten Musikinstrumente dürften in Bibliotheken wohl nur ganz vereinzelt vorkommen; sie fallen ganz eindeutig in den Zuständigkeitsbereich der Museen.

Das Internet und seine zunehmende Bedeutung als bibliographische Quelle und Auskunftsmittel findet nirgends Erwähnung. Möglichkeiten, darauf einzugehen, wären genügend gegeben: z.B. auf S. 143 in Zusammenhang mit der dort beschriebenen Vernetzung von Bibliotheken in "Katalogverbünden" bzw. mit Anschlüssen "an Datenbanken und durch CD-ROM" oder auf S. 204 bei den Auskunftsmitteln. Man merkt, daß die Autoren in der neuen digitalen Informations-Welt anscheinend nicht zu Hause sind.

Könnte all dies bei einem ersten groben Überblick über die musikbibliothekarische Praxis in Kauf genommen werden, so sind einige Unstimmigkeiten doch gravierender. Hier wieder einige Beispiele:

Abschnitt 3.5.1 Musiklexika, Fachwörterbücher, Adressenverzeichnisse: "Riemann-Musiklexikon ... Inzwischen gibt es eine verkürzte, aber aktualisierte Ausgabe, hiervon wiederum eine aktualisierte Taschenbuchausgabe. Der berühmte und eingebürgerte Name Riemann wurde bis heute bei allen Ausgaben beibehalten." (vgl. S. 206). Bei der verkürzten und aktualisierten Ausgabe handelt es sich um den so zitierten Brockhaus-Riemann[4], der dann wiederum als Taschenbuchausgabe[5], erschien. An derselben Stelle hätte zur Aufzählung der großen Musiklexika neben Grove, Riemann und MGG unbedingt auch das vorzügliche DEUMM[6] gehört.

Auf S. 168 wird das Erscheinungsjahr der neuen RAK-Musik mit 1996 angegeben; tatsächlich erschien das Regelwerk aber erst 1997. Darüber hinaus sind die im Text folgenden Ausführungen zu den RAK-Musik nicht korrekt. Die bei Bearbeitung (Haupteintragung: Komponist, Nebeneintragung: Bearbeiter) und wesentlicher Umgestaltung (der Bearbeiter gilt als Komponist und erhält die Haupteintragung) aufgeführten "Zweifelsfälle" (S. 169) sind im Regelwerk ausdrücklich geregelt. Beim Fall, a) "wenn aus Teilen verschiedener Werke eines Autors ein neues Werk nach Pasticcio-Art montiert wird" (S. 169) gilt gemäß  M 511,3 der Bearbeiter als Komponist: "Diese Bestimmung gilt auch für Werke, denen Motive, Themen und Melodien anderer Werke zugrunde liegen (Variationen, Fantasien, Potpourris, neugeschaffene Vokal- oder Instrumentalsätze über vorhandene Melodien)" (RAK-Musik 1997, S. 69). Fall b) "wenn Melodien mit neuen Begleitsätzen versehen ... werden" (S. 169) ist in  M 617,3 geregelt (vgl. dortiges Beispiel): "Vorlage: Wohlauf, die Luft geht frisch und rein. Viktor von Scheffel. Weise: Val. Ed. Becker. Satz: Hans Lang. - HE: Lang, Hans: Wohlauf, die Luft geht frisch und rein. NE: Becker, Valentin Eduard" (RAK-Musik 1997, S. 84).

Unpräzises und z.T. Falsches erfährt man auf S. 215 zum Katalog der Library of Congress Music, books on music, and sound recordings: "Papierausgabe bis 1989. 1981 - 1990: The music catalog, Mikrofiche. Jetzt als CD-ROM." Vielmehr erscheint die Mikrofiche-Ausgabe weiterhin parallel zur CD-ROM[7].

Auf S. 91 heißt es: "Eine wichtige Serie ... trug den Namen Music Minus One-(MMO-)Schallplatten ...". Die gleichnamige Firma existiert noch, also wohl auch die Reihe.[8]

Das Literaturverzeichnis, dessen Gliederung nicht exakt der des Textes entspricht, stellt eine Auswahl der zitierten bzw. weiterführenden Literatur dar. Weiterführende Literatur, die sich nicht direkt auf das Thema des entsprechenden Kapitels bezieht, ist jeweils nur im Text, nicht im Literaturverzeichnis, angeführt. Die Titelaufnahmen sind nicht RAK-gerecht.

Die Gestaltung des Registers ist uneinheitlich. Institutionen sind teilweise unter ihrem Namen, z.B. Fachhochschule für Bibliothekswesen (FHB) / Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen (HBI), Stuttgart, teilweise unter dem Ort, z.B. München - Staatsbibliothek zu finden. Manche Begriffe fehlen ganz, z.B. Regeln für den Schlagwortkatalog (RSWK), wohingegen der Eintrag Regeln für die alphabetische Katalogisierung (RAK) vorhanden ist.

Musik in Bibliotheken - vergleichbar dem Hacker[9] - ist dazu angetan, Musikbibliothekaren nützliche Dienste zu leisten, zumal kein entsprechendes geeigneteres Werk vorliegt. Umso mehr stören die zahlreichen oberflächlichen, ungenauen oder gar falschen Angaben. Sie müßten bei einer wünschenswerten Neuauflage behoben werden, die auch den Blick entschlossener auf die (digitale) Zukunft richten sollte; so wie es jetzt vorliegt, hat man den Eindruck, daß das Werk am Ende einer Epoche steht, auch wenn deren Verfahren uns noch eine lange Wegstrecke begleiten werden.

Martina Rommel


[1]
Vgl. IFB 97-3/4-367 - 368. (zurück)
[2]
So liest man bei Dorfmüller im Kapitel 3.2.2 (über die Erwerbungsunterlagen), daß die DNB weiterhin die Produktion Österreichs und der Schweiz verzeichnet: "Deutsche Nationalbibliographie, Reihen M und T (seit 1991); sie schließt Österreich und Schweiz ein ..." (S. 149). Das steht allerdings im Gegensatz zu der offiziellen Verlautbarung von Seyfried, vgl. IFB 97-3/4-367 - 368. (zurück)
[3]
The musician's guide : the directory of the world of music. - 6. ed. - Chicago, Ill. : Marquis Academic Media, 1980. - 943 S. (zurück)
[4]
Brockhaus-Riemann-Musiklexikon : in zwei Bänden / hrsg. von Carl Dahlhaus ... - Wiesbaden : Brockhaus ; Mainz : Schott. - 1 (1978) - 2 (1979). - ABUN in ZfBB 26 (1979),2, S. 102 - 103 und 28 (1981),4, S. 299 - 303. (zurück)
[5]
Brockhaus-Riemann-Musiklexikon. - Zuletzt IFB 95-4-617. - Die Tatsache, daß das Werk nur in Gestalt eines Ergänzungsbandes aktualisiert wurde, hätte nicht unterschlagen werden dürfen. - Für März 1998 ist die 3. Aufl. angekündigt (ISBN 3-254-08400-4 : DM 148.00), wobei wiederum nur der Ergänzungsband aktualisiert wurde, der, wie stets, separat erworben werden kann (DM 29.90). (zurück)
[6]
Dizionario enciclopedico universale della musica e dei musicisti. - Zu allen genannten Lexika vgl. IFB 96-4-467 - 471. (zurück)
[7]
Lt. Verlagskatalog: The music catalog (on microfiche). - Published quarterly. - Price: 1996 subscription $ 115 North America, $ 130 outside N. Am. - Die Mikrofiche-Ausgabe ist in der Württembergischen Landesbibliothek weiterhin laufend vorhanden. (zurück)
[8]
Vgl. dazu u.a. mehrere Fundstellen im Internet, z.B. http://www.minusone.com/index.html (zurück)
[9]
Bibliothekarisches Grundwissen / Rupert Hacker. - 6., völlig neubearb. Aufl. - München [u.a.] : Saur, 1992. - 406 S. : graph. Darst. - ISBN 3-598-11078-2 : DM 39.00. (zurück)

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